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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Das ästhetische Problem in der Photographie

Photographen ab, der die Überraschung liebt und sich selbst übertreffen will.
Jedes Gelingen in der Richtung dieses künstlerischen Zieles wird ein Fund
sein, der sich nicht leicht wiederholt. Und das ist gut, denn der Wert des
künstlerischen Experiments in der Photographie wird dadurch wesentlich erhöht,
daß Urika entstehn. Jedes Bild eines Malers erscheint als Unikum und recht¬
fertigt als einzigartige künstlerische Offenbarung, die in derselben Art nur
einmal möglich ist, den hohen ideellen und danach auch bezifferten Wert.
Etwas ganz ähnliches in gemessenen Grenzen gilt auch für die Photographie,
die nach hohen Zielen strebt. Der Handwerker, der in der berufsmäßigen Frone
schafft, mag sich in den billigen Konventionen halten, die ihm der niedere
Geschmack seines Publikums vorzeichnet. Wer in der mechanischen Alltagsübung
aufhört, geistig zu arbeiten, wird die künstlerische Sache auch in der Photo¬
graphie nicht um einen Schritt weiter bringen, im Gegenteil. Die einzigen
Konventionen, die der fortschreitende und erobernde Photograph anerkennt, sind
die bindenden Wegweiser, die er von den letzten Errungenschaften der modernen
Kunst empfängt. Es kann dem Photographen nur zum Vorteil gereichen, wenn
er sich mit der exklusivsten Kunst der modernen Malerei in ein Verhältnis setzt
als genießender und eindringender Kunstliebhaber. Nicht etwa deshalb, weil
er hoffen kann, die zauberhaften Wirkungen der modernen Malerei lichtbildnerisch
zu reproduzieren, aber er kann hoffen, eine Aufdeckung der ästhetischen Probleme
zu finden, die auch seiner Entwicklung den Weg weisen müssen.

Die eigenartigsten und interessantesten Schöpfungen wird der Photograph
dort erreichen, wo er gleichsam freischaffend verfährt, im Porträt und in den auf
dekorative Effekte hinarbeitenden Aufgaben, in denen die Landschaft, die Pflanze
oder das sonstige dargestellte Objekt nur Mittel zum Zweck ist, die Wunder des
Lichtes mit seinem Gegensatz, dem Schatten, zu offenbaren. Im Porträt wird
er jeden kühnen originellen dekorativen Gedanken wagen können, manchmal
sogar auf Kosten der sogenannten photographischen Porträttreue, denn jede
durch Licht- oder Schattenwirkung erreichte Originalität kann den Vorzug des
Interessanten haben, wenn sie auch auf Kosten der Deutlichkeit geht. Wir
wissen zu genau, daß jeder zweckvoll angestrebte Grad von dekorativer Ver¬
schleierung geeignet sein kann, der Porträtaufnahme einen mystischen Glanz
M geben, eine Vergeistigung hineinzutragen, die das Unbedeutende bedeutend
wacht und über das Modell hinaus eine neue, in sich selbst beruhende Schönheit
geben kann. Daß das Bild möglichst groß im Rahmen erscheinen, alles störende
Beiwerk, das die Absichtlichkeit des Arrangierens ausdrückt, vermieden und die
höchste Zucht der Vereinfachung angestrebt werden soll, gehört zu den banalen
Grundsätzen der Amateurkunst, bei denen wir uns nicht mehr aufzuhalten haben.
^'Die Einfachheit ist die letzte Zuflucht komplizierter Naturen." Aber außer
jenen rein künstlerischen Arbeiten, wo es dem experimentierenden Amateur ver¬
gönnt ist, schöpferisch zu arbeiten, gibt es sehr viele Aufgaben für ihn, die im
Dienste einer Kultursache stehn. Hier ist das Objekt nicht mehr bloß Träger


Das ästhetische Problem in der Photographie

Photographen ab, der die Überraschung liebt und sich selbst übertreffen will.
Jedes Gelingen in der Richtung dieses künstlerischen Zieles wird ein Fund
sein, der sich nicht leicht wiederholt. Und das ist gut, denn der Wert des
künstlerischen Experiments in der Photographie wird dadurch wesentlich erhöht,
daß Urika entstehn. Jedes Bild eines Malers erscheint als Unikum und recht¬
fertigt als einzigartige künstlerische Offenbarung, die in derselben Art nur
einmal möglich ist, den hohen ideellen und danach auch bezifferten Wert.
Etwas ganz ähnliches in gemessenen Grenzen gilt auch für die Photographie,
die nach hohen Zielen strebt. Der Handwerker, der in der berufsmäßigen Frone
schafft, mag sich in den billigen Konventionen halten, die ihm der niedere
Geschmack seines Publikums vorzeichnet. Wer in der mechanischen Alltagsübung
aufhört, geistig zu arbeiten, wird die künstlerische Sache auch in der Photo¬
graphie nicht um einen Schritt weiter bringen, im Gegenteil. Die einzigen
Konventionen, die der fortschreitende und erobernde Photograph anerkennt, sind
die bindenden Wegweiser, die er von den letzten Errungenschaften der modernen
Kunst empfängt. Es kann dem Photographen nur zum Vorteil gereichen, wenn
er sich mit der exklusivsten Kunst der modernen Malerei in ein Verhältnis setzt
als genießender und eindringender Kunstliebhaber. Nicht etwa deshalb, weil
er hoffen kann, die zauberhaften Wirkungen der modernen Malerei lichtbildnerisch
zu reproduzieren, aber er kann hoffen, eine Aufdeckung der ästhetischen Probleme
zu finden, die auch seiner Entwicklung den Weg weisen müssen.

Die eigenartigsten und interessantesten Schöpfungen wird der Photograph
dort erreichen, wo er gleichsam freischaffend verfährt, im Porträt und in den auf
dekorative Effekte hinarbeitenden Aufgaben, in denen die Landschaft, die Pflanze
oder das sonstige dargestellte Objekt nur Mittel zum Zweck ist, die Wunder des
Lichtes mit seinem Gegensatz, dem Schatten, zu offenbaren. Im Porträt wird
er jeden kühnen originellen dekorativen Gedanken wagen können, manchmal
sogar auf Kosten der sogenannten photographischen Porträttreue, denn jede
durch Licht- oder Schattenwirkung erreichte Originalität kann den Vorzug des
Interessanten haben, wenn sie auch auf Kosten der Deutlichkeit geht. Wir
wissen zu genau, daß jeder zweckvoll angestrebte Grad von dekorativer Ver¬
schleierung geeignet sein kann, der Porträtaufnahme einen mystischen Glanz
M geben, eine Vergeistigung hineinzutragen, die das Unbedeutende bedeutend
wacht und über das Modell hinaus eine neue, in sich selbst beruhende Schönheit
geben kann. Daß das Bild möglichst groß im Rahmen erscheinen, alles störende
Beiwerk, das die Absichtlichkeit des Arrangierens ausdrückt, vermieden und die
höchste Zucht der Vereinfachung angestrebt werden soll, gehört zu den banalen
Grundsätzen der Amateurkunst, bei denen wir uns nicht mehr aufzuhalten haben.
^'Die Einfachheit ist die letzte Zuflucht komplizierter Naturen." Aber außer
jenen rein künstlerischen Arbeiten, wo es dem experimentierenden Amateur ver¬
gönnt ist, schöpferisch zu arbeiten, gibt es sehr viele Aufgaben für ihn, die im
Dienste einer Kultursache stehn. Hier ist das Objekt nicht mehr bloß Träger


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[0293] Das ästhetische Problem in der Photographie Photographen ab, der die Überraschung liebt und sich selbst übertreffen will. Jedes Gelingen in der Richtung dieses künstlerischen Zieles wird ein Fund sein, der sich nicht leicht wiederholt. Und das ist gut, denn der Wert des künstlerischen Experiments in der Photographie wird dadurch wesentlich erhöht, daß Urika entstehn. Jedes Bild eines Malers erscheint als Unikum und recht¬ fertigt als einzigartige künstlerische Offenbarung, die in derselben Art nur einmal möglich ist, den hohen ideellen und danach auch bezifferten Wert. Etwas ganz ähnliches in gemessenen Grenzen gilt auch für die Photographie, die nach hohen Zielen strebt. Der Handwerker, der in der berufsmäßigen Frone schafft, mag sich in den billigen Konventionen halten, die ihm der niedere Geschmack seines Publikums vorzeichnet. Wer in der mechanischen Alltagsübung aufhört, geistig zu arbeiten, wird die künstlerische Sache auch in der Photo¬ graphie nicht um einen Schritt weiter bringen, im Gegenteil. Die einzigen Konventionen, die der fortschreitende und erobernde Photograph anerkennt, sind die bindenden Wegweiser, die er von den letzten Errungenschaften der modernen Kunst empfängt. Es kann dem Photographen nur zum Vorteil gereichen, wenn er sich mit der exklusivsten Kunst der modernen Malerei in ein Verhältnis setzt als genießender und eindringender Kunstliebhaber. Nicht etwa deshalb, weil er hoffen kann, die zauberhaften Wirkungen der modernen Malerei lichtbildnerisch zu reproduzieren, aber er kann hoffen, eine Aufdeckung der ästhetischen Probleme zu finden, die auch seiner Entwicklung den Weg weisen müssen. Die eigenartigsten und interessantesten Schöpfungen wird der Photograph dort erreichen, wo er gleichsam freischaffend verfährt, im Porträt und in den auf dekorative Effekte hinarbeitenden Aufgaben, in denen die Landschaft, die Pflanze oder das sonstige dargestellte Objekt nur Mittel zum Zweck ist, die Wunder des Lichtes mit seinem Gegensatz, dem Schatten, zu offenbaren. Im Porträt wird er jeden kühnen originellen dekorativen Gedanken wagen können, manchmal sogar auf Kosten der sogenannten photographischen Porträttreue, denn jede durch Licht- oder Schattenwirkung erreichte Originalität kann den Vorzug des Interessanten haben, wenn sie auch auf Kosten der Deutlichkeit geht. Wir wissen zu genau, daß jeder zweckvoll angestrebte Grad von dekorativer Ver¬ schleierung geeignet sein kann, der Porträtaufnahme einen mystischen Glanz M geben, eine Vergeistigung hineinzutragen, die das Unbedeutende bedeutend wacht und über das Modell hinaus eine neue, in sich selbst beruhende Schönheit geben kann. Daß das Bild möglichst groß im Rahmen erscheinen, alles störende Beiwerk, das die Absichtlichkeit des Arrangierens ausdrückt, vermieden und die höchste Zucht der Vereinfachung angestrebt werden soll, gehört zu den banalen Grundsätzen der Amateurkunst, bei denen wir uns nicht mehr aufzuhalten haben. ^'Die Einfachheit ist die letzte Zuflucht komplizierter Naturen." Aber außer jenen rein künstlerischen Arbeiten, wo es dem experimentierenden Amateur ver¬ gönnt ist, schöpferisch zu arbeiten, gibt es sehr viele Aufgaben für ihn, die im Dienste einer Kultursache stehn. Hier ist das Objekt nicht mehr bloß Träger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/293>, abgerufen am 22.07.2024.