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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und die Boisseree

Kunstreichs gescheut Hütte: es waren nicht seine Bilder, für die er Goethes
Interesse zunächst in Anspruch nahm, sondern er versuchte es von andrer Seite
mit seinen Zeichnungen und Plänen für den Ausbau des Domes. Man muß
dessen Baugeschichte einigermaßen kennen, wenn man ermessen will, welche Arbeit
hier geleistet werden mußte, und welche Verdienste sich Sulpiz gerade hierbei
erworben hat. Die französische Zeit hatte das ehrwürdige Gebäude zum Vor¬
ratshaus für Heu und Stroh, ja zum Pferdestall erniedrigt, und die Verwahr¬
losung, in der es dastand, als man wieder Herr im eignen Hause wurde, war
so groß, daß man erwog, ob es nicht besser sei, es ganz abzubrechen. Sulpiz
war nicht der einzige Bürger seiner Stadt, der vor der Barbarei dieses Ge¬
dankens zurückschauderte. Eine ganze Gruppe von gebildeten, mit den Kölnischen
Altertümern vertrauten, kunstverständigen Männern kämpfte Seite an Seite
mit ihm für die Erhaltung des herrlichen Denkmals mittelalterlicher Kunst und
Größe. Aber an Eifer und Tatkraft übertraf er sie alle, und die beiden glück¬
lichen Umstände, die Verfügung über bedeutende Mittel und die freie Muße,
die er sich bewahrt hatte, kamen ihm auch hierbei trefflich zustatten. So ent¬
standen die perspektivischen Zeichnungen, die, aufs sauberste ausgeführt und
gestochen, den vorteilhaftester Eindruck machten. Welches freudige Ereignis es
für Sulpiz war, als das vor der Zerstörungswut der Franzosen sorgsam ver¬
steckte Dombild wieder hervorgeholt und an seinen Platz zurückgebracht werden
konnte, kaun man sich denken. Die Höhe dieses Moments konnte nur durch
den andern überboten werden, als ein glücklicher Zufall den längst verloren
geglaubten Aufriß der beiden Türme von der Hand des Erbauers, Gerhard
von Rieke, auf dem Boden eines Krämers in Darmstadt, wo das kostbare
Pergament dem nützlichen Zwecke dienstbar gemacht worden war, Bohnen darauf
zu trocknen, wieder ans Licht zog. Und den stolzesten Augenblick seines Erden-
wallens erlebte er am 4. September 1842, als die feierliche Grundsteinlegung
des Neubaus durch den König Friedrich Wilhelm den Vierten in Köln voll¬
zogen wurde, der die Verdienste Boisserees ausdrücklich rühmte. Schon früher
waren die Blätter bekannt. Napoleon und seine Gemahlin Marie Luise, die im
November 1811 das ja damals noch französische Köln besuchten, waren darauf
aufmerksam gemacht worden, wobei Sulpiz den sehr berechtigten Wunsch hegte,
das Herrscherpaar für seinen Lebensplan, den Wiederaufbau des Domes, zu
interessieren und eine namhafte Unterstützung dafür angewiesen zu sehen, was
sich freilich als trügerisch erwies. Die kostbaren Blätter waren zunächst von
Sulpiz selbst, teils nach seinen Angaben gezeichnet, wurden aber in Kupferstich
ausgeführt, wobei er noch viel über die ungenügenden Leistungen der deutschen
Stecher zu klagen hatte und sich wiederholt nach Paris begeben mußte, um die
Arbeit nach seinen Wünschen ausgeführt zu erhalten.

Goethe, trotzdem ihm seit seiner Reise nach Italien, bestimmter seit seinem
Aufenthalt in Vicenza und seit der Anschauung der herrlichen Bauten Palladios
die früher so hoch bewunderte Gotik mit ihren Spitzen, Zacken und Schnörkeln


Goethe und die Boisseree

Kunstreichs gescheut Hütte: es waren nicht seine Bilder, für die er Goethes
Interesse zunächst in Anspruch nahm, sondern er versuchte es von andrer Seite
mit seinen Zeichnungen und Plänen für den Ausbau des Domes. Man muß
dessen Baugeschichte einigermaßen kennen, wenn man ermessen will, welche Arbeit
hier geleistet werden mußte, und welche Verdienste sich Sulpiz gerade hierbei
erworben hat. Die französische Zeit hatte das ehrwürdige Gebäude zum Vor¬
ratshaus für Heu und Stroh, ja zum Pferdestall erniedrigt, und die Verwahr¬
losung, in der es dastand, als man wieder Herr im eignen Hause wurde, war
so groß, daß man erwog, ob es nicht besser sei, es ganz abzubrechen. Sulpiz
war nicht der einzige Bürger seiner Stadt, der vor der Barbarei dieses Ge¬
dankens zurückschauderte. Eine ganze Gruppe von gebildeten, mit den Kölnischen
Altertümern vertrauten, kunstverständigen Männern kämpfte Seite an Seite
mit ihm für die Erhaltung des herrlichen Denkmals mittelalterlicher Kunst und
Größe. Aber an Eifer und Tatkraft übertraf er sie alle, und die beiden glück¬
lichen Umstände, die Verfügung über bedeutende Mittel und die freie Muße,
die er sich bewahrt hatte, kamen ihm auch hierbei trefflich zustatten. So ent¬
standen die perspektivischen Zeichnungen, die, aufs sauberste ausgeführt und
gestochen, den vorteilhaftester Eindruck machten. Welches freudige Ereignis es
für Sulpiz war, als das vor der Zerstörungswut der Franzosen sorgsam ver¬
steckte Dombild wieder hervorgeholt und an seinen Platz zurückgebracht werden
konnte, kaun man sich denken. Die Höhe dieses Moments konnte nur durch
den andern überboten werden, als ein glücklicher Zufall den längst verloren
geglaubten Aufriß der beiden Türme von der Hand des Erbauers, Gerhard
von Rieke, auf dem Boden eines Krämers in Darmstadt, wo das kostbare
Pergament dem nützlichen Zwecke dienstbar gemacht worden war, Bohnen darauf
zu trocknen, wieder ans Licht zog. Und den stolzesten Augenblick seines Erden-
wallens erlebte er am 4. September 1842, als die feierliche Grundsteinlegung
des Neubaus durch den König Friedrich Wilhelm den Vierten in Köln voll¬
zogen wurde, der die Verdienste Boisserees ausdrücklich rühmte. Schon früher
waren die Blätter bekannt. Napoleon und seine Gemahlin Marie Luise, die im
November 1811 das ja damals noch französische Köln besuchten, waren darauf
aufmerksam gemacht worden, wobei Sulpiz den sehr berechtigten Wunsch hegte,
das Herrscherpaar für seinen Lebensplan, den Wiederaufbau des Domes, zu
interessieren und eine namhafte Unterstützung dafür angewiesen zu sehen, was
sich freilich als trügerisch erwies. Die kostbaren Blätter waren zunächst von
Sulpiz selbst, teils nach seinen Angaben gezeichnet, wurden aber in Kupferstich
ausgeführt, wobei er noch viel über die ungenügenden Leistungen der deutschen
Stecher zu klagen hatte und sich wiederholt nach Paris begeben mußte, um die
Arbeit nach seinen Wünschen ausgeführt zu erhalten.

Goethe, trotzdem ihm seit seiner Reise nach Italien, bestimmter seit seinem
Aufenthalt in Vicenza und seit der Anschauung der herrlichen Bauten Palladios
die früher so hoch bewunderte Gotik mit ihren Spitzen, Zacken und Schnörkeln


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[0047] Goethe und die Boisseree Kunstreichs gescheut Hütte: es waren nicht seine Bilder, für die er Goethes Interesse zunächst in Anspruch nahm, sondern er versuchte es von andrer Seite mit seinen Zeichnungen und Plänen für den Ausbau des Domes. Man muß dessen Baugeschichte einigermaßen kennen, wenn man ermessen will, welche Arbeit hier geleistet werden mußte, und welche Verdienste sich Sulpiz gerade hierbei erworben hat. Die französische Zeit hatte das ehrwürdige Gebäude zum Vor¬ ratshaus für Heu und Stroh, ja zum Pferdestall erniedrigt, und die Verwahr¬ losung, in der es dastand, als man wieder Herr im eignen Hause wurde, war so groß, daß man erwog, ob es nicht besser sei, es ganz abzubrechen. Sulpiz war nicht der einzige Bürger seiner Stadt, der vor der Barbarei dieses Ge¬ dankens zurückschauderte. Eine ganze Gruppe von gebildeten, mit den Kölnischen Altertümern vertrauten, kunstverständigen Männern kämpfte Seite an Seite mit ihm für die Erhaltung des herrlichen Denkmals mittelalterlicher Kunst und Größe. Aber an Eifer und Tatkraft übertraf er sie alle, und die beiden glück¬ lichen Umstände, die Verfügung über bedeutende Mittel und die freie Muße, die er sich bewahrt hatte, kamen ihm auch hierbei trefflich zustatten. So ent¬ standen die perspektivischen Zeichnungen, die, aufs sauberste ausgeführt und gestochen, den vorteilhaftester Eindruck machten. Welches freudige Ereignis es für Sulpiz war, als das vor der Zerstörungswut der Franzosen sorgsam ver¬ steckte Dombild wieder hervorgeholt und an seinen Platz zurückgebracht werden konnte, kaun man sich denken. Die Höhe dieses Moments konnte nur durch den andern überboten werden, als ein glücklicher Zufall den längst verloren geglaubten Aufriß der beiden Türme von der Hand des Erbauers, Gerhard von Rieke, auf dem Boden eines Krämers in Darmstadt, wo das kostbare Pergament dem nützlichen Zwecke dienstbar gemacht worden war, Bohnen darauf zu trocknen, wieder ans Licht zog. Und den stolzesten Augenblick seines Erden- wallens erlebte er am 4. September 1842, als die feierliche Grundsteinlegung des Neubaus durch den König Friedrich Wilhelm den Vierten in Köln voll¬ zogen wurde, der die Verdienste Boisserees ausdrücklich rühmte. Schon früher waren die Blätter bekannt. Napoleon und seine Gemahlin Marie Luise, die im November 1811 das ja damals noch französische Köln besuchten, waren darauf aufmerksam gemacht worden, wobei Sulpiz den sehr berechtigten Wunsch hegte, das Herrscherpaar für seinen Lebensplan, den Wiederaufbau des Domes, zu interessieren und eine namhafte Unterstützung dafür angewiesen zu sehen, was sich freilich als trügerisch erwies. Die kostbaren Blätter waren zunächst von Sulpiz selbst, teils nach seinen Angaben gezeichnet, wurden aber in Kupferstich ausgeführt, wobei er noch viel über die ungenügenden Leistungen der deutschen Stecher zu klagen hatte und sich wiederholt nach Paris begeben mußte, um die Arbeit nach seinen Wünschen ausgeführt zu erhalten. Goethe, trotzdem ihm seit seiner Reise nach Italien, bestimmter seit seinem Aufenthalt in Vicenza und seit der Anschauung der herrlichen Bauten Palladios die früher so hoch bewunderte Gotik mit ihren Spitzen, Zacken und Schnörkeln

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/47>, abgerufen am 01.10.2024.