Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Julius Wolfs exakte Nationalökonomie

schcift verschlingen und einander bedingen (hier mag das Wnstmaun verhaßte
Modewort einmal erlaubt sein), nicht völlig bloßlegen, man kann nicht mit
Röntgenstrahlen sichtbar machen, "wie alles sich zum Ganzen webt, Eins in
dem Andern wirkt und lebt", kann nur konstatieren, daß die Wechselwirkung
besteht, daß sie in einem gesunden Volkskörper aufwärts, in einem kranken
abwärts führt, und welche Kräfte und Umstände dabei wirksam sind. Ver¬
hältnismäßig einfach und darum leicht zu versteh" ist die Struktur des siechen
russischen Volkskörpers: er quält sich in dem verhängnisvollen Zirkel ab, daß
seine Industrie schwach bleibt, weil die aus Bauern bestehende Masse der
Bevölkerung arm ist, und daß diese arm bleibt, weil sie keine industrielle Be¬
völkerung hat, die ihre Erzeugnisse kaufen und gut bezahlen könnte. Zwei
Verschiebungen könnten dazu beitragen, die Entwicklung des Organismus aus
der absteigenden in die aufsteigende Richtung umzulenken. In der Tasche
der Bauern müßte bleiben, was bisher bestechlichen und erpressenden Beamten
zugeflossen ist, und der Steuerdruck müßte durch den Verzicht auf kostspielige
Kriegsrüstungen vermindert werden. Das zweite ist ohne Zweifel der Beweg¬
grund zu der Abrüstungsaktion des Zaren gewesen, und es würde wohl auch
die Beistimmung Wolfs finden, der es zu den dem eben behandelten "Irrtum"
verwandten Irrtümern rechnet, daß der "unproduktive Macht-, beispielsweise
Rüstungsaufwand des Staates dem Kapital, d. h. Unternehmungen und
dadurch Arbeitern usw. Beschäftigung bringe". Ein Stückchen Wahrheit steckt
Wohl auch in diesem "Irrtume", doch wollen wir es dem Leser überlassen,
dieses Stückchen selbst herauszuschälen. Wichtiger erscheint -- das ist der
andre streitige Punkt, der hervorgehoben werden soll -- Wolfs lebhaftes
Eintreten fürs Sparen. Rodbertus und List sind Gegner des Sparens ge¬
wesen, weil nur der Konsum die Produktion im Gange erhält. Wolf meint,
der Sparer bringe durch Vergrößerung des Nealkapitals, also durch land¬
wirtschaftliche Meliorationen, den Bau von Fabriken, Maschinen und Ver¬
kehrsmitteln "mehr Geld unter die Leute" als der Verbraucher. Die Ent¬
scheidung in diesem Streite ist nicht schwierig; sie liegt in der Anwendung
von Wolfs Optimumtheorie. Natürlich muß, wenn Kultur und Volkswohl¬
stand fortschreiten sollen, auch das Realkapital, das Mittel zur Erzeugung
von Einkommengütern, stetig wachsen. (Nicht ebenso notwendig ist es, daß
die Privatreichtümer einzelner ins Ungemessene wachsen.) Es darf darum
nicht alles Einkommen verbraucht, es muß ein stetig wachsender Teil davon
nicht bloß im ursprünglichen Sinne des Wortes auf Altersversorgung und
für zukünftigen Erziehungaufwand der Kinder, sondern auch im uneigentlichen
nationalökonomischen Sinne gespart, d. h. auf die Herstellung von Produktions¬
und Verkehrsmitteln verwandt werden. Aber es gibt natürlich für diese Ver¬
wendung wie für alle irdischen Dinge ein Optimum. Überkapitalisierung er¬
zeugt bekanntlich Absatzkrisen, und wenn man, nur um Hände in Bewegung
zu setzen und "Geld unter die Leute zu bringen", Maschinen anfertigen wollte,


Julius Wolfs exakte Nationalökonomie

schcift verschlingen und einander bedingen (hier mag das Wnstmaun verhaßte
Modewort einmal erlaubt sein), nicht völlig bloßlegen, man kann nicht mit
Röntgenstrahlen sichtbar machen, „wie alles sich zum Ganzen webt, Eins in
dem Andern wirkt und lebt", kann nur konstatieren, daß die Wechselwirkung
besteht, daß sie in einem gesunden Volkskörper aufwärts, in einem kranken
abwärts führt, und welche Kräfte und Umstände dabei wirksam sind. Ver¬
hältnismäßig einfach und darum leicht zu versteh» ist die Struktur des siechen
russischen Volkskörpers: er quält sich in dem verhängnisvollen Zirkel ab, daß
seine Industrie schwach bleibt, weil die aus Bauern bestehende Masse der
Bevölkerung arm ist, und daß diese arm bleibt, weil sie keine industrielle Be¬
völkerung hat, die ihre Erzeugnisse kaufen und gut bezahlen könnte. Zwei
Verschiebungen könnten dazu beitragen, die Entwicklung des Organismus aus
der absteigenden in die aufsteigende Richtung umzulenken. In der Tasche
der Bauern müßte bleiben, was bisher bestechlichen und erpressenden Beamten
zugeflossen ist, und der Steuerdruck müßte durch den Verzicht auf kostspielige
Kriegsrüstungen vermindert werden. Das zweite ist ohne Zweifel der Beweg¬
grund zu der Abrüstungsaktion des Zaren gewesen, und es würde wohl auch
die Beistimmung Wolfs finden, der es zu den dem eben behandelten „Irrtum"
verwandten Irrtümern rechnet, daß der „unproduktive Macht-, beispielsweise
Rüstungsaufwand des Staates dem Kapital, d. h. Unternehmungen und
dadurch Arbeitern usw. Beschäftigung bringe". Ein Stückchen Wahrheit steckt
Wohl auch in diesem „Irrtume", doch wollen wir es dem Leser überlassen,
dieses Stückchen selbst herauszuschälen. Wichtiger erscheint — das ist der
andre streitige Punkt, der hervorgehoben werden soll — Wolfs lebhaftes
Eintreten fürs Sparen. Rodbertus und List sind Gegner des Sparens ge¬
wesen, weil nur der Konsum die Produktion im Gange erhält. Wolf meint,
der Sparer bringe durch Vergrößerung des Nealkapitals, also durch land¬
wirtschaftliche Meliorationen, den Bau von Fabriken, Maschinen und Ver¬
kehrsmitteln „mehr Geld unter die Leute" als der Verbraucher. Die Ent¬
scheidung in diesem Streite ist nicht schwierig; sie liegt in der Anwendung
von Wolfs Optimumtheorie. Natürlich muß, wenn Kultur und Volkswohl¬
stand fortschreiten sollen, auch das Realkapital, das Mittel zur Erzeugung
von Einkommengütern, stetig wachsen. (Nicht ebenso notwendig ist es, daß
die Privatreichtümer einzelner ins Ungemessene wachsen.) Es darf darum
nicht alles Einkommen verbraucht, es muß ein stetig wachsender Teil davon
nicht bloß im ursprünglichen Sinne des Wortes auf Altersversorgung und
für zukünftigen Erziehungaufwand der Kinder, sondern auch im uneigentlichen
nationalökonomischen Sinne gespart, d. h. auf die Herstellung von Produktions¬
und Verkehrsmitteln verwandt werden. Aber es gibt natürlich für diese Ver¬
wendung wie für alle irdischen Dinge ein Optimum. Überkapitalisierung er¬
zeugt bekanntlich Absatzkrisen, und wenn man, nur um Hände in Bewegung
zu setzen und „Geld unter die Leute zu bringen", Maschinen anfertigen wollte,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0239" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/310650"/>
          <fw type="header" place="top"> Julius Wolfs exakte Nationalökonomie</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1190" prev="#ID_1189" next="#ID_1191"> schcift verschlingen und einander bedingen (hier mag das Wnstmaun verhaßte<lb/>
Modewort einmal erlaubt sein), nicht völlig bloßlegen, man kann nicht mit<lb/>
Röntgenstrahlen sichtbar machen, &#x201E;wie alles sich zum Ganzen webt, Eins in<lb/>
dem Andern wirkt und lebt", kann nur konstatieren, daß die Wechselwirkung<lb/>
besteht, daß sie in einem gesunden Volkskörper aufwärts, in einem kranken<lb/>
abwärts führt, und welche Kräfte und Umstände dabei wirksam sind. Ver¬<lb/>
hältnismäßig einfach und darum leicht zu versteh» ist die Struktur des siechen<lb/>
russischen Volkskörpers: er quält sich in dem verhängnisvollen Zirkel ab, daß<lb/>
seine Industrie schwach bleibt, weil die aus Bauern bestehende Masse der<lb/>
Bevölkerung arm ist, und daß diese arm bleibt, weil sie keine industrielle Be¬<lb/>
völkerung hat, die ihre Erzeugnisse kaufen und gut bezahlen könnte. Zwei<lb/>
Verschiebungen könnten dazu beitragen, die Entwicklung des Organismus aus<lb/>
der absteigenden in die aufsteigende Richtung umzulenken. In der Tasche<lb/>
der Bauern müßte bleiben, was bisher bestechlichen und erpressenden Beamten<lb/>
zugeflossen ist, und der Steuerdruck müßte durch den Verzicht auf kostspielige<lb/>
Kriegsrüstungen vermindert werden. Das zweite ist ohne Zweifel der Beweg¬<lb/>
grund zu der Abrüstungsaktion des Zaren gewesen, und es würde wohl auch<lb/>
die Beistimmung Wolfs finden, der es zu den dem eben behandelten &#x201E;Irrtum"<lb/>
verwandten Irrtümern rechnet, daß der &#x201E;unproduktive Macht-, beispielsweise<lb/>
Rüstungsaufwand des Staates dem Kapital, d. h. Unternehmungen und<lb/>
dadurch Arbeitern usw. Beschäftigung bringe". Ein Stückchen Wahrheit steckt<lb/>
Wohl auch in diesem &#x201E;Irrtume", doch wollen wir es dem Leser überlassen,<lb/>
dieses Stückchen selbst herauszuschälen. Wichtiger erscheint &#x2014; das ist der<lb/>
andre streitige Punkt, der hervorgehoben werden soll &#x2014; Wolfs lebhaftes<lb/>
Eintreten fürs Sparen. Rodbertus und List sind Gegner des Sparens ge¬<lb/>
wesen, weil nur der Konsum die Produktion im Gange erhält. Wolf meint,<lb/>
der Sparer bringe durch Vergrößerung des Nealkapitals, also durch land¬<lb/>
wirtschaftliche Meliorationen, den Bau von Fabriken, Maschinen und Ver¬<lb/>
kehrsmitteln &#x201E;mehr Geld unter die Leute" als der Verbraucher. Die Ent¬<lb/>
scheidung in diesem Streite ist nicht schwierig; sie liegt in der Anwendung<lb/>
von Wolfs Optimumtheorie. Natürlich muß, wenn Kultur und Volkswohl¬<lb/>
stand fortschreiten sollen, auch das Realkapital, das Mittel zur Erzeugung<lb/>
von Einkommengütern, stetig wachsen. (Nicht ebenso notwendig ist es, daß<lb/>
die Privatreichtümer einzelner ins Ungemessene wachsen.) Es darf darum<lb/>
nicht alles Einkommen verbraucht, es muß ein stetig wachsender Teil davon<lb/>
nicht bloß im ursprünglichen Sinne des Wortes auf Altersversorgung und<lb/>
für zukünftigen Erziehungaufwand der Kinder, sondern auch im uneigentlichen<lb/>
nationalökonomischen Sinne gespart, d. h. auf die Herstellung von Produktions¬<lb/>
und Verkehrsmitteln verwandt werden. Aber es gibt natürlich für diese Ver¬<lb/>
wendung wie für alle irdischen Dinge ein Optimum. Überkapitalisierung er¬<lb/>
zeugt bekanntlich Absatzkrisen, und wenn man, nur um Hände in Bewegung<lb/>
zu setzen und &#x201E;Geld unter die Leute zu bringen", Maschinen anfertigen wollte,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0239] Julius Wolfs exakte Nationalökonomie schcift verschlingen und einander bedingen (hier mag das Wnstmaun verhaßte Modewort einmal erlaubt sein), nicht völlig bloßlegen, man kann nicht mit Röntgenstrahlen sichtbar machen, „wie alles sich zum Ganzen webt, Eins in dem Andern wirkt und lebt", kann nur konstatieren, daß die Wechselwirkung besteht, daß sie in einem gesunden Volkskörper aufwärts, in einem kranken abwärts führt, und welche Kräfte und Umstände dabei wirksam sind. Ver¬ hältnismäßig einfach und darum leicht zu versteh» ist die Struktur des siechen russischen Volkskörpers: er quält sich in dem verhängnisvollen Zirkel ab, daß seine Industrie schwach bleibt, weil die aus Bauern bestehende Masse der Bevölkerung arm ist, und daß diese arm bleibt, weil sie keine industrielle Be¬ völkerung hat, die ihre Erzeugnisse kaufen und gut bezahlen könnte. Zwei Verschiebungen könnten dazu beitragen, die Entwicklung des Organismus aus der absteigenden in die aufsteigende Richtung umzulenken. In der Tasche der Bauern müßte bleiben, was bisher bestechlichen und erpressenden Beamten zugeflossen ist, und der Steuerdruck müßte durch den Verzicht auf kostspielige Kriegsrüstungen vermindert werden. Das zweite ist ohne Zweifel der Beweg¬ grund zu der Abrüstungsaktion des Zaren gewesen, und es würde wohl auch die Beistimmung Wolfs finden, der es zu den dem eben behandelten „Irrtum" verwandten Irrtümern rechnet, daß der „unproduktive Macht-, beispielsweise Rüstungsaufwand des Staates dem Kapital, d. h. Unternehmungen und dadurch Arbeitern usw. Beschäftigung bringe". Ein Stückchen Wahrheit steckt Wohl auch in diesem „Irrtume", doch wollen wir es dem Leser überlassen, dieses Stückchen selbst herauszuschälen. Wichtiger erscheint — das ist der andre streitige Punkt, der hervorgehoben werden soll — Wolfs lebhaftes Eintreten fürs Sparen. Rodbertus und List sind Gegner des Sparens ge¬ wesen, weil nur der Konsum die Produktion im Gange erhält. Wolf meint, der Sparer bringe durch Vergrößerung des Nealkapitals, also durch land¬ wirtschaftliche Meliorationen, den Bau von Fabriken, Maschinen und Ver¬ kehrsmitteln „mehr Geld unter die Leute" als der Verbraucher. Die Ent¬ scheidung in diesem Streite ist nicht schwierig; sie liegt in der Anwendung von Wolfs Optimumtheorie. Natürlich muß, wenn Kultur und Volkswohl¬ stand fortschreiten sollen, auch das Realkapital, das Mittel zur Erzeugung von Einkommengütern, stetig wachsen. (Nicht ebenso notwendig ist es, daß die Privatreichtümer einzelner ins Ungemessene wachsen.) Es darf darum nicht alles Einkommen verbraucht, es muß ein stetig wachsender Teil davon nicht bloß im ursprünglichen Sinne des Wortes auf Altersversorgung und für zukünftigen Erziehungaufwand der Kinder, sondern auch im uneigentlichen nationalökonomischen Sinne gespart, d. h. auf die Herstellung von Produktions¬ und Verkehrsmitteln verwandt werden. Aber es gibt natürlich für diese Ver¬ wendung wie für alle irdischen Dinge ein Optimum. Überkapitalisierung er¬ zeugt bekanntlich Absatzkrisen, und wenn man, nur um Hände in Bewegung zu setzen und „Geld unter die Leute zu bringen", Maschinen anfertigen wollte,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/239
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/239>, abgerufen am 22.07.2024.