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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Goethes letztes Lebensjahr

War der Faust das "Hauptgeschäft" auch 1831 geblieben, so war das
zweitgrößte literarische Anliegen des Dichters, auch für seine naturwissen¬
schaftlichen Forschungen und Arbeiten noch befriedigendere Abschlüsse zu
erzielen.

In hohem Grade bewundernswürdig ist sicher die Unbeirrbarkeit und
Selbständigkeit, mit der der Greis Goethe dies zu erreichen sucht. Das
Studium einzelner naturwissenschaftlicher Werke und Aufsätze in Zeitschriften
wird auch für 1831 bezeugt. In der Hauptsache hält sich Goethe aber an
das von ihm selbst Wahrgenommne, Untersuchte und an die Folgerungen, die
sich ihm aus frühern eignen Forschungen ergeben haben, von der Autorität
keines wenn auch noch so berühmten Naturforschers der Vergangenheit oder
Gegenwart dabei beirrt. Am wenigsten war es aber im höhern Alter seine
Art, ehe er sich mit einer Ansicht herauswagte, erst bei namhaften Fach-
Professoren hernmzufrcigen. In jüngern Jahren hatte er vielfach Belehrung
und Beirat bei akademischen Vertretern naturwissenschaftlicher Fächer gesucht;
nach und nach hat er, gekränkt durch viele verständnislose, ja entschieden
übelwollende Kundgebungen gegen ihn als Naturforscher aus jenen Kreisen,
seinen Verkehr mit naturwissenschaftlichen Fachmännern auf einen engen Kreis
ihm Wohlgesinnter beschränkt. Im Jahre 1831 wechselt er wohl einzelne
Briefe mit Cuvier und Se. Hilaire (Paris). Loder (Moskau). Nees von Esen-
beck (Breslau) und audern Naturforschern, seine Hauptanliegen auf diesem Ge¬
biete trägt er aber lieber seinen Carus, Grüner, Henning, Schnitz und Stern¬
berg, ja seinen Eckermann und Zelter vor. Sein Hauptgenosse und Vertrauter
für Botanik, Zoologie und Mineralogie ist aber seit Jahren der junge Hof¬
meister des Erbprinzen, Soret.

Dieser hatte durch sein im Mai 1828 ausgesprochnes Vorhaben, den
"Versuch über die Metamorphose der Pflanze von 1790" ins Französische zu
übersetzen, den Dichter veranlaßt, jene alte Arbeit wieder vorzunehmen, zu
ergänzen und teilweise umzugestalten. Im Juli 1830 war der Druck im
Gange, rückte aber nur mit Stockungen vorwärts. Im März 1831 berichtet
das Tagebuch fast von täglichen Unterhaltungen mit Soret über Botcmica.
Vornehmlich handelte es sich um eine geplante Zugabe zur Mctamorphosen-
lehre "über die Spiraltendenz der Vegetation". Seit Oktober 1829 hatte die
Arbeit an dieser den Dichter vielfach beschäftigt; nach dem Abschlüsse am
31. März 1831 wurde bis zum Juni, in dem der Druck erfolgte, noch
mancherlei gebessert und nachgetragen. Auch das genügte dem Zweiundachtzig¬
jährigen noch nicht. Er macht in den folgenden Monaten noch weitere ein¬
schlagende Beobachtungen, die er niederschreibe, und Auszüge aus Schriften;
die letzte Notiz über diese Nachträge verzeichnet das Tagebuch unter dem
25. November (siehe Werke von Heinemann 29, 465). Im Druck erschien
diese zweite Bearbeitung der Abhandlung über die Spiraltendenz in Band 55
der nachgelassenen Werke.


Goethes letztes Lebensjahr

War der Faust das „Hauptgeschäft" auch 1831 geblieben, so war das
zweitgrößte literarische Anliegen des Dichters, auch für seine naturwissen¬
schaftlichen Forschungen und Arbeiten noch befriedigendere Abschlüsse zu
erzielen.

In hohem Grade bewundernswürdig ist sicher die Unbeirrbarkeit und
Selbständigkeit, mit der der Greis Goethe dies zu erreichen sucht. Das
Studium einzelner naturwissenschaftlicher Werke und Aufsätze in Zeitschriften
wird auch für 1831 bezeugt. In der Hauptsache hält sich Goethe aber an
das von ihm selbst Wahrgenommne, Untersuchte und an die Folgerungen, die
sich ihm aus frühern eignen Forschungen ergeben haben, von der Autorität
keines wenn auch noch so berühmten Naturforschers der Vergangenheit oder
Gegenwart dabei beirrt. Am wenigsten war es aber im höhern Alter seine
Art, ehe er sich mit einer Ansicht herauswagte, erst bei namhaften Fach-
Professoren hernmzufrcigen. In jüngern Jahren hatte er vielfach Belehrung
und Beirat bei akademischen Vertretern naturwissenschaftlicher Fächer gesucht;
nach und nach hat er, gekränkt durch viele verständnislose, ja entschieden
übelwollende Kundgebungen gegen ihn als Naturforscher aus jenen Kreisen,
seinen Verkehr mit naturwissenschaftlichen Fachmännern auf einen engen Kreis
ihm Wohlgesinnter beschränkt. Im Jahre 1831 wechselt er wohl einzelne
Briefe mit Cuvier und Se. Hilaire (Paris). Loder (Moskau). Nees von Esen-
beck (Breslau) und audern Naturforschern, seine Hauptanliegen auf diesem Ge¬
biete trägt er aber lieber seinen Carus, Grüner, Henning, Schnitz und Stern¬
berg, ja seinen Eckermann und Zelter vor. Sein Hauptgenosse und Vertrauter
für Botanik, Zoologie und Mineralogie ist aber seit Jahren der junge Hof¬
meister des Erbprinzen, Soret.

Dieser hatte durch sein im Mai 1828 ausgesprochnes Vorhaben, den
»Versuch über die Metamorphose der Pflanze von 1790" ins Französische zu
übersetzen, den Dichter veranlaßt, jene alte Arbeit wieder vorzunehmen, zu
ergänzen und teilweise umzugestalten. Im Juli 1830 war der Druck im
Gange, rückte aber nur mit Stockungen vorwärts. Im März 1831 berichtet
das Tagebuch fast von täglichen Unterhaltungen mit Soret über Botcmica.
Vornehmlich handelte es sich um eine geplante Zugabe zur Mctamorphosen-
lehre „über die Spiraltendenz der Vegetation". Seit Oktober 1829 hatte die
Arbeit an dieser den Dichter vielfach beschäftigt; nach dem Abschlüsse am
31. März 1831 wurde bis zum Juni, in dem der Druck erfolgte, noch
mancherlei gebessert und nachgetragen. Auch das genügte dem Zweiundachtzig¬
jährigen noch nicht. Er macht in den folgenden Monaten noch weitere ein¬
schlagende Beobachtungen, die er niederschreibe, und Auszüge aus Schriften;
die letzte Notiz über diese Nachträge verzeichnet das Tagebuch unter dem
25. November (siehe Werke von Heinemann 29, 465). Im Druck erschien
diese zweite Bearbeitung der Abhandlung über die Spiraltendenz in Band 55
der nachgelassenen Werke.


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[0187] Goethes letztes Lebensjahr War der Faust das „Hauptgeschäft" auch 1831 geblieben, so war das zweitgrößte literarische Anliegen des Dichters, auch für seine naturwissen¬ schaftlichen Forschungen und Arbeiten noch befriedigendere Abschlüsse zu erzielen. In hohem Grade bewundernswürdig ist sicher die Unbeirrbarkeit und Selbständigkeit, mit der der Greis Goethe dies zu erreichen sucht. Das Studium einzelner naturwissenschaftlicher Werke und Aufsätze in Zeitschriften wird auch für 1831 bezeugt. In der Hauptsache hält sich Goethe aber an das von ihm selbst Wahrgenommne, Untersuchte und an die Folgerungen, die sich ihm aus frühern eignen Forschungen ergeben haben, von der Autorität keines wenn auch noch so berühmten Naturforschers der Vergangenheit oder Gegenwart dabei beirrt. Am wenigsten war es aber im höhern Alter seine Art, ehe er sich mit einer Ansicht herauswagte, erst bei namhaften Fach- Professoren hernmzufrcigen. In jüngern Jahren hatte er vielfach Belehrung und Beirat bei akademischen Vertretern naturwissenschaftlicher Fächer gesucht; nach und nach hat er, gekränkt durch viele verständnislose, ja entschieden übelwollende Kundgebungen gegen ihn als Naturforscher aus jenen Kreisen, seinen Verkehr mit naturwissenschaftlichen Fachmännern auf einen engen Kreis ihm Wohlgesinnter beschränkt. Im Jahre 1831 wechselt er wohl einzelne Briefe mit Cuvier und Se. Hilaire (Paris). Loder (Moskau). Nees von Esen- beck (Breslau) und audern Naturforschern, seine Hauptanliegen auf diesem Ge¬ biete trägt er aber lieber seinen Carus, Grüner, Henning, Schnitz und Stern¬ berg, ja seinen Eckermann und Zelter vor. Sein Hauptgenosse und Vertrauter für Botanik, Zoologie und Mineralogie ist aber seit Jahren der junge Hof¬ meister des Erbprinzen, Soret. Dieser hatte durch sein im Mai 1828 ausgesprochnes Vorhaben, den »Versuch über die Metamorphose der Pflanze von 1790" ins Französische zu übersetzen, den Dichter veranlaßt, jene alte Arbeit wieder vorzunehmen, zu ergänzen und teilweise umzugestalten. Im Juli 1830 war der Druck im Gange, rückte aber nur mit Stockungen vorwärts. Im März 1831 berichtet das Tagebuch fast von täglichen Unterhaltungen mit Soret über Botcmica. Vornehmlich handelte es sich um eine geplante Zugabe zur Mctamorphosen- lehre „über die Spiraltendenz der Vegetation". Seit Oktober 1829 hatte die Arbeit an dieser den Dichter vielfach beschäftigt; nach dem Abschlüsse am 31. März 1831 wurde bis zum Juni, in dem der Druck erfolgte, noch mancherlei gebessert und nachgetragen. Auch das genügte dem Zweiundachtzig¬ jährigen noch nicht. Er macht in den folgenden Monaten noch weitere ein¬ schlagende Beobachtungen, die er niederschreibe, und Auszüge aus Schriften; die letzte Notiz über diese Nachträge verzeichnet das Tagebuch unter dem 25. November (siehe Werke von Heinemann 29, 465). Im Druck erschien diese zweite Bearbeitung der Abhandlung über die Spiraltendenz in Band 55 der nachgelassenen Werke.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/187>, abgerufen am 22.07.2024.