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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Oberlehrer l^eint

Denken Sie nur, ich fiel ohnmächtig hin! Vor Angst und Schrecken! Die Katho¬
liken hatten es ein paar Tage zuvor aufgestellt, ohne daß irgend jemand etwas
davon gehört hatte. Und ich hatte es also nicht gesehen oder geahnt -- hier
oben, wo ich mich fast jeden Tag auf Schneeschuhen herumtrieb! Aber seither
hat immer ein besondres Verhältnis zwischen mir und dem Kreuz bestanden. Ich
liebe es!

Es steht hier als äußerster Vorposten nach dem Eismeer zu! Eine Grenzwache
zwischen der Welt der Dämonen und der Menschen! sagte Svend Bugge.

Und als Merkzeichen, daß wir uns an der äußersten Grenze der Menschheit
'befinden!

Svend Bugge erwiderte nichts. Er beobachtete sie von der Seite, wie sie mit
großen, dunkeln Augen neben ihm dahinschritt. Endlich sagte er: Sie sehnen sich
wohl nach Paris zurück, Fräulein Berry!

Ach nein, das tue ich wirklich nicht. Das ist so weit weg und so fern, daß
ich fast meine, es könne nie Wirklichkeit gewesen sein!

Jedenfalls sind Sie schlechter Laune!

Könnten Sie nicht von etwas anderm mit mir sprechen als von meinem alten
Weibergesicht?

Das möchte ich für mein Leben gern! Aber wenn Sie da neben mir her¬
gehn und elend aussehen und traurig und trübselig, dann kann ich es nicht lassen,
daran zu denken. Und Sie können doch nicht verlangen, daß ich von was anderm
reden soll, als woran ich denke!

Ich sollte doch meinen, daß die Leute das von einem verlangen!

Die Leute, ja! Sie und ich sind aber doch keine -- Leute!

Berry lachte laut.

Nun, lachen können Sie also doch noch! Es war ja ordentlich eine Wohltat,
das zu hören!

Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her.

Ich will Ihnen übrigens sagen, Fräulein Berry, daß es in der Regel sehr
dumm ist, nicht von dem zu reden, woran man denkt. Namentlich, wenn es etwas
ist, was uns bedrückt. Es hilft sicher nicht, von dem zu reden, woran man
nicht denkt!

Aber ich denke an nichts!

Ich sage es Ihnen gerade heraus, es ist mir furchtbar schmerzlich zu sehen,
daß Sie traurig sind. Warum können Sie nicht fröhlich und vergnügt sein! Das
paßt doch viel besser zu Ihnen!

Das glaube ich nicht! Es hat gewiß nie zu mir gepaßt, so recht fröhlich
und vergnügt zu sein.

Sie sollen mir nichts erzählen, was Sie gar nicht meinen.

Ich meine -- sagte sie sinnend und ging schweigend weiter. Ach ja, zuweilen
kann ich es wirklich meinen. Ich kann mir zum Beispiel denken, daß es schön sein
müsse, wieder so ein kleines Mädchen zu sein, so im Konfirmationsalter!

Daß Sie sich auf solchen Unsinn einlassen wollen! Auf den berühmten Unsinn
bon "den glücklichen Zeiten der Kindheit"! Keine Zeit ist so schlimm wie die
Kindheit!

Es ist aber "doch das Gute dabei, daß man wenigstens noch ein Kind ist
Und dann ist es doch nicht so eine Last, kindisch zu sein!

Ich glaube nicht, daß Sie gerade unter der Last leiden, Fräulein Berry!

Sie sah in tiefem Ernst zu ihm auf.


Grenzboten IV 1908 27
Oberlehrer l^eint

Denken Sie nur, ich fiel ohnmächtig hin! Vor Angst und Schrecken! Die Katho¬
liken hatten es ein paar Tage zuvor aufgestellt, ohne daß irgend jemand etwas
davon gehört hatte. Und ich hatte es also nicht gesehen oder geahnt — hier
oben, wo ich mich fast jeden Tag auf Schneeschuhen herumtrieb! Aber seither
hat immer ein besondres Verhältnis zwischen mir und dem Kreuz bestanden. Ich
liebe es!

Es steht hier als äußerster Vorposten nach dem Eismeer zu! Eine Grenzwache
zwischen der Welt der Dämonen und der Menschen! sagte Svend Bugge.

Und als Merkzeichen, daß wir uns an der äußersten Grenze der Menschheit
'befinden!

Svend Bugge erwiderte nichts. Er beobachtete sie von der Seite, wie sie mit
großen, dunkeln Augen neben ihm dahinschritt. Endlich sagte er: Sie sehnen sich
wohl nach Paris zurück, Fräulein Berry!

Ach nein, das tue ich wirklich nicht. Das ist so weit weg und so fern, daß
ich fast meine, es könne nie Wirklichkeit gewesen sein!

Jedenfalls sind Sie schlechter Laune!

Könnten Sie nicht von etwas anderm mit mir sprechen als von meinem alten
Weibergesicht?

Das möchte ich für mein Leben gern! Aber wenn Sie da neben mir her¬
gehn und elend aussehen und traurig und trübselig, dann kann ich es nicht lassen,
daran zu denken. Und Sie können doch nicht verlangen, daß ich von was anderm
reden soll, als woran ich denke!

Ich sollte doch meinen, daß die Leute das von einem verlangen!

Die Leute, ja! Sie und ich sind aber doch keine — Leute!

Berry lachte laut.

Nun, lachen können Sie also doch noch! Es war ja ordentlich eine Wohltat,
das zu hören!

Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her.

Ich will Ihnen übrigens sagen, Fräulein Berry, daß es in der Regel sehr
dumm ist, nicht von dem zu reden, woran man denkt. Namentlich, wenn es etwas
ist, was uns bedrückt. Es hilft sicher nicht, von dem zu reden, woran man
nicht denkt!

Aber ich denke an nichts!

Ich sage es Ihnen gerade heraus, es ist mir furchtbar schmerzlich zu sehen,
daß Sie traurig sind. Warum können Sie nicht fröhlich und vergnügt sein! Das
paßt doch viel besser zu Ihnen!

Das glaube ich nicht! Es hat gewiß nie zu mir gepaßt, so recht fröhlich
und vergnügt zu sein.

Sie sollen mir nichts erzählen, was Sie gar nicht meinen.

Ich meine — sagte sie sinnend und ging schweigend weiter. Ach ja, zuweilen
kann ich es wirklich meinen. Ich kann mir zum Beispiel denken, daß es schön sein
müsse, wieder so ein kleines Mädchen zu sein, so im Konfirmationsalter!

Daß Sie sich auf solchen Unsinn einlassen wollen! Auf den berühmten Unsinn
bon „den glücklichen Zeiten der Kindheit"! Keine Zeit ist so schlimm wie die
Kindheit!

Es ist aber »doch das Gute dabei, daß man wenigstens noch ein Kind ist
Und dann ist es doch nicht so eine Last, kindisch zu sein!

Ich glaube nicht, daß Sie gerade unter der Last leiden, Fräulein Berry!

Sie sah in tiefem Ernst zu ihm auf.


Grenzboten IV 1908 27
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[0205] Oberlehrer l^eint Denken Sie nur, ich fiel ohnmächtig hin! Vor Angst und Schrecken! Die Katho¬ liken hatten es ein paar Tage zuvor aufgestellt, ohne daß irgend jemand etwas davon gehört hatte. Und ich hatte es also nicht gesehen oder geahnt — hier oben, wo ich mich fast jeden Tag auf Schneeschuhen herumtrieb! Aber seither hat immer ein besondres Verhältnis zwischen mir und dem Kreuz bestanden. Ich liebe es! Es steht hier als äußerster Vorposten nach dem Eismeer zu! Eine Grenzwache zwischen der Welt der Dämonen und der Menschen! sagte Svend Bugge. Und als Merkzeichen, daß wir uns an der äußersten Grenze der Menschheit 'befinden! Svend Bugge erwiderte nichts. Er beobachtete sie von der Seite, wie sie mit großen, dunkeln Augen neben ihm dahinschritt. Endlich sagte er: Sie sehnen sich wohl nach Paris zurück, Fräulein Berry! Ach nein, das tue ich wirklich nicht. Das ist so weit weg und so fern, daß ich fast meine, es könne nie Wirklichkeit gewesen sein! Jedenfalls sind Sie schlechter Laune! Könnten Sie nicht von etwas anderm mit mir sprechen als von meinem alten Weibergesicht? Das möchte ich für mein Leben gern! Aber wenn Sie da neben mir her¬ gehn und elend aussehen und traurig und trübselig, dann kann ich es nicht lassen, daran zu denken. Und Sie können doch nicht verlangen, daß ich von was anderm reden soll, als woran ich denke! Ich sollte doch meinen, daß die Leute das von einem verlangen! Die Leute, ja! Sie und ich sind aber doch keine — Leute! Berry lachte laut. Nun, lachen können Sie also doch noch! Es war ja ordentlich eine Wohltat, das zu hören! Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. Ich will Ihnen übrigens sagen, Fräulein Berry, daß es in der Regel sehr dumm ist, nicht von dem zu reden, woran man denkt. Namentlich, wenn es etwas ist, was uns bedrückt. Es hilft sicher nicht, von dem zu reden, woran man nicht denkt! Aber ich denke an nichts! Ich sage es Ihnen gerade heraus, es ist mir furchtbar schmerzlich zu sehen, daß Sie traurig sind. Warum können Sie nicht fröhlich und vergnügt sein! Das paßt doch viel besser zu Ihnen! Das glaube ich nicht! Es hat gewiß nie zu mir gepaßt, so recht fröhlich und vergnügt zu sein. Sie sollen mir nichts erzählen, was Sie gar nicht meinen. Ich meine — sagte sie sinnend und ging schweigend weiter. Ach ja, zuweilen kann ich es wirklich meinen. Ich kann mir zum Beispiel denken, daß es schön sein müsse, wieder so ein kleines Mädchen zu sein, so im Konfirmationsalter! Daß Sie sich auf solchen Unsinn einlassen wollen! Auf den berühmten Unsinn bon „den glücklichen Zeiten der Kindheit"! Keine Zeit ist so schlimm wie die Kindheit! Es ist aber »doch das Gute dabei, daß man wenigstens noch ein Kind ist Und dann ist es doch nicht so eine Last, kindisch zu sein! Ich glaube nicht, daß Sie gerade unter der Last leiden, Fräulein Berry! Sie sah in tiefem Ernst zu ihm auf. Grenzboten IV 1908 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/205>, abgerufen am 22.07.2024.