Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.vo.5 Emporkommen Bonapartes mit wachsender Deutlichkeit, daß sich das Mißtrauen, das auf den Staatsstreich vo.5 Emporkommen Bonapartes mit wachsender Deutlichkeit, daß sich das Mißtrauen, das auf den Staatsstreich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0020" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/310431"/> <fw type="header" place="top"> vo.5 Emporkommen Bonapartes</fw><lb/> <p xml:id="ID_28" prev="#ID_27" next="#ID_29"> mit wachsender Deutlichkeit, daß sich das Mißtrauen, das auf den Staatsstreich<lb/> folgte, von Tag zu Tag mehr verlor, daß „der stolze Gang der Regierung,<lb/> ihre unparteiische Gerechtigkeit, ihre einfachen Sitten" die Leute gewannen;<lb/> man hörte im Arbeiterviertel Saint Antoine den Ruf: Es lebe Bonaparte!<lb/> es lebe die Negierung! „Trotz ihres augenblicklichen Elends, sagt Vcindal II,<lb/> S. 107, und des Fortbestehns ihrer Not empfinden diese Menschen von gallischem<lb/> Blut eine Freude, sich befehligt, angeführt und fest auf hohe Ziele hingelenkt<lb/> zu sehen." Wer, der die Jahre 1886 bis 1388 erlebt hat, denkt nicht an die<lb/> damalige vonIsmAs? Früher hatte man in Theorien und Systemen geschwelgt;<lb/> jetzt, wo der emanzipatorische Hauch, der durch das achtzehnte Jahrhundert<lb/> ging, tatsächlich zu dem Ziel geführt hatte, daß der Boden des Landes befreit<lb/> und die feudalen Lasten beseitigt waren, hatte er seine Zauberkraft über die<lb/> Gemüter eingebüßt; aber das Streben nach Ordnung bestand noch und war<lb/> dnrch die grausige Unordnung der Revolutionszeit noch stärker geworden.<lb/> Die zentralisierende Monarchie des g-iuzien rvMms hatte es nicht dahin gebracht,<lb/> volle Ordnung zu schaffen; ihre Verwaltung hatte sich auf die alte feudale,<lb/> gerichtliche, provinziale und kommunale Verwaltung aufgepfropft oder sich mit<lb/> ihr vermischt; daraus war eine unerhörte Verworrenheit entstanden. Bonaparte<lb/> erst schuf etwas neues: eine gebieterisch und stramm auftretende, aber<lb/> durchaus regelmäßige Verwaltung, die sich auf einfache, klare,<lb/> konsequente Gesetze gründete. So bestimmte das Gesetz vom 23. Pluviose<lb/> des Jahres VIII, daß in jedem Departement ein vom ersten Konsul ernannter<lb/> Präfekt sein solle, der allein mit der Verwaltung des Departements betraut<lb/> sei; in ihm gewinnt die Autorität einheitliche und individuelle Gestalt. An<lb/> seiner Seite steht dann ein (üonssil gönsial co ä6xg.rteinsQt>, dessen Glieder<lb/> wieder der erste Konsul aus den durch Wahl zustande gebrachten Listen der<lb/> Notabeln des Departements ernennt; die Wähler haben also nur indirekten<lb/> Einfluß auf die Gestaltung des Oonsöil, der sich alle Jahre vierzehn Tage ver¬<lb/> sammelt und vor allem die Aufgabe hat, einen großen und beständigen Wunsch<lb/> des französischen Volkes zu erfüllen, die Gleichheit und Regelmäßigkeit in der<lb/> Verteilung der Steuern. Ein andres Beispiel dieser neugestaltenden Tätigkeit<lb/> Napoleons ist der eoäe vivit, das bürgerliche Gesetzbuch, dessen wesentliche<lb/> Sätze über die väterliche Autorität, das Verfügungsrecht über die Güter, die<lb/> Ehescheidung, die Adoption von dem ersten Konsul selbst nach eindringendem<lb/> Studium früherer Gesetzgebungen und reiflichem Nachdenken formuliert wurden,<lb/> „mit so viel Verstand, sagt Cambaceres, daß ich ihm Beifall geben mußte".<lb/> Das Endergebnis ist, daß „Vonaparte der furchtbarste Despot wurde, den<lb/> Frankreich gekannt hat, aber ein Despot, der Ordnung schuf. Unter ihm gab<lb/> es eine schreckliche Willkür der Negierung, aber wenig Willkür in der Ver¬<lb/> waltung" (II, S. 198). „Die Franzosen ließen sich die erste leicht gefallen,<lb/> weil davon nur wenige betroffen wurden, unter der Voraussetzung — die<lb/> zutraf —, daß sie von der zweiten befreit wurden, die jedermann zu spüren</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0020]
vo.5 Emporkommen Bonapartes
mit wachsender Deutlichkeit, daß sich das Mißtrauen, das auf den Staatsstreich
folgte, von Tag zu Tag mehr verlor, daß „der stolze Gang der Regierung,
ihre unparteiische Gerechtigkeit, ihre einfachen Sitten" die Leute gewannen;
man hörte im Arbeiterviertel Saint Antoine den Ruf: Es lebe Bonaparte!
es lebe die Negierung! „Trotz ihres augenblicklichen Elends, sagt Vcindal II,
S. 107, und des Fortbestehns ihrer Not empfinden diese Menschen von gallischem
Blut eine Freude, sich befehligt, angeführt und fest auf hohe Ziele hingelenkt
zu sehen." Wer, der die Jahre 1886 bis 1388 erlebt hat, denkt nicht an die
damalige vonIsmAs? Früher hatte man in Theorien und Systemen geschwelgt;
jetzt, wo der emanzipatorische Hauch, der durch das achtzehnte Jahrhundert
ging, tatsächlich zu dem Ziel geführt hatte, daß der Boden des Landes befreit
und die feudalen Lasten beseitigt waren, hatte er seine Zauberkraft über die
Gemüter eingebüßt; aber das Streben nach Ordnung bestand noch und war
dnrch die grausige Unordnung der Revolutionszeit noch stärker geworden.
Die zentralisierende Monarchie des g-iuzien rvMms hatte es nicht dahin gebracht,
volle Ordnung zu schaffen; ihre Verwaltung hatte sich auf die alte feudale,
gerichtliche, provinziale und kommunale Verwaltung aufgepfropft oder sich mit
ihr vermischt; daraus war eine unerhörte Verworrenheit entstanden. Bonaparte
erst schuf etwas neues: eine gebieterisch und stramm auftretende, aber
durchaus regelmäßige Verwaltung, die sich auf einfache, klare,
konsequente Gesetze gründete. So bestimmte das Gesetz vom 23. Pluviose
des Jahres VIII, daß in jedem Departement ein vom ersten Konsul ernannter
Präfekt sein solle, der allein mit der Verwaltung des Departements betraut
sei; in ihm gewinnt die Autorität einheitliche und individuelle Gestalt. An
seiner Seite steht dann ein (üonssil gönsial co ä6xg.rteinsQt>, dessen Glieder
wieder der erste Konsul aus den durch Wahl zustande gebrachten Listen der
Notabeln des Departements ernennt; die Wähler haben also nur indirekten
Einfluß auf die Gestaltung des Oonsöil, der sich alle Jahre vierzehn Tage ver¬
sammelt und vor allem die Aufgabe hat, einen großen und beständigen Wunsch
des französischen Volkes zu erfüllen, die Gleichheit und Regelmäßigkeit in der
Verteilung der Steuern. Ein andres Beispiel dieser neugestaltenden Tätigkeit
Napoleons ist der eoäe vivit, das bürgerliche Gesetzbuch, dessen wesentliche
Sätze über die väterliche Autorität, das Verfügungsrecht über die Güter, die
Ehescheidung, die Adoption von dem ersten Konsul selbst nach eindringendem
Studium früherer Gesetzgebungen und reiflichem Nachdenken formuliert wurden,
„mit so viel Verstand, sagt Cambaceres, daß ich ihm Beifall geben mußte".
Das Endergebnis ist, daß „Vonaparte der furchtbarste Despot wurde, den
Frankreich gekannt hat, aber ein Despot, der Ordnung schuf. Unter ihm gab
es eine schreckliche Willkür der Negierung, aber wenig Willkür in der Ver¬
waltung" (II, S. 198). „Die Franzosen ließen sich die erste leicht gefallen,
weil davon nur wenige betroffen wurden, unter der Voraussetzung — die
zutraf —, daß sie von der zweiten befreit wurden, die jedermann zu spüren
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