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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Bulgarien und die Türkei

Projekt nur teilweise durch noch unfertige Befestigungsbauten bei Adrianopel,
Kirk-Kilise, an der Cataldschalinie und den Dardanellen ausgeführt worden.

Adrianopel ist ein verschanztes Lager von 35 Kilometern Umfang mit
zahlreichen nicht armierten Erdwerken aus runden oder fünfseitigen Redouten.

Ende Mai dieses Jahres war im Auftrage des Sultans eine Kommission
aus einer Anzahl höherer Offiziere des Heeres und der Marine gebildet
worden unter dem Vorsitz des Vizeadmirals erster Klasse und Kommandanten
der kaiserlichen Marineschule in Haiti, Husni Pascha, mit dem Auftrage, nach
dem Schwarzen Meere zu fahren und sich hier das Küstengebiet des Wilajets
Adrianopel mit Rücksicht auf die Anlage von Befestigungen anzusehen. Ähnliche
Studien waren in derselben Gegend schon vor dem letzten russisch-türkischen
Kriege gemacht worden, jedoch ohne Resultat.

Kirk-Kilise besteht aus drei permanenten Werken.

Die Cataldschalinie ist eine etwa 40 Kilometer westlich vom Bosporus
zwischen dem Schwarzen und dem Ägäischen Meer liegende Bachniederung,
an deren Flügeln zunächst den Meeresküsten Seen liegen. Diese etwa
25 Kilometer lange Linie ist durch siebenundzwanzig alte und zwei neuere
Erdwerke befestigt. An der Landseite von Konstantinopel bestehn mehrere ver-
fallne Erdwerke und eine baufällige Ringmauer.

Die Seesperre Bosporus besteht aus mehrern alten und neuern
Werken an beiden Küsten im Innern der Meerenge. Die Linie der neuern,
gegen die Landseite nicht verteidigungsfähigen Werke, die aus Batterien aus
Erde bestehn, ist nur 4,5 Kilometer lang -- moderne Kriegsschiffe durchlaufen
diese Entfernung in kaum zehn Minuten --, die alten Werke sind fast wert¬
lose Stein- oder Erdbauten. Die Anwendung von Torpedos, Unterseebooten
und Seculum wird durch die starke Strömung wesentlich behindert. Zunächst
der Nordausfahrt liegen an der Küste des Schwarzen Meeres einige alte
Werke, die das Hervorbrechen der Flotte aus der Meerenge jedoch kaum zu
schützen vermögen.

Die Seesperre der Dardanellen besteht meist aus neuern Erd¬
batterien. Seculum sind -- die Straße ist mehr als doppelt so breit als
der Bosporus -- hier wegen unverminderter Strömung leichter anwendbar.

Die Linie von Bulair besteht aus einer Reihe von alten, teils ver-
fallnen Werken quer über den nördlichen schmalsten Teil der Halbinsel Galli-
Poli, die den Verteidiger der Dardanellensperren gegen eine Landung im Golf
von Saros schützen sollen.

Die geringe finanzielle Spannkraft der Balkanstaaten beschränkt ihre Vor¬
sorgen für den Kriegsfall auf ti? Organisierung und Ausrüstung der mobilen
Streitkräfte; kostspielige Befestigungsbauten scheinen deshalb ausgeschlossen.
Man begnügt sich, die während früherer Kriege errichteten Bauten, die meist
dem Drange des Augenblicks entsprungen sind und darum sehr flüchtigen
Charakter tragen, zu modernisieren oder überhaupt im Bauzustande zu er-


Grenzboten IV 1908 24
Bulgarien und die Türkei

Projekt nur teilweise durch noch unfertige Befestigungsbauten bei Adrianopel,
Kirk-Kilise, an der Cataldschalinie und den Dardanellen ausgeführt worden.

Adrianopel ist ein verschanztes Lager von 35 Kilometern Umfang mit
zahlreichen nicht armierten Erdwerken aus runden oder fünfseitigen Redouten.

Ende Mai dieses Jahres war im Auftrage des Sultans eine Kommission
aus einer Anzahl höherer Offiziere des Heeres und der Marine gebildet
worden unter dem Vorsitz des Vizeadmirals erster Klasse und Kommandanten
der kaiserlichen Marineschule in Haiti, Husni Pascha, mit dem Auftrage, nach
dem Schwarzen Meere zu fahren und sich hier das Küstengebiet des Wilajets
Adrianopel mit Rücksicht auf die Anlage von Befestigungen anzusehen. Ähnliche
Studien waren in derselben Gegend schon vor dem letzten russisch-türkischen
Kriege gemacht worden, jedoch ohne Resultat.

Kirk-Kilise besteht aus drei permanenten Werken.

Die Cataldschalinie ist eine etwa 40 Kilometer westlich vom Bosporus
zwischen dem Schwarzen und dem Ägäischen Meer liegende Bachniederung,
an deren Flügeln zunächst den Meeresküsten Seen liegen. Diese etwa
25 Kilometer lange Linie ist durch siebenundzwanzig alte und zwei neuere
Erdwerke befestigt. An der Landseite von Konstantinopel bestehn mehrere ver-
fallne Erdwerke und eine baufällige Ringmauer.

Die Seesperre Bosporus besteht aus mehrern alten und neuern
Werken an beiden Küsten im Innern der Meerenge. Die Linie der neuern,
gegen die Landseite nicht verteidigungsfähigen Werke, die aus Batterien aus
Erde bestehn, ist nur 4,5 Kilometer lang — moderne Kriegsschiffe durchlaufen
diese Entfernung in kaum zehn Minuten —, die alten Werke sind fast wert¬
lose Stein- oder Erdbauten. Die Anwendung von Torpedos, Unterseebooten
und Seculum wird durch die starke Strömung wesentlich behindert. Zunächst
der Nordausfahrt liegen an der Küste des Schwarzen Meeres einige alte
Werke, die das Hervorbrechen der Flotte aus der Meerenge jedoch kaum zu
schützen vermögen.

Die Seesperre der Dardanellen besteht meist aus neuern Erd¬
batterien. Seculum sind — die Straße ist mehr als doppelt so breit als
der Bosporus — hier wegen unverminderter Strömung leichter anwendbar.

Die Linie von Bulair besteht aus einer Reihe von alten, teils ver-
fallnen Werken quer über den nördlichen schmalsten Teil der Halbinsel Galli-
Poli, die den Verteidiger der Dardanellensperren gegen eine Landung im Golf
von Saros schützen sollen.

Die geringe finanzielle Spannkraft der Balkanstaaten beschränkt ihre Vor¬
sorgen für den Kriegsfall auf ti? Organisierung und Ausrüstung der mobilen
Streitkräfte; kostspielige Befestigungsbauten scheinen deshalb ausgeschlossen.
Man begnügt sich, die während früherer Kriege errichteten Bauten, die meist
dem Drange des Augenblicks entsprungen sind und darum sehr flüchtigen
Charakter tragen, zu modernisieren oder überhaupt im Bauzustande zu er-


Grenzboten IV 1908 24
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[0181] Bulgarien und die Türkei Projekt nur teilweise durch noch unfertige Befestigungsbauten bei Adrianopel, Kirk-Kilise, an der Cataldschalinie und den Dardanellen ausgeführt worden. Adrianopel ist ein verschanztes Lager von 35 Kilometern Umfang mit zahlreichen nicht armierten Erdwerken aus runden oder fünfseitigen Redouten. Ende Mai dieses Jahres war im Auftrage des Sultans eine Kommission aus einer Anzahl höherer Offiziere des Heeres und der Marine gebildet worden unter dem Vorsitz des Vizeadmirals erster Klasse und Kommandanten der kaiserlichen Marineschule in Haiti, Husni Pascha, mit dem Auftrage, nach dem Schwarzen Meere zu fahren und sich hier das Küstengebiet des Wilajets Adrianopel mit Rücksicht auf die Anlage von Befestigungen anzusehen. Ähnliche Studien waren in derselben Gegend schon vor dem letzten russisch-türkischen Kriege gemacht worden, jedoch ohne Resultat. Kirk-Kilise besteht aus drei permanenten Werken. Die Cataldschalinie ist eine etwa 40 Kilometer westlich vom Bosporus zwischen dem Schwarzen und dem Ägäischen Meer liegende Bachniederung, an deren Flügeln zunächst den Meeresküsten Seen liegen. Diese etwa 25 Kilometer lange Linie ist durch siebenundzwanzig alte und zwei neuere Erdwerke befestigt. An der Landseite von Konstantinopel bestehn mehrere ver- fallne Erdwerke und eine baufällige Ringmauer. Die Seesperre Bosporus besteht aus mehrern alten und neuern Werken an beiden Küsten im Innern der Meerenge. Die Linie der neuern, gegen die Landseite nicht verteidigungsfähigen Werke, die aus Batterien aus Erde bestehn, ist nur 4,5 Kilometer lang — moderne Kriegsschiffe durchlaufen diese Entfernung in kaum zehn Minuten —, die alten Werke sind fast wert¬ lose Stein- oder Erdbauten. Die Anwendung von Torpedos, Unterseebooten und Seculum wird durch die starke Strömung wesentlich behindert. Zunächst der Nordausfahrt liegen an der Küste des Schwarzen Meeres einige alte Werke, die das Hervorbrechen der Flotte aus der Meerenge jedoch kaum zu schützen vermögen. Die Seesperre der Dardanellen besteht meist aus neuern Erd¬ batterien. Seculum sind — die Straße ist mehr als doppelt so breit als der Bosporus — hier wegen unverminderter Strömung leichter anwendbar. Die Linie von Bulair besteht aus einer Reihe von alten, teils ver- fallnen Werken quer über den nördlichen schmalsten Teil der Halbinsel Galli- Poli, die den Verteidiger der Dardanellensperren gegen eine Landung im Golf von Saros schützen sollen. Die geringe finanzielle Spannkraft der Balkanstaaten beschränkt ihre Vor¬ sorgen für den Kriegsfall auf ti? Organisierung und Ausrüstung der mobilen Streitkräfte; kostspielige Befestigungsbauten scheinen deshalb ausgeschlossen. Man begnügt sich, die während früherer Kriege errichteten Bauten, die meist dem Drange des Augenblicks entsprungen sind und darum sehr flüchtigen Charakter tragen, zu modernisieren oder überhaupt im Bauzustande zu er- Grenzboten IV 1908 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/181>, abgerufen am 22.07.2024.