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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Österreich. Ungarn und die Wehrreform

ausdrücklich nur für leichten Dienst bestimmt oder mit Schonungsvermerk ein¬
gestellt werden, so ist trotzdem statistisch festgestellt, daß von 1000 Wehr¬
pflichtigen nur 83 für brauchbar zum aktiven Militärdienst erklärt werden,
und es gibt Ergänzungsbezirke, die die ihr zufallende Rekrutenquote nicht
mehr aufzubringen vermögen. Dieser letzte Umstand würde sich allerdings
durch eine Neneinteilung der Ergänzungsbeznke der Monarchie, die schon seit
lange notwendig erscheint, leicht beseitigen lassen.

Während der Kritiker des Neuen Wiener Tageblatts die Regimentsver¬
bände der Infanterie lieber zu drei als, wie es jetzt der Fall ist, zu vier
Bataillonen formiert sehen will, tritt das Armeeblatt dem entgegen und führt
für die bisherige Vierteilung die dafür allgemein bekannten Gründe (vor allem
die Rücksicht auf die taktisch oft notwendige Detachierung und Absonderung
einzelner Bataillone) an. Für sehr wünschenswert wird die Neubelebung der
früher bei den Brigaden vorhanden gewesnen selbständigen Feldjägerbataillone
erachtet und für besonders notwendig erklärt, statt an einer Vermehrung der
Regimenter zur Füllung des kricgsmäßigen Rahmens der Armeeorganisation
zu denken, vielmehr auf immer weitern Ausbau der Regimentseinheiten im
modernen Sinne bedacht zu sein und ferner Heer und Landwehr organisatorisch
gleichzustellen. Als weitere dringend notwendige Reformen für die Fußtruppen
werden ferner angeführt: reichliche Dotierung mit Maschinengewehren (zwei
Abteilungen zu je vier Gewehren pro Regiment) und Aufstellung je einer
Telephonabteilung und eines Meldereiterdetachements für jedes Regiment.
Für die Kavallerie wird ebenfalls eine wesentliche Vermehrung gefordert,
während hier die Gliederungsfrage bei der günstigsten Eskcidrvnszcchl als noch
offen bezeichnet wird. Wichtiger aber als alles andre ist die Notwendigkeit
einer ganz bedeutenden Vermehrung der Artillerie, denn wenn man im all¬
gemeinen theoretisch auf 1000 Mann Infanterie eine Anzahl von vier Kanonen
als nötig festgestellt habe, so wären danach in der österreichischen Armee für
die Division zwei Artilleriercgimenter zu je 32 Geschützen notwendig, und
davon sei man zurzeit noch weit entfernt. "Die Artillerie ist jetzt das
Schmerzenskind unsrer Wehrmacht. Sie bedarf am dringendsten der technischen
und organisatorischen Ausgestaltung, um auf zeitgemäße Höhe zu stehn
zu kommeu. Auf ihrem Gebiet muß sich ein gleichzeitiger Umschwung in
waffentechnischer, taktischer und organisatorischer Richtung vollziehen. Grund
genug, daß die vorläufige ganze Fürsorge des Staates sich dieser Waffe zu¬
wenden muß und andre, wenn auch ebenso wichtige militärische Jnvestitions-
fragen zurückgestellt werden müssen. Denn daß dieser Umwandlungsprozeß
Jahre in Anspruch nehmen und ungezählte Millionen verschlingen wird, darüber
darf sich auch der Nichtfachmann keinerlei Illusionen hingeben."

Das neue Wehrgesetz, dessen hauptsächlichste Bestimmungen von der Re¬
gierung bekannt gegeben worden sind, und das für die Infanterie, die Feld-
ortillerie und die technischen Truppen auf der zweijährigen Dienstzeit ans-


Österreich. Ungarn und die Wehrreform

ausdrücklich nur für leichten Dienst bestimmt oder mit Schonungsvermerk ein¬
gestellt werden, so ist trotzdem statistisch festgestellt, daß von 1000 Wehr¬
pflichtigen nur 83 für brauchbar zum aktiven Militärdienst erklärt werden,
und es gibt Ergänzungsbezirke, die die ihr zufallende Rekrutenquote nicht
mehr aufzubringen vermögen. Dieser letzte Umstand würde sich allerdings
durch eine Neneinteilung der Ergänzungsbeznke der Monarchie, die schon seit
lange notwendig erscheint, leicht beseitigen lassen.

Während der Kritiker des Neuen Wiener Tageblatts die Regimentsver¬
bände der Infanterie lieber zu drei als, wie es jetzt der Fall ist, zu vier
Bataillonen formiert sehen will, tritt das Armeeblatt dem entgegen und führt
für die bisherige Vierteilung die dafür allgemein bekannten Gründe (vor allem
die Rücksicht auf die taktisch oft notwendige Detachierung und Absonderung
einzelner Bataillone) an. Für sehr wünschenswert wird die Neubelebung der
früher bei den Brigaden vorhanden gewesnen selbständigen Feldjägerbataillone
erachtet und für besonders notwendig erklärt, statt an einer Vermehrung der
Regimenter zur Füllung des kricgsmäßigen Rahmens der Armeeorganisation
zu denken, vielmehr auf immer weitern Ausbau der Regimentseinheiten im
modernen Sinne bedacht zu sein und ferner Heer und Landwehr organisatorisch
gleichzustellen. Als weitere dringend notwendige Reformen für die Fußtruppen
werden ferner angeführt: reichliche Dotierung mit Maschinengewehren (zwei
Abteilungen zu je vier Gewehren pro Regiment) und Aufstellung je einer
Telephonabteilung und eines Meldereiterdetachements für jedes Regiment.
Für die Kavallerie wird ebenfalls eine wesentliche Vermehrung gefordert,
während hier die Gliederungsfrage bei der günstigsten Eskcidrvnszcchl als noch
offen bezeichnet wird. Wichtiger aber als alles andre ist die Notwendigkeit
einer ganz bedeutenden Vermehrung der Artillerie, denn wenn man im all¬
gemeinen theoretisch auf 1000 Mann Infanterie eine Anzahl von vier Kanonen
als nötig festgestellt habe, so wären danach in der österreichischen Armee für
die Division zwei Artilleriercgimenter zu je 32 Geschützen notwendig, und
davon sei man zurzeit noch weit entfernt. „Die Artillerie ist jetzt das
Schmerzenskind unsrer Wehrmacht. Sie bedarf am dringendsten der technischen
und organisatorischen Ausgestaltung, um auf zeitgemäße Höhe zu stehn
zu kommeu. Auf ihrem Gebiet muß sich ein gleichzeitiger Umschwung in
waffentechnischer, taktischer und organisatorischer Richtung vollziehen. Grund
genug, daß die vorläufige ganze Fürsorge des Staates sich dieser Waffe zu¬
wenden muß und andre, wenn auch ebenso wichtige militärische Jnvestitions-
fragen zurückgestellt werden müssen. Denn daß dieser Umwandlungsprozeß
Jahre in Anspruch nehmen und ungezählte Millionen verschlingen wird, darüber
darf sich auch der Nichtfachmann keinerlei Illusionen hingeben."

Das neue Wehrgesetz, dessen hauptsächlichste Bestimmungen von der Re¬
gierung bekannt gegeben worden sind, und das für die Infanterie, die Feld-
ortillerie und die technischen Truppen auf der zweijährigen Dienstzeit ans-


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[0270] Österreich. Ungarn und die Wehrreform ausdrücklich nur für leichten Dienst bestimmt oder mit Schonungsvermerk ein¬ gestellt werden, so ist trotzdem statistisch festgestellt, daß von 1000 Wehr¬ pflichtigen nur 83 für brauchbar zum aktiven Militärdienst erklärt werden, und es gibt Ergänzungsbezirke, die die ihr zufallende Rekrutenquote nicht mehr aufzubringen vermögen. Dieser letzte Umstand würde sich allerdings durch eine Neneinteilung der Ergänzungsbeznke der Monarchie, die schon seit lange notwendig erscheint, leicht beseitigen lassen. Während der Kritiker des Neuen Wiener Tageblatts die Regimentsver¬ bände der Infanterie lieber zu drei als, wie es jetzt der Fall ist, zu vier Bataillonen formiert sehen will, tritt das Armeeblatt dem entgegen und führt für die bisherige Vierteilung die dafür allgemein bekannten Gründe (vor allem die Rücksicht auf die taktisch oft notwendige Detachierung und Absonderung einzelner Bataillone) an. Für sehr wünschenswert wird die Neubelebung der früher bei den Brigaden vorhanden gewesnen selbständigen Feldjägerbataillone erachtet und für besonders notwendig erklärt, statt an einer Vermehrung der Regimenter zur Füllung des kricgsmäßigen Rahmens der Armeeorganisation zu denken, vielmehr auf immer weitern Ausbau der Regimentseinheiten im modernen Sinne bedacht zu sein und ferner Heer und Landwehr organisatorisch gleichzustellen. Als weitere dringend notwendige Reformen für die Fußtruppen werden ferner angeführt: reichliche Dotierung mit Maschinengewehren (zwei Abteilungen zu je vier Gewehren pro Regiment) und Aufstellung je einer Telephonabteilung und eines Meldereiterdetachements für jedes Regiment. Für die Kavallerie wird ebenfalls eine wesentliche Vermehrung gefordert, während hier die Gliederungsfrage bei der günstigsten Eskcidrvnszcchl als noch offen bezeichnet wird. Wichtiger aber als alles andre ist die Notwendigkeit einer ganz bedeutenden Vermehrung der Artillerie, denn wenn man im all¬ gemeinen theoretisch auf 1000 Mann Infanterie eine Anzahl von vier Kanonen als nötig festgestellt habe, so wären danach in der österreichischen Armee für die Division zwei Artilleriercgimenter zu je 32 Geschützen notwendig, und davon sei man zurzeit noch weit entfernt. „Die Artillerie ist jetzt das Schmerzenskind unsrer Wehrmacht. Sie bedarf am dringendsten der technischen und organisatorischen Ausgestaltung, um auf zeitgemäße Höhe zu stehn zu kommeu. Auf ihrem Gebiet muß sich ein gleichzeitiger Umschwung in waffentechnischer, taktischer und organisatorischer Richtung vollziehen. Grund genug, daß die vorläufige ganze Fürsorge des Staates sich dieser Waffe zu¬ wenden muß und andre, wenn auch ebenso wichtige militärische Jnvestitions- fragen zurückgestellt werden müssen. Denn daß dieser Umwandlungsprozeß Jahre in Anspruch nehmen und ungezählte Millionen verschlingen wird, darüber darf sich auch der Nichtfachmann keinerlei Illusionen hingeben." Das neue Wehrgesetz, dessen hauptsächlichste Bestimmungen von der Re¬ gierung bekannt gegeben worden sind, und das für die Infanterie, die Feld- ortillerie und die technischen Truppen auf der zweijährigen Dienstzeit ans-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/270>, abgerufen am 22.07.2024.