Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Ziele und Aussichten der Gartenstadtbewcguttg

mit Reformgasthalls, Bibliothek und Lesehalle wird geplant. Sportplätze, Zust¬
und Schwimmbäder werden einer vernünftigen Körperpflege dienen.

Bei diesen ersten deutschen Unternehmungen handelt es sich zwar nicht
wie bei Letchworth um politisch und wirtschaftlich selbständige Stadtgründungen.
Auf alle Fälle haben aber auch derartige Gartenvorstädte hohe Bedeutung.
Denn sie zeigen den Weg, auf dem man zu einer hygienisch, volkswirtschaftlich
und kultürlich mustergiltigen Erweiterung unsrer stets wachsenden Großstädte
gelangen kann. Schon jetzt wird von allen fortschrittlichen Kommunalpolitikern
die Notwendigkeit anerkannt, möglichst viel Gelände in den Besitz der Stadt
zu bringen. Frankfurt am Main hat 50 Prozent der Gemarkung im städtischen
Besitz und gibt grundsätzlich das Baugelände nur in Erbbaurecht ab. Die
Stadt Ulm besitzt gar drei Viertel der Gemarkung und hat schon mehrere
mustergiltige Arbeiterkolonien in eigner Regie gebaut, über die sie sich durch
Eintragung des Wiederkaufrechts das Obereigentum vorbehalten hat. Neuer¬
dings soll auch bei Posen auf fiskalischen Gelände eine Landhauskolonie unter
Anwendung des Erbbaurechts angelegt werden. Hier sehen wir überall wichtige
Ansätze, um die spekulative Stadterweiterung durch eine planvoll gemeinnützige
Ansiedluugstätigkeit im Sinne der Deutschen Gartenstadtgesellschaft zu ersetzen.
Doch das sind alles nur bescheidne Anfänge, und die Gartenstadtgesellschaft hat
hier noch gewaltige Aufgaben zu lösen.

Wie steht es nun mit der Gründung von selbständigen Gartenstädten?
Auch hier gibt es zahlreiche Möglichkeiten. So hat zum Beispiel die Anlage
der Rheinkraftwerke in Bad Rheinfelden in wenig Jahren eine Stadt von
mehreren Tausend Einwohnern entstehn lassen. Da aber keinerlei Versuch zur
Verwirklichung einer gemeinnützigen Regelung der Boden- und Wohnungspreise
gemacht wurde, so begann eine wüste Spekulation, die die Preise des Acker¬
bodens binnen kurzem auf zwanzig Mark für den Quadratmeter in die Höhe
trieb. Die schöne Landschaft wurde durch häßliche Mietkasernen so verunstaltet,
daß ich mich nicht entsinne, je etwas unerfreulicheres in unsrer baukünstlerisch
an und für sich schon unerfreulichen Zeit gesehn zu haben. Was hätte hier
durch eine Organisation im Sinne der Gartenstadtbewegung geschaffen werden
können? Diese Gelegenheit ist nun leider verpaßt, aber es werden ja noch
zahlreiche andre Wasserkraftwerke in Baden und Bayern beabsichtigt. Sollen
sich die dort entstehenden Orte im Sinne von Rheinfelden oder von Letchworth
entwickeln?

Auch in den Industriegebieten Deutschlands sehn wir gleichsam über Nacht
neue Städte entstehn. In wenig Jahren hat sich zum Beispiel Gelsenkirchen
aus einem unbedeutenden Dorf zu einer -- sehr unerfreulichen -- Großstadt von
mehr als 100000 Einwohnern aufgeschwungen. Ferner werden am Mittelland¬
kanal und am Berlin-Stettiner Kanal sicher Dutzende von neuen Industrie-
orten entstehn. Und überall da könnten durch Zusammengehn von Staat und
Gemeinde mit großzügigen gemeinnützigen Gesellschaften an Stelle der häßlichen


Die Ziele und Aussichten der Gartenstadtbewcguttg

mit Reformgasthalls, Bibliothek und Lesehalle wird geplant. Sportplätze, Zust¬
und Schwimmbäder werden einer vernünftigen Körperpflege dienen.

Bei diesen ersten deutschen Unternehmungen handelt es sich zwar nicht
wie bei Letchworth um politisch und wirtschaftlich selbständige Stadtgründungen.
Auf alle Fälle haben aber auch derartige Gartenvorstädte hohe Bedeutung.
Denn sie zeigen den Weg, auf dem man zu einer hygienisch, volkswirtschaftlich
und kultürlich mustergiltigen Erweiterung unsrer stets wachsenden Großstädte
gelangen kann. Schon jetzt wird von allen fortschrittlichen Kommunalpolitikern
die Notwendigkeit anerkannt, möglichst viel Gelände in den Besitz der Stadt
zu bringen. Frankfurt am Main hat 50 Prozent der Gemarkung im städtischen
Besitz und gibt grundsätzlich das Baugelände nur in Erbbaurecht ab. Die
Stadt Ulm besitzt gar drei Viertel der Gemarkung und hat schon mehrere
mustergiltige Arbeiterkolonien in eigner Regie gebaut, über die sie sich durch
Eintragung des Wiederkaufrechts das Obereigentum vorbehalten hat. Neuer¬
dings soll auch bei Posen auf fiskalischen Gelände eine Landhauskolonie unter
Anwendung des Erbbaurechts angelegt werden. Hier sehen wir überall wichtige
Ansätze, um die spekulative Stadterweiterung durch eine planvoll gemeinnützige
Ansiedluugstätigkeit im Sinne der Deutschen Gartenstadtgesellschaft zu ersetzen.
Doch das sind alles nur bescheidne Anfänge, und die Gartenstadtgesellschaft hat
hier noch gewaltige Aufgaben zu lösen.

Wie steht es nun mit der Gründung von selbständigen Gartenstädten?
Auch hier gibt es zahlreiche Möglichkeiten. So hat zum Beispiel die Anlage
der Rheinkraftwerke in Bad Rheinfelden in wenig Jahren eine Stadt von
mehreren Tausend Einwohnern entstehn lassen. Da aber keinerlei Versuch zur
Verwirklichung einer gemeinnützigen Regelung der Boden- und Wohnungspreise
gemacht wurde, so begann eine wüste Spekulation, die die Preise des Acker¬
bodens binnen kurzem auf zwanzig Mark für den Quadratmeter in die Höhe
trieb. Die schöne Landschaft wurde durch häßliche Mietkasernen so verunstaltet,
daß ich mich nicht entsinne, je etwas unerfreulicheres in unsrer baukünstlerisch
an und für sich schon unerfreulichen Zeit gesehn zu haben. Was hätte hier
durch eine Organisation im Sinne der Gartenstadtbewegung geschaffen werden
können? Diese Gelegenheit ist nun leider verpaßt, aber es werden ja noch
zahlreiche andre Wasserkraftwerke in Baden und Bayern beabsichtigt. Sollen
sich die dort entstehenden Orte im Sinne von Rheinfelden oder von Letchworth
entwickeln?

Auch in den Industriegebieten Deutschlands sehn wir gleichsam über Nacht
neue Städte entstehn. In wenig Jahren hat sich zum Beispiel Gelsenkirchen
aus einem unbedeutenden Dorf zu einer — sehr unerfreulichen — Großstadt von
mehr als 100000 Einwohnern aufgeschwungen. Ferner werden am Mittelland¬
kanal und am Berlin-Stettiner Kanal sicher Dutzende von neuen Industrie-
orten entstehn. Und überall da könnten durch Zusammengehn von Staat und
Gemeinde mit großzügigen gemeinnützigen Gesellschaften an Stelle der häßlichen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0247" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/310658"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Ziele und Aussichten der Gartenstadtbewcguttg</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1222" prev="#ID_1221"> mit Reformgasthalls, Bibliothek und Lesehalle wird geplant. Sportplätze, Zust¬<lb/>
und Schwimmbäder werden einer vernünftigen Körperpflege dienen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1223"> Bei diesen ersten deutschen Unternehmungen handelt es sich zwar nicht<lb/>
wie bei Letchworth um politisch und wirtschaftlich selbständige Stadtgründungen.<lb/>
Auf alle Fälle haben aber auch derartige Gartenvorstädte hohe Bedeutung.<lb/>
Denn sie zeigen den Weg, auf dem man zu einer hygienisch, volkswirtschaftlich<lb/>
und kultürlich mustergiltigen Erweiterung unsrer stets wachsenden Großstädte<lb/>
gelangen kann. Schon jetzt wird von allen fortschrittlichen Kommunalpolitikern<lb/>
die Notwendigkeit anerkannt, möglichst viel Gelände in den Besitz der Stadt<lb/>
zu bringen. Frankfurt am Main hat 50 Prozent der Gemarkung im städtischen<lb/>
Besitz und gibt grundsätzlich das Baugelände nur in Erbbaurecht ab. Die<lb/>
Stadt Ulm besitzt gar drei Viertel der Gemarkung und hat schon mehrere<lb/>
mustergiltige Arbeiterkolonien in eigner Regie gebaut, über die sie sich durch<lb/>
Eintragung des Wiederkaufrechts das Obereigentum vorbehalten hat. Neuer¬<lb/>
dings soll auch bei Posen auf fiskalischen Gelände eine Landhauskolonie unter<lb/>
Anwendung des Erbbaurechts angelegt werden. Hier sehen wir überall wichtige<lb/>
Ansätze, um die spekulative Stadterweiterung durch eine planvoll gemeinnützige<lb/>
Ansiedluugstätigkeit im Sinne der Deutschen Gartenstadtgesellschaft zu ersetzen.<lb/>
Doch das sind alles nur bescheidne Anfänge, und die Gartenstadtgesellschaft hat<lb/>
hier noch gewaltige Aufgaben zu lösen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1224"> Wie steht es nun mit der Gründung von selbständigen Gartenstädten?<lb/>
Auch hier gibt es zahlreiche Möglichkeiten. So hat zum Beispiel die Anlage<lb/>
der Rheinkraftwerke in Bad Rheinfelden in wenig Jahren eine Stadt von<lb/>
mehreren Tausend Einwohnern entstehn lassen. Da aber keinerlei Versuch zur<lb/>
Verwirklichung einer gemeinnützigen Regelung der Boden- und Wohnungspreise<lb/>
gemacht wurde, so begann eine wüste Spekulation, die die Preise des Acker¬<lb/>
bodens binnen kurzem auf zwanzig Mark für den Quadratmeter in die Höhe<lb/>
trieb. Die schöne Landschaft wurde durch häßliche Mietkasernen so verunstaltet,<lb/>
daß ich mich nicht entsinne, je etwas unerfreulicheres in unsrer baukünstlerisch<lb/>
an und für sich schon unerfreulichen Zeit gesehn zu haben. Was hätte hier<lb/>
durch eine Organisation im Sinne der Gartenstadtbewegung geschaffen werden<lb/>
können? Diese Gelegenheit ist nun leider verpaßt, aber es werden ja noch<lb/>
zahlreiche andre Wasserkraftwerke in Baden und Bayern beabsichtigt. Sollen<lb/>
sich die dort entstehenden Orte im Sinne von Rheinfelden oder von Letchworth<lb/>
entwickeln?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1225" next="#ID_1226"> Auch in den Industriegebieten Deutschlands sehn wir gleichsam über Nacht<lb/>
neue Städte entstehn. In wenig Jahren hat sich zum Beispiel Gelsenkirchen<lb/>
aus einem unbedeutenden Dorf zu einer &#x2014; sehr unerfreulichen &#x2014; Großstadt von<lb/>
mehr als 100000 Einwohnern aufgeschwungen. Ferner werden am Mittelland¬<lb/>
kanal und am Berlin-Stettiner Kanal sicher Dutzende von neuen Industrie-<lb/>
orten entstehn. Und überall da könnten durch Zusammengehn von Staat und<lb/>
Gemeinde mit großzügigen gemeinnützigen Gesellschaften an Stelle der häßlichen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0247] Die Ziele und Aussichten der Gartenstadtbewcguttg mit Reformgasthalls, Bibliothek und Lesehalle wird geplant. Sportplätze, Zust¬ und Schwimmbäder werden einer vernünftigen Körperpflege dienen. Bei diesen ersten deutschen Unternehmungen handelt es sich zwar nicht wie bei Letchworth um politisch und wirtschaftlich selbständige Stadtgründungen. Auf alle Fälle haben aber auch derartige Gartenvorstädte hohe Bedeutung. Denn sie zeigen den Weg, auf dem man zu einer hygienisch, volkswirtschaftlich und kultürlich mustergiltigen Erweiterung unsrer stets wachsenden Großstädte gelangen kann. Schon jetzt wird von allen fortschrittlichen Kommunalpolitikern die Notwendigkeit anerkannt, möglichst viel Gelände in den Besitz der Stadt zu bringen. Frankfurt am Main hat 50 Prozent der Gemarkung im städtischen Besitz und gibt grundsätzlich das Baugelände nur in Erbbaurecht ab. Die Stadt Ulm besitzt gar drei Viertel der Gemarkung und hat schon mehrere mustergiltige Arbeiterkolonien in eigner Regie gebaut, über die sie sich durch Eintragung des Wiederkaufrechts das Obereigentum vorbehalten hat. Neuer¬ dings soll auch bei Posen auf fiskalischen Gelände eine Landhauskolonie unter Anwendung des Erbbaurechts angelegt werden. Hier sehen wir überall wichtige Ansätze, um die spekulative Stadterweiterung durch eine planvoll gemeinnützige Ansiedluugstätigkeit im Sinne der Deutschen Gartenstadtgesellschaft zu ersetzen. Doch das sind alles nur bescheidne Anfänge, und die Gartenstadtgesellschaft hat hier noch gewaltige Aufgaben zu lösen. Wie steht es nun mit der Gründung von selbständigen Gartenstädten? Auch hier gibt es zahlreiche Möglichkeiten. So hat zum Beispiel die Anlage der Rheinkraftwerke in Bad Rheinfelden in wenig Jahren eine Stadt von mehreren Tausend Einwohnern entstehn lassen. Da aber keinerlei Versuch zur Verwirklichung einer gemeinnützigen Regelung der Boden- und Wohnungspreise gemacht wurde, so begann eine wüste Spekulation, die die Preise des Acker¬ bodens binnen kurzem auf zwanzig Mark für den Quadratmeter in die Höhe trieb. Die schöne Landschaft wurde durch häßliche Mietkasernen so verunstaltet, daß ich mich nicht entsinne, je etwas unerfreulicheres in unsrer baukünstlerisch an und für sich schon unerfreulichen Zeit gesehn zu haben. Was hätte hier durch eine Organisation im Sinne der Gartenstadtbewegung geschaffen werden können? Diese Gelegenheit ist nun leider verpaßt, aber es werden ja noch zahlreiche andre Wasserkraftwerke in Baden und Bayern beabsichtigt. Sollen sich die dort entstehenden Orte im Sinne von Rheinfelden oder von Letchworth entwickeln? Auch in den Industriegebieten Deutschlands sehn wir gleichsam über Nacht neue Städte entstehn. In wenig Jahren hat sich zum Beispiel Gelsenkirchen aus einem unbedeutenden Dorf zu einer — sehr unerfreulichen — Großstadt von mehr als 100000 Einwohnern aufgeschwungen. Ferner werden am Mittelland¬ kanal und am Berlin-Stettiner Kanal sicher Dutzende von neuen Industrie- orten entstehn. Und überall da könnten durch Zusammengehn von Staat und Gemeinde mit großzügigen gemeinnützigen Gesellschaften an Stelle der häßlichen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/247
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/247>, abgerufen am 22.07.2024.