Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.Oberlehrer Haut ganze Existenz beruhte auf diesem Namen. Und meine Jungen, er hatte keine wirkliche War sie denn so -- eine? Ein ganz gemeines Frauenzimmer? Die ganze Garde geriet in Aufregung. Nein, meine Jungen, wir dürfen sie nicht verurteilen. Sie war ja zu dieser Aber das steht ja gar nicht in unserm Buch! Warum steht das nicht da? Das Allerwichtigste von allem, Herr Oberlehrer! Nein nein nein, es ist nicht so leicht, alles in die Bücher hineinzusetzen, Also der reine Schurke! Und ein Schurke war er deswegen doch eigentlich nicht, mein Junge! Eine Der dicke Junge am Ofen machte eine Bewegung, aber seine Jacke hing an Nein nein nein! Du mußt nicht solchen Skandal machen, mein guter Grasso! Das ist ja zum Verrücktwerden! Na, so schlimm ist es doch nicht! kam es vom Fenster her, der Direktor ging Was sagst du da? Oberlehrer Hau! wandte sich ganz nach dem Knaben am Der Sünder ging schweigend, niedergeschlagen hinaus. Und ihr andern, setzt euch sofort an eure Plätze. Alle zusammen. Still wie Die flotten, schneidigen jungen Herren schlichen schweigend zu ihren Plätzen. Du. Jens, erzähle mir von dem Anfang des deutsch-französischen Kriegs. Es verging eine Weile mit trocknen. monotonem Überhören in tiefster Stille. Da pochte es vorsichtig an die Tür. Herein! In der Türöffnung stand der Sünder. Was soll das heißen! Habe ich dir nicht gesagt, daß du draußen bleiben Ich wollte den Herrn Oberlehrer nur uni Erlaubnis bitten, um Verzeihung Du siehst also ein, daß deine Bemerkung jeglicher Schicklichkeit hohnsprach? Ja. und ich habe mir nichts dabei gedacht -- nichts schlimmes! Oberlehrer Haut ganze Existenz beruhte auf diesem Namen. Und meine Jungen, er hatte keine wirkliche War sie denn so — eine? Ein ganz gemeines Frauenzimmer? Die ganze Garde geriet in Aufregung. Nein, meine Jungen, wir dürfen sie nicht verurteilen. Sie war ja zu dieser Aber das steht ja gar nicht in unserm Buch! Warum steht das nicht da? Das Allerwichtigste von allem, Herr Oberlehrer! Nein nein nein, es ist nicht so leicht, alles in die Bücher hineinzusetzen, Also der reine Schurke! Und ein Schurke war er deswegen doch eigentlich nicht, mein Junge! Eine Der dicke Junge am Ofen machte eine Bewegung, aber seine Jacke hing an Nein nein nein! Du mußt nicht solchen Skandal machen, mein guter Grasso! Das ist ja zum Verrücktwerden! Na, so schlimm ist es doch nicht! kam es vom Fenster her, der Direktor ging Was sagst du da? Oberlehrer Hau! wandte sich ganz nach dem Knaben am Der Sünder ging schweigend, niedergeschlagen hinaus. Und ihr andern, setzt euch sofort an eure Plätze. Alle zusammen. Still wie Die flotten, schneidigen jungen Herren schlichen schweigend zu ihren Plätzen. Du. Jens, erzähle mir von dem Anfang des deutsch-französischen Kriegs. Es verging eine Weile mit trocknen. monotonem Überhören in tiefster Stille. Da pochte es vorsichtig an die Tür. Herein! In der Türöffnung stand der Sünder. Was soll das heißen! Habe ich dir nicht gesagt, daß du draußen bleiben Ich wollte den Herrn Oberlehrer nur uni Erlaubnis bitten, um Verzeihung Du siehst also ein, daß deine Bemerkung jeglicher Schicklichkeit hohnsprach? Ja. und ich habe mir nichts dabei gedacht — nichts schlimmes! <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0253" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/310664"/> <fw type="header" place="top"> Oberlehrer Haut</fw><lb/> <p xml:id="ID_1318" prev="#ID_1317"> ganze Existenz beruhte auf diesem Namen. Und meine Jungen, er hatte keine wirkliche<lb/> Berechtigung, den mächtigen Namen Frankreichs zu tragen. Er war kein Napoleon.<lb/> Er war ein unehelicher Sohn von Hortense Beauharnais und dem holländischen<lb/> Gesandten in Paris, dem Admiral Verhuel. Seine Mutter hatte noch einen Sohn<lb/> außerhalb ihrer Ehe mit Louis Bonaparte, nämlich den Herzog von Morny, von dem<lb/> wir soviel gesprochen haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1319"> War sie denn so — eine?</p><lb/> <p xml:id="ID_1320"> Ein ganz gemeines Frauenzimmer?</p><lb/> <p xml:id="ID_1321"> Die ganze Garde geriet in Aufregung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1322"> Nein, meine Jungen, wir dürfen sie nicht verurteilen. Sie war ja zu dieser<lb/> Ehe mit dem unglücklichen Louis gezwungen worden. Ach, meine Jungen, eine solche<lb/> Frau dürfen wir nicht richten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1323"> Aber das steht ja gar nicht in unserm Buch! Warum steht das nicht da?</p><lb/> <p xml:id="ID_1324"> Das Allerwichtigste von allem, Herr Oberlehrer!</p><lb/> <p xml:id="ID_1325"> Nein nein nein, es ist nicht so leicht, alles in die Bücher hineinzusetzen,<lb/> meine jungen Freunde. Die werden ja von allen gelesen. Aber wenn man es sich<lb/> vorstellt, daß dieser Mensch sein langes und wechselvolles Leben — in einer Lüge<lb/> gelebt hat!</p><lb/> <p xml:id="ID_1326"> Also der reine Schurke!</p><lb/> <p xml:id="ID_1327"> Und ein Schurke war er deswegen doch eigentlich nicht, mein Junge! Eine<lb/> Dekadenzfigur ist er mit vielen feinen, guten Zügen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1328"> Der dicke Junge am Ofen machte eine Bewegung, aber seine Jacke hing an<lb/> dem mächtigen Ofenschirm aus Blech fest, er riß ihn um, sodaß er mit einem<lb/> mächtigen Gepolter zur Erde fiel.</p><lb/> <p xml:id="ID_1329"> Nein nein nein! Du mußt nicht solchen Skandal machen, mein guter Grasso!</p><lb/> <p xml:id="ID_1330"> Das ist ja zum Verrücktwerden!</p><lb/> <p xml:id="ID_1331"> Na, so schlimm ist es doch nicht! kam es vom Fenster her, der Direktor ging<lb/> eben vorüber, der hat nichts davon gehört: diese Äußerung bezog sich darauf, daß<lb/> der Direktor recht häufig aus seinem Zimmer hereinkam, um zu erkennen zu geben,<lb/> daß er den Spektakel in des Oberlehrers Stunden hier drinnen wohl bemerkt habe.<lb/> Und die Garde brüllte vor Lachen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1332"> Was sagst du da? Oberlehrer Hau! wandte sich ganz nach dem Knaben am<lb/> Fenster um. Ist das nicht so schlimm? Geh auf den Gang hinaus, ich will dich<lb/> nicht hier drinnen haben!</p><lb/> <p xml:id="ID_1333"> Der Sünder ging schweigend, niedergeschlagen hinaus.</p><lb/> <p xml:id="ID_1334"> Und ihr andern, setzt euch sofort an eure Plätze. Alle zusammen. Still wie<lb/> die Mäuse.</p><lb/> <p xml:id="ID_1335"> Die flotten, schneidigen jungen Herren schlichen schweigend zu ihren Plätzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1336"> Du. Jens, erzähle mir von dem Anfang des deutsch-französischen Kriegs.</p><lb/> <p xml:id="ID_1337"> Es verging eine Weile mit trocknen. monotonem Überhören in tiefster Stille.</p><lb/> <p xml:id="ID_1338"> Da pochte es vorsichtig an die Tür.</p><lb/> <p xml:id="ID_1339"> Herein!</p><lb/> <p xml:id="ID_1340"> In der Türöffnung stand der Sünder.</p><lb/> <p xml:id="ID_1341"> Was soll das heißen! Habe ich dir nicht gesagt, daß du draußen bleiben<lb/> solltest? Daß du ein ungezogner Schlingel bist. Ein naseweiser Windhund und<lb/> ein dummer, außerordentlich dummer Junge!</p><lb/> <p xml:id="ID_1342"> Ich wollte den Herrn Oberlehrer nur uni Erlaubnis bitten, um Verzeihung<lb/> bitten zu dürfen!</p><lb/> <p xml:id="ID_1343"> Du siehst also ein, daß deine Bemerkung jeglicher Schicklichkeit hohnsprach?</p><lb/> <p xml:id="ID_1344"> Ja. und ich habe mir nichts dabei gedacht — nichts schlimmes!</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0253]
Oberlehrer Haut
ganze Existenz beruhte auf diesem Namen. Und meine Jungen, er hatte keine wirkliche
Berechtigung, den mächtigen Namen Frankreichs zu tragen. Er war kein Napoleon.
Er war ein unehelicher Sohn von Hortense Beauharnais und dem holländischen
Gesandten in Paris, dem Admiral Verhuel. Seine Mutter hatte noch einen Sohn
außerhalb ihrer Ehe mit Louis Bonaparte, nämlich den Herzog von Morny, von dem
wir soviel gesprochen haben.
War sie denn so — eine?
Ein ganz gemeines Frauenzimmer?
Die ganze Garde geriet in Aufregung.
Nein, meine Jungen, wir dürfen sie nicht verurteilen. Sie war ja zu dieser
Ehe mit dem unglücklichen Louis gezwungen worden. Ach, meine Jungen, eine solche
Frau dürfen wir nicht richten.
Aber das steht ja gar nicht in unserm Buch! Warum steht das nicht da?
Das Allerwichtigste von allem, Herr Oberlehrer!
Nein nein nein, es ist nicht so leicht, alles in die Bücher hineinzusetzen,
meine jungen Freunde. Die werden ja von allen gelesen. Aber wenn man es sich
vorstellt, daß dieser Mensch sein langes und wechselvolles Leben — in einer Lüge
gelebt hat!
Also der reine Schurke!
Und ein Schurke war er deswegen doch eigentlich nicht, mein Junge! Eine
Dekadenzfigur ist er mit vielen feinen, guten Zügen.
Der dicke Junge am Ofen machte eine Bewegung, aber seine Jacke hing an
dem mächtigen Ofenschirm aus Blech fest, er riß ihn um, sodaß er mit einem
mächtigen Gepolter zur Erde fiel.
Nein nein nein! Du mußt nicht solchen Skandal machen, mein guter Grasso!
Das ist ja zum Verrücktwerden!
Na, so schlimm ist es doch nicht! kam es vom Fenster her, der Direktor ging
eben vorüber, der hat nichts davon gehört: diese Äußerung bezog sich darauf, daß
der Direktor recht häufig aus seinem Zimmer hereinkam, um zu erkennen zu geben,
daß er den Spektakel in des Oberlehrers Stunden hier drinnen wohl bemerkt habe.
Und die Garde brüllte vor Lachen.
Was sagst du da? Oberlehrer Hau! wandte sich ganz nach dem Knaben am
Fenster um. Ist das nicht so schlimm? Geh auf den Gang hinaus, ich will dich
nicht hier drinnen haben!
Der Sünder ging schweigend, niedergeschlagen hinaus.
Und ihr andern, setzt euch sofort an eure Plätze. Alle zusammen. Still wie
die Mäuse.
Die flotten, schneidigen jungen Herren schlichen schweigend zu ihren Plätzen.
Du. Jens, erzähle mir von dem Anfang des deutsch-französischen Kriegs.
Es verging eine Weile mit trocknen. monotonem Überhören in tiefster Stille.
Da pochte es vorsichtig an die Tür.
Herein!
In der Türöffnung stand der Sünder.
Was soll das heißen! Habe ich dir nicht gesagt, daß du draußen bleiben
solltest? Daß du ein ungezogner Schlingel bist. Ein naseweiser Windhund und
ein dummer, außerordentlich dummer Junge!
Ich wollte den Herrn Oberlehrer nur uni Erlaubnis bitten, um Verzeihung
bitten zu dürfen!
Du siehst also ein, daß deine Bemerkung jeglicher Schicklichkeit hohnsprach?
Ja. und ich habe mir nichts dabei gedacht — nichts schlimmes!
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |