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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Landgewinnung in der Nordsee

Carstens Niebuhr, der Ingenieur von Fach und dänischer Jngeuieuroffizier
gewesen war, lenkte seine Aufmerksamkeit auf den in Süderdithmarschen liegenden
Kronprinzenkoog, der schon 1786 eingedeicht worden war, und vor dem eine
Gruppe von Inseln lag, zwischen denen und dem Festlande bei jeder Flut die
Wasser durchströmten. Er setzte es durch, daß vor dem Deich des Kronprinzen¬
koogs ein über die gewöhnliche Fluthöhe emporragender Damm mitten über
die Inseln gelegt wurde. Durch diesen Damm kam das von beiden Seiten aus¬
laufende Flutwasser zum Stillstand und setzte den mitgeführten Schlick ab. Im
Laufe der Jahre füllten sich die Zwischenräume zwischen den Inseln und dem
Festland aus, und nach und nach entstand eine weit ins Meer hinausreichende
Halbinsel, die nach der größten der früher vorliegenden Insel den Namen Dick¬
haut erhielt. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts war die Entwicklung so
weit fortgeschritten, daß in den Jahren 1853 und 1854 die Eindeichung der
Halbinsel vorgenommen werden konnte. Der neue Koog erhielt nach dem Landes¬
herrn den Namen "Frederik der Siebente-Koog" und brachte einen Landgewinn
von über 2000 Hektar. Der Fiskus machte aus dem Verkauf der Kron-
lkndereien einen reichlichen Gewinn. Sonst ist aus dänischer Zeit von großem
durch den Staat unterstützten oder betriebuen Arbeiten zur Landgewinnung nichts
bekannt. Nach der schlimmen Sturmflut in der Nacht vom 3. zum 4. Februar 1825,
die namentlich die nördlichen Halligen Hooge, Nordmarsch-Lcmgeneß und Grobe
schwer heimgesucht hatte, kam König Friedrich der Siebente im Sommer zwar
selbst nach den bedrohten Inseln und wurde drei Tage durch stürmisches Wetter
auf der Hallig Hooge festgehalten. Er bewohnte mit seinem Gefolge das Haus
der Familie Hansen, das seitdem das Königshaus heißt, die Staatsstube heißt
noch der Königspesel und ist im damaligen Zustande erhalten geblieben. Kaiser
Wilhelm hat 1903 den Auftrag gegeben, das Königshaus anzukaufen und in
seiner Einrichtung zu erhalten. Der Aufenthalt des Königs Friedrich auf den
Halligen ist übrigens ohne besondre Nachwirkung geblieben.

Nach der Übernahme Schleswig-Holsteins durch den preußischen Staat
geschah für die Landgewinnung zunächst auch nicht viel. Man beschränkte sich
hauptsächlich auf die Erhaltung der größern Inseln und des Festlandes. Doch
zeigte auf der Pariser Weltausstellung von 1900 das im Auftrage des
Ministeriums der öffentlichen Arbeiten von Paul Gerhardt herausgegebne
Handbuch des deutschen Dünenbaus, daß sich Preußen in der Nordsee wie in
der Ostsee seiner Aufgabe für den Schutz der Gestade wohl bewußt war. Überall
von Sylt bis Borkum zeigte sich das erfreuliche Bild staatlicher Fürsorge durch
Bepslanzung der Dünen, Anlage von Buhnen, Dämmen und Deichen, Ufer¬
deckungen durch Bestickung, Bnschpackung, Zement- und Steindossierung usw. Bis
gegen das Ende des Jahrhunderts hatten aber immer noch die Bewohner der
eigentlichen Halligen den sichern allmählichen Untergang der heimatlichen Scholle
vor Augen. Aus eignen Mitteln waren sie selbst außerstande, etwas zur
Erhaltung zu tun, und weder der Staat noch die Provinz oder der Kreis kamen


Landgewinnung in der Nordsee

Carstens Niebuhr, der Ingenieur von Fach und dänischer Jngeuieuroffizier
gewesen war, lenkte seine Aufmerksamkeit auf den in Süderdithmarschen liegenden
Kronprinzenkoog, der schon 1786 eingedeicht worden war, und vor dem eine
Gruppe von Inseln lag, zwischen denen und dem Festlande bei jeder Flut die
Wasser durchströmten. Er setzte es durch, daß vor dem Deich des Kronprinzen¬
koogs ein über die gewöhnliche Fluthöhe emporragender Damm mitten über
die Inseln gelegt wurde. Durch diesen Damm kam das von beiden Seiten aus¬
laufende Flutwasser zum Stillstand und setzte den mitgeführten Schlick ab. Im
Laufe der Jahre füllten sich die Zwischenräume zwischen den Inseln und dem
Festland aus, und nach und nach entstand eine weit ins Meer hinausreichende
Halbinsel, die nach der größten der früher vorliegenden Insel den Namen Dick¬
haut erhielt. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts war die Entwicklung so
weit fortgeschritten, daß in den Jahren 1853 und 1854 die Eindeichung der
Halbinsel vorgenommen werden konnte. Der neue Koog erhielt nach dem Landes¬
herrn den Namen „Frederik der Siebente-Koog" und brachte einen Landgewinn
von über 2000 Hektar. Der Fiskus machte aus dem Verkauf der Kron-
lkndereien einen reichlichen Gewinn. Sonst ist aus dänischer Zeit von großem
durch den Staat unterstützten oder betriebuen Arbeiten zur Landgewinnung nichts
bekannt. Nach der schlimmen Sturmflut in der Nacht vom 3. zum 4. Februar 1825,
die namentlich die nördlichen Halligen Hooge, Nordmarsch-Lcmgeneß und Grobe
schwer heimgesucht hatte, kam König Friedrich der Siebente im Sommer zwar
selbst nach den bedrohten Inseln und wurde drei Tage durch stürmisches Wetter
auf der Hallig Hooge festgehalten. Er bewohnte mit seinem Gefolge das Haus
der Familie Hansen, das seitdem das Königshaus heißt, die Staatsstube heißt
noch der Königspesel und ist im damaligen Zustande erhalten geblieben. Kaiser
Wilhelm hat 1903 den Auftrag gegeben, das Königshaus anzukaufen und in
seiner Einrichtung zu erhalten. Der Aufenthalt des Königs Friedrich auf den
Halligen ist übrigens ohne besondre Nachwirkung geblieben.

Nach der Übernahme Schleswig-Holsteins durch den preußischen Staat
geschah für die Landgewinnung zunächst auch nicht viel. Man beschränkte sich
hauptsächlich auf die Erhaltung der größern Inseln und des Festlandes. Doch
zeigte auf der Pariser Weltausstellung von 1900 das im Auftrage des
Ministeriums der öffentlichen Arbeiten von Paul Gerhardt herausgegebne
Handbuch des deutschen Dünenbaus, daß sich Preußen in der Nordsee wie in
der Ostsee seiner Aufgabe für den Schutz der Gestade wohl bewußt war. Überall
von Sylt bis Borkum zeigte sich das erfreuliche Bild staatlicher Fürsorge durch
Bepslanzung der Dünen, Anlage von Buhnen, Dämmen und Deichen, Ufer¬
deckungen durch Bestickung, Bnschpackung, Zement- und Steindossierung usw. Bis
gegen das Ende des Jahrhunderts hatten aber immer noch die Bewohner der
eigentlichen Halligen den sichern allmählichen Untergang der heimatlichen Scholle
vor Augen. Aus eignen Mitteln waren sie selbst außerstande, etwas zur
Erhaltung zu tun, und weder der Staat noch die Provinz oder der Kreis kamen


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[0124] Landgewinnung in der Nordsee Carstens Niebuhr, der Ingenieur von Fach und dänischer Jngeuieuroffizier gewesen war, lenkte seine Aufmerksamkeit auf den in Süderdithmarschen liegenden Kronprinzenkoog, der schon 1786 eingedeicht worden war, und vor dem eine Gruppe von Inseln lag, zwischen denen und dem Festlande bei jeder Flut die Wasser durchströmten. Er setzte es durch, daß vor dem Deich des Kronprinzen¬ koogs ein über die gewöhnliche Fluthöhe emporragender Damm mitten über die Inseln gelegt wurde. Durch diesen Damm kam das von beiden Seiten aus¬ laufende Flutwasser zum Stillstand und setzte den mitgeführten Schlick ab. Im Laufe der Jahre füllten sich die Zwischenräume zwischen den Inseln und dem Festland aus, und nach und nach entstand eine weit ins Meer hinausreichende Halbinsel, die nach der größten der früher vorliegenden Insel den Namen Dick¬ haut erhielt. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts war die Entwicklung so weit fortgeschritten, daß in den Jahren 1853 und 1854 die Eindeichung der Halbinsel vorgenommen werden konnte. Der neue Koog erhielt nach dem Landes¬ herrn den Namen „Frederik der Siebente-Koog" und brachte einen Landgewinn von über 2000 Hektar. Der Fiskus machte aus dem Verkauf der Kron- lkndereien einen reichlichen Gewinn. Sonst ist aus dänischer Zeit von großem durch den Staat unterstützten oder betriebuen Arbeiten zur Landgewinnung nichts bekannt. Nach der schlimmen Sturmflut in der Nacht vom 3. zum 4. Februar 1825, die namentlich die nördlichen Halligen Hooge, Nordmarsch-Lcmgeneß und Grobe schwer heimgesucht hatte, kam König Friedrich der Siebente im Sommer zwar selbst nach den bedrohten Inseln und wurde drei Tage durch stürmisches Wetter auf der Hallig Hooge festgehalten. Er bewohnte mit seinem Gefolge das Haus der Familie Hansen, das seitdem das Königshaus heißt, die Staatsstube heißt noch der Königspesel und ist im damaligen Zustande erhalten geblieben. Kaiser Wilhelm hat 1903 den Auftrag gegeben, das Königshaus anzukaufen und in seiner Einrichtung zu erhalten. Der Aufenthalt des Königs Friedrich auf den Halligen ist übrigens ohne besondre Nachwirkung geblieben. Nach der Übernahme Schleswig-Holsteins durch den preußischen Staat geschah für die Landgewinnung zunächst auch nicht viel. Man beschränkte sich hauptsächlich auf die Erhaltung der größern Inseln und des Festlandes. Doch zeigte auf der Pariser Weltausstellung von 1900 das im Auftrage des Ministeriums der öffentlichen Arbeiten von Paul Gerhardt herausgegebne Handbuch des deutschen Dünenbaus, daß sich Preußen in der Nordsee wie in der Ostsee seiner Aufgabe für den Schutz der Gestade wohl bewußt war. Überall von Sylt bis Borkum zeigte sich das erfreuliche Bild staatlicher Fürsorge durch Bepslanzung der Dünen, Anlage von Buhnen, Dämmen und Deichen, Ufer¬ deckungen durch Bestickung, Bnschpackung, Zement- und Steindossierung usw. Bis gegen das Ende des Jahrhunderts hatten aber immer noch die Bewohner der eigentlichen Halligen den sichern allmählichen Untergang der heimatlichen Scholle vor Augen. Aus eignen Mitteln waren sie selbst außerstande, etwas zur Erhaltung zu tun, und weder der Staat noch die Provinz oder der Kreis kamen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/124>, abgerufen am 22.07.2024.