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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Junge Richter und junge Rechtsanwälte

freien Advokatur als wünschenswert bezeichnete. Auch die Anhänger des be¬
stehenden Zustandes erkannten damals an, daß es mißlich sei, daß Assessoren
sofort nach bestandner Staatsprüfung, also zu einer Zeit, wo ihnen die prak¬
tische Erfahrung noch völlig abgeht, sofort als Rechtsanwälte bei den Land¬
gerichten und den Oberlandesgerichten und hiermit zur Vertretung der
schwierigsten Rechtsstreitigkeiten und der höchsten Streitwerte zugelassen würden,
während sie, wenn sie die richterliche Laufbahn beschritten Hütten, doch lediglich
bei den Amtsgerichten Verwendung gefunden hätten. Irgendeine praktische
Folge hatten diese Erörterungen nicht, da der Gedanke einer Einschränkung
der freien Advokatur infolge des allseitig namentlich von den Anwaltskammern
geäußerten Widerspruchs fallen gelassen wurde.

Dieselben Erörterungen sind neuerdings besonders lebhaft auch über die
Richter lant geworden, zunächst infolge der "Traumwelt", in die uns der
Frankfurter Oberbürgermeister Adickes mit seinen Refvrmvorschlägen versetzt
hat. In seiner Abhandlung "Zur Verständigung über die Justizreform" er¬
klärt es Adickes für eine "auch bei großen Amtsgerichten drohende Gefahr,
daß die Zivilsachen häufig unerfahrnen jungen Amtsrichtern oder gar Assessoren
zugeteilt werden". In gleicher Weise ist bei dem vor einiger Zeit von der
Reichsregierung veröffentlichten Entwurf eines Gesetzes zur Abänderung des
Gerichtsverfassungsgesetzes, wonach die Zuständigkeit der Amtsgerichte von
300 Mark auf 800 Mark erhöht werden soll, in den Versammlungen der
Anwaltskammern mehrfach mit Bedauern von der "Assessorenjustiz" gesprochen
und hierbei auf die Tatsache hingewiesen worden, daß bei den Amtsgerichten
natürlich gerade die jüngsten Richter angestellt seien, also die Richter, deren
Praktische Erfahrung gering sei, denen man folglich die Entscheidung über
höhere Streitwerte nicht anvertrauen dürfe, weil sich bei diesen natürlich auch
die Schwierigkeit der Entscheidung steigere. Auf einem Anwaltstage wurde
sogar die Behauptung aufgestellt, das Wissen des jungen Richters sei ein
"unverstandnes, unverdautes und unabgeklärtes". ,.

Die Richter haben sich diese Anzapfungen natürlich nicht gefallen lassen
"ut mit Recht auf den Widerspruch hingewiesen, der dann liege, daß ein
junger Assessor sofort Rechtsanwalt bei den Landgerichten und den Obcr-
landesgerichten werden könne und hiermit zur Vertretung der schwierigsten
Sachen und höchsten Streitwerte berufen sei, während er als Richter nur be¬
fähigt sein solle, bei geringen und einfachen Sachen zu entscheiden.*) Der
junge Richter habe ein Durchschnittsalter von dreißig Jahren und sei vom
Beginn seiner juristischen Laufbahn an, also acht bis zehn Jahre hindurch
fortgesetzt gerade auf dem Gebiet des Zivilrechts ausgebildet; er sei dann
einer Prüfung unterworfen, deren Schwerpunkt ebenfalls auf zivilistischen Ge¬
biet liege. "Wer nach acht- bis zehnjähriger Beschäftigung mit dem Zivilrecht



Vgl. Kaimncrgerichtsmt Viezens "Was dem Richter fehlt" im Recht von 1S08, S. 4.
Junge Richter und junge Rechtsanwälte

freien Advokatur als wünschenswert bezeichnete. Auch die Anhänger des be¬
stehenden Zustandes erkannten damals an, daß es mißlich sei, daß Assessoren
sofort nach bestandner Staatsprüfung, also zu einer Zeit, wo ihnen die prak¬
tische Erfahrung noch völlig abgeht, sofort als Rechtsanwälte bei den Land¬
gerichten und den Oberlandesgerichten und hiermit zur Vertretung der
schwierigsten Rechtsstreitigkeiten und der höchsten Streitwerte zugelassen würden,
während sie, wenn sie die richterliche Laufbahn beschritten Hütten, doch lediglich
bei den Amtsgerichten Verwendung gefunden hätten. Irgendeine praktische
Folge hatten diese Erörterungen nicht, da der Gedanke einer Einschränkung
der freien Advokatur infolge des allseitig namentlich von den Anwaltskammern
geäußerten Widerspruchs fallen gelassen wurde.

Dieselben Erörterungen sind neuerdings besonders lebhaft auch über die
Richter lant geworden, zunächst infolge der „Traumwelt", in die uns der
Frankfurter Oberbürgermeister Adickes mit seinen Refvrmvorschlägen versetzt
hat. In seiner Abhandlung „Zur Verständigung über die Justizreform" er¬
klärt es Adickes für eine „auch bei großen Amtsgerichten drohende Gefahr,
daß die Zivilsachen häufig unerfahrnen jungen Amtsrichtern oder gar Assessoren
zugeteilt werden". In gleicher Weise ist bei dem vor einiger Zeit von der
Reichsregierung veröffentlichten Entwurf eines Gesetzes zur Abänderung des
Gerichtsverfassungsgesetzes, wonach die Zuständigkeit der Amtsgerichte von
300 Mark auf 800 Mark erhöht werden soll, in den Versammlungen der
Anwaltskammern mehrfach mit Bedauern von der „Assessorenjustiz" gesprochen
und hierbei auf die Tatsache hingewiesen worden, daß bei den Amtsgerichten
natürlich gerade die jüngsten Richter angestellt seien, also die Richter, deren
Praktische Erfahrung gering sei, denen man folglich die Entscheidung über
höhere Streitwerte nicht anvertrauen dürfe, weil sich bei diesen natürlich auch
die Schwierigkeit der Entscheidung steigere. Auf einem Anwaltstage wurde
sogar die Behauptung aufgestellt, das Wissen des jungen Richters sei ein
„unverstandnes, unverdautes und unabgeklärtes". ,.

Die Richter haben sich diese Anzapfungen natürlich nicht gefallen lassen
»ut mit Recht auf den Widerspruch hingewiesen, der dann liege, daß ein
junger Assessor sofort Rechtsanwalt bei den Landgerichten und den Obcr-
landesgerichten werden könne und hiermit zur Vertretung der schwierigsten
Sachen und höchsten Streitwerte berufen sei, während er als Richter nur be¬
fähigt sein solle, bei geringen und einfachen Sachen zu entscheiden.*) Der
junge Richter habe ein Durchschnittsalter von dreißig Jahren und sei vom
Beginn seiner juristischen Laufbahn an, also acht bis zehn Jahre hindurch
fortgesetzt gerade auf dem Gebiet des Zivilrechts ausgebildet; er sei dann
einer Prüfung unterworfen, deren Schwerpunkt ebenfalls auf zivilistischen Ge¬
biet liege. „Wer nach acht- bis zehnjähriger Beschäftigung mit dem Zivilrecht



Vgl. Kaimncrgerichtsmt Viezens „Was dem Richter fehlt" im Recht von 1S08, S. 4.
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[0277] Junge Richter und junge Rechtsanwälte freien Advokatur als wünschenswert bezeichnete. Auch die Anhänger des be¬ stehenden Zustandes erkannten damals an, daß es mißlich sei, daß Assessoren sofort nach bestandner Staatsprüfung, also zu einer Zeit, wo ihnen die prak¬ tische Erfahrung noch völlig abgeht, sofort als Rechtsanwälte bei den Land¬ gerichten und den Oberlandesgerichten und hiermit zur Vertretung der schwierigsten Rechtsstreitigkeiten und der höchsten Streitwerte zugelassen würden, während sie, wenn sie die richterliche Laufbahn beschritten Hütten, doch lediglich bei den Amtsgerichten Verwendung gefunden hätten. Irgendeine praktische Folge hatten diese Erörterungen nicht, da der Gedanke einer Einschränkung der freien Advokatur infolge des allseitig namentlich von den Anwaltskammern geäußerten Widerspruchs fallen gelassen wurde. Dieselben Erörterungen sind neuerdings besonders lebhaft auch über die Richter lant geworden, zunächst infolge der „Traumwelt", in die uns der Frankfurter Oberbürgermeister Adickes mit seinen Refvrmvorschlägen versetzt hat. In seiner Abhandlung „Zur Verständigung über die Justizreform" er¬ klärt es Adickes für eine „auch bei großen Amtsgerichten drohende Gefahr, daß die Zivilsachen häufig unerfahrnen jungen Amtsrichtern oder gar Assessoren zugeteilt werden". In gleicher Weise ist bei dem vor einiger Zeit von der Reichsregierung veröffentlichten Entwurf eines Gesetzes zur Abänderung des Gerichtsverfassungsgesetzes, wonach die Zuständigkeit der Amtsgerichte von 300 Mark auf 800 Mark erhöht werden soll, in den Versammlungen der Anwaltskammern mehrfach mit Bedauern von der „Assessorenjustiz" gesprochen und hierbei auf die Tatsache hingewiesen worden, daß bei den Amtsgerichten natürlich gerade die jüngsten Richter angestellt seien, also die Richter, deren Praktische Erfahrung gering sei, denen man folglich die Entscheidung über höhere Streitwerte nicht anvertrauen dürfe, weil sich bei diesen natürlich auch die Schwierigkeit der Entscheidung steigere. Auf einem Anwaltstage wurde sogar die Behauptung aufgestellt, das Wissen des jungen Richters sei ein „unverstandnes, unverdautes und unabgeklärtes". ,. Die Richter haben sich diese Anzapfungen natürlich nicht gefallen lassen »ut mit Recht auf den Widerspruch hingewiesen, der dann liege, daß ein junger Assessor sofort Rechtsanwalt bei den Landgerichten und den Obcr- landesgerichten werden könne und hiermit zur Vertretung der schwierigsten Sachen und höchsten Streitwerte berufen sei, während er als Richter nur be¬ fähigt sein solle, bei geringen und einfachen Sachen zu entscheiden.*) Der junge Richter habe ein Durchschnittsalter von dreißig Jahren und sei vom Beginn seiner juristischen Laufbahn an, also acht bis zehn Jahre hindurch fortgesetzt gerade auf dem Gebiet des Zivilrechts ausgebildet; er sei dann einer Prüfung unterworfen, deren Schwerpunkt ebenfalls auf zivilistischen Ge¬ biet liege. „Wer nach acht- bis zehnjähriger Beschäftigung mit dem Zivilrecht Vgl. Kaimncrgerichtsmt Viezens „Was dem Richter fehlt" im Recht von 1S08, S. 4.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/277>, abgerufen am 22.07.2024.