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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und die Boissere'e

Beharrlichkeit, womit die Sache bis ins kleinste verfolgt ist, zeigt, daß es ledig¬
lich nur um die reine Wahrheit und nicht darum zu tun ist, zu wirken um
Aufsehen zu erregen. -- Ich fühlte die uns im Leben so selten beschiedne Freude,
einen der ersten Geister von einem Irrtum zurückkehren zu sehen, wodurch er
an sich selber untreu geworden war, es konnte keinen wahrem, wohltätigern
Beifall für mich geben, ich sagte ihm, wie ich es erkenne, wie hoch ich den
Beifall schätze, von ihm, der die Kunst gewissermaßen ein für allemal abgefertigt
gehabt, wie sehr mich eine so ernste wesenhafte Erkenntnis meines Strebens in
der Sache entschädige für den oft schmerzhaften, leider unentbehrlichen, nie aber
das Herz erfreuenden Beifall der großen Welt, zumeist der Fürsten, die gewöhn¬
lich jedem Hanswurst und Schauspieler denselben schenken. -- Ich sprach, wie
eben meine Stimmung es mir eingab, ich weiß nicht, wie ich die Worte setzte,
sie mußten meine Bewegung kundgeben, denn der Alte wurde ganz gerührt,
drückte mir die Hand und fiel mir um den Hals, das Wasser stand ihm in
den Augen."

So war dieses merkwürdige Zusammentreffen, diese Berührung des Neuen
mit dem Alten würdig und schön verlaufen. Bedeutete es einen vollständigen
Sieg? Es läßt sich in der innern Entwicklung unsers großen Dichters in vielen
Punkten ein Kreislauf erkennen, insofern er sich in reifern Jahren zu den im
Sturm und Drang des innern Wachstums ausgegebnen Idealen zurückfindet.
Selbst von seinen eignen Dichtungen gilt das. Zur Zeit seiner ..Äienischen
Reise, d. h. also zur Zeit seiner Bekehrung zum klassischen Ideal, empfand er
einen wahren Abscheu gegen seinen Werther, der doch zuerst seinen Ruhm sieg¬
reich in alle Welt hinausgetragen hatte. In einem der schönsten und tiefsten
Gedichte seiner späten Jahre, der Trilogie der Leidenschaft, trägt der erste Satz
dieser Symphonie die Überschrift: "An Werther", und man fühlt den ergreifenden
Worten, die in den tiefempfunden Versen gipfeln:

die innige Rührung und Ergriffenheit an, mit denen er auf diese Gestalt, diese
Phase seines Jugendlebens schaut. Auch in seinen religiösen Anschauungen läßt
sich ein solches Fallenlassen und Wiederergreifen, ein Verlieren und Wieder¬
finden nachweisen. Natürlich, es ist nicht ganz dasselbe, es ist eine vertiefte,
geklärte Anschauung, der man es anfühlt, daß eine ernste, eindringende Geistes¬
arbeit darüber hingegangen ist. So war es auch, um von andern: zu schweigen,
mit der Kunstanschauung, oder richtiger, so sollte es nun dnrch Sulpiz mit ihm
werden. Wie hatte Goethe in seiner Jugend für das Straßburger Münster
geschwärmt! Welchen Jubelhymnus in seinem kleinen Aufsatze: "Von deutscher
Baukunst" darauf angestimmt! Darauf völlige Absage an die Götter der Jugend,
bis zu Ausdrücken des Hasses, des Abscheus gesteigert. Nun stand auch hier
eine Ungleichung, ein Wiederanknüpfen in der nächsten Aussicht. Aber Sulpiz


Grenzboten IV 1907 6
Goethe und die Boissere'e

Beharrlichkeit, womit die Sache bis ins kleinste verfolgt ist, zeigt, daß es ledig¬
lich nur um die reine Wahrheit und nicht darum zu tun ist, zu wirken um
Aufsehen zu erregen. — Ich fühlte die uns im Leben so selten beschiedne Freude,
einen der ersten Geister von einem Irrtum zurückkehren zu sehen, wodurch er
an sich selber untreu geworden war, es konnte keinen wahrem, wohltätigern
Beifall für mich geben, ich sagte ihm, wie ich es erkenne, wie hoch ich den
Beifall schätze, von ihm, der die Kunst gewissermaßen ein für allemal abgefertigt
gehabt, wie sehr mich eine so ernste wesenhafte Erkenntnis meines Strebens in
der Sache entschädige für den oft schmerzhaften, leider unentbehrlichen, nie aber
das Herz erfreuenden Beifall der großen Welt, zumeist der Fürsten, die gewöhn¬
lich jedem Hanswurst und Schauspieler denselben schenken. — Ich sprach, wie
eben meine Stimmung es mir eingab, ich weiß nicht, wie ich die Worte setzte,
sie mußten meine Bewegung kundgeben, denn der Alte wurde ganz gerührt,
drückte mir die Hand und fiel mir um den Hals, das Wasser stand ihm in
den Augen."

So war dieses merkwürdige Zusammentreffen, diese Berührung des Neuen
mit dem Alten würdig und schön verlaufen. Bedeutete es einen vollständigen
Sieg? Es läßt sich in der innern Entwicklung unsers großen Dichters in vielen
Punkten ein Kreislauf erkennen, insofern er sich in reifern Jahren zu den im
Sturm und Drang des innern Wachstums ausgegebnen Idealen zurückfindet.
Selbst von seinen eignen Dichtungen gilt das. Zur Zeit seiner ..Äienischen
Reise, d. h. also zur Zeit seiner Bekehrung zum klassischen Ideal, empfand er
einen wahren Abscheu gegen seinen Werther, der doch zuerst seinen Ruhm sieg¬
reich in alle Welt hinausgetragen hatte. In einem der schönsten und tiefsten
Gedichte seiner späten Jahre, der Trilogie der Leidenschaft, trägt der erste Satz
dieser Symphonie die Überschrift: „An Werther", und man fühlt den ergreifenden
Worten, die in den tiefempfunden Versen gipfeln:

die innige Rührung und Ergriffenheit an, mit denen er auf diese Gestalt, diese
Phase seines Jugendlebens schaut. Auch in seinen religiösen Anschauungen läßt
sich ein solches Fallenlassen und Wiederergreifen, ein Verlieren und Wieder¬
finden nachweisen. Natürlich, es ist nicht ganz dasselbe, es ist eine vertiefte,
geklärte Anschauung, der man es anfühlt, daß eine ernste, eindringende Geistes¬
arbeit darüber hingegangen ist. So war es auch, um von andern: zu schweigen,
mit der Kunstanschauung, oder richtiger, so sollte es nun dnrch Sulpiz mit ihm
werden. Wie hatte Goethe in seiner Jugend für das Straßburger Münster
geschwärmt! Welchen Jubelhymnus in seinem kleinen Aufsatze: „Von deutscher
Baukunst" darauf angestimmt! Darauf völlige Absage an die Götter der Jugend,
bis zu Ausdrücken des Hasses, des Abscheus gesteigert. Nun stand auch hier
eine Ungleichung, ein Wiederanknüpfen in der nächsten Aussicht. Aber Sulpiz


Grenzboten IV 1907 6
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[0049] Goethe und die Boissere'e Beharrlichkeit, womit die Sache bis ins kleinste verfolgt ist, zeigt, daß es ledig¬ lich nur um die reine Wahrheit und nicht darum zu tun ist, zu wirken um Aufsehen zu erregen. — Ich fühlte die uns im Leben so selten beschiedne Freude, einen der ersten Geister von einem Irrtum zurückkehren zu sehen, wodurch er an sich selber untreu geworden war, es konnte keinen wahrem, wohltätigern Beifall für mich geben, ich sagte ihm, wie ich es erkenne, wie hoch ich den Beifall schätze, von ihm, der die Kunst gewissermaßen ein für allemal abgefertigt gehabt, wie sehr mich eine so ernste wesenhafte Erkenntnis meines Strebens in der Sache entschädige für den oft schmerzhaften, leider unentbehrlichen, nie aber das Herz erfreuenden Beifall der großen Welt, zumeist der Fürsten, die gewöhn¬ lich jedem Hanswurst und Schauspieler denselben schenken. — Ich sprach, wie eben meine Stimmung es mir eingab, ich weiß nicht, wie ich die Worte setzte, sie mußten meine Bewegung kundgeben, denn der Alte wurde ganz gerührt, drückte mir die Hand und fiel mir um den Hals, das Wasser stand ihm in den Augen." So war dieses merkwürdige Zusammentreffen, diese Berührung des Neuen mit dem Alten würdig und schön verlaufen. Bedeutete es einen vollständigen Sieg? Es läßt sich in der innern Entwicklung unsers großen Dichters in vielen Punkten ein Kreislauf erkennen, insofern er sich in reifern Jahren zu den im Sturm und Drang des innern Wachstums ausgegebnen Idealen zurückfindet. Selbst von seinen eignen Dichtungen gilt das. Zur Zeit seiner ..Äienischen Reise, d. h. also zur Zeit seiner Bekehrung zum klassischen Ideal, empfand er einen wahren Abscheu gegen seinen Werther, der doch zuerst seinen Ruhm sieg¬ reich in alle Welt hinausgetragen hatte. In einem der schönsten und tiefsten Gedichte seiner späten Jahre, der Trilogie der Leidenschaft, trägt der erste Satz dieser Symphonie die Überschrift: „An Werther", und man fühlt den ergreifenden Worten, die in den tiefempfunden Versen gipfeln: die innige Rührung und Ergriffenheit an, mit denen er auf diese Gestalt, diese Phase seines Jugendlebens schaut. Auch in seinen religiösen Anschauungen läßt sich ein solches Fallenlassen und Wiederergreifen, ein Verlieren und Wieder¬ finden nachweisen. Natürlich, es ist nicht ganz dasselbe, es ist eine vertiefte, geklärte Anschauung, der man es anfühlt, daß eine ernste, eindringende Geistes¬ arbeit darüber hingegangen ist. So war es auch, um von andern: zu schweigen, mit der Kunstanschauung, oder richtiger, so sollte es nun dnrch Sulpiz mit ihm werden. Wie hatte Goethe in seiner Jugend für das Straßburger Münster geschwärmt! Welchen Jubelhymnus in seinem kleinen Aufsatze: „Von deutscher Baukunst" darauf angestimmt! Darauf völlige Absage an die Götter der Jugend, bis zu Ausdrücken des Hasses, des Abscheus gesteigert. Nun stand auch hier eine Ungleichung, ein Wiederanknüpfen in der nächsten Aussicht. Aber Sulpiz Grenzboten IV 1907 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/49>, abgerufen am 25.08.2024.