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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Deutsch - amerikanische Angelegenheiten

wenn man auch den besten Willen der neuern amerikanischen Geschichtschreiber
anerkennt, daß der deutsche Einfluß wieder nicht gebührend gewürdigt werden
wird. Das nordamerikanische Volkstum ist entstanden, oder entsteht eigentlich
noch, aus einer Mischung von angelsächsischen, deutschen und keltischen Ele¬
menten, und der Anteil des deutschen Einschlags, namentlich nach der geistigen
Seite hin, ist größer, als man gemeinhin annimmt. Eine brauchbare Ge¬
schichte der Deutschen in den Vereinigten Staaten ist aber auch noch nicht
geschrieben worden, obgleich durch die deutschamerikanischen Geschichtsvereine
schon vieles zuverlässige Material gesammelt und zum Teil auch verarbeitet
worden ist. Es wird die Aufgabe eines solchen Werkes sein, den Beweis
dafür zu führen, daß auch in Nordamerika der Deutsche seinen in allen Jahr¬
hunderten erprobten Ruf bewährt hat, der beste Kolonisator und Ackerbauer
zu sein. Die Besiedlung der Ackerbauländer ist das Werk der Deutschen, der
Deutsche Stender hat Washingtons Heer organisiert, das die Unabhängigkeit
des Landes erkämpfte, und wieder waren es die Deutschen, deren Idealismus
in der Sklavereifrage gegen den abtrünnigen Süden Partei ergriff und die
Entscheidung des Westens für die Union bewirkte, woran in jenen Tagen
das Schicksal des Landes hing.

Gerade dieses hat die Stellung der Deutschamerikaner wesentlich gehoben
und dem Hasse der Nativisten gegen sie die Spitze abgebrochen. Mit der Ent¬
stehung des Deutschen Reiches kam noch eine weitere Wendung hinzu; die
Deutschamerikaner traten einander näher, und je mehr das Deutsche Reich an
der Weltpolitik teilnahm, um so weniger wollten sie zulassen, daß sie um
ihres Volkstums willen, das in der Welt in so hohem Ansehen stand, im
neuen Vaterlande zurückstehn sollten. Hunderte und Tausende, die sich bisher
ihrer Abstammung geschämt, die ihre Namen amerikanisiert hatten, bekannten
sich wieder als Deutsche und fingen wieder mit deutscher Zunge zu reden an.
Infolge der Ackerbaukrise in Deutschland kamen in den siebziger und achtziger
Jahren zahlreiche neue Einwandrer herüber, unter ihnen viele ehemalige
deutsche Krieger, die sich mit den deutschen Kämpfern aus dem Sezessions-
kriege in Militärvereine zusammenschlossen, die dem seither schon bestehenden,
aber bei den Aankees wenig beliebten deutschen Vereinswesen eine populäre
Seite hinzufügten. Der Besuch des Prinzen Heinrich im Jahre 1902 hat
schließlich eine Bewegung zum Zusammenschluß aller deutschen Vereine hervor¬
gerufen, die namentlich von den Deutschen in Newyork und Philadelphia
gefördert worden ist. Als am 26. Februar 1902 gegen 10000 Fackelträger, die
320 deutschen Vereinen angehörten, mit 24 Musikchören vor dem Gebäude
des "Arion" in Newyork vorüberzogen, auf dessen Balkon Prinz Heinrich die
Huldigung entgegennahm, sagte er in seiner Erwiderung auf die Ansprache
des Festpräsidenten Dr. Weylcmdt: "Ich weiß, Sie gehören fast alle der auf¬
strebenden amerikanischen Nation an; ich kann Ihnen nur raten: Erfüllen Sie
als Mitbürger dieses Staatswesens in gleichem Grade die Pflichten wie Ihre


Deutsch - amerikanische Angelegenheiten

wenn man auch den besten Willen der neuern amerikanischen Geschichtschreiber
anerkennt, daß der deutsche Einfluß wieder nicht gebührend gewürdigt werden
wird. Das nordamerikanische Volkstum ist entstanden, oder entsteht eigentlich
noch, aus einer Mischung von angelsächsischen, deutschen und keltischen Ele¬
menten, und der Anteil des deutschen Einschlags, namentlich nach der geistigen
Seite hin, ist größer, als man gemeinhin annimmt. Eine brauchbare Ge¬
schichte der Deutschen in den Vereinigten Staaten ist aber auch noch nicht
geschrieben worden, obgleich durch die deutschamerikanischen Geschichtsvereine
schon vieles zuverlässige Material gesammelt und zum Teil auch verarbeitet
worden ist. Es wird die Aufgabe eines solchen Werkes sein, den Beweis
dafür zu führen, daß auch in Nordamerika der Deutsche seinen in allen Jahr¬
hunderten erprobten Ruf bewährt hat, der beste Kolonisator und Ackerbauer
zu sein. Die Besiedlung der Ackerbauländer ist das Werk der Deutschen, der
Deutsche Stender hat Washingtons Heer organisiert, das die Unabhängigkeit
des Landes erkämpfte, und wieder waren es die Deutschen, deren Idealismus
in der Sklavereifrage gegen den abtrünnigen Süden Partei ergriff und die
Entscheidung des Westens für die Union bewirkte, woran in jenen Tagen
das Schicksal des Landes hing.

Gerade dieses hat die Stellung der Deutschamerikaner wesentlich gehoben
und dem Hasse der Nativisten gegen sie die Spitze abgebrochen. Mit der Ent¬
stehung des Deutschen Reiches kam noch eine weitere Wendung hinzu; die
Deutschamerikaner traten einander näher, und je mehr das Deutsche Reich an
der Weltpolitik teilnahm, um so weniger wollten sie zulassen, daß sie um
ihres Volkstums willen, das in der Welt in so hohem Ansehen stand, im
neuen Vaterlande zurückstehn sollten. Hunderte und Tausende, die sich bisher
ihrer Abstammung geschämt, die ihre Namen amerikanisiert hatten, bekannten
sich wieder als Deutsche und fingen wieder mit deutscher Zunge zu reden an.
Infolge der Ackerbaukrise in Deutschland kamen in den siebziger und achtziger
Jahren zahlreiche neue Einwandrer herüber, unter ihnen viele ehemalige
deutsche Krieger, die sich mit den deutschen Kämpfern aus dem Sezessions-
kriege in Militärvereine zusammenschlossen, die dem seither schon bestehenden,
aber bei den Aankees wenig beliebten deutschen Vereinswesen eine populäre
Seite hinzufügten. Der Besuch des Prinzen Heinrich im Jahre 1902 hat
schließlich eine Bewegung zum Zusammenschluß aller deutschen Vereine hervor¬
gerufen, die namentlich von den Deutschen in Newyork und Philadelphia
gefördert worden ist. Als am 26. Februar 1902 gegen 10000 Fackelträger, die
320 deutschen Vereinen angehörten, mit 24 Musikchören vor dem Gebäude
des „Arion" in Newyork vorüberzogen, auf dessen Balkon Prinz Heinrich die
Huldigung entgegennahm, sagte er in seiner Erwiderung auf die Ansprache
des Festpräsidenten Dr. Weylcmdt: „Ich weiß, Sie gehören fast alle der auf¬
strebenden amerikanischen Nation an; ich kann Ihnen nur raten: Erfüllen Sie
als Mitbürger dieses Staatswesens in gleichem Grade die Pflichten wie Ihre


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[0616] Deutsch - amerikanische Angelegenheiten wenn man auch den besten Willen der neuern amerikanischen Geschichtschreiber anerkennt, daß der deutsche Einfluß wieder nicht gebührend gewürdigt werden wird. Das nordamerikanische Volkstum ist entstanden, oder entsteht eigentlich noch, aus einer Mischung von angelsächsischen, deutschen und keltischen Ele¬ menten, und der Anteil des deutschen Einschlags, namentlich nach der geistigen Seite hin, ist größer, als man gemeinhin annimmt. Eine brauchbare Ge¬ schichte der Deutschen in den Vereinigten Staaten ist aber auch noch nicht geschrieben worden, obgleich durch die deutschamerikanischen Geschichtsvereine schon vieles zuverlässige Material gesammelt und zum Teil auch verarbeitet worden ist. Es wird die Aufgabe eines solchen Werkes sein, den Beweis dafür zu führen, daß auch in Nordamerika der Deutsche seinen in allen Jahr¬ hunderten erprobten Ruf bewährt hat, der beste Kolonisator und Ackerbauer zu sein. Die Besiedlung der Ackerbauländer ist das Werk der Deutschen, der Deutsche Stender hat Washingtons Heer organisiert, das die Unabhängigkeit des Landes erkämpfte, und wieder waren es die Deutschen, deren Idealismus in der Sklavereifrage gegen den abtrünnigen Süden Partei ergriff und die Entscheidung des Westens für die Union bewirkte, woran in jenen Tagen das Schicksal des Landes hing. Gerade dieses hat die Stellung der Deutschamerikaner wesentlich gehoben und dem Hasse der Nativisten gegen sie die Spitze abgebrochen. Mit der Ent¬ stehung des Deutschen Reiches kam noch eine weitere Wendung hinzu; die Deutschamerikaner traten einander näher, und je mehr das Deutsche Reich an der Weltpolitik teilnahm, um so weniger wollten sie zulassen, daß sie um ihres Volkstums willen, das in der Welt in so hohem Ansehen stand, im neuen Vaterlande zurückstehn sollten. Hunderte und Tausende, die sich bisher ihrer Abstammung geschämt, die ihre Namen amerikanisiert hatten, bekannten sich wieder als Deutsche und fingen wieder mit deutscher Zunge zu reden an. Infolge der Ackerbaukrise in Deutschland kamen in den siebziger und achtziger Jahren zahlreiche neue Einwandrer herüber, unter ihnen viele ehemalige deutsche Krieger, die sich mit den deutschen Kämpfern aus dem Sezessions- kriege in Militärvereine zusammenschlossen, die dem seither schon bestehenden, aber bei den Aankees wenig beliebten deutschen Vereinswesen eine populäre Seite hinzufügten. Der Besuch des Prinzen Heinrich im Jahre 1902 hat schließlich eine Bewegung zum Zusammenschluß aller deutschen Vereine hervor¬ gerufen, die namentlich von den Deutschen in Newyork und Philadelphia gefördert worden ist. Als am 26. Februar 1902 gegen 10000 Fackelträger, die 320 deutschen Vereinen angehörten, mit 24 Musikchören vor dem Gebäude des „Arion" in Newyork vorüberzogen, auf dessen Balkon Prinz Heinrich die Huldigung entgegennahm, sagte er in seiner Erwiderung auf die Ansprache des Festpräsidenten Dr. Weylcmdt: „Ich weiß, Sie gehören fast alle der auf¬ strebenden amerikanischen Nation an; ich kann Ihnen nur raten: Erfüllen Sie als Mitbürger dieses Staatswesens in gleichem Grade die Pflichten wie Ihre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/616>, abgerufen am 25.08.2024.