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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Die Amurbahn

selbst als Land der Mandschu rechtlich verschloßne Nordmandschurei für die
Besiedlung freigab und diese sogar begünstigte, indem sie großartige Bahn¬
baupläne wie den einer Verbindung von Ssinminting über Taonanfu-Fulaerdi-
Zizikar nach Aigun genehmigte, und indem sie, wie man sagt, Aigun gegenüber
Blagowjeschtschensk befestigt, hat sie Rußland die von ihm begehrte Frucht,
die Nordmandschurei, wahrscheinlich für immer entzogen. Da sich nun nach
Artikel VII des Portsmouther Friedensvertrags Nußland und Japan ver¬
pflichtet haben, die ihnen gehörenden Eisenbahnen in der Mandschurei aus¬
schließlich zu Aufgaben des Handels und Verkehrs und keinesfalls zu strategischen
Zwecken zu benutzen, und da Rußland letzthin auch die ihm verbliebne Eisen¬
bahnstrecke Chardin-Kuantschendzsy abgetreten hat. so ist ihm rechtlich und
tatsächlich die jetzt vorhcmdne direkte Eisenbahnverbindung für seine militärischen
Aufgaben im fernsten Osten versperrt. Japan wird jedenfalls kein Bedenken
tragen, aus diesen Verhältnissen seine weitern Folgerungen zu ziehen und den
Vorwand zum Kriege finden, wenn es dazu bereit ist. Und Kenner Japans
sagen, daß fieberhaft auf dieses Ziel hingearbeitet wird.

Was soll aber aus dem Aufgebot an russischer Truppenmacht in Ostasien
werden, wenn es auf sich allein angewiesen ist und nur auf dem Wasserwege
Schilka-Amur mit der Transbaikalbahn Verbindung unterhalten werden kann,
die die Zu- und Abfuhr von und nach Europa zu vermitteln hat? Jedenfalls
würden sich die auf etwa fünf Divisionen und die nötigen Spezial- und Festungs¬
truppen zu berechnenden Truppen im Primorskgebiet in fast unhaltbarer und
unter allen Umständen viel schwierigerer Lage als die zu Beginn des letzten
Krieges in der Südmandschurei verteilten Truppen befinden. Wladiwostok
dürfte unter dem Angriff der in bedrohlicher Nähe an der koreanischen Grenze
stehenden und sich ungehindert und schleunig aus dem Mutterlande verstärkenden
Japaner bald aufhören, die ihr durch den tönenden Namen "Zwingburg des
Ostens" zugewiesne Rolle zu spielen. Was an Kosakentruppen und ostsibirischen
Schützen aber an der durch den Amur gebildeten Grenze verstreut ist, muß
froh sein, wenn es sich nach Osten oder Westen zusammenziehn kann, und
darf nicht daran denken, einen einigermaßen gut eingeleiteten Übergang über
den Strom längere Zeit strittig zu machen. Daß auf der fast 2000 Kilometer
langen Wasserstraße entlang der Grenze aber jeder Verkehr mit verhältnismäßig
leichter Mühe unterbunden werden kann, wird jedem einleuchten, auch wenn
es nicht durch gewisse Ereignisse des Jahres 1900 bewiesen worden wäre.
Schließlich ist der Wasserweg auf der Schilka und dem Amur von Ssrjetjensk,
dem Endpunkt der Transbaikalbahn abwärts, alles andre als eine sicher und
schnell befördernde Verbindung; er leistet nicht entfernt, was man von ihm
als natürlicher Fortsetzung der Transbaikalbahn erwartet hatte, und was noch
jetzt mancher zu hoffen geneigt ist. Die Wasserstraße weist zusammen über
130 Stromschnellen auf, von denen die obern in der Schilka bei Niedrigwasser
überhaupt nicht passierbar sind und die im Amur nicht mehr Wasser als


Die Amurbahn

selbst als Land der Mandschu rechtlich verschloßne Nordmandschurei für die
Besiedlung freigab und diese sogar begünstigte, indem sie großartige Bahn¬
baupläne wie den einer Verbindung von Ssinminting über Taonanfu-Fulaerdi-
Zizikar nach Aigun genehmigte, und indem sie, wie man sagt, Aigun gegenüber
Blagowjeschtschensk befestigt, hat sie Rußland die von ihm begehrte Frucht,
die Nordmandschurei, wahrscheinlich für immer entzogen. Da sich nun nach
Artikel VII des Portsmouther Friedensvertrags Nußland und Japan ver¬
pflichtet haben, die ihnen gehörenden Eisenbahnen in der Mandschurei aus¬
schließlich zu Aufgaben des Handels und Verkehrs und keinesfalls zu strategischen
Zwecken zu benutzen, und da Rußland letzthin auch die ihm verbliebne Eisen¬
bahnstrecke Chardin-Kuantschendzsy abgetreten hat. so ist ihm rechtlich und
tatsächlich die jetzt vorhcmdne direkte Eisenbahnverbindung für seine militärischen
Aufgaben im fernsten Osten versperrt. Japan wird jedenfalls kein Bedenken
tragen, aus diesen Verhältnissen seine weitern Folgerungen zu ziehen und den
Vorwand zum Kriege finden, wenn es dazu bereit ist. Und Kenner Japans
sagen, daß fieberhaft auf dieses Ziel hingearbeitet wird.

Was soll aber aus dem Aufgebot an russischer Truppenmacht in Ostasien
werden, wenn es auf sich allein angewiesen ist und nur auf dem Wasserwege
Schilka-Amur mit der Transbaikalbahn Verbindung unterhalten werden kann,
die die Zu- und Abfuhr von und nach Europa zu vermitteln hat? Jedenfalls
würden sich die auf etwa fünf Divisionen und die nötigen Spezial- und Festungs¬
truppen zu berechnenden Truppen im Primorskgebiet in fast unhaltbarer und
unter allen Umständen viel schwierigerer Lage als die zu Beginn des letzten
Krieges in der Südmandschurei verteilten Truppen befinden. Wladiwostok
dürfte unter dem Angriff der in bedrohlicher Nähe an der koreanischen Grenze
stehenden und sich ungehindert und schleunig aus dem Mutterlande verstärkenden
Japaner bald aufhören, die ihr durch den tönenden Namen „Zwingburg des
Ostens" zugewiesne Rolle zu spielen. Was an Kosakentruppen und ostsibirischen
Schützen aber an der durch den Amur gebildeten Grenze verstreut ist, muß
froh sein, wenn es sich nach Osten oder Westen zusammenziehn kann, und
darf nicht daran denken, einen einigermaßen gut eingeleiteten Übergang über
den Strom längere Zeit strittig zu machen. Daß auf der fast 2000 Kilometer
langen Wasserstraße entlang der Grenze aber jeder Verkehr mit verhältnismäßig
leichter Mühe unterbunden werden kann, wird jedem einleuchten, auch wenn
es nicht durch gewisse Ereignisse des Jahres 1900 bewiesen worden wäre.
Schließlich ist der Wasserweg auf der Schilka und dem Amur von Ssrjetjensk,
dem Endpunkt der Transbaikalbahn abwärts, alles andre als eine sicher und
schnell befördernde Verbindung; er leistet nicht entfernt, was man von ihm
als natürlicher Fortsetzung der Transbaikalbahn erwartet hatte, und was noch
jetzt mancher zu hoffen geneigt ist. Die Wasserstraße weist zusammen über
130 Stromschnellen auf, von denen die obern in der Schilka bei Niedrigwasser
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/224>, abgerufen am 22.07.2024.