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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Bulgarien und die Türkei

Munition lösen. Die Schwierigkeiten, schwerere Kaliber, als es die Gebirgs-
geschütze sind, zur Verwendung zu bringen, sind in den genannten Räumen
sehr groß; doch zeigen historische Beispiele, daß es nicht zur Unmöglichkeit
gehört, auch schwere Geschütze auf diesen Wegen und über die schwierigen Ge¬
birgspässe hinüberzuschaffen. So drang der serbische Jnsurgentenführer Petrovitsch
1809 mit 10000 Mann und 10 fahrenden Geschützen über Sjenica, Novcwarosch,
Suhndol, Bjelopolje, Kolcischin nach Kukutinci vor, um sich hier mit den Monte¬
negrinern, die über die fahrende Artillerie der Serben sehr erstaunt gewesen
sein sollen, zu vereinigen. Im türkisch-montenegrinischen Kriege 1876 bis 1878
transportierten beide Teile wiederholt Feldgeschütze, allerdings meist nur in
zerlegten Zustande und mit großem Aufwande an Zeit. Wenn sich die Gegner
der Türkei in einem Kriege mit dieser nicht auf die Verwendung von Gebirgs¬
artillerie beschränken, sondern auch schwerere Kaliber zur Anwendung bringen
werden, müßte die Türkei an den bestehenden Befestigungen größere Moderni¬
sierungen vornehmen, wenn sie den ihnen zugedachten Zwecken genügen sollen.
In ihrem jetzigen Zustande würden sie einer länger dauernden Beschießung aus
Feldgeschützen nicht standzuhalten vermögen. Für den Schutz der für den
Antransport von Truppen wichtigen Bahn bestehn, wiewohl sich daran zahl¬
reiche empfindliche, sich zur Zerstörung eignende Objekte befinden, nur un¬
genügende Vorkehrungen; gesperrt sind die Engpässe von Demirkapu und Kresua
durch mehrere altartige Befestigungen. Die Vardartallinie hat zahlreiche kleine
Tunnels (20 bis 300 Meter lang), überdies sehr viele Brücken mehr als
zwanzig Meter lang, zum Teil noch auf Holzjochen; ihre Leistungsfähigkeit
dürfte mit etwa fünf bis zehn sechzigachsigen Zügen pro Tag anzunehmen sein.
Die geringe Leistungsfähigkeit der wichtigen Strecke und der dadurch verursachte
schleppende Verlauf des Aufmarsches in die Zentralbecken wie die lange Dauer
der Herauschaffuug von Kriegsmaterial lassen eine stärkere Befestigung der
Armeeversammlungsrüume im Wilajet Kossowo und Nordmazedonien erwünscht
erscheinen, um so mehr, als die dort schon dislozierten türkischen Truppen um¬
fassenden Angriffen ausgesetzt und infolge der schlechten Beschaffenheit der Ver¬
bindungen mit dem Hinterkante mehr oder weniger isoliert sind.

Saloniki ist ein sehr wichtiges Handelszentrum und ein großer Kommuni¬
kationsknoten; von hier aus führen in den Tälern des Vardar, der Struma
und gegen Albanien hin gute Straßenverbindungen und mehrere Bahnen.
Saloniki kann darum nicht nur zum Ausgangspunkt für Operationen nach
Mazedonien und Albanien, sondern auch zum Ziele einer von diesen Gebieten
ausgehenden Operation werden, hat somit eine große Bedeutung. Es zählt
etwa 130000 Einwohner, hat mehrere Dampfmühlen und reiche Hilfsquellen.
Der Hafen, neu erbaut, hat etwa 600 Meter nutzbare Quailäuge und auch
für große Schiffe genügende Tiefe; er bietet zwar eine brauchbare Reede mit
gutem Ankergrund, jedoch nur für wenig Schiffe Raum und ist gegen Süd¬
winde nicht hinreichend geschützt. Im Jahre 1897 wurden nach Ausbruch des


Bulgarien und die Türkei

Munition lösen. Die Schwierigkeiten, schwerere Kaliber, als es die Gebirgs-
geschütze sind, zur Verwendung zu bringen, sind in den genannten Räumen
sehr groß; doch zeigen historische Beispiele, daß es nicht zur Unmöglichkeit
gehört, auch schwere Geschütze auf diesen Wegen und über die schwierigen Ge¬
birgspässe hinüberzuschaffen. So drang der serbische Jnsurgentenführer Petrovitsch
1809 mit 10000 Mann und 10 fahrenden Geschützen über Sjenica, Novcwarosch,
Suhndol, Bjelopolje, Kolcischin nach Kukutinci vor, um sich hier mit den Monte¬
negrinern, die über die fahrende Artillerie der Serben sehr erstaunt gewesen
sein sollen, zu vereinigen. Im türkisch-montenegrinischen Kriege 1876 bis 1878
transportierten beide Teile wiederholt Feldgeschütze, allerdings meist nur in
zerlegten Zustande und mit großem Aufwande an Zeit. Wenn sich die Gegner
der Türkei in einem Kriege mit dieser nicht auf die Verwendung von Gebirgs¬
artillerie beschränken, sondern auch schwerere Kaliber zur Anwendung bringen
werden, müßte die Türkei an den bestehenden Befestigungen größere Moderni¬
sierungen vornehmen, wenn sie den ihnen zugedachten Zwecken genügen sollen.
In ihrem jetzigen Zustande würden sie einer länger dauernden Beschießung aus
Feldgeschützen nicht standzuhalten vermögen. Für den Schutz der für den
Antransport von Truppen wichtigen Bahn bestehn, wiewohl sich daran zahl¬
reiche empfindliche, sich zur Zerstörung eignende Objekte befinden, nur un¬
genügende Vorkehrungen; gesperrt sind die Engpässe von Demirkapu und Kresua
durch mehrere altartige Befestigungen. Die Vardartallinie hat zahlreiche kleine
Tunnels (20 bis 300 Meter lang), überdies sehr viele Brücken mehr als
zwanzig Meter lang, zum Teil noch auf Holzjochen; ihre Leistungsfähigkeit
dürfte mit etwa fünf bis zehn sechzigachsigen Zügen pro Tag anzunehmen sein.
Die geringe Leistungsfähigkeit der wichtigen Strecke und der dadurch verursachte
schleppende Verlauf des Aufmarsches in die Zentralbecken wie die lange Dauer
der Herauschaffuug von Kriegsmaterial lassen eine stärkere Befestigung der
Armeeversammlungsrüume im Wilajet Kossowo und Nordmazedonien erwünscht
erscheinen, um so mehr, als die dort schon dislozierten türkischen Truppen um¬
fassenden Angriffen ausgesetzt und infolge der schlechten Beschaffenheit der Ver¬
bindungen mit dem Hinterkante mehr oder weniger isoliert sind.

Saloniki ist ein sehr wichtiges Handelszentrum und ein großer Kommuni¬
kationsknoten; von hier aus führen in den Tälern des Vardar, der Struma
und gegen Albanien hin gute Straßenverbindungen und mehrere Bahnen.
Saloniki kann darum nicht nur zum Ausgangspunkt für Operationen nach
Mazedonien und Albanien, sondern auch zum Ziele einer von diesen Gebieten
ausgehenden Operation werden, hat somit eine große Bedeutung. Es zählt
etwa 130000 Einwohner, hat mehrere Dampfmühlen und reiche Hilfsquellen.
Der Hafen, neu erbaut, hat etwa 600 Meter nutzbare Quailäuge und auch
für große Schiffe genügende Tiefe; er bietet zwar eine brauchbare Reede mit
gutem Ankergrund, jedoch nur für wenig Schiffe Raum und ist gegen Süd¬
winde nicht hinreichend geschützt. Im Jahre 1897 wurden nach Ausbruch des


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[0178] Bulgarien und die Türkei Munition lösen. Die Schwierigkeiten, schwerere Kaliber, als es die Gebirgs- geschütze sind, zur Verwendung zu bringen, sind in den genannten Räumen sehr groß; doch zeigen historische Beispiele, daß es nicht zur Unmöglichkeit gehört, auch schwere Geschütze auf diesen Wegen und über die schwierigen Ge¬ birgspässe hinüberzuschaffen. So drang der serbische Jnsurgentenführer Petrovitsch 1809 mit 10000 Mann und 10 fahrenden Geschützen über Sjenica, Novcwarosch, Suhndol, Bjelopolje, Kolcischin nach Kukutinci vor, um sich hier mit den Monte¬ negrinern, die über die fahrende Artillerie der Serben sehr erstaunt gewesen sein sollen, zu vereinigen. Im türkisch-montenegrinischen Kriege 1876 bis 1878 transportierten beide Teile wiederholt Feldgeschütze, allerdings meist nur in zerlegten Zustande und mit großem Aufwande an Zeit. Wenn sich die Gegner der Türkei in einem Kriege mit dieser nicht auf die Verwendung von Gebirgs¬ artillerie beschränken, sondern auch schwerere Kaliber zur Anwendung bringen werden, müßte die Türkei an den bestehenden Befestigungen größere Moderni¬ sierungen vornehmen, wenn sie den ihnen zugedachten Zwecken genügen sollen. In ihrem jetzigen Zustande würden sie einer länger dauernden Beschießung aus Feldgeschützen nicht standzuhalten vermögen. Für den Schutz der für den Antransport von Truppen wichtigen Bahn bestehn, wiewohl sich daran zahl¬ reiche empfindliche, sich zur Zerstörung eignende Objekte befinden, nur un¬ genügende Vorkehrungen; gesperrt sind die Engpässe von Demirkapu und Kresua durch mehrere altartige Befestigungen. Die Vardartallinie hat zahlreiche kleine Tunnels (20 bis 300 Meter lang), überdies sehr viele Brücken mehr als zwanzig Meter lang, zum Teil noch auf Holzjochen; ihre Leistungsfähigkeit dürfte mit etwa fünf bis zehn sechzigachsigen Zügen pro Tag anzunehmen sein. Die geringe Leistungsfähigkeit der wichtigen Strecke und der dadurch verursachte schleppende Verlauf des Aufmarsches in die Zentralbecken wie die lange Dauer der Herauschaffuug von Kriegsmaterial lassen eine stärkere Befestigung der Armeeversammlungsrüume im Wilajet Kossowo und Nordmazedonien erwünscht erscheinen, um so mehr, als die dort schon dislozierten türkischen Truppen um¬ fassenden Angriffen ausgesetzt und infolge der schlechten Beschaffenheit der Ver¬ bindungen mit dem Hinterkante mehr oder weniger isoliert sind. Saloniki ist ein sehr wichtiges Handelszentrum und ein großer Kommuni¬ kationsknoten; von hier aus führen in den Tälern des Vardar, der Struma und gegen Albanien hin gute Straßenverbindungen und mehrere Bahnen. Saloniki kann darum nicht nur zum Ausgangspunkt für Operationen nach Mazedonien und Albanien, sondern auch zum Ziele einer von diesen Gebieten ausgehenden Operation werden, hat somit eine große Bedeutung. Es zählt etwa 130000 Einwohner, hat mehrere Dampfmühlen und reiche Hilfsquellen. Der Hafen, neu erbaut, hat etwa 600 Meter nutzbare Quailäuge und auch für große Schiffe genügende Tiefe; er bietet zwar eine brauchbare Reede mit gutem Ankergrund, jedoch nur für wenig Schiffe Raum und ist gegen Süd¬ winde nicht hinreichend geschützt. Im Jahre 1897 wurden nach Ausbruch des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/178>, abgerufen am 22.07.2024.