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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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ungarischen Landwehr (Honvedarmee), dieser mit vielen fernen Hoffnungen
verknüpften und verhätschelten Lieblingsschöpfung des Magyarentums, die
Dienst- und Kommandosprache ungarisch -- nur bei dem kroatischen Teile
kroatisch -- ist, so erscheint es auch nur natürlich, daß sich die Söhne der
magyarischen Familien, wenn sie sich dem militärischen Berufe widmen, lieber
diesem Sonderteile des Heeres zuwenden: bis zum Majorsgrade braucht man
dort das verhaßte Deutsch weder zu sprechen noch überhaupt zu kennen, "leider"
wird diese Kenntnis und ihre dienstliche Anwendung aber vom Stabsoffizier
an verlangt. Zweifellos möchte ein Teil der betreffenden Offiziere die fran¬
zösische Sprache vorziehn. Bekannt sind die Anstrengungen und Forderungen
der Unabhängigkeit- und Volkspartei, die sämtlichen ungarischen Truppen
immer mehr äußerlich und innerlich zu rein nationalen zu machen; ebenso
bekannt ist auch, aus Anlaß der Ereignisse aus der letzte" großen Krisis, wie
der Kaiser und König energisch, nnter Anwendung seiner militärischen Kommando¬
gewalt, den allzu weitgehenden, radikalen Ansprüchen Widerstand leistete, und wie
der Pester Reichstag, als dieser dem Ministerium seines Königs die Achtung
versagte, kurzerhand durch den Honvedobersten Fabricius an der Spitze von
zwei Honvedbataillonen rumänischer Nationalität gewaltsam zur Vernunft
zu bringen wußte. Als kürzlich von angesehener Stelle aus, vom Fürsten
von Rosenberg-Orsini, der Gedanke einer Aufhebung beider Landwehren aus¬
gesprochen wurde, damit das Land seine ganze Fürsorge alsdann dem gemein¬
samen Heere zuwenden könne, wurde dies von der ungarischen Presse mit lautem
Protest zurückgewiesen, da die Honvedarmee als selbständiger, wenngleich
integrierender Teil der österreichisch-ungarischen Wehrmacht zu erhalten und auf
dieser Grundlage weiter auszubilden sei.

Unter solchen Verhältnissen kann man die schließlich wohl, wenngleich nicht
ohne schwere Kämpfe zu erwartende Zustimmung der ungarischen Volksvertretung
zu der Wehrreform uur als ein Produkt der nicht mehr abzuleugnenden Er¬
kenntnis von der militärischen Notwendigkeit und zugleich der Hoffnung auf
dafür zu erwartende politische Kompensationen ansehn. Über die letzte auf
dem politischen Gebiet haben wir schon gesprochen, auf militärischem aber will
man regierungsseitig möglichstes Entgegenkommen an den Tag legen. So hat
man unter anderm den Ungarn weitgehende Rücksicht auf die von dem Honved-
ininister zu beurlaubenden Familienernährer in Aussicht gestellt und versprochen,
für die ungarischen Regimenter bei den Kriegsgerichten die ungarische Sprache
zu gestatten sowie das bisherige Militärobergericht zu Wien in zwei völlig
getrennte Gerichte zu teilen, eins zu Wien und das andre zu Budapest, damit
das zuletzt genannte Militärobergericht als Berufungsgericht für die bei den
ungarischen Regimentern gefällten Urteile auch in der ungarischen Sprache ver¬
handle und entscheide.

Das Deutsche Reich aber und sein Heer haben ein unleugbares und
natürliches Interesse daran, daß die Wehrreform in Österreich-Ungarn recht


(Österreich-Ungarn und die Ulehrrefonn

ungarischen Landwehr (Honvedarmee), dieser mit vielen fernen Hoffnungen
verknüpften und verhätschelten Lieblingsschöpfung des Magyarentums, die
Dienst- und Kommandosprache ungarisch — nur bei dem kroatischen Teile
kroatisch — ist, so erscheint es auch nur natürlich, daß sich die Söhne der
magyarischen Familien, wenn sie sich dem militärischen Berufe widmen, lieber
diesem Sonderteile des Heeres zuwenden: bis zum Majorsgrade braucht man
dort das verhaßte Deutsch weder zu sprechen noch überhaupt zu kennen, „leider"
wird diese Kenntnis und ihre dienstliche Anwendung aber vom Stabsoffizier
an verlangt. Zweifellos möchte ein Teil der betreffenden Offiziere die fran¬
zösische Sprache vorziehn. Bekannt sind die Anstrengungen und Forderungen
der Unabhängigkeit- und Volkspartei, die sämtlichen ungarischen Truppen
immer mehr äußerlich und innerlich zu rein nationalen zu machen; ebenso
bekannt ist auch, aus Anlaß der Ereignisse aus der letzte» großen Krisis, wie
der Kaiser und König energisch, nnter Anwendung seiner militärischen Kommando¬
gewalt, den allzu weitgehenden, radikalen Ansprüchen Widerstand leistete, und wie
der Pester Reichstag, als dieser dem Ministerium seines Königs die Achtung
versagte, kurzerhand durch den Honvedobersten Fabricius an der Spitze von
zwei Honvedbataillonen rumänischer Nationalität gewaltsam zur Vernunft
zu bringen wußte. Als kürzlich von angesehener Stelle aus, vom Fürsten
von Rosenberg-Orsini, der Gedanke einer Aufhebung beider Landwehren aus¬
gesprochen wurde, damit das Land seine ganze Fürsorge alsdann dem gemein¬
samen Heere zuwenden könne, wurde dies von der ungarischen Presse mit lautem
Protest zurückgewiesen, da die Honvedarmee als selbständiger, wenngleich
integrierender Teil der österreichisch-ungarischen Wehrmacht zu erhalten und auf
dieser Grundlage weiter auszubilden sei.

Unter solchen Verhältnissen kann man die schließlich wohl, wenngleich nicht
ohne schwere Kämpfe zu erwartende Zustimmung der ungarischen Volksvertretung
zu der Wehrreform uur als ein Produkt der nicht mehr abzuleugnenden Er¬
kenntnis von der militärischen Notwendigkeit und zugleich der Hoffnung auf
dafür zu erwartende politische Kompensationen ansehn. Über die letzte auf
dem politischen Gebiet haben wir schon gesprochen, auf militärischem aber will
man regierungsseitig möglichstes Entgegenkommen an den Tag legen. So hat
man unter anderm den Ungarn weitgehende Rücksicht auf die von dem Honved-
ininister zu beurlaubenden Familienernährer in Aussicht gestellt und versprochen,
für die ungarischen Regimenter bei den Kriegsgerichten die ungarische Sprache
zu gestatten sowie das bisherige Militärobergericht zu Wien in zwei völlig
getrennte Gerichte zu teilen, eins zu Wien und das andre zu Budapest, damit
das zuletzt genannte Militärobergericht als Berufungsgericht für die bei den
ungarischen Regimentern gefällten Urteile auch in der ungarischen Sprache ver¬
handle und entscheide.

Das Deutsche Reich aber und sein Heer haben ein unleugbares und
natürliches Interesse daran, daß die Wehrreform in Österreich-Ungarn recht


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[0275] (Österreich-Ungarn und die Ulehrrefonn ungarischen Landwehr (Honvedarmee), dieser mit vielen fernen Hoffnungen verknüpften und verhätschelten Lieblingsschöpfung des Magyarentums, die Dienst- und Kommandosprache ungarisch — nur bei dem kroatischen Teile kroatisch — ist, so erscheint es auch nur natürlich, daß sich die Söhne der magyarischen Familien, wenn sie sich dem militärischen Berufe widmen, lieber diesem Sonderteile des Heeres zuwenden: bis zum Majorsgrade braucht man dort das verhaßte Deutsch weder zu sprechen noch überhaupt zu kennen, „leider" wird diese Kenntnis und ihre dienstliche Anwendung aber vom Stabsoffizier an verlangt. Zweifellos möchte ein Teil der betreffenden Offiziere die fran¬ zösische Sprache vorziehn. Bekannt sind die Anstrengungen und Forderungen der Unabhängigkeit- und Volkspartei, die sämtlichen ungarischen Truppen immer mehr äußerlich und innerlich zu rein nationalen zu machen; ebenso bekannt ist auch, aus Anlaß der Ereignisse aus der letzte» großen Krisis, wie der Kaiser und König energisch, nnter Anwendung seiner militärischen Kommando¬ gewalt, den allzu weitgehenden, radikalen Ansprüchen Widerstand leistete, und wie der Pester Reichstag, als dieser dem Ministerium seines Königs die Achtung versagte, kurzerhand durch den Honvedobersten Fabricius an der Spitze von zwei Honvedbataillonen rumänischer Nationalität gewaltsam zur Vernunft zu bringen wußte. Als kürzlich von angesehener Stelle aus, vom Fürsten von Rosenberg-Orsini, der Gedanke einer Aufhebung beider Landwehren aus¬ gesprochen wurde, damit das Land seine ganze Fürsorge alsdann dem gemein¬ samen Heere zuwenden könne, wurde dies von der ungarischen Presse mit lautem Protest zurückgewiesen, da die Honvedarmee als selbständiger, wenngleich integrierender Teil der österreichisch-ungarischen Wehrmacht zu erhalten und auf dieser Grundlage weiter auszubilden sei. Unter solchen Verhältnissen kann man die schließlich wohl, wenngleich nicht ohne schwere Kämpfe zu erwartende Zustimmung der ungarischen Volksvertretung zu der Wehrreform uur als ein Produkt der nicht mehr abzuleugnenden Er¬ kenntnis von der militärischen Notwendigkeit und zugleich der Hoffnung auf dafür zu erwartende politische Kompensationen ansehn. Über die letzte auf dem politischen Gebiet haben wir schon gesprochen, auf militärischem aber will man regierungsseitig möglichstes Entgegenkommen an den Tag legen. So hat man unter anderm den Ungarn weitgehende Rücksicht auf die von dem Honved- ininister zu beurlaubenden Familienernährer in Aussicht gestellt und versprochen, für die ungarischen Regimenter bei den Kriegsgerichten die ungarische Sprache zu gestatten sowie das bisherige Militärobergericht zu Wien in zwei völlig getrennte Gerichte zu teilen, eins zu Wien und das andre zu Budapest, damit das zuletzt genannte Militärobergericht als Berufungsgericht für die bei den ungarischen Regimentern gefällten Urteile auch in der ungarischen Sprache ver¬ handle und entscheide. Das Deutsche Reich aber und sein Heer haben ein unleugbares und natürliches Interesse daran, daß die Wehrreform in Österreich-Ungarn recht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/275>, abgerufen am 25.08.2024.