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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Junge Richter und junge Rechtsanwälte

Arbeiter ein Verschulden treffe, die verschiedensten Ansichten möglich sind, daß
anch gar nicht feststehe, daß die vom Beklagten benannten Sachverständigen
sachkundiger sind als die Kläger, daß aber das Gutachten von Geschäfts¬
konkurrenten einer Partei immer mit besondrer Vorsicht aufzunehmen ist.
Der erfahrne Richter wird deshalb in dem oben gedachten Fall von seinem
Recht Gebrauch machen, statt der vom Beklagten benannten Sachverständige"
von Amts wegen andre Sachverständige auszuwählen oder mindestens neben
den vom Beklagten benannten noch im ersten Fall einen Junungsobermeister,
im zweiten Fall einen Tierarzt als weitere Sachverständige zu vernehmen,
Ist der Richter aber unerfahren, so kommen ihm derartige Erwägungen nicht;
zwar weiß auch der jüngere Richter, daß der Sachverständige nur der Gehilfe
des Richters ist, und daß es dem Richter obliegt, die Sachverständigen aus¬
zuwählen; aber dem jünger" Richter kommt die Notwendigkeit, in der eben
geschilderten Weise zu verfahren, nicht zum Bewußtsein. Deshalb vernimmt
er lediglich die von den Parteien benannten Sachverständigen, und die Ent¬
scheidung erfolgt dann auf Grund vou "Gutachten", die sich geradezu als ein
Zerrbild der Wahrheit darstellen. Ein solches Urteil ist gleichwertig der Ent¬
scheidung, die auf Grund des Gutachtens irgendeines Hintertreppendoktors fest¬
stellt, daß jemand "homosexuell" ist.

Und endlich ein ebenfalls der Praxis cntnommnes Beispiel, das zugleich
einen lehrreichen Beitrag zur Lehre von der Eidesnot liefert. Ein Handwerker
verklagt einen Kaufmann aus einer Bürgschaft, die dieser mündlich (also nach
den Vorschriften des Handelsgesetzbuchs rechtsgiltig) für Forderungen des
Handwerkers an einen Bauern übernommen haben soll; er schiebt dem Be¬
klagten darüber, daß dieser die Bürgschaft geleistet habe, den Eid zu, den der
Beklagte zu leisten bereit ist. Der erfahrne Richter erwägt hier, daß die
Eideszuschiebung nur über Tatsache" zulässig ist, daß aber die Bürgschaft ein
Rechtsbegriff ist, dessen Erfassung selbst dem gebildeten Laien nicht schlechthin
zuzumuten ist; der Richter wird deshalb vom Klüger verlangen, daß er
möglichst genan die Worte angebe, die der Beklagte bei der angeblichen Bürg¬
schaftsleistung gebraucht habe" soll; und der Richter wird dann prüfen, ob
in dieser Äußerung eine Bürgschaftsleistung liege, und wenn er dies bejaht,
die Eidesnorm so beschließen, daß sie gerade jene Äußerung umfaßt. Der
Richter weiß eben aus seiner Erfahrung als Zivil- wie als Strafrichter, daß
die Normierung eines Eides über Rechtsbegriffe wohl allenfalls zulässig ist,
bei allbekannten Begriffen wie etwa Kauf, Miete, Darlehn, aber selbst hier
durchaus zu vermeiden ist, wenn die Möglichkeit besteht, daß sich die Partei
im Einzelfall über das Vorhandensein der tatsächlichen Voraussetzungen des
Rechtsbegriffs im unklaren sein könnte. Anders, wenn der Richter keine
Praktische Erfahrung hat. Zwar hat auch er schon ans der Universität gelernt,
daß der Eid nur über Tatsachen, nicht über Rechtsbegriffe zugeschoben werden
kann; aber er wird sich der Folgen dieses Rechtssatzes nicht bewußt,


Grenzboten IV Z908 37
Junge Richter und junge Rechtsanwälte

Arbeiter ein Verschulden treffe, die verschiedensten Ansichten möglich sind, daß
anch gar nicht feststehe, daß die vom Beklagten benannten Sachverständigen
sachkundiger sind als die Kläger, daß aber das Gutachten von Geschäfts¬
konkurrenten einer Partei immer mit besondrer Vorsicht aufzunehmen ist.
Der erfahrne Richter wird deshalb in dem oben gedachten Fall von seinem
Recht Gebrauch machen, statt der vom Beklagten benannten Sachverständige»
von Amts wegen andre Sachverständige auszuwählen oder mindestens neben
den vom Beklagten benannten noch im ersten Fall einen Junungsobermeister,
im zweiten Fall einen Tierarzt als weitere Sachverständige zu vernehmen,
Ist der Richter aber unerfahren, so kommen ihm derartige Erwägungen nicht;
zwar weiß auch der jüngere Richter, daß der Sachverständige nur der Gehilfe
des Richters ist, und daß es dem Richter obliegt, die Sachverständigen aus¬
zuwählen; aber dem jünger» Richter kommt die Notwendigkeit, in der eben
geschilderten Weise zu verfahren, nicht zum Bewußtsein. Deshalb vernimmt
er lediglich die von den Parteien benannten Sachverständigen, und die Ent¬
scheidung erfolgt dann auf Grund vou „Gutachten", die sich geradezu als ein
Zerrbild der Wahrheit darstellen. Ein solches Urteil ist gleichwertig der Ent¬
scheidung, die auf Grund des Gutachtens irgendeines Hintertreppendoktors fest¬
stellt, daß jemand „homosexuell" ist.

Und endlich ein ebenfalls der Praxis cntnommnes Beispiel, das zugleich
einen lehrreichen Beitrag zur Lehre von der Eidesnot liefert. Ein Handwerker
verklagt einen Kaufmann aus einer Bürgschaft, die dieser mündlich (also nach
den Vorschriften des Handelsgesetzbuchs rechtsgiltig) für Forderungen des
Handwerkers an einen Bauern übernommen haben soll; er schiebt dem Be¬
klagten darüber, daß dieser die Bürgschaft geleistet habe, den Eid zu, den der
Beklagte zu leisten bereit ist. Der erfahrne Richter erwägt hier, daß die
Eideszuschiebung nur über Tatsache» zulässig ist, daß aber die Bürgschaft ein
Rechtsbegriff ist, dessen Erfassung selbst dem gebildeten Laien nicht schlechthin
zuzumuten ist; der Richter wird deshalb vom Klüger verlangen, daß er
möglichst genan die Worte angebe, die der Beklagte bei der angeblichen Bürg¬
schaftsleistung gebraucht habe» soll; und der Richter wird dann prüfen, ob
in dieser Äußerung eine Bürgschaftsleistung liege, und wenn er dies bejaht,
die Eidesnorm so beschließen, daß sie gerade jene Äußerung umfaßt. Der
Richter weiß eben aus seiner Erfahrung als Zivil- wie als Strafrichter, daß
die Normierung eines Eides über Rechtsbegriffe wohl allenfalls zulässig ist,
bei allbekannten Begriffen wie etwa Kauf, Miete, Darlehn, aber selbst hier
durchaus zu vermeiden ist, wenn die Möglichkeit besteht, daß sich die Partei
im Einzelfall über das Vorhandensein der tatsächlichen Voraussetzungen des
Rechtsbegriffs im unklaren sein könnte. Anders, wenn der Richter keine
Praktische Erfahrung hat. Zwar hat auch er schon ans der Universität gelernt,
daß der Eid nur über Tatsachen, nicht über Rechtsbegriffe zugeschoben werden
kann; aber er wird sich der Folgen dieses Rechtssatzes nicht bewußt,


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[0281] Junge Richter und junge Rechtsanwälte Arbeiter ein Verschulden treffe, die verschiedensten Ansichten möglich sind, daß anch gar nicht feststehe, daß die vom Beklagten benannten Sachverständigen sachkundiger sind als die Kläger, daß aber das Gutachten von Geschäfts¬ konkurrenten einer Partei immer mit besondrer Vorsicht aufzunehmen ist. Der erfahrne Richter wird deshalb in dem oben gedachten Fall von seinem Recht Gebrauch machen, statt der vom Beklagten benannten Sachverständige» von Amts wegen andre Sachverständige auszuwählen oder mindestens neben den vom Beklagten benannten noch im ersten Fall einen Junungsobermeister, im zweiten Fall einen Tierarzt als weitere Sachverständige zu vernehmen, Ist der Richter aber unerfahren, so kommen ihm derartige Erwägungen nicht; zwar weiß auch der jüngere Richter, daß der Sachverständige nur der Gehilfe des Richters ist, und daß es dem Richter obliegt, die Sachverständigen aus¬ zuwählen; aber dem jünger» Richter kommt die Notwendigkeit, in der eben geschilderten Weise zu verfahren, nicht zum Bewußtsein. Deshalb vernimmt er lediglich die von den Parteien benannten Sachverständigen, und die Ent¬ scheidung erfolgt dann auf Grund vou „Gutachten", die sich geradezu als ein Zerrbild der Wahrheit darstellen. Ein solches Urteil ist gleichwertig der Ent¬ scheidung, die auf Grund des Gutachtens irgendeines Hintertreppendoktors fest¬ stellt, daß jemand „homosexuell" ist. Und endlich ein ebenfalls der Praxis cntnommnes Beispiel, das zugleich einen lehrreichen Beitrag zur Lehre von der Eidesnot liefert. Ein Handwerker verklagt einen Kaufmann aus einer Bürgschaft, die dieser mündlich (also nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuchs rechtsgiltig) für Forderungen des Handwerkers an einen Bauern übernommen haben soll; er schiebt dem Be¬ klagten darüber, daß dieser die Bürgschaft geleistet habe, den Eid zu, den der Beklagte zu leisten bereit ist. Der erfahrne Richter erwägt hier, daß die Eideszuschiebung nur über Tatsache» zulässig ist, daß aber die Bürgschaft ein Rechtsbegriff ist, dessen Erfassung selbst dem gebildeten Laien nicht schlechthin zuzumuten ist; der Richter wird deshalb vom Klüger verlangen, daß er möglichst genan die Worte angebe, die der Beklagte bei der angeblichen Bürg¬ schaftsleistung gebraucht habe» soll; und der Richter wird dann prüfen, ob in dieser Äußerung eine Bürgschaftsleistung liege, und wenn er dies bejaht, die Eidesnorm so beschließen, daß sie gerade jene Äußerung umfaßt. Der Richter weiß eben aus seiner Erfahrung als Zivil- wie als Strafrichter, daß die Normierung eines Eides über Rechtsbegriffe wohl allenfalls zulässig ist, bei allbekannten Begriffen wie etwa Kauf, Miete, Darlehn, aber selbst hier durchaus zu vermeiden ist, wenn die Möglichkeit besteht, daß sich die Partei im Einzelfall über das Vorhandensein der tatsächlichen Voraussetzungen des Rechtsbegriffs im unklaren sein könnte. Anders, wenn der Richter keine Praktische Erfahrung hat. Zwar hat auch er schon ans der Universität gelernt, daß der Eid nur über Tatsachen, nicht über Rechtsbegriffe zugeschoben werden kann; aber er wird sich der Folgen dieses Rechtssatzes nicht bewußt, Grenzboten IV Z908 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/281>, abgerufen am 22.07.2024.