Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.Der Stand des Balkanproblems gleichen Bedingungen wie jede andre Macht ihre Wünsche zur Geltung zu Als man mit der Gendarmerie ins reine gekommen war, und sich die Die bisherigen Erfolge der Reformarbeit? Die wohlwollendsten Be¬ Der Stand des Balkanproblems gleichen Bedingungen wie jede andre Macht ihre Wünsche zur Geltung zu Als man mit der Gendarmerie ins reine gekommen war, und sich die Die bisherigen Erfolge der Reformarbeit? Die wohlwollendsten Be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0070" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303486"/> <fw type="header" place="top"> Der Stand des Balkanproblems</fw><lb/> <p xml:id="ID_246" prev="#ID_245"> gleichen Bedingungen wie jede andre Macht ihre Wünsche zur Geltung zu<lb/> bringen. In der Tat setzte Italien durch, was es wollte: neben den aus<lb/> Österreich, Rußland, Deutschland, Frankreich und England dem General<lb/> De Giorgis beigesellten Stabsoffizieren war auch ein italienischer Oberst und<lb/> außerdem in der Eigenschaft eines „persönlichen" Adjutanten ein italienischer<lb/> Hauptmann; entgegen den ursprünglichen Plänen, die dem Gendarmerie¬<lb/> bataillon unter dem Kommando italienischer Offiziere und Unteroffiziere den<lb/> Bezirk Serres zuwiesen, erhielt dieses Bataillon wunschgemäß den Bezirk<lb/> Monastir, der Italien als Interessen- und Einflußsphäre am wichtigsten war,<lb/> nachdem Österreich Uskub und Rußland Vodena für die von österreichischen<lb/> bzw. russischen Offizieren kommandierten Gendarmeriebataillone in Anspruch<lb/> genommen hatten und Frankreich eine Vorliebe für den französische Eisen¬<lb/> bahninteressen beherbergenden Bezirk Serres geäußert hatte. Das Haupt¬<lb/> quartier des Gendarmeriekommandeurs wurde Salonichi und nicht, wie zuerst<lb/> geplant, Monastir.</p><lb/> <p xml:id="ID_247"> Als man mit der Gendarmerie ins reine gekommen war, und sich die<lb/> Pforte auch die subalternen Offiziere und Unteroffiziere von den Mächten nach<lb/> deren Belieben hatte ins Haus setzen lassen, begann die Verwirklichung der<lb/> Finanzreform mit unendlichen Kontroversien sowohl zwischen der Türkei und<lb/> den Mürzsteger Proponenten wie zwischen diesen und den übrigen Firmataren<lb/> des Berliner Vertrages, deren Beifall zu dem Projekt und Gegenprojekt um<lb/> so mehr zurückhielt, als die Türkei zugleich das ihr durch die mazedonischen<lb/> Reformen erwachsne Kassendefizit durch eine Steigerung des Zolles auf aus¬<lb/> ländische Waren von acht auf elf Prozent decken zu müssen erklärte. Es kam<lb/> bei diesem Anlasse, wie man weiß, zu Flottendemonstrationen der Mächte, die<lb/> der Türkei die Annahme des inzwischen stark modifizierten Finanzprogramms<lb/> aufnötigten, und andrerseits unter anderen zu dem sehr deutlichen Einwände<lb/> Englands gegen Österreich und Rußland, daß sie ihr Mandat unbegrenzt und<lb/> jedenfalls über die vorgesehene Grenze hinaus verlängern würden, wofern sie<lb/> die Kontrolle der mazedonischen Finanzen ebenfalls in ihre Hände nähmen.<lb/> Man einigte sich auf die Ernennung von vier Delegierten aus Deutschland,<lb/> England, Frankreich und Italien, die im Verein mit dem österreichischen und<lb/> dem russischen Delegierten und dem Generalinspektor die Finanzkontrolle wahr¬<lb/> zunehmen haben, und die Türkei erhielt die drei Prozent Zoll bewilligt, und<lb/> zwar zu allerletzt von selten Englands, das besondre Garantien wegen der<lb/> Verwendung der drei Prozent im Dienste Mazedoniens beanspruchte und die<lb/> Ausdehnung der Reformarbeit auf das Vilajet Adrianopel vergeblich durch¬<lb/> zusetzen versucht hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_248" next="#ID_249"> Die bisherigen Erfolge der Reformarbeit? Die wohlwollendsten Be¬<lb/> urteiler sagen, daß sich die zu ihr berufnen und hauptsächlich die Organi¬<lb/> satoren der Gendarmerie vorzüglich zu ihrer Aufgabe stellen, daß aber<lb/> die Schwierigkeiten dieser Aufgabe zu groß seien, als daß sie schon heute</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0070]
Der Stand des Balkanproblems
gleichen Bedingungen wie jede andre Macht ihre Wünsche zur Geltung zu
bringen. In der Tat setzte Italien durch, was es wollte: neben den aus
Österreich, Rußland, Deutschland, Frankreich und England dem General
De Giorgis beigesellten Stabsoffizieren war auch ein italienischer Oberst und
außerdem in der Eigenschaft eines „persönlichen" Adjutanten ein italienischer
Hauptmann; entgegen den ursprünglichen Plänen, die dem Gendarmerie¬
bataillon unter dem Kommando italienischer Offiziere und Unteroffiziere den
Bezirk Serres zuwiesen, erhielt dieses Bataillon wunschgemäß den Bezirk
Monastir, der Italien als Interessen- und Einflußsphäre am wichtigsten war,
nachdem Österreich Uskub und Rußland Vodena für die von österreichischen
bzw. russischen Offizieren kommandierten Gendarmeriebataillone in Anspruch
genommen hatten und Frankreich eine Vorliebe für den französische Eisen¬
bahninteressen beherbergenden Bezirk Serres geäußert hatte. Das Haupt¬
quartier des Gendarmeriekommandeurs wurde Salonichi und nicht, wie zuerst
geplant, Monastir.
Als man mit der Gendarmerie ins reine gekommen war, und sich die
Pforte auch die subalternen Offiziere und Unteroffiziere von den Mächten nach
deren Belieben hatte ins Haus setzen lassen, begann die Verwirklichung der
Finanzreform mit unendlichen Kontroversien sowohl zwischen der Türkei und
den Mürzsteger Proponenten wie zwischen diesen und den übrigen Firmataren
des Berliner Vertrages, deren Beifall zu dem Projekt und Gegenprojekt um
so mehr zurückhielt, als die Türkei zugleich das ihr durch die mazedonischen
Reformen erwachsne Kassendefizit durch eine Steigerung des Zolles auf aus¬
ländische Waren von acht auf elf Prozent decken zu müssen erklärte. Es kam
bei diesem Anlasse, wie man weiß, zu Flottendemonstrationen der Mächte, die
der Türkei die Annahme des inzwischen stark modifizierten Finanzprogramms
aufnötigten, und andrerseits unter anderen zu dem sehr deutlichen Einwände
Englands gegen Österreich und Rußland, daß sie ihr Mandat unbegrenzt und
jedenfalls über die vorgesehene Grenze hinaus verlängern würden, wofern sie
die Kontrolle der mazedonischen Finanzen ebenfalls in ihre Hände nähmen.
Man einigte sich auf die Ernennung von vier Delegierten aus Deutschland,
England, Frankreich und Italien, die im Verein mit dem österreichischen und
dem russischen Delegierten und dem Generalinspektor die Finanzkontrolle wahr¬
zunehmen haben, und die Türkei erhielt die drei Prozent Zoll bewilligt, und
zwar zu allerletzt von selten Englands, das besondre Garantien wegen der
Verwendung der drei Prozent im Dienste Mazedoniens beanspruchte und die
Ausdehnung der Reformarbeit auf das Vilajet Adrianopel vergeblich durch¬
zusetzen versucht hatte.
Die bisherigen Erfolge der Reformarbeit? Die wohlwollendsten Be¬
urteiler sagen, daß sich die zu ihr berufnen und hauptsächlich die Organi¬
satoren der Gendarmerie vorzüglich zu ihrer Aufgabe stellen, daß aber
die Schwierigkeiten dieser Aufgabe zu groß seien, als daß sie schon heute
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