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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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(Österreich - Ungarn und die Wehrreform

als je" sei, daß "das alte Österreich noch im Offizierkorps lebendig sei", und
daß das mit kaum fünfzehn vom Hundert im Offizierkorps des gemeinsamen
Heeres vertretne Magyarentum keinerlei nationale Sonderbestrebungen an den
Tag lege, vielmehr jeder ungarische Jüngling, sobald er sich dem Offizierberufe
des kaiserlichen und königliche" Heeres gewidmet habe, auch alsbald ganz
"schwarz-gelb" werde.

Diese optimistische Auffassung wird aber doch von andern Seiten seit langem
nicht mehr geteilt, und sie trifft auch nach unsrer Kenntnis der Verhält¬
nisse, soweit sie sich auf den aus den slawischen und magyarischen Nationalitäten
stammenden Teil des Offizierkorps beziehen, nicht mehr überall zu. Immerhin
ist ohne weiteres zuzugeben, daß die dem Geiste einer engen Gemeinsamkeit
ferner stehenden, nichtdeutschen Elemente im Offizierkorps des kaiserlichen und
königlichen Heeres gewiß nur einen kleinen Teil ausmachen. Es wäre aber
andrerseits anch kaum denkbar, daß die nationalen Gegensätze, die sich auf
politischem Gebiete von Jahr zu Jahr gesteigert und zugespitzt haben, im Heer
und seinem Offizierkorps gar keine Wurzeln gefaßt haben sollten, und daß
das althergebrachte, trauliche "Du", dessen sich der jüngste Leutnant ans Nieder¬
österreich und Tirol im Verkehr mit dem ältesten Hauptmann von Ungarns
Ostgrenze, der General aus Dalmatien oder den österreichisch-illyrischen Küsten¬
ländern mit dem böhmischen Major bedient, genügen könnte, auch eine
innerliche Verschmelzung und verwandtschaftliche Verbrüderung zu bewirken.
Dazu greifen doch die nationalen Gegensätze viel zu tief, bis in das innerste
Fühlen und Denken aller Häuser und Familien ein, und darüber hilft auch eine
jahrhundertelange Überlieferung, die bisher noch immer den alten Habsburgischen
und brüderlichen Geist im Offizierkorps des gemeinsamen Heeres zu erhalten
gewußt hat, auf die Dauer nicht hinweg: ihm selbst vielleicht unbewußt, wird
gerade bei manchem unter den tüchtigsten und geistig hervorragendsten Offizieren
des Heeres eine innerliche Teilnahme am nationalen Empfinden seines Volkes
unvermeidlich sein.

Dazu kommt, daß durch die langsam aber sicher fortgeschrittne Förderung
der speziellen nationalen Schulbildung, die dank der Schwäche der Negierung
zum Schaden der Deutschen in den gemischtsprachigen Landen der Habsburgischen
Krone stattgefunden hat, und durch die immer weitergehende Rücksicht, die diese
Nationalitätssprachen auch sogar seit Jahren mehr und mehr in den Offizier-
bildnngsanstalten gefunden hat, trotzdem bisher die Armeesprache noch erhalten
blieb, den nichtdeutschen Offizieren immer mehr das Verständnis und das Ein¬
dringen in die deutsche Armeesprache und damit das deutsche Volksgefühl ab¬
handen gekommen ist. In Ungarn minuit jedenfalls die Zahl der eigentlichen,
das heißt der Abstammung und dem Namen nach magyarisch sprechenden Offiziere
in der gemeinsamen Armee schon deshalb allmählich ab, weil die jetzt aus¬
schließlich ungarische Schulbildung in Transleithamen ihren Eintritt in das
Offizierkorps des Heeres natürlich sehr erschwert. Da andrerseits in der


(Österreich - Ungarn und die Wehrreform

als je" sei, daß „das alte Österreich noch im Offizierkorps lebendig sei", und
daß das mit kaum fünfzehn vom Hundert im Offizierkorps des gemeinsamen
Heeres vertretne Magyarentum keinerlei nationale Sonderbestrebungen an den
Tag lege, vielmehr jeder ungarische Jüngling, sobald er sich dem Offizierberufe
des kaiserlichen und königliche» Heeres gewidmet habe, auch alsbald ganz
„schwarz-gelb" werde.

Diese optimistische Auffassung wird aber doch von andern Seiten seit langem
nicht mehr geteilt, und sie trifft auch nach unsrer Kenntnis der Verhält¬
nisse, soweit sie sich auf den aus den slawischen und magyarischen Nationalitäten
stammenden Teil des Offizierkorps beziehen, nicht mehr überall zu. Immerhin
ist ohne weiteres zuzugeben, daß die dem Geiste einer engen Gemeinsamkeit
ferner stehenden, nichtdeutschen Elemente im Offizierkorps des kaiserlichen und
königlichen Heeres gewiß nur einen kleinen Teil ausmachen. Es wäre aber
andrerseits anch kaum denkbar, daß die nationalen Gegensätze, die sich auf
politischem Gebiete von Jahr zu Jahr gesteigert und zugespitzt haben, im Heer
und seinem Offizierkorps gar keine Wurzeln gefaßt haben sollten, und daß
das althergebrachte, trauliche „Du", dessen sich der jüngste Leutnant ans Nieder¬
österreich und Tirol im Verkehr mit dem ältesten Hauptmann von Ungarns
Ostgrenze, der General aus Dalmatien oder den österreichisch-illyrischen Küsten¬
ländern mit dem böhmischen Major bedient, genügen könnte, auch eine
innerliche Verschmelzung und verwandtschaftliche Verbrüderung zu bewirken.
Dazu greifen doch die nationalen Gegensätze viel zu tief, bis in das innerste
Fühlen und Denken aller Häuser und Familien ein, und darüber hilft auch eine
jahrhundertelange Überlieferung, die bisher noch immer den alten Habsburgischen
und brüderlichen Geist im Offizierkorps des gemeinsamen Heeres zu erhalten
gewußt hat, auf die Dauer nicht hinweg: ihm selbst vielleicht unbewußt, wird
gerade bei manchem unter den tüchtigsten und geistig hervorragendsten Offizieren
des Heeres eine innerliche Teilnahme am nationalen Empfinden seines Volkes
unvermeidlich sein.

Dazu kommt, daß durch die langsam aber sicher fortgeschrittne Förderung
der speziellen nationalen Schulbildung, die dank der Schwäche der Negierung
zum Schaden der Deutschen in den gemischtsprachigen Landen der Habsburgischen
Krone stattgefunden hat, und durch die immer weitergehende Rücksicht, die diese
Nationalitätssprachen auch sogar seit Jahren mehr und mehr in den Offizier-
bildnngsanstalten gefunden hat, trotzdem bisher die Armeesprache noch erhalten
blieb, den nichtdeutschen Offizieren immer mehr das Verständnis und das Ein¬
dringen in die deutsche Armeesprache und damit das deutsche Volksgefühl ab¬
handen gekommen ist. In Ungarn minuit jedenfalls die Zahl der eigentlichen,
das heißt der Abstammung und dem Namen nach magyarisch sprechenden Offiziere
in der gemeinsamen Armee schon deshalb allmählich ab, weil die jetzt aus¬
schließlich ungarische Schulbildung in Transleithamen ihren Eintritt in das
Offizierkorps des Heeres natürlich sehr erschwert. Da andrerseits in der


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[0274] (Österreich - Ungarn und die Wehrreform als je" sei, daß „das alte Österreich noch im Offizierkorps lebendig sei", und daß das mit kaum fünfzehn vom Hundert im Offizierkorps des gemeinsamen Heeres vertretne Magyarentum keinerlei nationale Sonderbestrebungen an den Tag lege, vielmehr jeder ungarische Jüngling, sobald er sich dem Offizierberufe des kaiserlichen und königliche» Heeres gewidmet habe, auch alsbald ganz „schwarz-gelb" werde. Diese optimistische Auffassung wird aber doch von andern Seiten seit langem nicht mehr geteilt, und sie trifft auch nach unsrer Kenntnis der Verhält¬ nisse, soweit sie sich auf den aus den slawischen und magyarischen Nationalitäten stammenden Teil des Offizierkorps beziehen, nicht mehr überall zu. Immerhin ist ohne weiteres zuzugeben, daß die dem Geiste einer engen Gemeinsamkeit ferner stehenden, nichtdeutschen Elemente im Offizierkorps des kaiserlichen und königlichen Heeres gewiß nur einen kleinen Teil ausmachen. Es wäre aber andrerseits anch kaum denkbar, daß die nationalen Gegensätze, die sich auf politischem Gebiete von Jahr zu Jahr gesteigert und zugespitzt haben, im Heer und seinem Offizierkorps gar keine Wurzeln gefaßt haben sollten, und daß das althergebrachte, trauliche „Du", dessen sich der jüngste Leutnant ans Nieder¬ österreich und Tirol im Verkehr mit dem ältesten Hauptmann von Ungarns Ostgrenze, der General aus Dalmatien oder den österreichisch-illyrischen Küsten¬ ländern mit dem böhmischen Major bedient, genügen könnte, auch eine innerliche Verschmelzung und verwandtschaftliche Verbrüderung zu bewirken. Dazu greifen doch die nationalen Gegensätze viel zu tief, bis in das innerste Fühlen und Denken aller Häuser und Familien ein, und darüber hilft auch eine jahrhundertelange Überlieferung, die bisher noch immer den alten Habsburgischen und brüderlichen Geist im Offizierkorps des gemeinsamen Heeres zu erhalten gewußt hat, auf die Dauer nicht hinweg: ihm selbst vielleicht unbewußt, wird gerade bei manchem unter den tüchtigsten und geistig hervorragendsten Offizieren des Heeres eine innerliche Teilnahme am nationalen Empfinden seines Volkes unvermeidlich sein. Dazu kommt, daß durch die langsam aber sicher fortgeschrittne Förderung der speziellen nationalen Schulbildung, die dank der Schwäche der Negierung zum Schaden der Deutschen in den gemischtsprachigen Landen der Habsburgischen Krone stattgefunden hat, und durch die immer weitergehende Rücksicht, die diese Nationalitätssprachen auch sogar seit Jahren mehr und mehr in den Offizier- bildnngsanstalten gefunden hat, trotzdem bisher die Armeesprache noch erhalten blieb, den nichtdeutschen Offizieren immer mehr das Verständnis und das Ein¬ dringen in die deutsche Armeesprache und damit das deutsche Volksgefühl ab¬ handen gekommen ist. In Ungarn minuit jedenfalls die Zahl der eigentlichen, das heißt der Abstammung und dem Namen nach magyarisch sprechenden Offiziere in der gemeinsamen Armee schon deshalb allmählich ab, weil die jetzt aus¬ schließlich ungarische Schulbildung in Transleithamen ihren Eintritt in das Offizierkorps des Heeres natürlich sehr erschwert. Da andrerseits in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/274>, abgerufen am 22.07.2024.