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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Vermögenssteuer. Allerdings begegnete das genannte konservative Blatt dem aus
der liberalen und Zentrumspresse herüberschallenden Jubel, daß die Konservativen
sich zu der lange bekämpften liberalen Forderung bekehrt hätten, mit der weitern
Erklärung, so sei es nicht gemeint. Es sei nicht von einer Reichsvermögenssteuer
die Rede gewesen, sondern von einer Vermögenssteuer, zu deren Erhebung die
Einzelstaaten durch Reichsgesetz verpflichtet würden, und deren Ertrag sie mit den
Matrikularbeitrcigen an das Reich abzuliefern hätten. Es scheint wirklich Leute zu
geben, die sich einbilden, das sei kein Eingriff in die Finanzhoheit der Einzelstaaten.
Man mag aber die Sache einrichten, wie man will, immer würde doch den Einzel¬
staaten durch Reichsgesetz eine Einnahmequelle, die sie für die ihnen zufallenden
Aufgaben dringend brauchen oder wenigstens offen haben müssen, dauernd versperrt.
Oder der ganze Vorschlag läuft einfach auf das hinaus, was man die Veredlung
der Matrikularbeiträge genannt hat. Sie besteht bekanntlich darin, daß die Er¬
höhung der Matrikularbeiträge durch einen andern Verteilungsmodus, nämlich nach
der Leistungsfähigkeit der Staaten, möglich gemacht wird. Wäre ein geeigneter
Maßstab dafür gefunden, so würde das geschehen, was die Kreuzzeitung will: die
Einzelstaaten würden, jeder für sich, die Steuerschraube stärker anziehen und den
Mehrertrag in Gestalt erhöhter Matrikularbeiträge an das Reich abführen. Aber
dann wäre es ja auch wieder gar nicht nötig, den Einzelstaaten von Reichs wegen
Vorschriften zu machen, wie sie den Mehrertrag an Steuern aufbringen sollen. Die
Schwierigkeit liegt eben darin, daß bei der Verschiedenheit der historisch gewordnen
Steuersysteme in den deutschen Einzelstaaten ein sicherer Maßstab für die finanzielle
Leistungsfähigkeit dieser Staaten gar nicht gewonnen werden kann, wenn nicht das
Reich die ganze Finanzgesetzgebung der Einzelstaaten zwangsweise umgestaltet.
Ähnliches scheint wohl die Kreuzzeitung im Auge zu haben, wenn sie den Einzel¬
staaten die Einführung einer Vermögenssteuer durch das Reich anbefehlen lassen
will, aber konservativ wird man eine solche den bundesstaatlichen Charakter des
Reichs umstürzende Maßregel wohl kaum noch nennen können. Deshalb kann man
es auch für ganz ausgeschlossen halten, daß der Bundesrat einen solchen Vorschlag
gutheißt. Die Betrachtung der ganzen Lage aber zeigt, daß sich die Konservativen
auf einen gefährlichen Weg begeben haben, der sie entweder zur Umkehr zwingt
oder, wenn sie das nicht wollen, das Odium für das Scheitern der Reichsfinanz¬
reform auf ihre Schultern wälzt.

Die auswärtige Politik ist natürlich ganz von der Krisis im Orient beherrscht.
Zurzeit schweben noch die Verhandlungen über die Konferenzfrage. Bis jetzt haben
jedoch diese Verhandlungen einen wenig aussichtsvollen Verlauf genommen. Der
russische Minister des Auswärtigen Jswolskij hat lange genug in London geweilt,
um ein einheitliches Vorgehn der drei "Entente"-Mächte, England, Nußland und
Frankreich, in der Orientfrage herbeizuführen. Aber mit dem Ergebnis, das dabei
herausgekommen ist, kann man nicht prunken; es verrät nur zu sehr die innern
Widersprüche, mit denen die Entente zu kämpfen hat. Infolge der übergroßen Ge¬
schäftigkeit, die die englische Politik seit fünf Jahren in allen möglichen Abmachungen
und Einverständnissen mit andern Mächten entwickelt hat, hat sie nicht mehr die
volle Aktionsfreiheit, die ihren alten Traditionen entspricht. Nun fordert die neue
Lage gebieterisch, daß England wenigstens in einer Frage seine alte Politik wieder
aufnimmt, nämlich in seinem Verhältnis zur Türkei. Da will das Rechenexempel
nun nicht recht stimmen, denn der alte Gegensatz der Interessen Rußlands und
Englands ist an dieser Stelle nicht mit einigen diplomatischen Phrasen beiseite zu
schaffen. Es gibt zwar gefällige Politiker, die sehr hübsch beweisen, daß England
beispielsweise in der Dardanellenfrage Rußland ruhig gewähren lassen könne. Ru߬
land habe im Schwarzen Meere keine Flotte, die der englischen gewachsen sei, und
wenn die russischen Kriegsschiffe in das Ägäische Meer kämen, so seien sie im Bereiche


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Vermögenssteuer. Allerdings begegnete das genannte konservative Blatt dem aus
der liberalen und Zentrumspresse herüberschallenden Jubel, daß die Konservativen
sich zu der lange bekämpften liberalen Forderung bekehrt hätten, mit der weitern
Erklärung, so sei es nicht gemeint. Es sei nicht von einer Reichsvermögenssteuer
die Rede gewesen, sondern von einer Vermögenssteuer, zu deren Erhebung die
Einzelstaaten durch Reichsgesetz verpflichtet würden, und deren Ertrag sie mit den
Matrikularbeitrcigen an das Reich abzuliefern hätten. Es scheint wirklich Leute zu
geben, die sich einbilden, das sei kein Eingriff in die Finanzhoheit der Einzelstaaten.
Man mag aber die Sache einrichten, wie man will, immer würde doch den Einzel¬
staaten durch Reichsgesetz eine Einnahmequelle, die sie für die ihnen zufallenden
Aufgaben dringend brauchen oder wenigstens offen haben müssen, dauernd versperrt.
Oder der ganze Vorschlag läuft einfach auf das hinaus, was man die Veredlung
der Matrikularbeiträge genannt hat. Sie besteht bekanntlich darin, daß die Er¬
höhung der Matrikularbeiträge durch einen andern Verteilungsmodus, nämlich nach
der Leistungsfähigkeit der Staaten, möglich gemacht wird. Wäre ein geeigneter
Maßstab dafür gefunden, so würde das geschehen, was die Kreuzzeitung will: die
Einzelstaaten würden, jeder für sich, die Steuerschraube stärker anziehen und den
Mehrertrag in Gestalt erhöhter Matrikularbeiträge an das Reich abführen. Aber
dann wäre es ja auch wieder gar nicht nötig, den Einzelstaaten von Reichs wegen
Vorschriften zu machen, wie sie den Mehrertrag an Steuern aufbringen sollen. Die
Schwierigkeit liegt eben darin, daß bei der Verschiedenheit der historisch gewordnen
Steuersysteme in den deutschen Einzelstaaten ein sicherer Maßstab für die finanzielle
Leistungsfähigkeit dieser Staaten gar nicht gewonnen werden kann, wenn nicht das
Reich die ganze Finanzgesetzgebung der Einzelstaaten zwangsweise umgestaltet.
Ähnliches scheint wohl die Kreuzzeitung im Auge zu haben, wenn sie den Einzel¬
staaten die Einführung einer Vermögenssteuer durch das Reich anbefehlen lassen
will, aber konservativ wird man eine solche den bundesstaatlichen Charakter des
Reichs umstürzende Maßregel wohl kaum noch nennen können. Deshalb kann man
es auch für ganz ausgeschlossen halten, daß der Bundesrat einen solchen Vorschlag
gutheißt. Die Betrachtung der ganzen Lage aber zeigt, daß sich die Konservativen
auf einen gefährlichen Weg begeben haben, der sie entweder zur Umkehr zwingt
oder, wenn sie das nicht wollen, das Odium für das Scheitern der Reichsfinanz¬
reform auf ihre Schultern wälzt.

Die auswärtige Politik ist natürlich ganz von der Krisis im Orient beherrscht.
Zurzeit schweben noch die Verhandlungen über die Konferenzfrage. Bis jetzt haben
jedoch diese Verhandlungen einen wenig aussichtsvollen Verlauf genommen. Der
russische Minister des Auswärtigen Jswolskij hat lange genug in London geweilt,
um ein einheitliches Vorgehn der drei „Entente"-Mächte, England, Nußland und
Frankreich, in der Orientfrage herbeizuführen. Aber mit dem Ergebnis, das dabei
herausgekommen ist, kann man nicht prunken; es verrät nur zu sehr die innern
Widersprüche, mit denen die Entente zu kämpfen hat. Infolge der übergroßen Ge¬
schäftigkeit, die die englische Politik seit fünf Jahren in allen möglichen Abmachungen
und Einverständnissen mit andern Mächten entwickelt hat, hat sie nicht mehr die
volle Aktionsfreiheit, die ihren alten Traditionen entspricht. Nun fordert die neue
Lage gebieterisch, daß England wenigstens in einer Frage seine alte Politik wieder
aufnimmt, nämlich in seinem Verhältnis zur Türkei. Da will das Rechenexempel
nun nicht recht stimmen, denn der alte Gegensatz der Interessen Rußlands und
Englands ist an dieser Stelle nicht mit einigen diplomatischen Phrasen beiseite zu
schaffen. Es gibt zwar gefällige Politiker, die sehr hübsch beweisen, daß England
beispielsweise in der Dardanellenfrage Rußland ruhig gewähren lassen könne. Ru߬
land habe im Schwarzen Meere keine Flotte, die der englischen gewachsen sei, und
wenn die russischen Kriegsschiffe in das Ägäische Meer kämen, so seien sie im Bereiche


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[0210] Maßgebliches und Unmaßgebliches Vermögenssteuer. Allerdings begegnete das genannte konservative Blatt dem aus der liberalen und Zentrumspresse herüberschallenden Jubel, daß die Konservativen sich zu der lange bekämpften liberalen Forderung bekehrt hätten, mit der weitern Erklärung, so sei es nicht gemeint. Es sei nicht von einer Reichsvermögenssteuer die Rede gewesen, sondern von einer Vermögenssteuer, zu deren Erhebung die Einzelstaaten durch Reichsgesetz verpflichtet würden, und deren Ertrag sie mit den Matrikularbeitrcigen an das Reich abzuliefern hätten. Es scheint wirklich Leute zu geben, die sich einbilden, das sei kein Eingriff in die Finanzhoheit der Einzelstaaten. Man mag aber die Sache einrichten, wie man will, immer würde doch den Einzel¬ staaten durch Reichsgesetz eine Einnahmequelle, die sie für die ihnen zufallenden Aufgaben dringend brauchen oder wenigstens offen haben müssen, dauernd versperrt. Oder der ganze Vorschlag läuft einfach auf das hinaus, was man die Veredlung der Matrikularbeiträge genannt hat. Sie besteht bekanntlich darin, daß die Er¬ höhung der Matrikularbeiträge durch einen andern Verteilungsmodus, nämlich nach der Leistungsfähigkeit der Staaten, möglich gemacht wird. Wäre ein geeigneter Maßstab dafür gefunden, so würde das geschehen, was die Kreuzzeitung will: die Einzelstaaten würden, jeder für sich, die Steuerschraube stärker anziehen und den Mehrertrag in Gestalt erhöhter Matrikularbeiträge an das Reich abführen. Aber dann wäre es ja auch wieder gar nicht nötig, den Einzelstaaten von Reichs wegen Vorschriften zu machen, wie sie den Mehrertrag an Steuern aufbringen sollen. Die Schwierigkeit liegt eben darin, daß bei der Verschiedenheit der historisch gewordnen Steuersysteme in den deutschen Einzelstaaten ein sicherer Maßstab für die finanzielle Leistungsfähigkeit dieser Staaten gar nicht gewonnen werden kann, wenn nicht das Reich die ganze Finanzgesetzgebung der Einzelstaaten zwangsweise umgestaltet. Ähnliches scheint wohl die Kreuzzeitung im Auge zu haben, wenn sie den Einzel¬ staaten die Einführung einer Vermögenssteuer durch das Reich anbefehlen lassen will, aber konservativ wird man eine solche den bundesstaatlichen Charakter des Reichs umstürzende Maßregel wohl kaum noch nennen können. Deshalb kann man es auch für ganz ausgeschlossen halten, daß der Bundesrat einen solchen Vorschlag gutheißt. Die Betrachtung der ganzen Lage aber zeigt, daß sich die Konservativen auf einen gefährlichen Weg begeben haben, der sie entweder zur Umkehr zwingt oder, wenn sie das nicht wollen, das Odium für das Scheitern der Reichsfinanz¬ reform auf ihre Schultern wälzt. Die auswärtige Politik ist natürlich ganz von der Krisis im Orient beherrscht. Zurzeit schweben noch die Verhandlungen über die Konferenzfrage. Bis jetzt haben jedoch diese Verhandlungen einen wenig aussichtsvollen Verlauf genommen. Der russische Minister des Auswärtigen Jswolskij hat lange genug in London geweilt, um ein einheitliches Vorgehn der drei „Entente"-Mächte, England, Nußland und Frankreich, in der Orientfrage herbeizuführen. Aber mit dem Ergebnis, das dabei herausgekommen ist, kann man nicht prunken; es verrät nur zu sehr die innern Widersprüche, mit denen die Entente zu kämpfen hat. Infolge der übergroßen Ge¬ schäftigkeit, die die englische Politik seit fünf Jahren in allen möglichen Abmachungen und Einverständnissen mit andern Mächten entwickelt hat, hat sie nicht mehr die volle Aktionsfreiheit, die ihren alten Traditionen entspricht. Nun fordert die neue Lage gebieterisch, daß England wenigstens in einer Frage seine alte Politik wieder aufnimmt, nämlich in seinem Verhältnis zur Türkei. Da will das Rechenexempel nun nicht recht stimmen, denn der alte Gegensatz der Interessen Rußlands und Englands ist an dieser Stelle nicht mit einigen diplomatischen Phrasen beiseite zu schaffen. Es gibt zwar gefällige Politiker, die sehr hübsch beweisen, daß England beispielsweise in der Dardanellenfrage Rußland ruhig gewähren lassen könne. Ru߬ land habe im Schwarzen Meere keine Flotte, die der englischen gewachsen sei, und wenn die russischen Kriegsschiffe in das Ägäische Meer kämen, so seien sie im Bereiche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/210>, abgerufen am 22.07.2024.