Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.Flotteiifragen und Weltpolitik Jahren kennt man ihn im In- und Auslande. Unter den heutigen Ver¬ Die Verschiebung der Weltmachtverhältnisse beraubt aber auch die britischen Flotteiifragen und Weltpolitik Jahren kennt man ihn im In- und Auslande. Unter den heutigen Ver¬ Die Verschiebung der Weltmachtverhältnisse beraubt aber auch die britischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0015" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/310426"/> <fw type="header" place="top"> Flotteiifragen und Weltpolitik</fw><lb/> <p xml:id="ID_16" prev="#ID_15"> Jahren kennt man ihn im In- und Auslande. Unter den heutigen Ver¬<lb/> hältnissen hat darum Großbritannien nur noch die Möglichkeit, durch den be¬<lb/> schleunigten Bau großer modernster Schiffe zur See einstweilen an der Spitze<lb/> zu bleiben. Auf die Dauer wird das aber auch uicht mehr möglich sein,<lb/> weil andre Seemächte ungehindert durch Mannschaftsmangel mit dem Ausbau<lb/> ihrer Flotten fortfahren werden. Es wird jedoch unter diesen Umstünden<lb/> verständlich, daß England jetzt, nachdem es seine Flotte auf die unter den<lb/> gegebnen Verhältnissen höchste Leistungsfähigkeit gebracht hat, in verschiednen<lb/> Formen und Wendungen für eine Abrüstung zur See arbeitet, wodurch die<lb/> britische Überlegenheit zur See freilich für alle Zeiten gewährleistet bliebe.<lb/> Es sei hier übrigens nochmals betont, daß die gegenwärtigen britischen<lb/> Sorgen um das „Kommando zur See" nicht aus der europäischen Lage ent¬<lb/> springen, da sich die Bestrebungen Deutschlands, eine seinen Seeinteressen<lb/> entsprechende Flotte zu schaffen, durch das Ausscheiden der russischen Flotte<lb/> und den Verzicht Frankreichs, nächst England am stärksten zur See zu sein,<lb/> mehr als ausgeglichen werden. An der heutigen Lage trägt England durch<lb/> sein Bündnis mit Japan selbst die Schuld.</p><lb/> <p xml:id="ID_17" next="#ID_18"> Die Verschiebung der Weltmachtverhältnisse beraubt aber auch die britischen<lb/> Inseln im Falle eines großen Krieges jener vollständigen Sicherheit vor<lb/> feindlichen Angriffen, deren sie sich bisher zu erfreuen hatten. Wenn, wie<lb/> im Bureukriege, der größte Teil der englischen Flotte auswärts und mit der<lb/> Sicherung der Truppenbeförderung nach Indien usw. beschäftigt wäre, könnte<lb/> wohl eine europäische Macht den erfolgreichen Versuch macheu, eine Landung<lb/> in England zu unternehmen. Daß das nicht unmöglich ist, hat Wilhelm der<lb/> Dritte von Oranien schon 1688 bewiesen. Napoleon der Erste ist zweimal<lb/> bloß durch anderweitige Verwicklungen davon abgehalten worden, den Versuch<lb/> zu wiederholen, und solange Frankreich und England Erbfeinde waren, ist<lb/> der Gedanke einer französischen Landung an der britischen Küste in beiden<lb/> Ländern niemals aus dem Auge gelassen worden. Ende der neunziger Jahre<lb/> lagen sogar zwei ausgearbeitete französische Pläne dafür vor, von denen einer<lb/> von dem ehemaligen Kriegsminister Mercier stammte. Unter den heutigen<lb/> Verhältnissen könnte nur Deutschland für ein solches Unternehmen in Frage<lb/> kommen, und wie wir wissen, spukt der Gedanke daran in vielen britischen<lb/> Köpfen und scheint den eigentlichen Anlaß zu bieten, das Deutsche Reich als<lb/> „den Feind" hinzustellen. Es ist freilich schwer einzusehen, welche Gründe<lb/> jemals die deutsche Politik veranlassen sollten, gegen England einen solchen<lb/> Schlag zu führen; schon mit Rücksicht auf die europäischen Weltinteressen<lb/> würde er selbst dann unterbleiben, wenn Deutschland „ein Faschoda" zu rächen<lb/> hätte. Vom Kaiser Wilhelm stammt die ernste Mahnung an die Staaten<lb/> Europas, in Ostasien zusammenzuhalten, lange bevor noch England das ver¬<lb/> hängnisvolle Bündnis mit Japan abschloß. Heute tritt dieselbe Mahnung<lb/> ans Veranlassung der umgestalteten Weltlage abermals an die europäischen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0015]
Flotteiifragen und Weltpolitik
Jahren kennt man ihn im In- und Auslande. Unter den heutigen Ver¬
hältnissen hat darum Großbritannien nur noch die Möglichkeit, durch den be¬
schleunigten Bau großer modernster Schiffe zur See einstweilen an der Spitze
zu bleiben. Auf die Dauer wird das aber auch uicht mehr möglich sein,
weil andre Seemächte ungehindert durch Mannschaftsmangel mit dem Ausbau
ihrer Flotten fortfahren werden. Es wird jedoch unter diesen Umstünden
verständlich, daß England jetzt, nachdem es seine Flotte auf die unter den
gegebnen Verhältnissen höchste Leistungsfähigkeit gebracht hat, in verschiednen
Formen und Wendungen für eine Abrüstung zur See arbeitet, wodurch die
britische Überlegenheit zur See freilich für alle Zeiten gewährleistet bliebe.
Es sei hier übrigens nochmals betont, daß die gegenwärtigen britischen
Sorgen um das „Kommando zur See" nicht aus der europäischen Lage ent¬
springen, da sich die Bestrebungen Deutschlands, eine seinen Seeinteressen
entsprechende Flotte zu schaffen, durch das Ausscheiden der russischen Flotte
und den Verzicht Frankreichs, nächst England am stärksten zur See zu sein,
mehr als ausgeglichen werden. An der heutigen Lage trägt England durch
sein Bündnis mit Japan selbst die Schuld.
Die Verschiebung der Weltmachtverhältnisse beraubt aber auch die britischen
Inseln im Falle eines großen Krieges jener vollständigen Sicherheit vor
feindlichen Angriffen, deren sie sich bisher zu erfreuen hatten. Wenn, wie
im Bureukriege, der größte Teil der englischen Flotte auswärts und mit der
Sicherung der Truppenbeförderung nach Indien usw. beschäftigt wäre, könnte
wohl eine europäische Macht den erfolgreichen Versuch macheu, eine Landung
in England zu unternehmen. Daß das nicht unmöglich ist, hat Wilhelm der
Dritte von Oranien schon 1688 bewiesen. Napoleon der Erste ist zweimal
bloß durch anderweitige Verwicklungen davon abgehalten worden, den Versuch
zu wiederholen, und solange Frankreich und England Erbfeinde waren, ist
der Gedanke einer französischen Landung an der britischen Küste in beiden
Ländern niemals aus dem Auge gelassen worden. Ende der neunziger Jahre
lagen sogar zwei ausgearbeitete französische Pläne dafür vor, von denen einer
von dem ehemaligen Kriegsminister Mercier stammte. Unter den heutigen
Verhältnissen könnte nur Deutschland für ein solches Unternehmen in Frage
kommen, und wie wir wissen, spukt der Gedanke daran in vielen britischen
Köpfen und scheint den eigentlichen Anlaß zu bieten, das Deutsche Reich als
„den Feind" hinzustellen. Es ist freilich schwer einzusehen, welche Gründe
jemals die deutsche Politik veranlassen sollten, gegen England einen solchen
Schlag zu führen; schon mit Rücksicht auf die europäischen Weltinteressen
würde er selbst dann unterbleiben, wenn Deutschland „ein Faschoda" zu rächen
hätte. Vom Kaiser Wilhelm stammt die ernste Mahnung an die Staaten
Europas, in Ostasien zusammenzuhalten, lange bevor noch England das ver¬
hängnisvolle Bündnis mit Japan abschloß. Heute tritt dieselbe Mahnung
ans Veranlassung der umgestalteten Weltlage abermals an die europäischen
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