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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Landgewinnung in der Nordsee

hat sich das Festland von Schleswig-Holstein etwa fünf Meilen weiter west¬
wärts erstreckt. Die größern dieser Eilande sind teils durch Deiche, teils durch
Dünen vor den Wogen geschützt, die täglich mit Ebbe und Flut kommend und
gehend immer neue Versuche zu machen scheinen, auch die letzten Brocken ihres
großen Raubes in den gierigen Schlund des Meeres hinunterzuziehen. Die
kleinern Eilande heißen Halligen, sind weder durch Kunst noch Natur beschützt
und manchmal bloß von einer Familie bewohnt. Das Meer, das die Halligen
umgibt und oft überwogt, trägt noch an verschiednen Stellen die Namen der
im Laufe der Jahrhunderte darin begrabnen Landstellen und ihrer Eigentümer.

Die Errichtung von Dämmen zur Förderung der Landgewinnung, wie dies
seit alten Zeiten in den Niederlanden geschieht, hat schon unter der dünischen
Herrschaft und zwar zuerst in Süderdithmarschen begonnen. Der Vater des
Geschichtsforschers Barthold Georg Niebuhr, der Orientreisende Carstens Niebuhr,
war von 1777 bis 1815 Landschreiber in Meldorf, wo ihm auch die Ver¬
waltung der dem Staate gehörenden Außendeichsländereien oblag. Außerhalb der
Deiche setzt die Flut bei ihrem jedesmaligen Zurückweichen Schlick an, der immer
höher wird und nach und nach das Außendeichsland bildet. Schlick entstammt den
Alluvionen der Flüsse, die das in ihrem obern Laufe losgerissene Erdreich, immer
mehr zerkleinert und zerrieben, in Gestalt eines zähen, fetten Schlammes im
Gebiet ihrer Mündungen absetzen. Es leuchtet ein, daß solcher Boden an sich
sehr fruchtbar sein muß. Unter einer tropischen Sonne würde er jene Riesen
der Pflanzenwelt, jene in strotzender Überfülle prangende Vegetation erzeugen,
die in den Flußniederungen der heißen Gegenden das Staunen und oft auch
die Verzweiflung der Reisenden hervorrufen. In den norddeutschen Marsch¬
gegenden sorgen das kältere Klima und der scharf vom Meere herüberstreichende
Nordwest schon dafür, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Das
Schlickgebiet, das nach der Eindeichung Marschland heißt, ist aber auch an der
Nordsee eine äußerst fruchtbare Fläche, die in Schleswig namentlich zur Vieh¬
zucht, besonders zum "Fettgrasen" der Ochsen benutzt wird, während man im
Holsteinischen auch Raps, Hafer und Hülsenfrüchte darauf baut. Sobald der
Schlick des Außendeichlandes so hoch wird, daß er längere Zeit trocken bleibt,
erscheint zunächst eine Salzpflanze (8aliczoi'nig. nsrbaoöch, durch deren steife,
abstehende Äste die Ablagerung befördert wird. Später folgen noch andre
Pflanzen, die auch zum Wachsen des Bodens beitragen, bis schließlich, nachdem
der überschüssige Salzgehalt des Schlicks ausgezogen ist, der weiße, kriechende
Klee Mtolwm rexsus) erscheint, der das Zeichen gibt, daß das Land zur Ein¬
deichung reif ist. Zur Beförderung der Vodenbildung zieht man auch zuweilen
niedrige Deiche, sogenannte "Lähmungen". Ein solches dem Meere abgerungnes
und eingedeichtes Stück Land heißt dann in Schleswig-Holstein ein "Koog",
an der holländischen Grenze ein "Potter", dessen Besitzer eine Wassergemeinschaft
zur Abhaltung des Übermaßes von Wasser bilden, die über Bau und Unter¬
haltung von Dämmen, Schleusen usw. sehr durchgreifende Bestimmungen besitzen.


Landgewinnung in der Nordsee

hat sich das Festland von Schleswig-Holstein etwa fünf Meilen weiter west¬
wärts erstreckt. Die größern dieser Eilande sind teils durch Deiche, teils durch
Dünen vor den Wogen geschützt, die täglich mit Ebbe und Flut kommend und
gehend immer neue Versuche zu machen scheinen, auch die letzten Brocken ihres
großen Raubes in den gierigen Schlund des Meeres hinunterzuziehen. Die
kleinern Eilande heißen Halligen, sind weder durch Kunst noch Natur beschützt
und manchmal bloß von einer Familie bewohnt. Das Meer, das die Halligen
umgibt und oft überwogt, trägt noch an verschiednen Stellen die Namen der
im Laufe der Jahrhunderte darin begrabnen Landstellen und ihrer Eigentümer.

Die Errichtung von Dämmen zur Förderung der Landgewinnung, wie dies
seit alten Zeiten in den Niederlanden geschieht, hat schon unter der dünischen
Herrschaft und zwar zuerst in Süderdithmarschen begonnen. Der Vater des
Geschichtsforschers Barthold Georg Niebuhr, der Orientreisende Carstens Niebuhr,
war von 1777 bis 1815 Landschreiber in Meldorf, wo ihm auch die Ver¬
waltung der dem Staate gehörenden Außendeichsländereien oblag. Außerhalb der
Deiche setzt die Flut bei ihrem jedesmaligen Zurückweichen Schlick an, der immer
höher wird und nach und nach das Außendeichsland bildet. Schlick entstammt den
Alluvionen der Flüsse, die das in ihrem obern Laufe losgerissene Erdreich, immer
mehr zerkleinert und zerrieben, in Gestalt eines zähen, fetten Schlammes im
Gebiet ihrer Mündungen absetzen. Es leuchtet ein, daß solcher Boden an sich
sehr fruchtbar sein muß. Unter einer tropischen Sonne würde er jene Riesen
der Pflanzenwelt, jene in strotzender Überfülle prangende Vegetation erzeugen,
die in den Flußniederungen der heißen Gegenden das Staunen und oft auch
die Verzweiflung der Reisenden hervorrufen. In den norddeutschen Marsch¬
gegenden sorgen das kältere Klima und der scharf vom Meere herüberstreichende
Nordwest schon dafür, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Das
Schlickgebiet, das nach der Eindeichung Marschland heißt, ist aber auch an der
Nordsee eine äußerst fruchtbare Fläche, die in Schleswig namentlich zur Vieh¬
zucht, besonders zum „Fettgrasen" der Ochsen benutzt wird, während man im
Holsteinischen auch Raps, Hafer und Hülsenfrüchte darauf baut. Sobald der
Schlick des Außendeichlandes so hoch wird, daß er längere Zeit trocken bleibt,
erscheint zunächst eine Salzpflanze (8aliczoi'nig. nsrbaoöch, durch deren steife,
abstehende Äste die Ablagerung befördert wird. Später folgen noch andre
Pflanzen, die auch zum Wachsen des Bodens beitragen, bis schließlich, nachdem
der überschüssige Salzgehalt des Schlicks ausgezogen ist, der weiße, kriechende
Klee Mtolwm rexsus) erscheint, der das Zeichen gibt, daß das Land zur Ein¬
deichung reif ist. Zur Beförderung der Vodenbildung zieht man auch zuweilen
niedrige Deiche, sogenannte „Lähmungen". Ein solches dem Meere abgerungnes
und eingedeichtes Stück Land heißt dann in Schleswig-Holstein ein „Koog",
an der holländischen Grenze ein „Potter", dessen Besitzer eine Wassergemeinschaft
zur Abhaltung des Übermaßes von Wasser bilden, die über Bau und Unter¬
haltung von Dämmen, Schleusen usw. sehr durchgreifende Bestimmungen besitzen.


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[0123] Landgewinnung in der Nordsee hat sich das Festland von Schleswig-Holstein etwa fünf Meilen weiter west¬ wärts erstreckt. Die größern dieser Eilande sind teils durch Deiche, teils durch Dünen vor den Wogen geschützt, die täglich mit Ebbe und Flut kommend und gehend immer neue Versuche zu machen scheinen, auch die letzten Brocken ihres großen Raubes in den gierigen Schlund des Meeres hinunterzuziehen. Die kleinern Eilande heißen Halligen, sind weder durch Kunst noch Natur beschützt und manchmal bloß von einer Familie bewohnt. Das Meer, das die Halligen umgibt und oft überwogt, trägt noch an verschiednen Stellen die Namen der im Laufe der Jahrhunderte darin begrabnen Landstellen und ihrer Eigentümer. Die Errichtung von Dämmen zur Förderung der Landgewinnung, wie dies seit alten Zeiten in den Niederlanden geschieht, hat schon unter der dünischen Herrschaft und zwar zuerst in Süderdithmarschen begonnen. Der Vater des Geschichtsforschers Barthold Georg Niebuhr, der Orientreisende Carstens Niebuhr, war von 1777 bis 1815 Landschreiber in Meldorf, wo ihm auch die Ver¬ waltung der dem Staate gehörenden Außendeichsländereien oblag. Außerhalb der Deiche setzt die Flut bei ihrem jedesmaligen Zurückweichen Schlick an, der immer höher wird und nach und nach das Außendeichsland bildet. Schlick entstammt den Alluvionen der Flüsse, die das in ihrem obern Laufe losgerissene Erdreich, immer mehr zerkleinert und zerrieben, in Gestalt eines zähen, fetten Schlammes im Gebiet ihrer Mündungen absetzen. Es leuchtet ein, daß solcher Boden an sich sehr fruchtbar sein muß. Unter einer tropischen Sonne würde er jene Riesen der Pflanzenwelt, jene in strotzender Überfülle prangende Vegetation erzeugen, die in den Flußniederungen der heißen Gegenden das Staunen und oft auch die Verzweiflung der Reisenden hervorrufen. In den norddeutschen Marsch¬ gegenden sorgen das kältere Klima und der scharf vom Meere herüberstreichende Nordwest schon dafür, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Das Schlickgebiet, das nach der Eindeichung Marschland heißt, ist aber auch an der Nordsee eine äußerst fruchtbare Fläche, die in Schleswig namentlich zur Vieh¬ zucht, besonders zum „Fettgrasen" der Ochsen benutzt wird, während man im Holsteinischen auch Raps, Hafer und Hülsenfrüchte darauf baut. Sobald der Schlick des Außendeichlandes so hoch wird, daß er längere Zeit trocken bleibt, erscheint zunächst eine Salzpflanze (8aliczoi'nig. nsrbaoöch, durch deren steife, abstehende Äste die Ablagerung befördert wird. Später folgen noch andre Pflanzen, die auch zum Wachsen des Bodens beitragen, bis schließlich, nachdem der überschüssige Salzgehalt des Schlicks ausgezogen ist, der weiße, kriechende Klee Mtolwm rexsus) erscheint, der das Zeichen gibt, daß das Land zur Ein¬ deichung reif ist. Zur Beförderung der Vodenbildung zieht man auch zuweilen niedrige Deiche, sogenannte „Lähmungen". Ein solches dem Meere abgerungnes und eingedeichtes Stück Land heißt dann in Schleswig-Holstein ein „Koog", an der holländischen Grenze ein „Potter", dessen Besitzer eine Wassergemeinschaft zur Abhaltung des Übermaßes von Wasser bilden, die über Bau und Unter¬ haltung von Dämmen, Schleusen usw. sehr durchgreifende Bestimmungen besitzen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/123>, abgerufen am 22.07.2024.