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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Historisches und Ethnographisches zum Balkankonflikt

den letzten Jahren ist er stark zum Ausbruch gekommen. Kroatien ist der
einzige Teil der Länder der Stephanskrone, dem die Magyaren Konzessionen
haben machen müssen. Es hat eine gewisse nationale Selbstverwaltung, die der
Barus, das kroatische Ministerium und der Landtag ausüben. Staatssprache
ist das Kroatische. Gleichwohl hat die ungarische Regierung im vorigen Jahre
im Eisenbahndienst die magyarische Sprache einführen wollen, was den heftigsten
Widerstand der Kroaten hervorgerufen hat.

Die großserbischc Idee hat ihren Sitz im Königreich Serbien. Hier, wo
die allgemeinen staatlichen Verhältnisse noch so sehr rückständig sind, wo der
König Peter durch die Ermordung seines Vorgängers auf den Thron kommt
und außerstande ist oder nicht den Willen hat, die Königsmörder zu bestrafen,
fühlt man den Rahmen des Reichs als zu eng. Serbien hat 1876 in un¬
besonnener Weise den Krieg mit den Türken angefangen, in dem es so arg
verhauen wurde. Nur der sich daraus entwickelnde Balkankrieg rettete es vor
der Rache der Türken. Fürst Milan der Erste brachte es sogar 1882 zum
König von Serbien und glaubte nicht umhin zu können, sein Reich dnrch
einen Krieg mit Bulgarien zu vergrößern, ein Plan, der jedoch in eine ent¬
scheidende Niederlage auslief; Alexander von Ballenberg-Bulgarien führte
seine tüchtige Armee zum Siege. Seitdem hat Serbien meist in Übeln Be¬
ziehungen zu Rußland wie auch zu Österreich gestanden; nicht einmal immer
abwechselnd. Es glaubte sich an Österreich-Ungarn handelspolitisch reiben
zu können.

Die serbischen Politiker sehn mit Unbehagen, daß kaum mehr als die
Hälfte der orthodoxen Serben in ihrem Königreich vereinigt ist. Sie fühlen
sich von dem allgemeinen Zuge der Zeit uach Angliederuug der sich außerhalb
befindenden Volksgenossen erfaßt und möchten wohl auch aus materiellen
Gründen Serbiens Grenzen ausdehnen. Ein ähnlicher Gedanke lebt auch in
dem kleinen Montenegro, dessen regierendes Haus in seinem eignen Lande fester
steht, und dessen Thron nicht so sehr mit Blut befleckt ist. Schon bei der
Ermordung Milans des Zweiten kam es in Frage, ob nicht das altbefestigte
montenegrinische Fürstenhaus auf den serbischen Thron zu berufen sei, zumal
als es dem Lande die Sympathien Rußlands und die Verbindung mit der Adria
mitbringen würde. Es kam nicht dazu. Der neue Thron der Karageorgewitsch
ist jedoch noch lange nicht über alle Fährlichkeiten hinaus. Einst kann man
aufs neue erörtern, ob man nicht die Dynastie des kleinern Landes berufen
solle. Peter Karageorgewitsch sucht dem nach Möglichkeit vorzubeugen. Er möchte
selber der Heros der Einigung des Serbenvolkes sein und damit seinen Thron
befestigen.

Von jeher hat man zunächst auf die serbischen Teile der Türkei geblickt,
also auf Bosnien, Herzegowina und Altserbien. Die Gesamtbevölkerung der
beiden von Österreich verwalteten Provinzen beträgt nach der Zählung von
1900 1737000 Seelen und ist mit Ausnahme des Militärs und der Fremden


Grenzboten IV 1908 23
Historisches und Ethnographisches zum Balkankonflikt

den letzten Jahren ist er stark zum Ausbruch gekommen. Kroatien ist der
einzige Teil der Länder der Stephanskrone, dem die Magyaren Konzessionen
haben machen müssen. Es hat eine gewisse nationale Selbstverwaltung, die der
Barus, das kroatische Ministerium und der Landtag ausüben. Staatssprache
ist das Kroatische. Gleichwohl hat die ungarische Regierung im vorigen Jahre
im Eisenbahndienst die magyarische Sprache einführen wollen, was den heftigsten
Widerstand der Kroaten hervorgerufen hat.

Die großserbischc Idee hat ihren Sitz im Königreich Serbien. Hier, wo
die allgemeinen staatlichen Verhältnisse noch so sehr rückständig sind, wo der
König Peter durch die Ermordung seines Vorgängers auf den Thron kommt
und außerstande ist oder nicht den Willen hat, die Königsmörder zu bestrafen,
fühlt man den Rahmen des Reichs als zu eng. Serbien hat 1876 in un¬
besonnener Weise den Krieg mit den Türken angefangen, in dem es so arg
verhauen wurde. Nur der sich daraus entwickelnde Balkankrieg rettete es vor
der Rache der Türken. Fürst Milan der Erste brachte es sogar 1882 zum
König von Serbien und glaubte nicht umhin zu können, sein Reich dnrch
einen Krieg mit Bulgarien zu vergrößern, ein Plan, der jedoch in eine ent¬
scheidende Niederlage auslief; Alexander von Ballenberg-Bulgarien führte
seine tüchtige Armee zum Siege. Seitdem hat Serbien meist in Übeln Be¬
ziehungen zu Rußland wie auch zu Österreich gestanden; nicht einmal immer
abwechselnd. Es glaubte sich an Österreich-Ungarn handelspolitisch reiben
zu können.

Die serbischen Politiker sehn mit Unbehagen, daß kaum mehr als die
Hälfte der orthodoxen Serben in ihrem Königreich vereinigt ist. Sie fühlen
sich von dem allgemeinen Zuge der Zeit uach Angliederuug der sich außerhalb
befindenden Volksgenossen erfaßt und möchten wohl auch aus materiellen
Gründen Serbiens Grenzen ausdehnen. Ein ähnlicher Gedanke lebt auch in
dem kleinen Montenegro, dessen regierendes Haus in seinem eignen Lande fester
steht, und dessen Thron nicht so sehr mit Blut befleckt ist. Schon bei der
Ermordung Milans des Zweiten kam es in Frage, ob nicht das altbefestigte
montenegrinische Fürstenhaus auf den serbischen Thron zu berufen sei, zumal
als es dem Lande die Sympathien Rußlands und die Verbindung mit der Adria
mitbringen würde. Es kam nicht dazu. Der neue Thron der Karageorgewitsch
ist jedoch noch lange nicht über alle Fährlichkeiten hinaus. Einst kann man
aufs neue erörtern, ob man nicht die Dynastie des kleinern Landes berufen
solle. Peter Karageorgewitsch sucht dem nach Möglichkeit vorzubeugen. Er möchte
selber der Heros der Einigung des Serbenvolkes sein und damit seinen Thron
befestigen.

Von jeher hat man zunächst auf die serbischen Teile der Türkei geblickt,
also auf Bosnien, Herzegowina und Altserbien. Die Gesamtbevölkerung der
beiden von Österreich verwalteten Provinzen beträgt nach der Zählung von
1900 1737000 Seelen und ist mit Ausnahme des Militärs und der Fremden


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[0173] Historisches und Ethnographisches zum Balkankonflikt den letzten Jahren ist er stark zum Ausbruch gekommen. Kroatien ist der einzige Teil der Länder der Stephanskrone, dem die Magyaren Konzessionen haben machen müssen. Es hat eine gewisse nationale Selbstverwaltung, die der Barus, das kroatische Ministerium und der Landtag ausüben. Staatssprache ist das Kroatische. Gleichwohl hat die ungarische Regierung im vorigen Jahre im Eisenbahndienst die magyarische Sprache einführen wollen, was den heftigsten Widerstand der Kroaten hervorgerufen hat. Die großserbischc Idee hat ihren Sitz im Königreich Serbien. Hier, wo die allgemeinen staatlichen Verhältnisse noch so sehr rückständig sind, wo der König Peter durch die Ermordung seines Vorgängers auf den Thron kommt und außerstande ist oder nicht den Willen hat, die Königsmörder zu bestrafen, fühlt man den Rahmen des Reichs als zu eng. Serbien hat 1876 in un¬ besonnener Weise den Krieg mit den Türken angefangen, in dem es so arg verhauen wurde. Nur der sich daraus entwickelnde Balkankrieg rettete es vor der Rache der Türken. Fürst Milan der Erste brachte es sogar 1882 zum König von Serbien und glaubte nicht umhin zu können, sein Reich dnrch einen Krieg mit Bulgarien zu vergrößern, ein Plan, der jedoch in eine ent¬ scheidende Niederlage auslief; Alexander von Ballenberg-Bulgarien führte seine tüchtige Armee zum Siege. Seitdem hat Serbien meist in Übeln Be¬ ziehungen zu Rußland wie auch zu Österreich gestanden; nicht einmal immer abwechselnd. Es glaubte sich an Österreich-Ungarn handelspolitisch reiben zu können. Die serbischen Politiker sehn mit Unbehagen, daß kaum mehr als die Hälfte der orthodoxen Serben in ihrem Königreich vereinigt ist. Sie fühlen sich von dem allgemeinen Zuge der Zeit uach Angliederuug der sich außerhalb befindenden Volksgenossen erfaßt und möchten wohl auch aus materiellen Gründen Serbiens Grenzen ausdehnen. Ein ähnlicher Gedanke lebt auch in dem kleinen Montenegro, dessen regierendes Haus in seinem eignen Lande fester steht, und dessen Thron nicht so sehr mit Blut befleckt ist. Schon bei der Ermordung Milans des Zweiten kam es in Frage, ob nicht das altbefestigte montenegrinische Fürstenhaus auf den serbischen Thron zu berufen sei, zumal als es dem Lande die Sympathien Rußlands und die Verbindung mit der Adria mitbringen würde. Es kam nicht dazu. Der neue Thron der Karageorgewitsch ist jedoch noch lange nicht über alle Fährlichkeiten hinaus. Einst kann man aufs neue erörtern, ob man nicht die Dynastie des kleinern Landes berufen solle. Peter Karageorgewitsch sucht dem nach Möglichkeit vorzubeugen. Er möchte selber der Heros der Einigung des Serbenvolkes sein und damit seinen Thron befestigen. Von jeher hat man zunächst auf die serbischen Teile der Türkei geblickt, also auf Bosnien, Herzegowina und Altserbien. Die Gesamtbevölkerung der beiden von Österreich verwalteten Provinzen beträgt nach der Zählung von 1900 1737000 Seelen und ist mit Ausnahme des Militärs und der Fremden Grenzboten IV 1908 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/173>, abgerufen am 22.07.2024.