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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Österreich-Ungarn und die Wehrreform
v le Iuge, Oberstleutnant a. D. on

aß das Heer der österreichisch-ungarischen Monarchie in vieler Be¬
ziehung seit langer Zeit rückständig ist und sich weder hinsichtlich der
innern Organisation noch zahlenmäßig in demselben Verhältnis
entwickelt hat, wie dies bei dem deutschen Verbündeten der Fall
ist, war seit lange ein offnes Geheimnis und nicht bloß in
unsern militärischen Kreisen wohlbekannt. Wiederholt hatte man namentlich
von deutscher Seite aus unverhohlen darauf hingewiesen, daß ein solches
Stagnieren eines Heeres einen schweren Nachteil für den Bundesgenossen und
eine direkte Schädigung der Vertragsgrnndlagen bedeuten müßte. In den
Delegationssitzungen aber erklang aus dem Munde des Rcichstriegsministers,
Feldzcugmeisters Baron Schönaich. noch in diesem Frühjahr das bittere und
doch nicht ganz ungerechtfertigte Wort: "Die Armee verdorrt!"*)

Da mußte es höchste Zeit sein, und ist hoffentlich angesichts der jetzt
plötzlich im Orient sich von neuem zusammenziehenden Wolken doch noch uicht
ZU spät, daß die im Jahre 1903 vergeblich versuchte Wehrreform des österreichisch¬
ungarischen Heeres, die damals an dem Widerstande und den Ansprüchen der
Magyaren scheiterte, nunmehr energisch in Angriff genommen wird. Freilich
'se jenseits der schwarzgelben Grenzpfähle "energisch in Angriff nehmen" und
"energisch zur Durchführung bringen" noch lange nicht dasselbe, da das
Prinzip des laisMr aller, für das man dort das Wort "fortwursteln" ge¬
prägt hat, als eine nationale Eigenschaft betrachtet werden kann.

Im Jahre 1903 wollte die Negierung eine Erhöhung des Nekruten-
kontingents des kaiserlichen und königlichen Heeres um 21000 Mann, der kaiser¬
lich-königlichen österreichischen Landwehr um 4500 Mann und der Tiroler
Landschützen um 137 Mann sowie der königlich ungarischen Landwehr um



*) Vstl. S, 268 (Nachwort).
Grenzboten IV 190835


Österreich-Ungarn und die Wehrreform
v le Iuge, Oberstleutnant a. D. on

aß das Heer der österreichisch-ungarischen Monarchie in vieler Be¬
ziehung seit langer Zeit rückständig ist und sich weder hinsichtlich der
innern Organisation noch zahlenmäßig in demselben Verhältnis
entwickelt hat, wie dies bei dem deutschen Verbündeten der Fall
ist, war seit lange ein offnes Geheimnis und nicht bloß in
unsern militärischen Kreisen wohlbekannt. Wiederholt hatte man namentlich
von deutscher Seite aus unverhohlen darauf hingewiesen, daß ein solches
Stagnieren eines Heeres einen schweren Nachteil für den Bundesgenossen und
eine direkte Schädigung der Vertragsgrnndlagen bedeuten müßte. In den
Delegationssitzungen aber erklang aus dem Munde des Rcichstriegsministers,
Feldzcugmeisters Baron Schönaich. noch in diesem Frühjahr das bittere und
doch nicht ganz ungerechtfertigte Wort: „Die Armee verdorrt!"*)

Da mußte es höchste Zeit sein, und ist hoffentlich angesichts der jetzt
plötzlich im Orient sich von neuem zusammenziehenden Wolken doch noch uicht
ZU spät, daß die im Jahre 1903 vergeblich versuchte Wehrreform des österreichisch¬
ungarischen Heeres, die damals an dem Widerstande und den Ansprüchen der
Magyaren scheiterte, nunmehr energisch in Angriff genommen wird. Freilich
'se jenseits der schwarzgelben Grenzpfähle „energisch in Angriff nehmen" und
»energisch zur Durchführung bringen" noch lange nicht dasselbe, da das
Prinzip des laisMr aller, für das man dort das Wort „fortwursteln" ge¬
prägt hat, als eine nationale Eigenschaft betrachtet werden kann.

Im Jahre 1903 wollte die Negierung eine Erhöhung des Nekruten-
kontingents des kaiserlichen und königlichen Heeres um 21000 Mann, der kaiser¬
lich-königlichen österreichischen Landwehr um 4500 Mann und der Tiroler
Landschützen um 137 Mann sowie der königlich ungarischen Landwehr um



*) Vstl. S, 268 (Nachwort).
Grenzboten IV 190835
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[0265] [Abbildung] Österreich-Ungarn und die Wehrreform v le Iuge, Oberstleutnant a. D. on aß das Heer der österreichisch-ungarischen Monarchie in vieler Be¬ ziehung seit langer Zeit rückständig ist und sich weder hinsichtlich der innern Organisation noch zahlenmäßig in demselben Verhältnis entwickelt hat, wie dies bei dem deutschen Verbündeten der Fall ist, war seit lange ein offnes Geheimnis und nicht bloß in unsern militärischen Kreisen wohlbekannt. Wiederholt hatte man namentlich von deutscher Seite aus unverhohlen darauf hingewiesen, daß ein solches Stagnieren eines Heeres einen schweren Nachteil für den Bundesgenossen und eine direkte Schädigung der Vertragsgrnndlagen bedeuten müßte. In den Delegationssitzungen aber erklang aus dem Munde des Rcichstriegsministers, Feldzcugmeisters Baron Schönaich. noch in diesem Frühjahr das bittere und doch nicht ganz ungerechtfertigte Wort: „Die Armee verdorrt!"*) Da mußte es höchste Zeit sein, und ist hoffentlich angesichts der jetzt plötzlich im Orient sich von neuem zusammenziehenden Wolken doch noch uicht ZU spät, daß die im Jahre 1903 vergeblich versuchte Wehrreform des österreichisch¬ ungarischen Heeres, die damals an dem Widerstande und den Ansprüchen der Magyaren scheiterte, nunmehr energisch in Angriff genommen wird. Freilich 'se jenseits der schwarzgelben Grenzpfähle „energisch in Angriff nehmen" und »energisch zur Durchführung bringen" noch lange nicht dasselbe, da das Prinzip des laisMr aller, für das man dort das Wort „fortwursteln" ge¬ prägt hat, als eine nationale Eigenschaft betrachtet werden kann. Im Jahre 1903 wollte die Negierung eine Erhöhung des Nekruten- kontingents des kaiserlichen und königlichen Heeres um 21000 Mann, der kaiser¬ lich-königlichen österreichischen Landwehr um 4500 Mann und der Tiroler Landschützen um 137 Mann sowie der königlich ungarischen Landwehr um *) Vstl. S, 268 (Nachwort). Grenzboten IV 190835

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/265>, abgerufen am 22.07.2024.