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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Englands Vordringen in Persien

7. Oktober das Parlament oder vielmehr ein kleiner Teil der Abgeordneten
zusammentrat. Die Wahlen stießen in der Provinz vielfach auf Schwierig¬
keiten, sodaß erst Ende November ein Drittel der Abgeordneten versammelt war.

Der Zweck der schnellen Zusammenberufung sollte sich bald zeigen. In
den Kassen herrschte absolute Leere, die Beamten und die Soldaten forderten
ihre Gehaltsrückstände. Das Odium einer neuen Anleihe wollte die Negierung
nicht auf sich nehmen, und so wurde das Parlament um Genehmigung der
englisch-russischen Anleihe im Betrage von 8 Millionen Mark angegangen. Das
Parlament lehnte aber ab, beschloß dafür die Gründung einer Nationalbank
auf Aktien, die die Staatseinnahmen verwalten, die Schulden bezahlen und der
Regierung Vorschüsse geben solle. In derselben Sitzung wurden schon große
Summen gezeichnet und weitere versprochen. Das scheint aber nur im ersten
Enthusiasmus geschehn zu sein, denn am 1. Dezember machte der Finanzminister
im Parlament die Mitteilung, daß obwohl mehrere Tage verflossen seien, seit¬
dem von allen Seiten finanzielle Hilfe bei der Gründung der Nationalbank ver¬
sprochen wurde, noch nicht zehn Personen Anteilscheine gezeichnet hätten.

In den folgenden Monaten hatte es zunächst den Anschein, als ob einige
Besserung eintreten sollte. Das Parlament, von der Ansicht ausgehend, den
Schah durch die Geldfrage gefügig machen zu können, stattete die Bank mit
ganz außergewöhnlichen Privilegien aus. Sie sollte hinfort alle Negierungsein-
tunfte gegen eine Provision von 1 Prozent einziehn, die Finanzen des Staates
kontrollieren, auch wurden ihr besondre Rechte bei Neugründungen und Unter¬
nehmungen von Minen, Eisenbahnen usw. zuerkannt, alles Forderungen, die sich
die Negierung unmöglich gefallen lassen konnte. Trotzdem gab diese nach langen
Debatten nach, tat aber dafür den unglaublichen Schritt, keine Steuern und
Zölle mehr zu erheben. Ob dies nur aus dem Grunde geschehen ist, sich nicht
durch das Parlament kontrollieren zu lassen, oder ob es wegen der wachsenden
Unruhen in den Provinzen tatsächlich unmöglich war, darüber gehn die Ansichten
auseinander. Die Folge war eine Stockung des Handels und völliger Geldmangel.
Die notwendigsten Zahlungen mußten unterbleiben, Gehalte und Sold konnten
nicht gezahlt werden. Der Unwille richtete sich nun auch gegen das Parlament,
dennoch sträubte es sich auch weiterhin gegen eine äußere Anleihe, weil es in dem
Kampf um seine Existenz die Negierung nicht durch Geldmittel stärken wollte.

In dieser Lage ist das Land noch jetzt, die Nationalbank existiert zwar,
aber ohne genügende Mittel. Die Münze ist geschlossen, Handel und Wandel
haben sich noch nicht wieder gehoben, und die Armut hat in erschreckendem Maße
zugenommen. Der notwendigste Geldbedarf wird auf 14 Millionen geschätzt.
Nach einem Telegramm vom 19. August erklärte der Finanzminister im Parlament,
die einheimischen Bankiers und Geldgeber Hütten von der Negierung 1760 000 Mark
zu fordern. Die Regierung hätte ihnen 65 Prozent ihrer Ansprüche geboten, und
die Gläubiger hätten eingewilligt, dies anzunehmen, wenn die Summe in bar
bezahlt würde, oder sie würden warten, wenn ihnen Sicherheit geboten würde.


Englands Vordringen in Persien

7. Oktober das Parlament oder vielmehr ein kleiner Teil der Abgeordneten
zusammentrat. Die Wahlen stießen in der Provinz vielfach auf Schwierig¬
keiten, sodaß erst Ende November ein Drittel der Abgeordneten versammelt war.

Der Zweck der schnellen Zusammenberufung sollte sich bald zeigen. In
den Kassen herrschte absolute Leere, die Beamten und die Soldaten forderten
ihre Gehaltsrückstände. Das Odium einer neuen Anleihe wollte die Negierung
nicht auf sich nehmen, und so wurde das Parlament um Genehmigung der
englisch-russischen Anleihe im Betrage von 8 Millionen Mark angegangen. Das
Parlament lehnte aber ab, beschloß dafür die Gründung einer Nationalbank
auf Aktien, die die Staatseinnahmen verwalten, die Schulden bezahlen und der
Regierung Vorschüsse geben solle. In derselben Sitzung wurden schon große
Summen gezeichnet und weitere versprochen. Das scheint aber nur im ersten
Enthusiasmus geschehn zu sein, denn am 1. Dezember machte der Finanzminister
im Parlament die Mitteilung, daß obwohl mehrere Tage verflossen seien, seit¬
dem von allen Seiten finanzielle Hilfe bei der Gründung der Nationalbank ver¬
sprochen wurde, noch nicht zehn Personen Anteilscheine gezeichnet hätten.

In den folgenden Monaten hatte es zunächst den Anschein, als ob einige
Besserung eintreten sollte. Das Parlament, von der Ansicht ausgehend, den
Schah durch die Geldfrage gefügig machen zu können, stattete die Bank mit
ganz außergewöhnlichen Privilegien aus. Sie sollte hinfort alle Negierungsein-
tunfte gegen eine Provision von 1 Prozent einziehn, die Finanzen des Staates
kontrollieren, auch wurden ihr besondre Rechte bei Neugründungen und Unter¬
nehmungen von Minen, Eisenbahnen usw. zuerkannt, alles Forderungen, die sich
die Negierung unmöglich gefallen lassen konnte. Trotzdem gab diese nach langen
Debatten nach, tat aber dafür den unglaublichen Schritt, keine Steuern und
Zölle mehr zu erheben. Ob dies nur aus dem Grunde geschehen ist, sich nicht
durch das Parlament kontrollieren zu lassen, oder ob es wegen der wachsenden
Unruhen in den Provinzen tatsächlich unmöglich war, darüber gehn die Ansichten
auseinander. Die Folge war eine Stockung des Handels und völliger Geldmangel.
Die notwendigsten Zahlungen mußten unterbleiben, Gehalte und Sold konnten
nicht gezahlt werden. Der Unwille richtete sich nun auch gegen das Parlament,
dennoch sträubte es sich auch weiterhin gegen eine äußere Anleihe, weil es in dem
Kampf um seine Existenz die Negierung nicht durch Geldmittel stärken wollte.

In dieser Lage ist das Land noch jetzt, die Nationalbank existiert zwar,
aber ohne genügende Mittel. Die Münze ist geschlossen, Handel und Wandel
haben sich noch nicht wieder gehoben, und die Armut hat in erschreckendem Maße
zugenommen. Der notwendigste Geldbedarf wird auf 14 Millionen geschätzt.
Nach einem Telegramm vom 19. August erklärte der Finanzminister im Parlament,
die einheimischen Bankiers und Geldgeber Hütten von der Negierung 1760 000 Mark
zu fordern. Die Regierung hätte ihnen 65 Prozent ihrer Ansprüche geboten, und
die Gläubiger hätten eingewilligt, dies anzunehmen, wenn die Summe in bar
bezahlt würde, oder sie würden warten, wenn ihnen Sicherheit geboten würde.


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[0406] Englands Vordringen in Persien 7. Oktober das Parlament oder vielmehr ein kleiner Teil der Abgeordneten zusammentrat. Die Wahlen stießen in der Provinz vielfach auf Schwierig¬ keiten, sodaß erst Ende November ein Drittel der Abgeordneten versammelt war. Der Zweck der schnellen Zusammenberufung sollte sich bald zeigen. In den Kassen herrschte absolute Leere, die Beamten und die Soldaten forderten ihre Gehaltsrückstände. Das Odium einer neuen Anleihe wollte die Negierung nicht auf sich nehmen, und so wurde das Parlament um Genehmigung der englisch-russischen Anleihe im Betrage von 8 Millionen Mark angegangen. Das Parlament lehnte aber ab, beschloß dafür die Gründung einer Nationalbank auf Aktien, die die Staatseinnahmen verwalten, die Schulden bezahlen und der Regierung Vorschüsse geben solle. In derselben Sitzung wurden schon große Summen gezeichnet und weitere versprochen. Das scheint aber nur im ersten Enthusiasmus geschehn zu sein, denn am 1. Dezember machte der Finanzminister im Parlament die Mitteilung, daß obwohl mehrere Tage verflossen seien, seit¬ dem von allen Seiten finanzielle Hilfe bei der Gründung der Nationalbank ver¬ sprochen wurde, noch nicht zehn Personen Anteilscheine gezeichnet hätten. In den folgenden Monaten hatte es zunächst den Anschein, als ob einige Besserung eintreten sollte. Das Parlament, von der Ansicht ausgehend, den Schah durch die Geldfrage gefügig machen zu können, stattete die Bank mit ganz außergewöhnlichen Privilegien aus. Sie sollte hinfort alle Negierungsein- tunfte gegen eine Provision von 1 Prozent einziehn, die Finanzen des Staates kontrollieren, auch wurden ihr besondre Rechte bei Neugründungen und Unter¬ nehmungen von Minen, Eisenbahnen usw. zuerkannt, alles Forderungen, die sich die Negierung unmöglich gefallen lassen konnte. Trotzdem gab diese nach langen Debatten nach, tat aber dafür den unglaublichen Schritt, keine Steuern und Zölle mehr zu erheben. Ob dies nur aus dem Grunde geschehen ist, sich nicht durch das Parlament kontrollieren zu lassen, oder ob es wegen der wachsenden Unruhen in den Provinzen tatsächlich unmöglich war, darüber gehn die Ansichten auseinander. Die Folge war eine Stockung des Handels und völliger Geldmangel. Die notwendigsten Zahlungen mußten unterbleiben, Gehalte und Sold konnten nicht gezahlt werden. Der Unwille richtete sich nun auch gegen das Parlament, dennoch sträubte es sich auch weiterhin gegen eine äußere Anleihe, weil es in dem Kampf um seine Existenz die Negierung nicht durch Geldmittel stärken wollte. In dieser Lage ist das Land noch jetzt, die Nationalbank existiert zwar, aber ohne genügende Mittel. Die Münze ist geschlossen, Handel und Wandel haben sich noch nicht wieder gehoben, und die Armut hat in erschreckendem Maße zugenommen. Der notwendigste Geldbedarf wird auf 14 Millionen geschätzt. Nach einem Telegramm vom 19. August erklärte der Finanzminister im Parlament, die einheimischen Bankiers und Geldgeber Hütten von der Negierung 1760 000 Mark zu fordern. Die Regierung hätte ihnen 65 Prozent ihrer Ansprüche geboten, und die Gläubiger hätten eingewilligt, dies anzunehmen, wenn die Summe in bar bezahlt würde, oder sie würden warten, wenn ihnen Sicherheit geboten würde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/406>, abgerufen am 23.07.2024.