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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Das Emporkommen Bonapartes

bekommt, die das lebendige Leben erdrückt, ungebührlich alle Taschen durchsucht
und niemand in Frieden die Früchte seiner Arbeit genießen läßt." Eine be¬
sonders wichtige Maßnahme war auch die Herstellung des Friedens mit
der katholischen Kirche durch das Konkordat vom Jahre 1800, wodurch die
trotz aller Philosophie der obern Zehntausend katholisch gebliebner Massen mit
der neuen Staatsordnung ausgesöhnt wurden und vielleicht, so konnte man
hoffen, bonapartisiert oder imperialisiert werden konnten.

Zu allen diesen Maßnahmen innerer Versöhnung und Herstellung kam
nun noch der Sieg über das Ausland. Die Ereignisse des italienischen Feld-
zugs von 1800 sind oft erzählt worden; Graf Vandal erzählt sie wieder, aber
in eigenartiger Weise. Während die bisherigen Berichterstatter den Standpunkt
bei den Handelnden nehmen, versetzt uus Vandal an der Hand seiner Quellen
nach Paris und läßt uus die ganze Stufenleiter der Gefühle durchlaufen, die
bei den Parisern von 1300 durch die wechselnden Berichte vom Kriegsschau-
Platz erweckt wurden. Wir hören den Jubel mit an, den Mailands Einnahme
durch Bonaparte hervorrief, und die Niedergeschlagenheit, die sofort nachher
über den Verlust Genuas entstand, das der ausgehungerte Massen" übergeben
mußte: selbst die Volkstümlichkeit Bonapartes geriet dadurch ins Wanken; "es
wäre, schreibt ein Zeitgenosse, der kein Freund von ihm. der ihm riete, jetzt
nach Paris zurückzukommen". Es folgte die blutige Schlacht bei Montebello
zwischen Lammes und Ott, die nichts entschied; das Auseinanderziehen der
Divisionen, durch das Bonaparte den österreichischen Oberfeldherrn Melas. dem
er den Rückweg verlegt hatte, hindern wollte, sich an ihm vorbeizuschleichen
und so zu entkommen. Aber Melas verzichtete darauf, nach rechts oder links
auszubiegen, und entschloß sich, die Mitte des Feindes zu durchbrechen: mit
überlegner Macht, mit hundert Kanonen gegen fünfzehn, faßte er Bonapartes
schwächere Streitkräfte und schlug ihn bei San Giuliano und Marengo am
14. Juni: schon kehrte er, selbst von einem Streifschuß getroffen, siegessicher
nach Alessandria zurück; schon nahmen seine Soldaten das Gewehr auf die
Schulter und steckten an ihre Tschakos die grünen Reiser, das übliche Zeichen
des Sieges: da erschien General Desaix mit 6000 Mann frischer Truppen und
stellte die Schlacht her, deren Ende er, tödlich verwundet, nicht sehen sollte,
die Kellermanns und Besseres schwere Reiterei dann völlig zugunsten der Fran¬
zosen entschied. Fünfzehn Fahnen, vierzig Geschütze, 6000 bis 8000 Gefangne
fielen den Franzosen in die Hände, die nicht bloß die Schlacht, sondern den
Feldzug gewonnen hatten. Die Wirkung in Paris war ungeheuer; die beiden
Konsuln, die dort geblieben waren, ließen Viktoria schießen; die Stadt gewann
ein festliches Ansehen; Leute aller Klassen, die sich persönlich gar nicht kannten,
unterhielten sich auf den Straßen miteinander über den herrlichen Sieg; die
Gelehrten erinnerten an Cäsars voni, vieil, vie-i, und einige plötzlich bekehrte
Royalisten sagten, Frankreich brauche wohl einen König; aber die Krone
gebühre Vonaparte. Dieses Wort traf den Kern der Situation; nach dem


Das Emporkommen Bonapartes

bekommt, die das lebendige Leben erdrückt, ungebührlich alle Taschen durchsucht
und niemand in Frieden die Früchte seiner Arbeit genießen läßt." Eine be¬
sonders wichtige Maßnahme war auch die Herstellung des Friedens mit
der katholischen Kirche durch das Konkordat vom Jahre 1800, wodurch die
trotz aller Philosophie der obern Zehntausend katholisch gebliebner Massen mit
der neuen Staatsordnung ausgesöhnt wurden und vielleicht, so konnte man
hoffen, bonapartisiert oder imperialisiert werden konnten.

Zu allen diesen Maßnahmen innerer Versöhnung und Herstellung kam
nun noch der Sieg über das Ausland. Die Ereignisse des italienischen Feld-
zugs von 1800 sind oft erzählt worden; Graf Vandal erzählt sie wieder, aber
in eigenartiger Weise. Während die bisherigen Berichterstatter den Standpunkt
bei den Handelnden nehmen, versetzt uus Vandal an der Hand seiner Quellen
nach Paris und läßt uus die ganze Stufenleiter der Gefühle durchlaufen, die
bei den Parisern von 1300 durch die wechselnden Berichte vom Kriegsschau-
Platz erweckt wurden. Wir hören den Jubel mit an, den Mailands Einnahme
durch Bonaparte hervorrief, und die Niedergeschlagenheit, die sofort nachher
über den Verlust Genuas entstand, das der ausgehungerte Massen« übergeben
mußte: selbst die Volkstümlichkeit Bonapartes geriet dadurch ins Wanken; „es
wäre, schreibt ein Zeitgenosse, der kein Freund von ihm. der ihm riete, jetzt
nach Paris zurückzukommen". Es folgte die blutige Schlacht bei Montebello
zwischen Lammes und Ott, die nichts entschied; das Auseinanderziehen der
Divisionen, durch das Bonaparte den österreichischen Oberfeldherrn Melas. dem
er den Rückweg verlegt hatte, hindern wollte, sich an ihm vorbeizuschleichen
und so zu entkommen. Aber Melas verzichtete darauf, nach rechts oder links
auszubiegen, und entschloß sich, die Mitte des Feindes zu durchbrechen: mit
überlegner Macht, mit hundert Kanonen gegen fünfzehn, faßte er Bonapartes
schwächere Streitkräfte und schlug ihn bei San Giuliano und Marengo am
14. Juni: schon kehrte er, selbst von einem Streifschuß getroffen, siegessicher
nach Alessandria zurück; schon nahmen seine Soldaten das Gewehr auf die
Schulter und steckten an ihre Tschakos die grünen Reiser, das übliche Zeichen
des Sieges: da erschien General Desaix mit 6000 Mann frischer Truppen und
stellte die Schlacht her, deren Ende er, tödlich verwundet, nicht sehen sollte,
die Kellermanns und Besseres schwere Reiterei dann völlig zugunsten der Fran¬
zosen entschied. Fünfzehn Fahnen, vierzig Geschütze, 6000 bis 8000 Gefangne
fielen den Franzosen in die Hände, die nicht bloß die Schlacht, sondern den
Feldzug gewonnen hatten. Die Wirkung in Paris war ungeheuer; die beiden
Konsuln, die dort geblieben waren, ließen Viktoria schießen; die Stadt gewann
ein festliches Ansehen; Leute aller Klassen, die sich persönlich gar nicht kannten,
unterhielten sich auf den Straßen miteinander über den herrlichen Sieg; die
Gelehrten erinnerten an Cäsars voni, vieil, vie-i, und einige plötzlich bekehrte
Royalisten sagten, Frankreich brauche wohl einen König; aber die Krone
gebühre Vonaparte. Dieses Wort traf den Kern der Situation; nach dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/21>, abgerufen am 22.07.2024.