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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Sächsische Ortsnamen

schlafen, daß seine Umgebung das Eingctretcnscin des Todes zunächst nicht
glauben wollte.

Soll dem vorgeführten Bilde durchaus eine Unterschrift gegeben werden,
so werde dazu das kurze Wort vorgeschlagen, das Goethe am 12. März 1832
in Gegenwart von Coudray, Müller und Eckermann beim Anschauen eines
von ihm ehedem gezeichneten, einen Sonnenuntergang darstellenden Bildes
geäußert hat: ^.,
Auch im Scheiden groß!


Theodor Vogel


sächsische Ortsnamen

eder, der sich im deutschen Vaterlande umgeschaut hat, wird die
auffällige Tatsache beobachtet haben, daß in gewissen Land¬
schaften gewisse Ortsnamen massenhaft auftreten, während wir sie
in andern Gauen nirgends oder kaum treffen. So ist es allgemein
bekannt, daß es in Südwestdeutschland, zumal in Schwaben,
geradezu wimmelt von Ortsnamen auf -lügen wie Göppingen,
Eßlingen, Reutlingen, Tübingen, denen auch die unzähligen -Weiler diesseits
und jenseits des Oberrheins den Rang nicht ablaufen. Wer Nordthüringen
und den anstoßenden Teil der Provinz Sachsen kennt, weiß, wie häufig dort
Ortsnamen mit der Endung -leben wie Aschersleben, Oschersleben, Eisleben
und Memleben sind, und wer im Rheinland und dem angrenzenden Westfalen
bewandert ist, dem werden dort die ungemein zahlreichen Namen auf -Scheit
(Nemscheid, Lttdenscheid) aufgefallen sein. Minder bekannt wird es sein, daß
das Grundwort Wang -- Flur, das zum Beispiel in Furtwangen (Schwarz¬
wald) vorliegt, nur bestimmten Teilen des Elsaß, Badens und Bayerns eigen
ist. So hat fast jeder deutsche Gau seine eigentümlichen Ortsnamen ausge¬
prägt, und nicht bloß Deutschland zeigt diese Erscheinung. In Südengland
bezeichnet man eine nach der See zu offne Schlucht als vbins. Obwohl es
nun solche Schluchten an der englischen Küste fast überall gibt, kennt man
das Wort vltimo nur im Süden, besonders in Hampshire (Bvscombe Chine)
und auf der Insel Wight (Shanklin Chine).

Ist es nun Zufall, daß solche eigentümliche Ortsnamen auf das Gebiet
einer bestimmten Mundart beschränkt sind, daß also die Namen mit -wang
ausschließlich auf alemannischem Boden vorkommen? Warum suchen wir sie
anderswo vergebens? Ganz einfach, weil das Wort wang nur der alemannischen
Mundart eigen gewesen ist.

An solchen Ortsnamen, die nicht Gemeingut Deutschlands, sondern auf
bestimmte Gaue beschränkt sind, ist nun auch im Königreich Sachsen kein
Mangel. Besonders eine Gegend ist merkwürdig, weil durch sie die Grenze
zwischen mehreren solchen Ortsnamenfamilien hindurchgeht: die Zwickcmer (des
Verfassers Heimat). Dicht nordwestlich vor der Stadt liegt das alte Dorf
Weißenborn, südwestlich aber das Rittergut Weißenbrunn. Nimmt man sich
uun die Mühe, auf einer genauen Karte sämtliche Ortsnamen auf -horn und
auf -brunn anzumerken, so findet man die auf -brunn (bis auf die paar in


Sächsische Ortsnamen

schlafen, daß seine Umgebung das Eingctretcnscin des Todes zunächst nicht
glauben wollte.

Soll dem vorgeführten Bilde durchaus eine Unterschrift gegeben werden,
so werde dazu das kurze Wort vorgeschlagen, das Goethe am 12. März 1832
in Gegenwart von Coudray, Müller und Eckermann beim Anschauen eines
von ihm ehedem gezeichneten, einen Sonnenuntergang darstellenden Bildes
geäußert hat: ^.,
Auch im Scheiden groß!


Theodor Vogel


sächsische Ortsnamen

eder, der sich im deutschen Vaterlande umgeschaut hat, wird die
auffällige Tatsache beobachtet haben, daß in gewissen Land¬
schaften gewisse Ortsnamen massenhaft auftreten, während wir sie
in andern Gauen nirgends oder kaum treffen. So ist es allgemein
bekannt, daß es in Südwestdeutschland, zumal in Schwaben,
geradezu wimmelt von Ortsnamen auf -lügen wie Göppingen,
Eßlingen, Reutlingen, Tübingen, denen auch die unzähligen -Weiler diesseits
und jenseits des Oberrheins den Rang nicht ablaufen. Wer Nordthüringen
und den anstoßenden Teil der Provinz Sachsen kennt, weiß, wie häufig dort
Ortsnamen mit der Endung -leben wie Aschersleben, Oschersleben, Eisleben
und Memleben sind, und wer im Rheinland und dem angrenzenden Westfalen
bewandert ist, dem werden dort die ungemein zahlreichen Namen auf -Scheit
(Nemscheid, Lttdenscheid) aufgefallen sein. Minder bekannt wird es sein, daß
das Grundwort Wang — Flur, das zum Beispiel in Furtwangen (Schwarz¬
wald) vorliegt, nur bestimmten Teilen des Elsaß, Badens und Bayerns eigen
ist. So hat fast jeder deutsche Gau seine eigentümlichen Ortsnamen ausge¬
prägt, und nicht bloß Deutschland zeigt diese Erscheinung. In Südengland
bezeichnet man eine nach der See zu offne Schlucht als vbins. Obwohl es
nun solche Schluchten an der englischen Küste fast überall gibt, kennt man
das Wort vltimo nur im Süden, besonders in Hampshire (Bvscombe Chine)
und auf der Insel Wight (Shanklin Chine).

Ist es nun Zufall, daß solche eigentümliche Ortsnamen auf das Gebiet
einer bestimmten Mundart beschränkt sind, daß also die Namen mit -wang
ausschließlich auf alemannischem Boden vorkommen? Warum suchen wir sie
anderswo vergebens? Ganz einfach, weil das Wort wang nur der alemannischen
Mundart eigen gewesen ist.

An solchen Ortsnamen, die nicht Gemeingut Deutschlands, sondern auf
bestimmte Gaue beschränkt sind, ist nun auch im Königreich Sachsen kein
Mangel. Besonders eine Gegend ist merkwürdig, weil durch sie die Grenze
zwischen mehreren solchen Ortsnamenfamilien hindurchgeht: die Zwickcmer (des
Verfassers Heimat). Dicht nordwestlich vor der Stadt liegt das alte Dorf
Weißenborn, südwestlich aber das Rittergut Weißenbrunn. Nimmt man sich
uun die Mühe, auf einer genauen Karte sämtliche Ortsnamen auf -horn und
auf -brunn anzumerken, so findet man die auf -brunn (bis auf die paar in


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[0191] Sächsische Ortsnamen schlafen, daß seine Umgebung das Eingctretcnscin des Todes zunächst nicht glauben wollte. Soll dem vorgeführten Bilde durchaus eine Unterschrift gegeben werden, so werde dazu das kurze Wort vorgeschlagen, das Goethe am 12. März 1832 in Gegenwart von Coudray, Müller und Eckermann beim Anschauen eines von ihm ehedem gezeichneten, einen Sonnenuntergang darstellenden Bildes geäußert hat: ^., Auch im Scheiden groß! Theodor Vogel sächsische Ortsnamen eder, der sich im deutschen Vaterlande umgeschaut hat, wird die auffällige Tatsache beobachtet haben, daß in gewissen Land¬ schaften gewisse Ortsnamen massenhaft auftreten, während wir sie in andern Gauen nirgends oder kaum treffen. So ist es allgemein bekannt, daß es in Südwestdeutschland, zumal in Schwaben, geradezu wimmelt von Ortsnamen auf -lügen wie Göppingen, Eßlingen, Reutlingen, Tübingen, denen auch die unzähligen -Weiler diesseits und jenseits des Oberrheins den Rang nicht ablaufen. Wer Nordthüringen und den anstoßenden Teil der Provinz Sachsen kennt, weiß, wie häufig dort Ortsnamen mit der Endung -leben wie Aschersleben, Oschersleben, Eisleben und Memleben sind, und wer im Rheinland und dem angrenzenden Westfalen bewandert ist, dem werden dort die ungemein zahlreichen Namen auf -Scheit (Nemscheid, Lttdenscheid) aufgefallen sein. Minder bekannt wird es sein, daß das Grundwort Wang — Flur, das zum Beispiel in Furtwangen (Schwarz¬ wald) vorliegt, nur bestimmten Teilen des Elsaß, Badens und Bayerns eigen ist. So hat fast jeder deutsche Gau seine eigentümlichen Ortsnamen ausge¬ prägt, und nicht bloß Deutschland zeigt diese Erscheinung. In Südengland bezeichnet man eine nach der See zu offne Schlucht als vbins. Obwohl es nun solche Schluchten an der englischen Küste fast überall gibt, kennt man das Wort vltimo nur im Süden, besonders in Hampshire (Bvscombe Chine) und auf der Insel Wight (Shanklin Chine). Ist es nun Zufall, daß solche eigentümliche Ortsnamen auf das Gebiet einer bestimmten Mundart beschränkt sind, daß also die Namen mit -wang ausschließlich auf alemannischem Boden vorkommen? Warum suchen wir sie anderswo vergebens? Ganz einfach, weil das Wort wang nur der alemannischen Mundart eigen gewesen ist. An solchen Ortsnamen, die nicht Gemeingut Deutschlands, sondern auf bestimmte Gaue beschränkt sind, ist nun auch im Königreich Sachsen kein Mangel. Besonders eine Gegend ist merkwürdig, weil durch sie die Grenze zwischen mehreren solchen Ortsnamenfamilien hindurchgeht: die Zwickcmer (des Verfassers Heimat). Dicht nordwestlich vor der Stadt liegt das alte Dorf Weißenborn, südwestlich aber das Rittergut Weißenbrunn. Nimmt man sich uun die Mühe, auf einer genauen Karte sämtliche Ortsnamen auf -horn und auf -brunn anzumerken, so findet man die auf -brunn (bis auf die paar in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/191>, abgerufen am 22.07.2024.