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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Landgewinnung in der Nordsee

ihnen zu Hilfe. Schließlich hat sich aber die Anschauung zur Geltung durch¬
gerungen, daß der Halligenschutzbau eine Kulturaufgabe ersten Ranges ist. Nicht
nur sein Wert als Schutz des dahinterliegenden Festlandes bestätigt dies,
sondern auch der unmittelbare Landgewinn im Wattenmeer, der sogar an Wert
die für den Schutzbau verwandten Kosten übertrifft. Die Halligen zerfallen
nun insofern in zwei Gruppen, als die südlichen, den Marschen nahegelegnen
günstige Verbindungsverhältnisse untereinander aufweisen, sodaß sich mit der
Eindeichung voraussichtlich sogleich oder doch in naher Zeit die Gewinnung
wertvoller Lündereien verbinden lassen wird. Bei der nördlichen Gruppe ist die
Landgewinnung nicht in gleichem Maße gesichert und würde jedenfalls erst die
Frucht planmüßiger Arbeit von Menschenaltern sein, aber hier tritt dafür der
Schutz des dahinterliegenden Festlandes um so stärker als Zweck hervor. Bei
der südlichen Gruppe handelt es sich demnach in der Hauptsache nur um Aus¬
lagen, für die schon in absehbarer Zeit die Vermehrung der Staatsländereien
einen reichlichen Ersatz bieten würde, während für die nördliche Gruppe erst
nach Generationen und vielleicht nicht einmal dann vollständig der Aufwand
wieder gedeckt werden könnte. Nicht allein das Mitleid mit den armen Halligen¬
bewohnern, sondern auch das Interesse für das Allgemeinwohl hat im preußischen
Ackerbauministerium, das sowohl als Verwalter der Staatsländereien wie auch
beim Uferschutz an der Sache beteiligt ist, Veranlassung geboten, mit fester Hand
einzugreifen. Würden die Halligen verschwinden, so würde man wohl noch das
eingedeichte Land durch Kunstbauten schützen können, aber die Vorlande sind
dann unhaltbar, und sie würden noch schneller abnehmen und verschwinden als
bis jetzt die Halligen. Die Anschwemmung von Schlick an den Küsten, die im
Schutze der Halligen an vielen Stellen sehr stark war, würde dann auch nicht
mehr vor sich gehn und das dem Staat gehörende Außendeichsland nicht einmal
mehr zunehmen.

Die Erfahrungen, die mit den schon in den Jahren 1874 und 1875 aus¬
geführten Arbeiten zur Sicherung der Hamburger Hallig und zur Landgewinnung
gemacht worden waren, stellten sich auch als sehr günstig heraus. Die Hallig
an sich war gesichert, und der zwischen ihr und dem Festland aufgeführte Damm
hatte zu einer ganz bedeutenden Anschlickung geführt, sodaß nach dreiundzwanzig
Jahren schon rund hundert Hektare Neuland gewonnen waren. Weitere Ver¬
suche der Regierung in den siebziger Jahren waren an dem hartnäckigen Wider¬
stand einzelner Stellenbesitzer und der kurzsichtigen Gleichgiltigkeit der beteiligten
Gemeinden gescheitert, sodaß man davon abgestanden hatte. Erst Mitte der
neunziger Jahre unter dem Landwirtschaftsminister Freiherrn von Hammerstein,
der im Sommer 1895 die Westküste Schleswig-Holsteins von Rom an einer
eingehenden Besichtigung unterzogen hatte, wurden neue Schritte zur Erhaltung
der Halligen unternommen. Der Landtag bewilligte 1896 zum Bau eines Dammes
von dem Festland bei Fahrtoff nach der Hallig Olcmd und von da bis nach der
weiter seewärts liegenden Hallig Langeneß, ferner zur Sicherung der Halligen


Landgewinnung in der Nordsee

ihnen zu Hilfe. Schließlich hat sich aber die Anschauung zur Geltung durch¬
gerungen, daß der Halligenschutzbau eine Kulturaufgabe ersten Ranges ist. Nicht
nur sein Wert als Schutz des dahinterliegenden Festlandes bestätigt dies,
sondern auch der unmittelbare Landgewinn im Wattenmeer, der sogar an Wert
die für den Schutzbau verwandten Kosten übertrifft. Die Halligen zerfallen
nun insofern in zwei Gruppen, als die südlichen, den Marschen nahegelegnen
günstige Verbindungsverhältnisse untereinander aufweisen, sodaß sich mit der
Eindeichung voraussichtlich sogleich oder doch in naher Zeit die Gewinnung
wertvoller Lündereien verbinden lassen wird. Bei der nördlichen Gruppe ist die
Landgewinnung nicht in gleichem Maße gesichert und würde jedenfalls erst die
Frucht planmüßiger Arbeit von Menschenaltern sein, aber hier tritt dafür der
Schutz des dahinterliegenden Festlandes um so stärker als Zweck hervor. Bei
der südlichen Gruppe handelt es sich demnach in der Hauptsache nur um Aus¬
lagen, für die schon in absehbarer Zeit die Vermehrung der Staatsländereien
einen reichlichen Ersatz bieten würde, während für die nördliche Gruppe erst
nach Generationen und vielleicht nicht einmal dann vollständig der Aufwand
wieder gedeckt werden könnte. Nicht allein das Mitleid mit den armen Halligen¬
bewohnern, sondern auch das Interesse für das Allgemeinwohl hat im preußischen
Ackerbauministerium, das sowohl als Verwalter der Staatsländereien wie auch
beim Uferschutz an der Sache beteiligt ist, Veranlassung geboten, mit fester Hand
einzugreifen. Würden die Halligen verschwinden, so würde man wohl noch das
eingedeichte Land durch Kunstbauten schützen können, aber die Vorlande sind
dann unhaltbar, und sie würden noch schneller abnehmen und verschwinden als
bis jetzt die Halligen. Die Anschwemmung von Schlick an den Küsten, die im
Schutze der Halligen an vielen Stellen sehr stark war, würde dann auch nicht
mehr vor sich gehn und das dem Staat gehörende Außendeichsland nicht einmal
mehr zunehmen.

Die Erfahrungen, die mit den schon in den Jahren 1874 und 1875 aus¬
geführten Arbeiten zur Sicherung der Hamburger Hallig und zur Landgewinnung
gemacht worden waren, stellten sich auch als sehr günstig heraus. Die Hallig
an sich war gesichert, und der zwischen ihr und dem Festland aufgeführte Damm
hatte zu einer ganz bedeutenden Anschlickung geführt, sodaß nach dreiundzwanzig
Jahren schon rund hundert Hektare Neuland gewonnen waren. Weitere Ver¬
suche der Regierung in den siebziger Jahren waren an dem hartnäckigen Wider¬
stand einzelner Stellenbesitzer und der kurzsichtigen Gleichgiltigkeit der beteiligten
Gemeinden gescheitert, sodaß man davon abgestanden hatte. Erst Mitte der
neunziger Jahre unter dem Landwirtschaftsminister Freiherrn von Hammerstein,
der im Sommer 1895 die Westküste Schleswig-Holsteins von Rom an einer
eingehenden Besichtigung unterzogen hatte, wurden neue Schritte zur Erhaltung
der Halligen unternommen. Der Landtag bewilligte 1896 zum Bau eines Dammes
von dem Festland bei Fahrtoff nach der Hallig Olcmd und von da bis nach der
weiter seewärts liegenden Hallig Langeneß, ferner zur Sicherung der Halligen


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[0125] Landgewinnung in der Nordsee ihnen zu Hilfe. Schließlich hat sich aber die Anschauung zur Geltung durch¬ gerungen, daß der Halligenschutzbau eine Kulturaufgabe ersten Ranges ist. Nicht nur sein Wert als Schutz des dahinterliegenden Festlandes bestätigt dies, sondern auch der unmittelbare Landgewinn im Wattenmeer, der sogar an Wert die für den Schutzbau verwandten Kosten übertrifft. Die Halligen zerfallen nun insofern in zwei Gruppen, als die südlichen, den Marschen nahegelegnen günstige Verbindungsverhältnisse untereinander aufweisen, sodaß sich mit der Eindeichung voraussichtlich sogleich oder doch in naher Zeit die Gewinnung wertvoller Lündereien verbinden lassen wird. Bei der nördlichen Gruppe ist die Landgewinnung nicht in gleichem Maße gesichert und würde jedenfalls erst die Frucht planmüßiger Arbeit von Menschenaltern sein, aber hier tritt dafür der Schutz des dahinterliegenden Festlandes um so stärker als Zweck hervor. Bei der südlichen Gruppe handelt es sich demnach in der Hauptsache nur um Aus¬ lagen, für die schon in absehbarer Zeit die Vermehrung der Staatsländereien einen reichlichen Ersatz bieten würde, während für die nördliche Gruppe erst nach Generationen und vielleicht nicht einmal dann vollständig der Aufwand wieder gedeckt werden könnte. Nicht allein das Mitleid mit den armen Halligen¬ bewohnern, sondern auch das Interesse für das Allgemeinwohl hat im preußischen Ackerbauministerium, das sowohl als Verwalter der Staatsländereien wie auch beim Uferschutz an der Sache beteiligt ist, Veranlassung geboten, mit fester Hand einzugreifen. Würden die Halligen verschwinden, so würde man wohl noch das eingedeichte Land durch Kunstbauten schützen können, aber die Vorlande sind dann unhaltbar, und sie würden noch schneller abnehmen und verschwinden als bis jetzt die Halligen. Die Anschwemmung von Schlick an den Küsten, die im Schutze der Halligen an vielen Stellen sehr stark war, würde dann auch nicht mehr vor sich gehn und das dem Staat gehörende Außendeichsland nicht einmal mehr zunehmen. Die Erfahrungen, die mit den schon in den Jahren 1874 und 1875 aus¬ geführten Arbeiten zur Sicherung der Hamburger Hallig und zur Landgewinnung gemacht worden waren, stellten sich auch als sehr günstig heraus. Die Hallig an sich war gesichert, und der zwischen ihr und dem Festland aufgeführte Damm hatte zu einer ganz bedeutenden Anschlickung geführt, sodaß nach dreiundzwanzig Jahren schon rund hundert Hektare Neuland gewonnen waren. Weitere Ver¬ suche der Regierung in den siebziger Jahren waren an dem hartnäckigen Wider¬ stand einzelner Stellenbesitzer und der kurzsichtigen Gleichgiltigkeit der beteiligten Gemeinden gescheitert, sodaß man davon abgestanden hatte. Erst Mitte der neunziger Jahre unter dem Landwirtschaftsminister Freiherrn von Hammerstein, der im Sommer 1895 die Westküste Schleswig-Holsteins von Rom an einer eingehenden Besichtigung unterzogen hatte, wurden neue Schritte zur Erhaltung der Halligen unternommen. Der Landtag bewilligte 1896 zum Bau eines Dammes von dem Festland bei Fahrtoff nach der Hallig Olcmd und von da bis nach der weiter seewärts liegenden Hallig Langeneß, ferner zur Sicherung der Halligen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/125>, abgerufen am 22.07.2024.