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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Flottenfragen und Weltpolitik

Mächte heran. Die Erfahrungen nach der Niederlage Rußlands sprechen
deutlich genug. Einer, dem die neue Lage vollkommen klar ist, scheint König
Eduard zu sein. Er hat sich redlich bemüht, sein Land aus der Vereinzelungs¬
politik loszulösen und ihm Freunde in Europa zu erwerben. Man braucht
sich in Deutschland dabei nicht dadurch beirren zu lassen, daß seine ersten
Schritte dafür den Anschein erwecken konnten, als sollte Deutschland eingekreist
werden. Einem geeinten Europa gegenüber, dem sich im wohlverstcmdnen
eignen Interesse auch die Vereinigten Staaten anschließen dürften, würden sich
gewisse noch in der Entwicklung begriffne asiatische Strömungen große Zurück¬
haltung auferlegen müssen.

Die würde aber auch dem britischen Selbstgefühl nötig sein, das andre
Flotten neben sich dulden müßte. Das wird sich aber in keinem Falle vermeiden
lassen, da England zur rechten Zeit versäumt hat, zur allgemeinen Wehrpflicht
überzugehn, und es wird ihm nicht zum Vorteil gereichen, wenn es fortfährt,
auch die Landesverteidigung kaufmännisch zu betreiben. Man braucht den Eng¬
ländern keinen großen Vorwurf deswegen zu machen, denn gerade die Deutschen
wissen aus ihrer Geschichte, daß die Abneigung gegen die allgemeine Wehr¬
pflicht den Einignngsbestrebungen unter der Vormacht Preußens größere
Hindernisse bereitet hat als die Partikularistischen Strömungen. Bisher haben
nur schwere Niederlagen die allgemeine Wehrpflicht gebracht; das gilt für
Preußen von 1806, für das übrige Deutschland und Österreich von 1866,
für Frankreich von 1870. Es wäre im europäischen Interesse zu wünschen,
daß England ohne so trübe Erfahrungen, die ihm seine insulare Lage erspart
haben, zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht schritte, wie ihm seine be¬
währtesten militärischen Führer längst raten. Es käme damit auf einmal aus allen
seinen Verteidigungsnöten heraus. Nicht nur für alle nötigen Erweiterungen
der Flotte würden die vorzüglichsten Mannschaften in Fülle vorhanden sein,
sondern man konnte auch alle leistungsfähigen Neserveschiffe ausreichend be¬
mannen, außerdem würden noch so zahlreiche Mannschaften für eine Landarmee
übrig bleiben, daß sie schon nach wenigen Jahren ausreichen würde, auch dem
kühnsten Gegner jeden Landungsversuch zu verleiden. Der Eindruck davon
würde sicher auch auf das entfernte Indien beruhigend wirken, und die ganze
Einrichtung würde schwerlich teurer kommen als das jetzige ungenügende Werbe¬
system. Deutschland liegt nicht auf einer Insel, es hat Hunderte von Meilen
ungeschützter Grenzen, hinter denen Volker wohnen, die alle schon zuzeiten
seine Feinde waren. Es hat auch seine Bangemacher, aber die haben letzthin
mit ihren Einkreisungsideen nur in den Kreisen jener Politikaster Eindruck
gemacht, die überhaupt alles besser wissen als jede Regierung, oder die sogar
wissen, was Bismarck getan haben würde. Die eigentliche Masse der Be¬
völkerung ist absolut ruhig geblieben und hat nicht die geringste Furcht vor
feindlichen Einfüllen gehabt. Denn sie wissen alle: dagegen gibts ein Zauber¬
wort, das der Kaiser spricht: Heute ist der erste Mobilisierungstag! Daraufhin


Flottenfragen und Weltpolitik

Mächte heran. Die Erfahrungen nach der Niederlage Rußlands sprechen
deutlich genug. Einer, dem die neue Lage vollkommen klar ist, scheint König
Eduard zu sein. Er hat sich redlich bemüht, sein Land aus der Vereinzelungs¬
politik loszulösen und ihm Freunde in Europa zu erwerben. Man braucht
sich in Deutschland dabei nicht dadurch beirren zu lassen, daß seine ersten
Schritte dafür den Anschein erwecken konnten, als sollte Deutschland eingekreist
werden. Einem geeinten Europa gegenüber, dem sich im wohlverstcmdnen
eignen Interesse auch die Vereinigten Staaten anschließen dürften, würden sich
gewisse noch in der Entwicklung begriffne asiatische Strömungen große Zurück¬
haltung auferlegen müssen.

Die würde aber auch dem britischen Selbstgefühl nötig sein, das andre
Flotten neben sich dulden müßte. Das wird sich aber in keinem Falle vermeiden
lassen, da England zur rechten Zeit versäumt hat, zur allgemeinen Wehrpflicht
überzugehn, und es wird ihm nicht zum Vorteil gereichen, wenn es fortfährt,
auch die Landesverteidigung kaufmännisch zu betreiben. Man braucht den Eng¬
ländern keinen großen Vorwurf deswegen zu machen, denn gerade die Deutschen
wissen aus ihrer Geschichte, daß die Abneigung gegen die allgemeine Wehr¬
pflicht den Einignngsbestrebungen unter der Vormacht Preußens größere
Hindernisse bereitet hat als die Partikularistischen Strömungen. Bisher haben
nur schwere Niederlagen die allgemeine Wehrpflicht gebracht; das gilt für
Preußen von 1806, für das übrige Deutschland und Österreich von 1866,
für Frankreich von 1870. Es wäre im europäischen Interesse zu wünschen,
daß England ohne so trübe Erfahrungen, die ihm seine insulare Lage erspart
haben, zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht schritte, wie ihm seine be¬
währtesten militärischen Führer längst raten. Es käme damit auf einmal aus allen
seinen Verteidigungsnöten heraus. Nicht nur für alle nötigen Erweiterungen
der Flotte würden die vorzüglichsten Mannschaften in Fülle vorhanden sein,
sondern man konnte auch alle leistungsfähigen Neserveschiffe ausreichend be¬
mannen, außerdem würden noch so zahlreiche Mannschaften für eine Landarmee
übrig bleiben, daß sie schon nach wenigen Jahren ausreichen würde, auch dem
kühnsten Gegner jeden Landungsversuch zu verleiden. Der Eindruck davon
würde sicher auch auf das entfernte Indien beruhigend wirken, und die ganze
Einrichtung würde schwerlich teurer kommen als das jetzige ungenügende Werbe¬
system. Deutschland liegt nicht auf einer Insel, es hat Hunderte von Meilen
ungeschützter Grenzen, hinter denen Volker wohnen, die alle schon zuzeiten
seine Feinde waren. Es hat auch seine Bangemacher, aber die haben letzthin
mit ihren Einkreisungsideen nur in den Kreisen jener Politikaster Eindruck
gemacht, die überhaupt alles besser wissen als jede Regierung, oder die sogar
wissen, was Bismarck getan haben würde. Die eigentliche Masse der Be¬
völkerung ist absolut ruhig geblieben und hat nicht die geringste Furcht vor
feindlichen Einfüllen gehabt. Denn sie wissen alle: dagegen gibts ein Zauber¬
wort, das der Kaiser spricht: Heute ist der erste Mobilisierungstag! Daraufhin


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[0016] Flottenfragen und Weltpolitik Mächte heran. Die Erfahrungen nach der Niederlage Rußlands sprechen deutlich genug. Einer, dem die neue Lage vollkommen klar ist, scheint König Eduard zu sein. Er hat sich redlich bemüht, sein Land aus der Vereinzelungs¬ politik loszulösen und ihm Freunde in Europa zu erwerben. Man braucht sich in Deutschland dabei nicht dadurch beirren zu lassen, daß seine ersten Schritte dafür den Anschein erwecken konnten, als sollte Deutschland eingekreist werden. Einem geeinten Europa gegenüber, dem sich im wohlverstcmdnen eignen Interesse auch die Vereinigten Staaten anschließen dürften, würden sich gewisse noch in der Entwicklung begriffne asiatische Strömungen große Zurück¬ haltung auferlegen müssen. Die würde aber auch dem britischen Selbstgefühl nötig sein, das andre Flotten neben sich dulden müßte. Das wird sich aber in keinem Falle vermeiden lassen, da England zur rechten Zeit versäumt hat, zur allgemeinen Wehrpflicht überzugehn, und es wird ihm nicht zum Vorteil gereichen, wenn es fortfährt, auch die Landesverteidigung kaufmännisch zu betreiben. Man braucht den Eng¬ ländern keinen großen Vorwurf deswegen zu machen, denn gerade die Deutschen wissen aus ihrer Geschichte, daß die Abneigung gegen die allgemeine Wehr¬ pflicht den Einignngsbestrebungen unter der Vormacht Preußens größere Hindernisse bereitet hat als die Partikularistischen Strömungen. Bisher haben nur schwere Niederlagen die allgemeine Wehrpflicht gebracht; das gilt für Preußen von 1806, für das übrige Deutschland und Österreich von 1866, für Frankreich von 1870. Es wäre im europäischen Interesse zu wünschen, daß England ohne so trübe Erfahrungen, die ihm seine insulare Lage erspart haben, zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht schritte, wie ihm seine be¬ währtesten militärischen Führer längst raten. Es käme damit auf einmal aus allen seinen Verteidigungsnöten heraus. Nicht nur für alle nötigen Erweiterungen der Flotte würden die vorzüglichsten Mannschaften in Fülle vorhanden sein, sondern man konnte auch alle leistungsfähigen Neserveschiffe ausreichend be¬ mannen, außerdem würden noch so zahlreiche Mannschaften für eine Landarmee übrig bleiben, daß sie schon nach wenigen Jahren ausreichen würde, auch dem kühnsten Gegner jeden Landungsversuch zu verleiden. Der Eindruck davon würde sicher auch auf das entfernte Indien beruhigend wirken, und die ganze Einrichtung würde schwerlich teurer kommen als das jetzige ungenügende Werbe¬ system. Deutschland liegt nicht auf einer Insel, es hat Hunderte von Meilen ungeschützter Grenzen, hinter denen Volker wohnen, die alle schon zuzeiten seine Feinde waren. Es hat auch seine Bangemacher, aber die haben letzthin mit ihren Einkreisungsideen nur in den Kreisen jener Politikaster Eindruck gemacht, die überhaupt alles besser wissen als jede Regierung, oder die sogar wissen, was Bismarck getan haben würde. Die eigentliche Masse der Be¬ völkerung ist absolut ruhig geblieben und hat nicht die geringste Furcht vor feindlichen Einfüllen gehabt. Denn sie wissen alle: dagegen gibts ein Zauber¬ wort, das der Kaiser spricht: Heute ist der erste Mobilisierungstag! Daraufhin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/16>, abgerufen am 22.07.2024.