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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Oberlehrer Haut

. Ja. Diese Last bedrückt mich und hat mich mein lebelang bedrückt. Und ich
fürchte, daß ich sie nie wieder loswerden kann. Es ist nämlich kindisch, sich nie
bei dem beruhigen zu können, was ist, sich stets in etwas hineinzuträumen, was
nicht ist und niemals sein kann. Es ist keine Phantasterei oder so etwas, nichts
schönes und feines wie etwa Träumereien oder Schwärmerei, sondern vielmehr eine
Art Erwartung. Als ob alles, was ist, alles, was geschieht, nur etwas Vorläufiges
sei, etwas Unwesentliches, nicht das Eigentliche. Das Eigentliche liegt dahinter und
wartet. So ist es. >

Ist das die Last, die Sie bedrückt?

Ja, es ist nämlich etwas schreckliches. Denn es macht einen zu einem untüchtigen
Menschen in dem Leben, in das man hineingesetzt ist. Man macht es niemand
recht, am allerwenigsten sich selbst. Man wird mißvergnügt und undankbar und
-- gewissermaßen -- anspruchsvoll!

Es ist mir, als sähe ich ganz feine Gebilde, kleine Blütenknospen oder so etwas,
feine, feine Keime in Ihnen selber, auf denen Sie jetzt herumtrampeln, und gegen
die Sie schlecht sind.

Was für Gebilde?

Ihre Sehnsucht. Das Schönste, was wir haben, ja die Keime, die Funken in
all unserm wahrhaftigen Leben! Das mißhandeln Sie, nennen es eine Last! Wie
sollte es wohl mit uns werden, wenn nicht immer "das Eigentliche" dahinter läge
oder jenseits! Wenn die Sonne ausbrennte, und kein Tag morgen wieder graute!
Und keine Hoffnung mit ihm geboren würde! Und wir mit dem fertig wären, was
ist und was geschieht -- wenn wir keine Ziele hätten --

Es ist etwas andres für Sie und solche Menschen, die einen geistigen Beruf
haben, wie zum Beispiel die Wissenschaft --

Unsinn! Ganz einfach Blödsinn! Hier mühe ich mich zum Beispiel tagaus
tagein an der Schule ab. Wenn Sie meinen, daß das Wissenschaft ist, so irren Sie
jammervoll! Aber ich -- wissen Sie, ich kann mir jetzt denken, daß Ihr Vater
nicht so fühlt und denkt--ja, so wie ich mir vorstelle, daß ein Mann denkt, der
ja im Grunde nicht das geworden ist, was er einmal werden wollte -- nicht wahr?
Das darf ich doch von Ihrem Vater sagen?

Berry nickte.

Ja, denn es gibt tausend kleine Freuden, Hoffnungen, Ziele --geradezu Er¬
wartungen, die man mit den Knaben erleben kann, im Schulfach -- mit --

Aber für Sie liegt es immer dahinter, bestimmt und klar, ich meine in Ihrem
Bewußtsein, daß Sie nach Ablauf eines Jahres hiermit abschließen werden und zu
etwas Größern, Höheren übergehn werden!

Der Mensch, der in sich den Glauben daran tötet, daß er zu etwas Größern
und Höheren übergehn wird, der diesen Glauben eine Last nennt, begeht eine schreck¬
liche Sünde, Fräulein Berry!

(Fortsetzung folgt)




Oberlehrer Haut

. Ja. Diese Last bedrückt mich und hat mich mein lebelang bedrückt. Und ich
fürchte, daß ich sie nie wieder loswerden kann. Es ist nämlich kindisch, sich nie
bei dem beruhigen zu können, was ist, sich stets in etwas hineinzuträumen, was
nicht ist und niemals sein kann. Es ist keine Phantasterei oder so etwas, nichts
schönes und feines wie etwa Träumereien oder Schwärmerei, sondern vielmehr eine
Art Erwartung. Als ob alles, was ist, alles, was geschieht, nur etwas Vorläufiges
sei, etwas Unwesentliches, nicht das Eigentliche. Das Eigentliche liegt dahinter und
wartet. So ist es. >

Ist das die Last, die Sie bedrückt?

Ja, es ist nämlich etwas schreckliches. Denn es macht einen zu einem untüchtigen
Menschen in dem Leben, in das man hineingesetzt ist. Man macht es niemand
recht, am allerwenigsten sich selbst. Man wird mißvergnügt und undankbar und
— gewissermaßen — anspruchsvoll!

Es ist mir, als sähe ich ganz feine Gebilde, kleine Blütenknospen oder so etwas,
feine, feine Keime in Ihnen selber, auf denen Sie jetzt herumtrampeln, und gegen
die Sie schlecht sind.

Was für Gebilde?

Ihre Sehnsucht. Das Schönste, was wir haben, ja die Keime, die Funken in
all unserm wahrhaftigen Leben! Das mißhandeln Sie, nennen es eine Last! Wie
sollte es wohl mit uns werden, wenn nicht immer „das Eigentliche" dahinter läge
oder jenseits! Wenn die Sonne ausbrennte, und kein Tag morgen wieder graute!
Und keine Hoffnung mit ihm geboren würde! Und wir mit dem fertig wären, was
ist und was geschieht — wenn wir keine Ziele hätten —

Es ist etwas andres für Sie und solche Menschen, die einen geistigen Beruf
haben, wie zum Beispiel die Wissenschaft —

Unsinn! Ganz einfach Blödsinn! Hier mühe ich mich zum Beispiel tagaus
tagein an der Schule ab. Wenn Sie meinen, daß das Wissenschaft ist, so irren Sie
jammervoll! Aber ich — wissen Sie, ich kann mir jetzt denken, daß Ihr Vater
nicht so fühlt und denkt—ja, so wie ich mir vorstelle, daß ein Mann denkt, der
ja im Grunde nicht das geworden ist, was er einmal werden wollte — nicht wahr?
Das darf ich doch von Ihrem Vater sagen?

Berry nickte.

Ja, denn es gibt tausend kleine Freuden, Hoffnungen, Ziele —geradezu Er¬
wartungen, die man mit den Knaben erleben kann, im Schulfach — mit —

Aber für Sie liegt es immer dahinter, bestimmt und klar, ich meine in Ihrem
Bewußtsein, daß Sie nach Ablauf eines Jahres hiermit abschließen werden und zu
etwas Größern, Höheren übergehn werden!

Der Mensch, der in sich den Glauben daran tötet, daß er zu etwas Größern
und Höheren übergehn wird, der diesen Glauben eine Last nennt, begeht eine schreck¬
liche Sünde, Fräulein Berry!

(Fortsetzung folgt)




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[0206] Oberlehrer Haut . Ja. Diese Last bedrückt mich und hat mich mein lebelang bedrückt. Und ich fürchte, daß ich sie nie wieder loswerden kann. Es ist nämlich kindisch, sich nie bei dem beruhigen zu können, was ist, sich stets in etwas hineinzuträumen, was nicht ist und niemals sein kann. Es ist keine Phantasterei oder so etwas, nichts schönes und feines wie etwa Träumereien oder Schwärmerei, sondern vielmehr eine Art Erwartung. Als ob alles, was ist, alles, was geschieht, nur etwas Vorläufiges sei, etwas Unwesentliches, nicht das Eigentliche. Das Eigentliche liegt dahinter und wartet. So ist es. > Ist das die Last, die Sie bedrückt? Ja, es ist nämlich etwas schreckliches. Denn es macht einen zu einem untüchtigen Menschen in dem Leben, in das man hineingesetzt ist. Man macht es niemand recht, am allerwenigsten sich selbst. Man wird mißvergnügt und undankbar und — gewissermaßen — anspruchsvoll! Es ist mir, als sähe ich ganz feine Gebilde, kleine Blütenknospen oder so etwas, feine, feine Keime in Ihnen selber, auf denen Sie jetzt herumtrampeln, und gegen die Sie schlecht sind. Was für Gebilde? Ihre Sehnsucht. Das Schönste, was wir haben, ja die Keime, die Funken in all unserm wahrhaftigen Leben! Das mißhandeln Sie, nennen es eine Last! Wie sollte es wohl mit uns werden, wenn nicht immer „das Eigentliche" dahinter läge oder jenseits! Wenn die Sonne ausbrennte, und kein Tag morgen wieder graute! Und keine Hoffnung mit ihm geboren würde! Und wir mit dem fertig wären, was ist und was geschieht — wenn wir keine Ziele hätten — Es ist etwas andres für Sie und solche Menschen, die einen geistigen Beruf haben, wie zum Beispiel die Wissenschaft — Unsinn! Ganz einfach Blödsinn! Hier mühe ich mich zum Beispiel tagaus tagein an der Schule ab. Wenn Sie meinen, daß das Wissenschaft ist, so irren Sie jammervoll! Aber ich — wissen Sie, ich kann mir jetzt denken, daß Ihr Vater nicht so fühlt und denkt—ja, so wie ich mir vorstelle, daß ein Mann denkt, der ja im Grunde nicht das geworden ist, was er einmal werden wollte — nicht wahr? Das darf ich doch von Ihrem Vater sagen? Berry nickte. Ja, denn es gibt tausend kleine Freuden, Hoffnungen, Ziele —geradezu Er¬ wartungen, die man mit den Knaben erleben kann, im Schulfach — mit — Aber für Sie liegt es immer dahinter, bestimmt und klar, ich meine in Ihrem Bewußtsein, daß Sie nach Ablauf eines Jahres hiermit abschließen werden und zu etwas Größern, Höheren übergehn werden! Der Mensch, der in sich den Glauben daran tötet, daß er zu etwas Größern und Höheren übergehn wird, der diesen Glauben eine Last nennt, begeht eine schreck¬ liche Sünde, Fräulein Berry! (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/206>, abgerufen am 22.07.2024.