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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Deutsch - amerikanische Angelegenheiten

Vereinigten Staaten bisher niemals zu Schritten haben bewegen lassen, die
in der Richtung der viel besprochnen Einkreisungsgelüste Englands gegen
Deutschland ausgelegt werden könnten. Aber auch bei dieser Gelegenheit ist
der Hinweis nützlich, daß die Stellung der Union unzweifelhaft viel deutsch¬
freundlicher gewesen wäre, wenn sich das Deutsche Reich des Besitzes einer
etwa doppelt so starken Flotte erfreute. In der Politik schafft nur Macht
dauernde Freundschaft, alles andre bleibt Gelegenheitspolitik. Der enge Zu¬
sammenhang zwischen Macht -- namentlich Seemacht -- und Handelsinteresse
kann gar nicht deutlicher hervortreten als im vorliegenden Falle.

Auch das Eintreten Deutschlands in die Weltpolitik zwingt uns zu einer
ganz andern Orientierung in auswärtigen Angelegenheiten, als es bisher
üblich gewesen ist. Die trüben Erfahrungen in der Kolonialpolitik haben uns
teures Lehrgeld gekostet. Jetzt interessieren sich Abgeordnete und Wähler wett¬
eifernd für die kolonialen Fragen, und die Früchte davon sind schon deutlich
erkennbar. So müssen auch alle andern überseeischen Angelegenheiten behandelt
werden, und unter diesen werden die Beziehungen zu Nordamerika für Jahrzehnte
wohl ohne Zweifel für Deutschland die wichtigsten bleiben, um so mehr, da sie auch
im engsten Zusammenhang mit der in den letzten Jahren aufgerollten ostasiatischen
Frage stehn, von der sich kaum der erste Akt abgespielt hat. Die deutsche
Presse, die in alter Gewohnheit die überseeischen Verhältnisse nach englischen
Quellen behandelt, genügt dem neuen Bedürfnis durchaus nicht, und es bleibt
darum nur übrig, zum Selbststudium zu greifen. Daß das Bedürfnis aber
tatsächlich vorhanden ist, wird schon durch den Umstand erhärtet, das; seit
Goldbergers bekanntem Buch Veröffentlichungen über amerikanische Zustände
raschen und steigenden Absatz, Vorträge solchen Inhalts zahlreiche Zuhörer
finden. Es hat sich auch schon eine gewisse Richtigstellung früherer landläufiger
Irrtümer über Amerika herausgebildet. Man bewundert weniger als früher die
wissenschaftlichen Schenkungen der Millionäre, die ehemalige rückhaltlose Be¬
geisterung für das amerikanische Verkehrswesen hat der schlichten Erkenntnis Platz
gemacht, daß die deutschen Eisenbahnen ebenso schnell und dazu noch sicherer
fahren als die amerikanischen. Der vor sechzig Jahren in Deutschland übliche
Amerikakultus ist nüchternen Auffassungen gewichen, die Auswüchse allzugroßer
Freiheit, die Lynchmorde im Süden und Westen finden ihre gerechtfertigte
Kritik. Der Zauber der großen Zahlen ist geschwunden, seit man inne geworden
ist, daß man zum Vergleiche mit den Vereinigten Staaten, wenn man eine
gleiche räumliche Grundlage gewinnen will, nicht Deutschland allein, sondern
nahezu das ganze europäische Festland heranziehen müßte, höchstens wirken
noch die Rieseneinkünfte der Millionäre und Milliardäre in gewissen Kreisen
berauschend. Im allgemeinen findet dagegen das Streben und die Geschäfts¬
energie der Amerikaner volle Würdigung, und man sieht in den tüchtigen
Eigenschaften des amerikanischen Volkscharakters den Grund für die großen
materiellen Erfolge. Als Begleiterscheinung machen sich sogar schon Versuche


Deutsch - amerikanische Angelegenheiten

Vereinigten Staaten bisher niemals zu Schritten haben bewegen lassen, die
in der Richtung der viel besprochnen Einkreisungsgelüste Englands gegen
Deutschland ausgelegt werden könnten. Aber auch bei dieser Gelegenheit ist
der Hinweis nützlich, daß die Stellung der Union unzweifelhaft viel deutsch¬
freundlicher gewesen wäre, wenn sich das Deutsche Reich des Besitzes einer
etwa doppelt so starken Flotte erfreute. In der Politik schafft nur Macht
dauernde Freundschaft, alles andre bleibt Gelegenheitspolitik. Der enge Zu¬
sammenhang zwischen Macht — namentlich Seemacht — und Handelsinteresse
kann gar nicht deutlicher hervortreten als im vorliegenden Falle.

Auch das Eintreten Deutschlands in die Weltpolitik zwingt uns zu einer
ganz andern Orientierung in auswärtigen Angelegenheiten, als es bisher
üblich gewesen ist. Die trüben Erfahrungen in der Kolonialpolitik haben uns
teures Lehrgeld gekostet. Jetzt interessieren sich Abgeordnete und Wähler wett¬
eifernd für die kolonialen Fragen, und die Früchte davon sind schon deutlich
erkennbar. So müssen auch alle andern überseeischen Angelegenheiten behandelt
werden, und unter diesen werden die Beziehungen zu Nordamerika für Jahrzehnte
wohl ohne Zweifel für Deutschland die wichtigsten bleiben, um so mehr, da sie auch
im engsten Zusammenhang mit der in den letzten Jahren aufgerollten ostasiatischen
Frage stehn, von der sich kaum der erste Akt abgespielt hat. Die deutsche
Presse, die in alter Gewohnheit die überseeischen Verhältnisse nach englischen
Quellen behandelt, genügt dem neuen Bedürfnis durchaus nicht, und es bleibt
darum nur übrig, zum Selbststudium zu greifen. Daß das Bedürfnis aber
tatsächlich vorhanden ist, wird schon durch den Umstand erhärtet, das; seit
Goldbergers bekanntem Buch Veröffentlichungen über amerikanische Zustände
raschen und steigenden Absatz, Vorträge solchen Inhalts zahlreiche Zuhörer
finden. Es hat sich auch schon eine gewisse Richtigstellung früherer landläufiger
Irrtümer über Amerika herausgebildet. Man bewundert weniger als früher die
wissenschaftlichen Schenkungen der Millionäre, die ehemalige rückhaltlose Be¬
geisterung für das amerikanische Verkehrswesen hat der schlichten Erkenntnis Platz
gemacht, daß die deutschen Eisenbahnen ebenso schnell und dazu noch sicherer
fahren als die amerikanischen. Der vor sechzig Jahren in Deutschland übliche
Amerikakultus ist nüchternen Auffassungen gewichen, die Auswüchse allzugroßer
Freiheit, die Lynchmorde im Süden und Westen finden ihre gerechtfertigte
Kritik. Der Zauber der großen Zahlen ist geschwunden, seit man inne geworden
ist, daß man zum Vergleiche mit den Vereinigten Staaten, wenn man eine
gleiche räumliche Grundlage gewinnen will, nicht Deutschland allein, sondern
nahezu das ganze europäische Festland heranziehen müßte, höchstens wirken
noch die Rieseneinkünfte der Millionäre und Milliardäre in gewissen Kreisen
berauschend. Im allgemeinen findet dagegen das Streben und die Geschäfts¬
energie der Amerikaner volle Würdigung, und man sieht in den tüchtigen
Eigenschaften des amerikanischen Volkscharakters den Grund für die großen
materiellen Erfolge. Als Begleiterscheinung machen sich sogar schon Versuche


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[0620] Deutsch - amerikanische Angelegenheiten Vereinigten Staaten bisher niemals zu Schritten haben bewegen lassen, die in der Richtung der viel besprochnen Einkreisungsgelüste Englands gegen Deutschland ausgelegt werden könnten. Aber auch bei dieser Gelegenheit ist der Hinweis nützlich, daß die Stellung der Union unzweifelhaft viel deutsch¬ freundlicher gewesen wäre, wenn sich das Deutsche Reich des Besitzes einer etwa doppelt so starken Flotte erfreute. In der Politik schafft nur Macht dauernde Freundschaft, alles andre bleibt Gelegenheitspolitik. Der enge Zu¬ sammenhang zwischen Macht — namentlich Seemacht — und Handelsinteresse kann gar nicht deutlicher hervortreten als im vorliegenden Falle. Auch das Eintreten Deutschlands in die Weltpolitik zwingt uns zu einer ganz andern Orientierung in auswärtigen Angelegenheiten, als es bisher üblich gewesen ist. Die trüben Erfahrungen in der Kolonialpolitik haben uns teures Lehrgeld gekostet. Jetzt interessieren sich Abgeordnete und Wähler wett¬ eifernd für die kolonialen Fragen, und die Früchte davon sind schon deutlich erkennbar. So müssen auch alle andern überseeischen Angelegenheiten behandelt werden, und unter diesen werden die Beziehungen zu Nordamerika für Jahrzehnte wohl ohne Zweifel für Deutschland die wichtigsten bleiben, um so mehr, da sie auch im engsten Zusammenhang mit der in den letzten Jahren aufgerollten ostasiatischen Frage stehn, von der sich kaum der erste Akt abgespielt hat. Die deutsche Presse, die in alter Gewohnheit die überseeischen Verhältnisse nach englischen Quellen behandelt, genügt dem neuen Bedürfnis durchaus nicht, und es bleibt darum nur übrig, zum Selbststudium zu greifen. Daß das Bedürfnis aber tatsächlich vorhanden ist, wird schon durch den Umstand erhärtet, das; seit Goldbergers bekanntem Buch Veröffentlichungen über amerikanische Zustände raschen und steigenden Absatz, Vorträge solchen Inhalts zahlreiche Zuhörer finden. Es hat sich auch schon eine gewisse Richtigstellung früherer landläufiger Irrtümer über Amerika herausgebildet. Man bewundert weniger als früher die wissenschaftlichen Schenkungen der Millionäre, die ehemalige rückhaltlose Be¬ geisterung für das amerikanische Verkehrswesen hat der schlichten Erkenntnis Platz gemacht, daß die deutschen Eisenbahnen ebenso schnell und dazu noch sicherer fahren als die amerikanischen. Der vor sechzig Jahren in Deutschland übliche Amerikakultus ist nüchternen Auffassungen gewichen, die Auswüchse allzugroßer Freiheit, die Lynchmorde im Süden und Westen finden ihre gerechtfertigte Kritik. Der Zauber der großen Zahlen ist geschwunden, seit man inne geworden ist, daß man zum Vergleiche mit den Vereinigten Staaten, wenn man eine gleiche räumliche Grundlage gewinnen will, nicht Deutschland allein, sondern nahezu das ganze europäische Festland heranziehen müßte, höchstens wirken noch die Rieseneinkünfte der Millionäre und Milliardäre in gewissen Kreisen berauschend. Im allgemeinen findet dagegen das Streben und die Geschäfts¬ energie der Amerikaner volle Würdigung, und man sieht in den tüchtigen Eigenschaften des amerikanischen Volkscharakters den Grund für die großen materiellen Erfolge. Als Begleiterscheinung machen sich sogar schon Versuche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/620>, abgerufen am 26.08.2024.