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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Die öffentliche Brandmarkung des Beleidigten

Falles, UM den es sich handelt, ganz allein handelt, nein: mit allen Mitteln
die Person des Gegners in den Augen der erkennenden Richter herabwürdigen,
in der öffentlichen Meinung verdächtigen und verunglimpfen, darauf kommt
es an. Soviel Schmutz wie möglich zusammenzutragen, aus allen Ecken
zusammenkratzen, auf die erste Beleidigung neue ärgere häufen -- unter dem
Schutze des Gerichts und des Gesetzes! Ist das etwas Besseres an Stelle
des Duells? Nun ja, dort im Zweikampf, da kanns mich, den unschuldig
an der Ehre gekränkten, ebensogut treffen wie den andern -- ich falle, und
der Schuldige geht heil aus. Und hier vor Gericht, da ist das Risiko kaum
geringer: es kann mich meine ganze moralische Existenz kosten, auch wenn
ich formell obgesiegt habe. Und während dort das Schweigen des Todes und
das ehrende Andenken den in der Wahrung seiner Ehre Gefallnen decken, tobt
hier der Lärm der öffentlichen Meinung breit und schamlos um den Sieger.
Heißt das etwas Besseres an die Stelle des berüchtigten Duellunfugs setzen?
Wer mag in einem solchen Prozeßverfahren noch Sieger sein?

Und noch eins tritt hinzu. Die Gefahr besteht, daß nicht nur das Ver¬
trauen zu dem vom Gesetze vorgeschriebnen Wege zur Austragung von Ehren¬
händeln mehr und mehr schwindet, sondern daß die stärker empfindenden Ele¬
mente auf Wege gedrängt werden, die zu noch ernstern Folgen führen. Schon
bricht diese Empfindung in der Tagespresse durch. Eine große Berliner
Tageszeitung schreibt: "Es kann nicht im Sinne unsrer Rechtspflege in Ehren¬
sachen sein, daß der Kläger in der Verhandlung mit so groben Beleidigungen
überschüttet wird, daß er entweder sofort eine Reihe neuer Beleidigungsprozesse
anstrengen oder sich -- mit der Faust wehren muß. Wenn der General Graf
Moltke den Rechtsanwalt Bernstein, der ihm, ohne vom Gericht irgendwie
gehemmt zu werden, nicht nur Lügnerei, sondern mit kaltem Hohn in wider¬
licher Witzelei noch Schlimmeres vorwarf, mit einem Schlage an die Ohren
gedient hätte, so wäre er bestraft worden; aber seine Tat wäre weiten Kreisen
des Volkes verständlicher gewesen als das Verhalten des alles duldenden
Amtsrichters." Das ists. Wenn die Hilfe der Gerichte versagt, wenn der
ehrliche Austrag im Zweikampf abgelehnt wird, dann besteht Gefahr, daß
unsre rasch und stark empfindenden Kreise dahin kommen, zu sagen: "Wird
mir mein Recht nicht anderswo, so helf ich mir selbst, so treffe ich den
Schänder meiner Ehre, wo er mir begegnet, und schlage ihn zu Boden mit
der Waffe, deren ich ihn wert halte."

Wir stehn vor einer ernstern Gefahr, als viele glauben mögen, und es
darf nicht mehr lange so weiter gehn. Es ist gewiß schwer, im Augenblick ein
Mittel zu ihrer Abwendung zu nennen. Immer wird es notwendig sein, vor
der Fällung eines Urteils der Wahrheit nachzuforschen mit allen zu Gebote
stehenden Mitteln. Aber was nicht nötig ist, das ist, daß sich dieses Nach¬
forschen unter den Augen der Öffentlichkeit vollzieht. Die Gefahr unsrer ge¬
richtlichen Privatklagen liegt darin, daß sie, wie alle übrigen Strafprozesse,


Die öffentliche Brandmarkung des Beleidigten

Falles, UM den es sich handelt, ganz allein handelt, nein: mit allen Mitteln
die Person des Gegners in den Augen der erkennenden Richter herabwürdigen,
in der öffentlichen Meinung verdächtigen und verunglimpfen, darauf kommt
es an. Soviel Schmutz wie möglich zusammenzutragen, aus allen Ecken
zusammenkratzen, auf die erste Beleidigung neue ärgere häufen — unter dem
Schutze des Gerichts und des Gesetzes! Ist das etwas Besseres an Stelle
des Duells? Nun ja, dort im Zweikampf, da kanns mich, den unschuldig
an der Ehre gekränkten, ebensogut treffen wie den andern — ich falle, und
der Schuldige geht heil aus. Und hier vor Gericht, da ist das Risiko kaum
geringer: es kann mich meine ganze moralische Existenz kosten, auch wenn
ich formell obgesiegt habe. Und während dort das Schweigen des Todes und
das ehrende Andenken den in der Wahrung seiner Ehre Gefallnen decken, tobt
hier der Lärm der öffentlichen Meinung breit und schamlos um den Sieger.
Heißt das etwas Besseres an die Stelle des berüchtigten Duellunfugs setzen?
Wer mag in einem solchen Prozeßverfahren noch Sieger sein?

Und noch eins tritt hinzu. Die Gefahr besteht, daß nicht nur das Ver¬
trauen zu dem vom Gesetze vorgeschriebnen Wege zur Austragung von Ehren¬
händeln mehr und mehr schwindet, sondern daß die stärker empfindenden Ele¬
mente auf Wege gedrängt werden, die zu noch ernstern Folgen führen. Schon
bricht diese Empfindung in der Tagespresse durch. Eine große Berliner
Tageszeitung schreibt: „Es kann nicht im Sinne unsrer Rechtspflege in Ehren¬
sachen sein, daß der Kläger in der Verhandlung mit so groben Beleidigungen
überschüttet wird, daß er entweder sofort eine Reihe neuer Beleidigungsprozesse
anstrengen oder sich — mit der Faust wehren muß. Wenn der General Graf
Moltke den Rechtsanwalt Bernstein, der ihm, ohne vom Gericht irgendwie
gehemmt zu werden, nicht nur Lügnerei, sondern mit kaltem Hohn in wider¬
licher Witzelei noch Schlimmeres vorwarf, mit einem Schlage an die Ohren
gedient hätte, so wäre er bestraft worden; aber seine Tat wäre weiten Kreisen
des Volkes verständlicher gewesen als das Verhalten des alles duldenden
Amtsrichters." Das ists. Wenn die Hilfe der Gerichte versagt, wenn der
ehrliche Austrag im Zweikampf abgelehnt wird, dann besteht Gefahr, daß
unsre rasch und stark empfindenden Kreise dahin kommen, zu sagen: „Wird
mir mein Recht nicht anderswo, so helf ich mir selbst, so treffe ich den
Schänder meiner Ehre, wo er mir begegnet, und schlage ihn zu Boden mit
der Waffe, deren ich ihn wert halte."

Wir stehn vor einer ernstern Gefahr, als viele glauben mögen, und es
darf nicht mehr lange so weiter gehn. Es ist gewiß schwer, im Augenblick ein
Mittel zu ihrer Abwendung zu nennen. Immer wird es notwendig sein, vor
der Fällung eines Urteils der Wahrheit nachzuforschen mit allen zu Gebote
stehenden Mitteln. Aber was nicht nötig ist, das ist, daß sich dieses Nach¬
forschen unter den Augen der Öffentlichkeit vollzieht. Die Gefahr unsrer ge¬
richtlichen Privatklagen liegt darin, daß sie, wie alle übrigen Strafprozesse,


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[0514] Die öffentliche Brandmarkung des Beleidigten Falles, UM den es sich handelt, ganz allein handelt, nein: mit allen Mitteln die Person des Gegners in den Augen der erkennenden Richter herabwürdigen, in der öffentlichen Meinung verdächtigen und verunglimpfen, darauf kommt es an. Soviel Schmutz wie möglich zusammenzutragen, aus allen Ecken zusammenkratzen, auf die erste Beleidigung neue ärgere häufen — unter dem Schutze des Gerichts und des Gesetzes! Ist das etwas Besseres an Stelle des Duells? Nun ja, dort im Zweikampf, da kanns mich, den unschuldig an der Ehre gekränkten, ebensogut treffen wie den andern — ich falle, und der Schuldige geht heil aus. Und hier vor Gericht, da ist das Risiko kaum geringer: es kann mich meine ganze moralische Existenz kosten, auch wenn ich formell obgesiegt habe. Und während dort das Schweigen des Todes und das ehrende Andenken den in der Wahrung seiner Ehre Gefallnen decken, tobt hier der Lärm der öffentlichen Meinung breit und schamlos um den Sieger. Heißt das etwas Besseres an die Stelle des berüchtigten Duellunfugs setzen? Wer mag in einem solchen Prozeßverfahren noch Sieger sein? Und noch eins tritt hinzu. Die Gefahr besteht, daß nicht nur das Ver¬ trauen zu dem vom Gesetze vorgeschriebnen Wege zur Austragung von Ehren¬ händeln mehr und mehr schwindet, sondern daß die stärker empfindenden Ele¬ mente auf Wege gedrängt werden, die zu noch ernstern Folgen führen. Schon bricht diese Empfindung in der Tagespresse durch. Eine große Berliner Tageszeitung schreibt: „Es kann nicht im Sinne unsrer Rechtspflege in Ehren¬ sachen sein, daß der Kläger in der Verhandlung mit so groben Beleidigungen überschüttet wird, daß er entweder sofort eine Reihe neuer Beleidigungsprozesse anstrengen oder sich — mit der Faust wehren muß. Wenn der General Graf Moltke den Rechtsanwalt Bernstein, der ihm, ohne vom Gericht irgendwie gehemmt zu werden, nicht nur Lügnerei, sondern mit kaltem Hohn in wider¬ licher Witzelei noch Schlimmeres vorwarf, mit einem Schlage an die Ohren gedient hätte, so wäre er bestraft worden; aber seine Tat wäre weiten Kreisen des Volkes verständlicher gewesen als das Verhalten des alles duldenden Amtsrichters." Das ists. Wenn die Hilfe der Gerichte versagt, wenn der ehrliche Austrag im Zweikampf abgelehnt wird, dann besteht Gefahr, daß unsre rasch und stark empfindenden Kreise dahin kommen, zu sagen: „Wird mir mein Recht nicht anderswo, so helf ich mir selbst, so treffe ich den Schänder meiner Ehre, wo er mir begegnet, und schlage ihn zu Boden mit der Waffe, deren ich ihn wert halte." Wir stehn vor einer ernstern Gefahr, als viele glauben mögen, und es darf nicht mehr lange so weiter gehn. Es ist gewiß schwer, im Augenblick ein Mittel zu ihrer Abwendung zu nennen. Immer wird es notwendig sein, vor der Fällung eines Urteils der Wahrheit nachzuforschen mit allen zu Gebote stehenden Mitteln. Aber was nicht nötig ist, das ist, daß sich dieses Nach¬ forschen unter den Augen der Öffentlichkeit vollzieht. Die Gefahr unsrer ge¬ richtlichen Privatklagen liegt darin, daß sie, wie alle übrigen Strafprozesse,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/514>, abgerufen am 23.07.2024.