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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Die englische Erbschaftssteuer

Vermögen) erhoben wird, und die nach dem Verhältnis des Empfängers zum
Erblasser abgestuft ist. Diese erbrachte rund 18400000 Mark für den Staats¬
schatz. Endlich gehört hierher eine Abgabe, die als Ersatz der Nachlaßsteuer
von Korporationsvermögen als Vermögen der Toten Hand erhoben wird, die
aber nur 2000000 Mark ergab.

Diese Summen beweisen, welche Steigerung der Erbschaftssteuern eine
echt germanisch empfindende Nation für erträglich gehalten hat. Über
380000000 Mark jährlich werden in England durch die verschiednen einzelnen
Erbschaftssteuern aufgebracht -- eine Summe, an deren Erreichung im Deutschen
Reiche auch nach der vorgeschlagneu Erweiterung noch nicht annähernd gedacht
werden dürfte.

Werfen wir nun einen kurzen Rückblick auf die Entwicklungsgeschichte der
englischen Erbschaftssteuer, so finden wir dasselbe Schauspiel, wie wir es auch
bei uns jetzt erleben: jeder einzelne Versuch der Erweiterung der Erbschafts¬
steuer stieß auf die starke Opposition und die entrüsteten Proteste der besitzenden
Klassen. Und doch hat sich der gesunde Gedanke des Systems trotz alledem
durchgesetzt, und die Erbschaftssteuer ist heute eine starke und zuverlässige
Stütze des englischen Einnahmebudgets. Alle die Beweisstücke, die in unsern
Tagen gegen die Erbschaftssteuer nach der prinzipiellen und praktischen Seite
hin vorgebracht zu werde" pflegeu, finden wir vorgebildet in der heftigen
Opposition der mittlern und höhern Klassen in England gegen diese Steuer, die
jedesmal, wenn ihre Erhöhung und Erweiterung auf der Tagesordnung stand, als
das Scheusal behandelt wurde, das man in die Wolfsschlucht werfen müsse.

Nur wenige Beispiele aus der Geschichte des langjährigen Kampfes gegen
die englische Erbschaftssteuer seien hier angeführt. Schon bei den Reform¬
versuchen ini Jahre 1805 spielten die Argumente eine Rolle, daß die Regierung
den Reichtum und den Einfluß der Aristokratie antaste und buchstäblich das
Unglück aufhenke. Die Nummern der Times im zweiten Jahrzehnt des neun¬
zehnten Jahrhunderts enthalten eine Unmenge von Klagen, Verwünschungen
und Zornesergüssen gegen diese Steuer, die, ganz abgesehen von ihrer unter¬
drückenden, willkürlichen und unsittlichen Wirkung, ein unerträgliches Spionieren
und Einmischen in die privaten Angelegenheiten des Lebens mit sich bringe.
Sowohl im Publikum wie in der wissenschaftlichen Literatur der ersten Hälfte
des neunzehnten Jahrhunderts- bestand eine recht große Voreingenommenheit
gegen die Erbschaftssteuer. Und dennoch drangen die Versuche zur Abschaffung
dieser Steuer nicht durch, sondern nach und nach machte sich doch im Zusammen-
hang mit der allmählich einsetzenden Bewegung zugunsten der Erweiterung des
Gebiets der direkten Besteuerung überhaupt ein Umschwung der gesellschcift-
schaftlichen Stimmung zugunsten der Erbschaftssteuer geltend. So fehlt es
in der einschlägigen Literatur um die Mitte des vorigen Jahrhunderts nicht
an hervorragenden Stimmen, die der Erbschaftssteuer vor der Einkommensteuer
den Vorzug geben. Man hebt hervor, daß sie von allen direkten Steuern


Die englische Erbschaftssteuer

Vermögen) erhoben wird, und die nach dem Verhältnis des Empfängers zum
Erblasser abgestuft ist. Diese erbrachte rund 18400000 Mark für den Staats¬
schatz. Endlich gehört hierher eine Abgabe, die als Ersatz der Nachlaßsteuer
von Korporationsvermögen als Vermögen der Toten Hand erhoben wird, die
aber nur 2000000 Mark ergab.

Diese Summen beweisen, welche Steigerung der Erbschaftssteuern eine
echt germanisch empfindende Nation für erträglich gehalten hat. Über
380000000 Mark jährlich werden in England durch die verschiednen einzelnen
Erbschaftssteuern aufgebracht — eine Summe, an deren Erreichung im Deutschen
Reiche auch nach der vorgeschlagneu Erweiterung noch nicht annähernd gedacht
werden dürfte.

Werfen wir nun einen kurzen Rückblick auf die Entwicklungsgeschichte der
englischen Erbschaftssteuer, so finden wir dasselbe Schauspiel, wie wir es auch
bei uns jetzt erleben: jeder einzelne Versuch der Erweiterung der Erbschafts¬
steuer stieß auf die starke Opposition und die entrüsteten Proteste der besitzenden
Klassen. Und doch hat sich der gesunde Gedanke des Systems trotz alledem
durchgesetzt, und die Erbschaftssteuer ist heute eine starke und zuverlässige
Stütze des englischen Einnahmebudgets. Alle die Beweisstücke, die in unsern
Tagen gegen die Erbschaftssteuer nach der prinzipiellen und praktischen Seite
hin vorgebracht zu werde» pflegeu, finden wir vorgebildet in der heftigen
Opposition der mittlern und höhern Klassen in England gegen diese Steuer, die
jedesmal, wenn ihre Erhöhung und Erweiterung auf der Tagesordnung stand, als
das Scheusal behandelt wurde, das man in die Wolfsschlucht werfen müsse.

Nur wenige Beispiele aus der Geschichte des langjährigen Kampfes gegen
die englische Erbschaftssteuer seien hier angeführt. Schon bei den Reform¬
versuchen ini Jahre 1805 spielten die Argumente eine Rolle, daß die Regierung
den Reichtum und den Einfluß der Aristokratie antaste und buchstäblich das
Unglück aufhenke. Die Nummern der Times im zweiten Jahrzehnt des neun¬
zehnten Jahrhunderts enthalten eine Unmenge von Klagen, Verwünschungen
und Zornesergüssen gegen diese Steuer, die, ganz abgesehen von ihrer unter¬
drückenden, willkürlichen und unsittlichen Wirkung, ein unerträgliches Spionieren
und Einmischen in die privaten Angelegenheiten des Lebens mit sich bringe.
Sowohl im Publikum wie in der wissenschaftlichen Literatur der ersten Hälfte
des neunzehnten Jahrhunderts- bestand eine recht große Voreingenommenheit
gegen die Erbschaftssteuer. Und dennoch drangen die Versuche zur Abschaffung
dieser Steuer nicht durch, sondern nach und nach machte sich doch im Zusammen-
hang mit der allmählich einsetzenden Bewegung zugunsten der Erweiterung des
Gebiets der direkten Besteuerung überhaupt ein Umschwung der gesellschcift-
schaftlichen Stimmung zugunsten der Erbschaftssteuer geltend. So fehlt es
in der einschlägigen Literatur um die Mitte des vorigen Jahrhunderts nicht
an hervorragenden Stimmen, die der Erbschaftssteuer vor der Einkommensteuer
den Vorzug geben. Man hebt hervor, daß sie von allen direkten Steuern


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[0218] Die englische Erbschaftssteuer Vermögen) erhoben wird, und die nach dem Verhältnis des Empfängers zum Erblasser abgestuft ist. Diese erbrachte rund 18400000 Mark für den Staats¬ schatz. Endlich gehört hierher eine Abgabe, die als Ersatz der Nachlaßsteuer von Korporationsvermögen als Vermögen der Toten Hand erhoben wird, die aber nur 2000000 Mark ergab. Diese Summen beweisen, welche Steigerung der Erbschaftssteuern eine echt germanisch empfindende Nation für erträglich gehalten hat. Über 380000000 Mark jährlich werden in England durch die verschiednen einzelnen Erbschaftssteuern aufgebracht — eine Summe, an deren Erreichung im Deutschen Reiche auch nach der vorgeschlagneu Erweiterung noch nicht annähernd gedacht werden dürfte. Werfen wir nun einen kurzen Rückblick auf die Entwicklungsgeschichte der englischen Erbschaftssteuer, so finden wir dasselbe Schauspiel, wie wir es auch bei uns jetzt erleben: jeder einzelne Versuch der Erweiterung der Erbschafts¬ steuer stieß auf die starke Opposition und die entrüsteten Proteste der besitzenden Klassen. Und doch hat sich der gesunde Gedanke des Systems trotz alledem durchgesetzt, und die Erbschaftssteuer ist heute eine starke und zuverlässige Stütze des englischen Einnahmebudgets. Alle die Beweisstücke, die in unsern Tagen gegen die Erbschaftssteuer nach der prinzipiellen und praktischen Seite hin vorgebracht zu werde» pflegeu, finden wir vorgebildet in der heftigen Opposition der mittlern und höhern Klassen in England gegen diese Steuer, die jedesmal, wenn ihre Erhöhung und Erweiterung auf der Tagesordnung stand, als das Scheusal behandelt wurde, das man in die Wolfsschlucht werfen müsse. Nur wenige Beispiele aus der Geschichte des langjährigen Kampfes gegen die englische Erbschaftssteuer seien hier angeführt. Schon bei den Reform¬ versuchen ini Jahre 1805 spielten die Argumente eine Rolle, daß die Regierung den Reichtum und den Einfluß der Aristokratie antaste und buchstäblich das Unglück aufhenke. Die Nummern der Times im zweiten Jahrzehnt des neun¬ zehnten Jahrhunderts enthalten eine Unmenge von Klagen, Verwünschungen und Zornesergüssen gegen diese Steuer, die, ganz abgesehen von ihrer unter¬ drückenden, willkürlichen und unsittlichen Wirkung, ein unerträgliches Spionieren und Einmischen in die privaten Angelegenheiten des Lebens mit sich bringe. Sowohl im Publikum wie in der wissenschaftlichen Literatur der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts- bestand eine recht große Voreingenommenheit gegen die Erbschaftssteuer. Und dennoch drangen die Versuche zur Abschaffung dieser Steuer nicht durch, sondern nach und nach machte sich doch im Zusammen- hang mit der allmählich einsetzenden Bewegung zugunsten der Erweiterung des Gebiets der direkten Besteuerung überhaupt ein Umschwung der gesellschcift- schaftlichen Stimmung zugunsten der Erbschaftssteuer geltend. So fehlt es in der einschlägigen Literatur um die Mitte des vorigen Jahrhunderts nicht an hervorragenden Stimmen, die der Erbschaftssteuer vor der Einkommensteuer den Vorzug geben. Man hebt hervor, daß sie von allen direkten Steuern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/218>, abgerufen am 22.07.2024.