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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Wie war es doch, liebe Berry? wolltest du nicht heute in die Armenpflege
zu Kalkart? Freitag?

Ja, Mutter, um ein Uhr. Ich wollte gerade gehn.

Gehn gnädiges Fräulein in die Stadt, dann darf ich Sie vielleicht begleiten.

Berry sah ein wenig ängstlich fragend zu der Mutter hinüber.

Aber wenn Sie heute abend reisen wollen --?

Ich habe Herrn Bugge gebeten, mit uns zu essen, aber er ist behindert --

Ich muß noch packen und . . .

Heute abend wird uns Herr Bugge aber mit seinem Besuch erfreuen!

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel*)

(Der Zwischenfall in Casabianca. Zum Kampf um die Neichsfinanzreform.)

Während die Verhandlungen über die Frage der Anerkennung Mulei Hafids
ihren ruhigen Gang gehn, hat ein deutsch-französischer Zwischenfall in Casabianca
die Gemüter wieder stärker erregt. Es ist aber bezeichnend, daß sich diese Erregung,
die natürlich nicht ganz ausbleiben konnte, doch in den Grenzen der Besonnen¬
heit hält. Wir wollen aus der Marokkofrage nicht mehr machen, als notwendig
und durch den wirklichen Stand unsrer Interesse" gerechtfertigt ist, und die ruhige
Auffassung unsrer Beziehungen zu Frankreich gestattet uns, mit Bestimmtheit der
Genugtuung, die wir von Frankreich zu fordern haben, entgegenzusehen. Wir
wissen, daß es verkehrt wäre, einen solchen Fall übermäßig aufzubauschen; es ge¬
nügt, daß der offenbare Verstoß gegen das Völkerrecht seine Sühne findet.

Deutsche Reichsangehörige, die in der französischen Fremdenlegion dienten,
waren desertiert und hatten im deutschen Konsulat zu Casabianca Schutz gesucht.
Dieser war ihnen, da kein Abkommen und kein völkerrechtlicher Brauch dem ent¬
gegenstand, gewährt worden, wie es übrigens schon früher in zahlreichen Fällen
geschehen war. Sie sollten nun auf ein deutsches Schiff gebracht werden, und wie
immer geschah dies unter Begleitung des in Casabianca überall persönlich wohl¬
bekannten Konsulatssekretärs und eines Konsulatssoldateu. Französische Soldaten,
die sich natürlich den völkerrechtlichen Zusammenhang nicht klar machten, sondern
nur sahen, daß Deserteure ihrer Armee offen vor ihren Augen so geleitet wurden,
daß sie der Arm der französischen Militärjustiz nicht mehr erreichen konnte, griffen
den kleinen Transport laeues an, und sogar ein französischer Offizier soll sich dabei
zu Bedrohungen des deutschen Konsulatssekretärs haben hinreißen lassen. Die
Deserteure wurden dem deutschen Schutz entrissen, widerrechtlich verhaftet und
-- trotz der Beschwerde des deutschen Konsuls -- nicht freigegeben.

Über die völkerrechtliche Bedeutung des Falles selbst sind kaum viel Worte
zu verlieren. Auch wenn sich diese oder jene Einzelheit des Falles etwas anders



*) Anmerkung der Redaktion. Für den Bericht dieser Woche war auch eine Besprechung
des bulgarisch-türkischen Konfliktes vorgesehen. Wir sehen jedoch von ihrer Veröffentlichung ab,
da sie durch die jüngsten Ereignisse überholt worden ist.
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Wie war es doch, liebe Berry? wolltest du nicht heute in die Armenpflege
zu Kalkart? Freitag?

Ja, Mutter, um ein Uhr. Ich wollte gerade gehn.

Gehn gnädiges Fräulein in die Stadt, dann darf ich Sie vielleicht begleiten.

Berry sah ein wenig ängstlich fragend zu der Mutter hinüber.

Aber wenn Sie heute abend reisen wollen —?

Ich habe Herrn Bugge gebeten, mit uns zu essen, aber er ist behindert —

Ich muß noch packen und . . .

Heute abend wird uns Herr Bugge aber mit seinem Besuch erfreuen!

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel*)

(Der Zwischenfall in Casabianca. Zum Kampf um die Neichsfinanzreform.)

Während die Verhandlungen über die Frage der Anerkennung Mulei Hafids
ihren ruhigen Gang gehn, hat ein deutsch-französischer Zwischenfall in Casabianca
die Gemüter wieder stärker erregt. Es ist aber bezeichnend, daß sich diese Erregung,
die natürlich nicht ganz ausbleiben konnte, doch in den Grenzen der Besonnen¬
heit hält. Wir wollen aus der Marokkofrage nicht mehr machen, als notwendig
und durch den wirklichen Stand unsrer Interesse» gerechtfertigt ist, und die ruhige
Auffassung unsrer Beziehungen zu Frankreich gestattet uns, mit Bestimmtheit der
Genugtuung, die wir von Frankreich zu fordern haben, entgegenzusehen. Wir
wissen, daß es verkehrt wäre, einen solchen Fall übermäßig aufzubauschen; es ge¬
nügt, daß der offenbare Verstoß gegen das Völkerrecht seine Sühne findet.

Deutsche Reichsangehörige, die in der französischen Fremdenlegion dienten,
waren desertiert und hatten im deutschen Konsulat zu Casabianca Schutz gesucht.
Dieser war ihnen, da kein Abkommen und kein völkerrechtlicher Brauch dem ent¬
gegenstand, gewährt worden, wie es übrigens schon früher in zahlreichen Fällen
geschehen war. Sie sollten nun auf ein deutsches Schiff gebracht werden, und wie
immer geschah dies unter Begleitung des in Casabianca überall persönlich wohl¬
bekannten Konsulatssekretärs und eines Konsulatssoldateu. Französische Soldaten,
die sich natürlich den völkerrechtlichen Zusammenhang nicht klar machten, sondern
nur sahen, daß Deserteure ihrer Armee offen vor ihren Augen so geleitet wurden,
daß sie der Arm der französischen Militärjustiz nicht mehr erreichen konnte, griffen
den kleinen Transport laeues an, und sogar ein französischer Offizier soll sich dabei
zu Bedrohungen des deutschen Konsulatssekretärs haben hinreißen lassen. Die
Deserteure wurden dem deutschen Schutz entrissen, widerrechtlich verhaftet und
— trotz der Beschwerde des deutschen Konsuls — nicht freigegeben.

Über die völkerrechtliche Bedeutung des Falles selbst sind kaum viel Worte
zu verlieren. Auch wenn sich diese oder jene Einzelheit des Falles etwas anders



*) Anmerkung der Redaktion. Für den Bericht dieser Woche war auch eine Besprechung
des bulgarisch-türkischen Konfliktes vorgesehen. Wir sehen jedoch von ihrer Veröffentlichung ab,
da sie durch die jüngsten Ereignisse überholt worden ist.
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[0100] Maßgebliches und Unmaßgebliches Wie war es doch, liebe Berry? wolltest du nicht heute in die Armenpflege zu Kalkart? Freitag? Ja, Mutter, um ein Uhr. Ich wollte gerade gehn. Gehn gnädiges Fräulein in die Stadt, dann darf ich Sie vielleicht begleiten. Berry sah ein wenig ängstlich fragend zu der Mutter hinüber. Aber wenn Sie heute abend reisen wollen —? Ich habe Herrn Bugge gebeten, mit uns zu essen, aber er ist behindert — Ich muß noch packen und . . . Heute abend wird uns Herr Bugge aber mit seinem Besuch erfreuen! (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel*) (Der Zwischenfall in Casabianca. Zum Kampf um die Neichsfinanzreform.) Während die Verhandlungen über die Frage der Anerkennung Mulei Hafids ihren ruhigen Gang gehn, hat ein deutsch-französischer Zwischenfall in Casabianca die Gemüter wieder stärker erregt. Es ist aber bezeichnend, daß sich diese Erregung, die natürlich nicht ganz ausbleiben konnte, doch in den Grenzen der Besonnen¬ heit hält. Wir wollen aus der Marokkofrage nicht mehr machen, als notwendig und durch den wirklichen Stand unsrer Interesse» gerechtfertigt ist, und die ruhige Auffassung unsrer Beziehungen zu Frankreich gestattet uns, mit Bestimmtheit der Genugtuung, die wir von Frankreich zu fordern haben, entgegenzusehen. Wir wissen, daß es verkehrt wäre, einen solchen Fall übermäßig aufzubauschen; es ge¬ nügt, daß der offenbare Verstoß gegen das Völkerrecht seine Sühne findet. Deutsche Reichsangehörige, die in der französischen Fremdenlegion dienten, waren desertiert und hatten im deutschen Konsulat zu Casabianca Schutz gesucht. Dieser war ihnen, da kein Abkommen und kein völkerrechtlicher Brauch dem ent¬ gegenstand, gewährt worden, wie es übrigens schon früher in zahlreichen Fällen geschehen war. Sie sollten nun auf ein deutsches Schiff gebracht werden, und wie immer geschah dies unter Begleitung des in Casabianca überall persönlich wohl¬ bekannten Konsulatssekretärs und eines Konsulatssoldateu. Französische Soldaten, die sich natürlich den völkerrechtlichen Zusammenhang nicht klar machten, sondern nur sahen, daß Deserteure ihrer Armee offen vor ihren Augen so geleitet wurden, daß sie der Arm der französischen Militärjustiz nicht mehr erreichen konnte, griffen den kleinen Transport laeues an, und sogar ein französischer Offizier soll sich dabei zu Bedrohungen des deutschen Konsulatssekretärs haben hinreißen lassen. Die Deserteure wurden dem deutschen Schutz entrissen, widerrechtlich verhaftet und — trotz der Beschwerde des deutschen Konsuls — nicht freigegeben. Über die völkerrechtliche Bedeutung des Falles selbst sind kaum viel Worte zu verlieren. Auch wenn sich diese oder jene Einzelheit des Falles etwas anders *) Anmerkung der Redaktion. Für den Bericht dieser Woche war auch eine Besprechung des bulgarisch-türkischen Konfliktes vorgesehen. Wir sehen jedoch von ihrer Veröffentlichung ab, da sie durch die jüngsten Ereignisse überholt worden ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/100>, abgerufen am 22.07.2024.