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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Recht und Sitte der Naturvölker

geregelter Verkehr möglich ist. Vermischung und Verschmelzung würde aus
rassenpolitischen Gründen nicht erwünscht sein; man darf es darum vielleicht
als ein Glück betrachten, daß die Polygamie vorläufig noch eine schwer zu
übersteigende Kluft zwischen den beiden Nassen bildet, indem durch sie wirkliche
Ehen zwischen Schwarzen und Weißen unmöglich gemacht werden, da die Ein-
gebornenehe und die Europäerehe als zwei ganz verschiedne Verhältnisse er¬
scheinen.

Was nun unser koloniales Schmerzenskind, Südwestafrika, betrifft -- bei
Steinmetz schildert der Missionar Viehe die Herero, wie sie von den Missionaren
vor fünfzig Jahren gefunden wurden --, so führt Meyer die dort entstandnen
Wirren auf den Umstand zurück, daß die deutschen Behörden die Rechtsverhältnisse
und Anschauungen der Eingebornen schlecht oder gar nicht gekannt haben. (Ab¬
gesehen von der Tätigkeit der Händler; wie die von den Herero beurteilt worden
sein muß, kann man aus dem oben gesagten entnehmen.) Schon der im
Jahre 1894 mit den Häuptlingen Samuel Maharero, Manasse und Zacharias
abgeschlossene Schutz- und Freundschaftsvertrag beruhte auf einem Mißverständnis.
Maharero wurde für den Häuptling aller Herero angesehen. Das war er nicht,
er war bloß der mächtigste; die Häuptlinge waren unabhängig voneinander.
Die Europäer finden es allerdings, wie Steinmetz bemerkt, bequemer, mit einem
als mit vielen zu verhandeln, und sie schaffen darum gern einen Oberkönig,
wo sie keinen vorfinden, wie sie denn überhaupt, was sich bei der Kolonisation
nicht vermeiden läßt, die Verfassung der Eingebornen teils umbilden, teils zer¬
stören. Doch sind die Engländer darin vorsichtiger. Sie haben zum Beispiel,
als sie 1876 die Schutzherrschast über das jetzt deutsche Gebiet anstrebten, bei
den Unterhandlungen 59 Häuptlinge und "Großleute" zugezogen. Dazu kam,
daß Samuel von seinen Volksgenossen gar nicht als der rechtmüßige Erbe des
alten Maharero anerkannt wurde. Die Herero haben ein sehr verwickeltes Erb¬
recht, bei dem sich die Ansprüche eines mutterrechtlichen (Eanda) und eines
vaterrechtlichen Verbandes (Oruzo) kreuzen. Die Großleute hatten sich auf
Nikodemus als den rechtmäßigen Erben geeinigt, und es erregte darum all¬
meine Erbitterung, daß der stellvertretende Reichskommissar nicht allein die
Kapitünschaft dem Samuel übertrug, sondern zugleich auch den Herero "einen
bis dahin cke ^urs noch gar nicht existierenden Herrscher über das ganze Volk
aufzwang". Die Erbitterung wuchs, als Samuel, der zur Stillung seines un¬
stillbaren Alkoholdurstes sehr viel Geld brauchte, den Deutschen ein Stück Land
nach dem andern verkaufte, wozu er nach den Grundanschauungen der Ein¬
gebornen über Bodeneigentum in ihren Augen auch dann kein Recht gehabt
haben würde, wenn er als rechtmäßiger Erbe und als Oberhaupt des gesamten
Hererolandes anerkannt gewesen wäre, und die Wut stieg aufs äußerste, als
man 1903 anfing. Reservationen für die Eingebornen abzustecken, die fürchteten,
man werde sie ganz und gar in das wasserlose "Sandfeld" (Omaheka) zurück¬
drängen. So brach denn der Aufstand aus.


Recht und Sitte der Naturvölker

geregelter Verkehr möglich ist. Vermischung und Verschmelzung würde aus
rassenpolitischen Gründen nicht erwünscht sein; man darf es darum vielleicht
als ein Glück betrachten, daß die Polygamie vorläufig noch eine schwer zu
übersteigende Kluft zwischen den beiden Nassen bildet, indem durch sie wirkliche
Ehen zwischen Schwarzen und Weißen unmöglich gemacht werden, da die Ein-
gebornenehe und die Europäerehe als zwei ganz verschiedne Verhältnisse er¬
scheinen.

Was nun unser koloniales Schmerzenskind, Südwestafrika, betrifft — bei
Steinmetz schildert der Missionar Viehe die Herero, wie sie von den Missionaren
vor fünfzig Jahren gefunden wurden —, so führt Meyer die dort entstandnen
Wirren auf den Umstand zurück, daß die deutschen Behörden die Rechtsverhältnisse
und Anschauungen der Eingebornen schlecht oder gar nicht gekannt haben. (Ab¬
gesehen von der Tätigkeit der Händler; wie die von den Herero beurteilt worden
sein muß, kann man aus dem oben gesagten entnehmen.) Schon der im
Jahre 1894 mit den Häuptlingen Samuel Maharero, Manasse und Zacharias
abgeschlossene Schutz- und Freundschaftsvertrag beruhte auf einem Mißverständnis.
Maharero wurde für den Häuptling aller Herero angesehen. Das war er nicht,
er war bloß der mächtigste; die Häuptlinge waren unabhängig voneinander.
Die Europäer finden es allerdings, wie Steinmetz bemerkt, bequemer, mit einem
als mit vielen zu verhandeln, und sie schaffen darum gern einen Oberkönig,
wo sie keinen vorfinden, wie sie denn überhaupt, was sich bei der Kolonisation
nicht vermeiden läßt, die Verfassung der Eingebornen teils umbilden, teils zer¬
stören. Doch sind die Engländer darin vorsichtiger. Sie haben zum Beispiel,
als sie 1876 die Schutzherrschast über das jetzt deutsche Gebiet anstrebten, bei
den Unterhandlungen 59 Häuptlinge und „Großleute" zugezogen. Dazu kam,
daß Samuel von seinen Volksgenossen gar nicht als der rechtmüßige Erbe des
alten Maharero anerkannt wurde. Die Herero haben ein sehr verwickeltes Erb¬
recht, bei dem sich die Ansprüche eines mutterrechtlichen (Eanda) und eines
vaterrechtlichen Verbandes (Oruzo) kreuzen. Die Großleute hatten sich auf
Nikodemus als den rechtmäßigen Erben geeinigt, und es erregte darum all¬
meine Erbitterung, daß der stellvertretende Reichskommissar nicht allein die
Kapitünschaft dem Samuel übertrug, sondern zugleich auch den Herero „einen
bis dahin cke ^urs noch gar nicht existierenden Herrscher über das ganze Volk
aufzwang". Die Erbitterung wuchs, als Samuel, der zur Stillung seines un¬
stillbaren Alkoholdurstes sehr viel Geld brauchte, den Deutschen ein Stück Land
nach dem andern verkaufte, wozu er nach den Grundanschauungen der Ein¬
gebornen über Bodeneigentum in ihren Augen auch dann kein Recht gehabt
haben würde, wenn er als rechtmäßiger Erbe und als Oberhaupt des gesamten
Hererolandes anerkannt gewesen wäre, und die Wut stieg aufs äußerste, als
man 1903 anfing. Reservationen für die Eingebornen abzustecken, die fürchteten,
man werde sie ganz und gar in das wasserlose „Sandfeld" (Omaheka) zurück¬
drängen. So brach denn der Aufstand aus.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/472>, abgerufen am 23.07.2024.