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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Adolf Stern

eigenstes Wesen. Der historische Roman muß ebenso wie jede andre Schöpfung
aus dem innersten Drange des Dichters, aus der Mitempfindung für die dar¬
gestellte Handlung, für die geschilderten Menschen hervorgehn. Wem es darum
zu tun ist, an einem beliebigen Faden unbeseelte Sittenschilderungen oder poli¬
tische Maximen aufzureihen, der charakterisiere schlicht Land und Leute oder
schreibe Leitartikel, zum historischen Roman ist er so wenig berufen wie zu jeder
andern dichterischen Schöpfung. Eine solche aber ist der historische Roman und
soll es bleiben oder werden."

Die Fehler, die Adolf Stern hier im historischen Roman vermieden zu
sehen wünscht, weisen auch seine Schöpfungen nicht auf. Aber wenn uns etwa
sein "Camoens" nicht das sein kann, was uns sogar ein schwächeres Werk von
Alexis ist, so liegt der Grund angedeutet in den Worten, die der eben zitierten
Stelle ("Zur Literatur der Gegenwart", Seite 52) vorangehn: "Es ist danach
keineswegs unwesentlich, sich einzuprägen, daß es für den historischen wie für
jeden Roman einen gemeinsamen Ausgangspunkt gibt und jener seine viel-
bestrittne Berechtigung nur dadurch beweisen kann, daß sich dieser Ausgangs¬
punkt mit vollkommner Deutlichkeit darstellt." Die Worte "mit vollkommner
Deutlichkeit" sind hier verräterisch, denn dieses Bestreben hat Stern in seinen
Romanen zu weit geführt, und der Wunsch, Klarheit zu schaffen über die Idee
seiner Dichtungen, der in Stern liegende Instinkt nach festen Linien ging so
weit, daß wir gerade in den Romanen immer wieder jenes letzte Helldunkel
vermissen, das ihren Gestalten das volle Leben, die volle Lebenswahrheit geben
würde. Es ist nichts zum Beispiel auch in dem aus der Gegenwart ge-
schriebnen Roman "Ohne Ideale" unwahr, aber es ist alles oder doch vieles
nicht lebendig geworden, Material geblieben, wo wirkliches Spiel und Gegen¬
spiel wirkender Kräfte uns mitreißen sollte. Dabei ist gerade dieser Roman
nicht unbeeinflußt von Spielhagen, dessen Elan Stern sonst so fern liegt. Es
wird gerade hier oft eine starke Spannung erreicht; aber ein bleibender Eindruck
doch nicht gewonnen. Dem Bemühen, in dem Präsidenten von Herther, in
dem Baumeister Franken, in dem Doktor Lohmer und seinem Bruder Gene¬
rationen und Weltanschauungen gegeneinander zu setzen, versagt sich die letzte
Wirkung, weil die Gegensätze zu fein theoretisch ausgerichtet sind und die
Menschen darunter leiden, sich nicht so ausleben, wie wir das erwarten. Ich
gebe Adolf Bartels gern zu, daß der Roman heute noch seinen Reiz hat, und
daß einzelne Typen bis dahin (1882) noch nicht so scharf gezeichnet worden
waren, nur ist mir diese Zeichnung eben nicht lebendig genug, mehr ein
Paradigma für Sterns Urteil über die Zeit als eine wirkliche Gestaltung dieser
Zeit voll Fleisch und Blut. Lohmer bleibt im Grunde so in der Idee stecken
wie Paul von Jsserstädt in seiner Erzählung "Stilles Glück", mit dem ihn
Bartels sehr richtig zusammenstellt.

Und damit bin ich bei Sterns Novellen angelangt, die mit vielem die
Höhe seines künstlerischen Schaffens bezeichnen. Auch hier ist noch nicht überall


Adolf Stern

eigenstes Wesen. Der historische Roman muß ebenso wie jede andre Schöpfung
aus dem innersten Drange des Dichters, aus der Mitempfindung für die dar¬
gestellte Handlung, für die geschilderten Menschen hervorgehn. Wem es darum
zu tun ist, an einem beliebigen Faden unbeseelte Sittenschilderungen oder poli¬
tische Maximen aufzureihen, der charakterisiere schlicht Land und Leute oder
schreibe Leitartikel, zum historischen Roman ist er so wenig berufen wie zu jeder
andern dichterischen Schöpfung. Eine solche aber ist der historische Roman und
soll es bleiben oder werden."

Die Fehler, die Adolf Stern hier im historischen Roman vermieden zu
sehen wünscht, weisen auch seine Schöpfungen nicht auf. Aber wenn uns etwa
sein „Camoens" nicht das sein kann, was uns sogar ein schwächeres Werk von
Alexis ist, so liegt der Grund angedeutet in den Worten, die der eben zitierten
Stelle („Zur Literatur der Gegenwart", Seite 52) vorangehn: „Es ist danach
keineswegs unwesentlich, sich einzuprägen, daß es für den historischen wie für
jeden Roman einen gemeinsamen Ausgangspunkt gibt und jener seine viel-
bestrittne Berechtigung nur dadurch beweisen kann, daß sich dieser Ausgangs¬
punkt mit vollkommner Deutlichkeit darstellt." Die Worte „mit vollkommner
Deutlichkeit" sind hier verräterisch, denn dieses Bestreben hat Stern in seinen
Romanen zu weit geführt, und der Wunsch, Klarheit zu schaffen über die Idee
seiner Dichtungen, der in Stern liegende Instinkt nach festen Linien ging so
weit, daß wir gerade in den Romanen immer wieder jenes letzte Helldunkel
vermissen, das ihren Gestalten das volle Leben, die volle Lebenswahrheit geben
würde. Es ist nichts zum Beispiel auch in dem aus der Gegenwart ge-
schriebnen Roman „Ohne Ideale" unwahr, aber es ist alles oder doch vieles
nicht lebendig geworden, Material geblieben, wo wirkliches Spiel und Gegen¬
spiel wirkender Kräfte uns mitreißen sollte. Dabei ist gerade dieser Roman
nicht unbeeinflußt von Spielhagen, dessen Elan Stern sonst so fern liegt. Es
wird gerade hier oft eine starke Spannung erreicht; aber ein bleibender Eindruck
doch nicht gewonnen. Dem Bemühen, in dem Präsidenten von Herther, in
dem Baumeister Franken, in dem Doktor Lohmer und seinem Bruder Gene¬
rationen und Weltanschauungen gegeneinander zu setzen, versagt sich die letzte
Wirkung, weil die Gegensätze zu fein theoretisch ausgerichtet sind und die
Menschen darunter leiden, sich nicht so ausleben, wie wir das erwarten. Ich
gebe Adolf Bartels gern zu, daß der Roman heute noch seinen Reiz hat, und
daß einzelne Typen bis dahin (1882) noch nicht so scharf gezeichnet worden
waren, nur ist mir diese Zeichnung eben nicht lebendig genug, mehr ein
Paradigma für Sterns Urteil über die Zeit als eine wirkliche Gestaltung dieser
Zeit voll Fleisch und Blut. Lohmer bleibt im Grunde so in der Idee stecken
wie Paul von Jsserstädt in seiner Erzählung „Stilles Glück", mit dem ihn
Bartels sehr richtig zusammenstellt.

Und damit bin ich bei Sterns Novellen angelangt, die mit vielem die
Höhe seines künstlerischen Schaffens bezeichnen. Auch hier ist noch nicht überall


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[0525] Adolf Stern eigenstes Wesen. Der historische Roman muß ebenso wie jede andre Schöpfung aus dem innersten Drange des Dichters, aus der Mitempfindung für die dar¬ gestellte Handlung, für die geschilderten Menschen hervorgehn. Wem es darum zu tun ist, an einem beliebigen Faden unbeseelte Sittenschilderungen oder poli¬ tische Maximen aufzureihen, der charakterisiere schlicht Land und Leute oder schreibe Leitartikel, zum historischen Roman ist er so wenig berufen wie zu jeder andern dichterischen Schöpfung. Eine solche aber ist der historische Roman und soll es bleiben oder werden." Die Fehler, die Adolf Stern hier im historischen Roman vermieden zu sehen wünscht, weisen auch seine Schöpfungen nicht auf. Aber wenn uns etwa sein „Camoens" nicht das sein kann, was uns sogar ein schwächeres Werk von Alexis ist, so liegt der Grund angedeutet in den Worten, die der eben zitierten Stelle („Zur Literatur der Gegenwart", Seite 52) vorangehn: „Es ist danach keineswegs unwesentlich, sich einzuprägen, daß es für den historischen wie für jeden Roman einen gemeinsamen Ausgangspunkt gibt und jener seine viel- bestrittne Berechtigung nur dadurch beweisen kann, daß sich dieser Ausgangs¬ punkt mit vollkommner Deutlichkeit darstellt." Die Worte „mit vollkommner Deutlichkeit" sind hier verräterisch, denn dieses Bestreben hat Stern in seinen Romanen zu weit geführt, und der Wunsch, Klarheit zu schaffen über die Idee seiner Dichtungen, der in Stern liegende Instinkt nach festen Linien ging so weit, daß wir gerade in den Romanen immer wieder jenes letzte Helldunkel vermissen, das ihren Gestalten das volle Leben, die volle Lebenswahrheit geben würde. Es ist nichts zum Beispiel auch in dem aus der Gegenwart ge- schriebnen Roman „Ohne Ideale" unwahr, aber es ist alles oder doch vieles nicht lebendig geworden, Material geblieben, wo wirkliches Spiel und Gegen¬ spiel wirkender Kräfte uns mitreißen sollte. Dabei ist gerade dieser Roman nicht unbeeinflußt von Spielhagen, dessen Elan Stern sonst so fern liegt. Es wird gerade hier oft eine starke Spannung erreicht; aber ein bleibender Eindruck doch nicht gewonnen. Dem Bemühen, in dem Präsidenten von Herther, in dem Baumeister Franken, in dem Doktor Lohmer und seinem Bruder Gene¬ rationen und Weltanschauungen gegeneinander zu setzen, versagt sich die letzte Wirkung, weil die Gegensätze zu fein theoretisch ausgerichtet sind und die Menschen darunter leiden, sich nicht so ausleben, wie wir das erwarten. Ich gebe Adolf Bartels gern zu, daß der Roman heute noch seinen Reiz hat, und daß einzelne Typen bis dahin (1882) noch nicht so scharf gezeichnet worden waren, nur ist mir diese Zeichnung eben nicht lebendig genug, mehr ein Paradigma für Sterns Urteil über die Zeit als eine wirkliche Gestaltung dieser Zeit voll Fleisch und Blut. Lohmer bleibt im Grunde so in der Idee stecken wie Paul von Jsserstädt in seiner Erzählung „Stilles Glück", mit dem ihn Bartels sehr richtig zusammenstellt. Und damit bin ich bei Sterns Novellen angelangt, die mit vielem die Höhe seines künstlerischen Schaffens bezeichnen. Auch hier ist noch nicht überall

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/525>, abgerufen am 23.07.2024.