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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Julius !volfs exakte Nationalökonomie

kürzlich verstorbne Duimchen, der die freilich große Macht des Geldes und der
"Mammonarchen" übertreibt), und man könnte sie darum allenfalls quasi exakt
nennen. Aber die Zahl der verwickelten, schwer analysierbaren und unberechen¬
baren Erscheinungen, über deren Erklärung und Bedeutung lebhaft gestritten
wird, überwiegt doch in dem Grade, daß man auch dieser Geisteswissenschaft
den Charakter wirklicher Exaktheit versagen muß. Sie ist für die Beurteilung
der wirtschaftlichen Vorgänge und darum jedem, der auf diese einwirken will
oder muß, unentbehrlich, weil sie die im Wirtschaftsleben tätigen Kräfte er¬
mittelt, deren Wirkungsweise beschreibt und die Richtungen angibt, in die das
Vorherrschen der einen oder der andern Kraft oder Kräftegrnppe die Volks¬
wirtschaft drängt. Aber der Kräfte sind so viele, und ihr Zusammenspiel ist
so verdeckt, daß es fast niemals möglich ist, aus den Komponenten die Resultante
genau zu berechnen.

Mehrere Sätze, in denen die Meinungen voneinander abweichen, sind in
der obigen Beispielsammlung aus Wolfs Buch schon angeführt worden. Wir
wollen noch zwei hervorheben, die in dem Streit um die Zölle sowie in dem
gegen die "Kathedersozialisten" und die deutsche Sozialpolitik entbrannten
Kampfe eine Rolle spielen. "Einer der in unsrer Zeit verbreitetsten Irrtümer
Stal haben wir die "Exaktheit"!j ist die Annahme, daß die Zuwendung von
(höhern) Einkommen an gewisse Volksklassen (beispielsweise an die Arbeiter¬
klasse in Gestalt höherer Löhne, an die Landwirtschaft oder Industrie durch
Zölle) sich darum als vorteilhaft erweise, weil dadurch auf feiten der mit
(höhern) Einkommen bedachten Kaufkrast geschaffen wird jwerdej. Man über¬
sieht dabei, daß das diesen Klassen zugewandte Einkommen aus den Ein¬
kommen andrer entnommen ist, eine Einkommenvermehruug also nicht statt¬
findet." Bis zum letzten Komma ist der zweite Satz richtig; die Lohnerhöhung
vermindert für den Augenblick das Einkommen des Unternehmers, und der
Zoll vermindert -- was auch die Schutzzöllner dagegen sagen mögen -- durch
Verteuerung der Waren das Passiveinkommen, wie es Wolf nennt, der Kon¬
sumenten. Aber wenn nun der Schutzzoll den Fortbestand und die Gründung
von Industrien ermöglicht, die Tausenden von Menschen gutbezahlte Arbeit
gewähren (man denke an das England vor 1846 und an die heutigen Ver¬
einigten Staaten, die beide unter dem Hochschutzzoll wahrhaftig nicht ärmer
geworden sind), wenn der Schutzzoll die Landwirtschaft in den Stand setzt,
durch verbesserten Betrieb ihre Produkte zu vermehren (wie weit beides der
Fall ist, läßt sich nicht genau ermitteln und bleibt darum Gegenstand eines
ewigen Streites), dann wird durch Erhöhung des Passiveinkommens aller und
durch die Beschäftigung von Menschen, die sonst keine Arbeit und darum auch
kein Einkommen hätten, das gesamte Volkseinkommen erhöht. In gleicher
Weise wirkt die Erhöhung der Arbeitereinkommen. Daß es der Konsum ist,
der die Produktion im Gange erhält, gesteht Wolf an einer andern Stelle
selbst ein. Güter, die nicht konsumiert werden, können allenfalls -- weil die


Julius !volfs exakte Nationalökonomie

kürzlich verstorbne Duimchen, der die freilich große Macht des Geldes und der
„Mammonarchen" übertreibt), und man könnte sie darum allenfalls quasi exakt
nennen. Aber die Zahl der verwickelten, schwer analysierbaren und unberechen¬
baren Erscheinungen, über deren Erklärung und Bedeutung lebhaft gestritten
wird, überwiegt doch in dem Grade, daß man auch dieser Geisteswissenschaft
den Charakter wirklicher Exaktheit versagen muß. Sie ist für die Beurteilung
der wirtschaftlichen Vorgänge und darum jedem, der auf diese einwirken will
oder muß, unentbehrlich, weil sie die im Wirtschaftsleben tätigen Kräfte er¬
mittelt, deren Wirkungsweise beschreibt und die Richtungen angibt, in die das
Vorherrschen der einen oder der andern Kraft oder Kräftegrnppe die Volks¬
wirtschaft drängt. Aber der Kräfte sind so viele, und ihr Zusammenspiel ist
so verdeckt, daß es fast niemals möglich ist, aus den Komponenten die Resultante
genau zu berechnen.

Mehrere Sätze, in denen die Meinungen voneinander abweichen, sind in
der obigen Beispielsammlung aus Wolfs Buch schon angeführt worden. Wir
wollen noch zwei hervorheben, die in dem Streit um die Zölle sowie in dem
gegen die „Kathedersozialisten" und die deutsche Sozialpolitik entbrannten
Kampfe eine Rolle spielen. „Einer der in unsrer Zeit verbreitetsten Irrtümer
Stal haben wir die »Exaktheit«!j ist die Annahme, daß die Zuwendung von
(höhern) Einkommen an gewisse Volksklassen (beispielsweise an die Arbeiter¬
klasse in Gestalt höherer Löhne, an die Landwirtschaft oder Industrie durch
Zölle) sich darum als vorteilhaft erweise, weil dadurch auf feiten der mit
(höhern) Einkommen bedachten Kaufkrast geschaffen wird jwerdej. Man über¬
sieht dabei, daß das diesen Klassen zugewandte Einkommen aus den Ein¬
kommen andrer entnommen ist, eine Einkommenvermehruug also nicht statt¬
findet." Bis zum letzten Komma ist der zweite Satz richtig; die Lohnerhöhung
vermindert für den Augenblick das Einkommen des Unternehmers, und der
Zoll vermindert — was auch die Schutzzöllner dagegen sagen mögen — durch
Verteuerung der Waren das Passiveinkommen, wie es Wolf nennt, der Kon¬
sumenten. Aber wenn nun der Schutzzoll den Fortbestand und die Gründung
von Industrien ermöglicht, die Tausenden von Menschen gutbezahlte Arbeit
gewähren (man denke an das England vor 1846 und an die heutigen Ver¬
einigten Staaten, die beide unter dem Hochschutzzoll wahrhaftig nicht ärmer
geworden sind), wenn der Schutzzoll die Landwirtschaft in den Stand setzt,
durch verbesserten Betrieb ihre Produkte zu vermehren (wie weit beides der
Fall ist, läßt sich nicht genau ermitteln und bleibt darum Gegenstand eines
ewigen Streites), dann wird durch Erhöhung des Passiveinkommens aller und
durch die Beschäftigung von Menschen, die sonst keine Arbeit und darum auch
kein Einkommen hätten, das gesamte Volkseinkommen erhöht. In gleicher
Weise wirkt die Erhöhung der Arbeitereinkommen. Daß es der Konsum ist,
der die Produktion im Gange erhält, gesteht Wolf an einer andern Stelle
selbst ein. Güter, die nicht konsumiert werden, können allenfalls — weil die


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[0237] Julius !volfs exakte Nationalökonomie kürzlich verstorbne Duimchen, der die freilich große Macht des Geldes und der „Mammonarchen" übertreibt), und man könnte sie darum allenfalls quasi exakt nennen. Aber die Zahl der verwickelten, schwer analysierbaren und unberechen¬ baren Erscheinungen, über deren Erklärung und Bedeutung lebhaft gestritten wird, überwiegt doch in dem Grade, daß man auch dieser Geisteswissenschaft den Charakter wirklicher Exaktheit versagen muß. Sie ist für die Beurteilung der wirtschaftlichen Vorgänge und darum jedem, der auf diese einwirken will oder muß, unentbehrlich, weil sie die im Wirtschaftsleben tätigen Kräfte er¬ mittelt, deren Wirkungsweise beschreibt und die Richtungen angibt, in die das Vorherrschen der einen oder der andern Kraft oder Kräftegrnppe die Volks¬ wirtschaft drängt. Aber der Kräfte sind so viele, und ihr Zusammenspiel ist so verdeckt, daß es fast niemals möglich ist, aus den Komponenten die Resultante genau zu berechnen. Mehrere Sätze, in denen die Meinungen voneinander abweichen, sind in der obigen Beispielsammlung aus Wolfs Buch schon angeführt worden. Wir wollen noch zwei hervorheben, die in dem Streit um die Zölle sowie in dem gegen die „Kathedersozialisten" und die deutsche Sozialpolitik entbrannten Kampfe eine Rolle spielen. „Einer der in unsrer Zeit verbreitetsten Irrtümer Stal haben wir die »Exaktheit«!j ist die Annahme, daß die Zuwendung von (höhern) Einkommen an gewisse Volksklassen (beispielsweise an die Arbeiter¬ klasse in Gestalt höherer Löhne, an die Landwirtschaft oder Industrie durch Zölle) sich darum als vorteilhaft erweise, weil dadurch auf feiten der mit (höhern) Einkommen bedachten Kaufkrast geschaffen wird jwerdej. Man über¬ sieht dabei, daß das diesen Klassen zugewandte Einkommen aus den Ein¬ kommen andrer entnommen ist, eine Einkommenvermehruug also nicht statt¬ findet." Bis zum letzten Komma ist der zweite Satz richtig; die Lohnerhöhung vermindert für den Augenblick das Einkommen des Unternehmers, und der Zoll vermindert — was auch die Schutzzöllner dagegen sagen mögen — durch Verteuerung der Waren das Passiveinkommen, wie es Wolf nennt, der Kon¬ sumenten. Aber wenn nun der Schutzzoll den Fortbestand und die Gründung von Industrien ermöglicht, die Tausenden von Menschen gutbezahlte Arbeit gewähren (man denke an das England vor 1846 und an die heutigen Ver¬ einigten Staaten, die beide unter dem Hochschutzzoll wahrhaftig nicht ärmer geworden sind), wenn der Schutzzoll die Landwirtschaft in den Stand setzt, durch verbesserten Betrieb ihre Produkte zu vermehren (wie weit beides der Fall ist, läßt sich nicht genau ermitteln und bleibt darum Gegenstand eines ewigen Streites), dann wird durch Erhöhung des Passiveinkommens aller und durch die Beschäftigung von Menschen, die sonst keine Arbeit und darum auch kein Einkommen hätten, das gesamte Volkseinkommen erhöht. In gleicher Weise wirkt die Erhöhung der Arbeitereinkommen. Daß es der Konsum ist, der die Produktion im Gange erhält, gesteht Wolf an einer andern Stelle selbst ein. Güter, die nicht konsumiert werden, können allenfalls — weil die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/237>, abgerufen am 22.07.2024.