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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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kein freundlich Fleckchen und keinen lieben Platz will sie uns bieten, wie's doch
bei Siris Flut so anders war!" Den Dichter fröstelts hier, andre Bilder
aus andern Gegenden steigen vor seinen Blicken auf, möglich, daß er vorher
einmal an des Siris Wellen geweilt, und daß ihn jetzt die Sehnsucht nach
Italien überkommt. Aber ganz ließ er die Hoffnung nicht sinken, sondern er
suchte Befriedigung ini Waffendienst.

Die neuen Ansiedler hatten auf Thasos keinen leichten Stand, der Hunger
nach Gold trieb so manches Volk hierher, so mußten sie sich mit den Thrakern
der Küste messen. So kam es denn auch mit den Saiern zu einem Treffen,
sie brechen aus dem Busch, Archilochos muß fliehen und verliert seinen Schild.
Doch schien er dieses Ereignis weniger entehrend zu empfinden, als man es sonst
in Griechenland tat; scherzhaft mit leiser Selbstironie gesteht er: "Nun stolziert
mit dem Schilde ein Saier, den ich am Busche ungern im Stiche ließ, wars
doch ein trefflicher Schild. Selbst doch entrann ich dem Tod; Ade, meine
teuere Waffe, bald wird ein neuer gekauft, und der ist ebenso gut!" -- eine
Fatalität, die auch Alkaios und Homz aus ihrem Leben eingestehn. Anders
dachten über diesen Streich die Lakedümonier, denn als er einst nach Sparta
kam, verwiesen sie ihn aus der Stadt.

Einige Fragmente führen uns ins lustige Lagerleben: "Die Lanze ist mir
gebacken Brot, die Lanze ist mir roter Wein, ihn trink ich an den Speer ge¬
lehnt, doch muß aus Jsmaros er sein." Jsmarischer Wein hatte es ihm an¬
getan, dieselbe Marke, deren Lob schon in der Odyssee erklingt. Auch auf der
Feldwache wird dem edeln Weine zugesprochen. Die Deckel sollen von den
Flaschen genommen, und der rote Wein bis auf die Nagelprobe cmsgegossett
werden, "denn nüchtern können wir diese Nachtwache nicht hinbringen". Von
der behaglichen Wachtstube gings wieder hinaus in den Kampf. Sicher
allegorisch aufzufassen und auf den bevorstehenden Waffentanz zu beziehen sind
jene Verse, die uns einen kommenden Seesturm schildern, wie das Meer von
den Wellen aufgewühlt wird, und eine schwarze Wolke den Sturm verkündend
darüber schwebt. Das Resultat eines Kampfes wurde mit lautem Scherz ver¬
kündet: "Sieben Tote haben wir unter die Füße getreten, und wir waren tausend
Mörder." Auch an den Höchstkommandierenden wagt sich der Dichter, scherz¬
haft malt er sich einen Jdealfeldherrn aus: er soll nicht langgewachsen, von
schlottriger Haltung sein, nicht mit Locken prahlen, nicht mit wenig bcschorenem
Barte, ein kleiner, mit gebognen Schienbeinen, der sicher auftritt, der hat des
Dichters Herz gewonnen.

Mitten in dem Scherz findet sich auch ein ernster, edler Gedanke, der
gewiß nach einer Schlacht ausgesprochen wurde: "Nicht ists edel, über tote
Männer seinen Spott zu ergießen", Worte, mit denen schon Odysseus nach
dem Freiermord die Freude der Eurykleia zurückdämmt; und die Disziplin
wird gut gewahrt, wenn es heißt: "Ermutige die jungen Leute; die Ent¬
scheidung des Sieges liegt in der Götter Hand!" Aber bald wich der zuver¬
sichtliche, bisweilen kecke Ton seiner Dichtungen einem gedrückten; der Katzen-


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kein freundlich Fleckchen und keinen lieben Platz will sie uns bieten, wie's doch
bei Siris Flut so anders war!" Den Dichter fröstelts hier, andre Bilder
aus andern Gegenden steigen vor seinen Blicken auf, möglich, daß er vorher
einmal an des Siris Wellen geweilt, und daß ihn jetzt die Sehnsucht nach
Italien überkommt. Aber ganz ließ er die Hoffnung nicht sinken, sondern er
suchte Befriedigung ini Waffendienst.

Die neuen Ansiedler hatten auf Thasos keinen leichten Stand, der Hunger
nach Gold trieb so manches Volk hierher, so mußten sie sich mit den Thrakern
der Küste messen. So kam es denn auch mit den Saiern zu einem Treffen,
sie brechen aus dem Busch, Archilochos muß fliehen und verliert seinen Schild.
Doch schien er dieses Ereignis weniger entehrend zu empfinden, als man es sonst
in Griechenland tat; scherzhaft mit leiser Selbstironie gesteht er: „Nun stolziert
mit dem Schilde ein Saier, den ich am Busche ungern im Stiche ließ, wars
doch ein trefflicher Schild. Selbst doch entrann ich dem Tod; Ade, meine
teuere Waffe, bald wird ein neuer gekauft, und der ist ebenso gut!" — eine
Fatalität, die auch Alkaios und Homz aus ihrem Leben eingestehn. Anders
dachten über diesen Streich die Lakedümonier, denn als er einst nach Sparta
kam, verwiesen sie ihn aus der Stadt.

Einige Fragmente führen uns ins lustige Lagerleben: „Die Lanze ist mir
gebacken Brot, die Lanze ist mir roter Wein, ihn trink ich an den Speer ge¬
lehnt, doch muß aus Jsmaros er sein." Jsmarischer Wein hatte es ihm an¬
getan, dieselbe Marke, deren Lob schon in der Odyssee erklingt. Auch auf der
Feldwache wird dem edeln Weine zugesprochen. Die Deckel sollen von den
Flaschen genommen, und der rote Wein bis auf die Nagelprobe cmsgegossett
werden, „denn nüchtern können wir diese Nachtwache nicht hinbringen". Von
der behaglichen Wachtstube gings wieder hinaus in den Kampf. Sicher
allegorisch aufzufassen und auf den bevorstehenden Waffentanz zu beziehen sind
jene Verse, die uns einen kommenden Seesturm schildern, wie das Meer von
den Wellen aufgewühlt wird, und eine schwarze Wolke den Sturm verkündend
darüber schwebt. Das Resultat eines Kampfes wurde mit lautem Scherz ver¬
kündet: „Sieben Tote haben wir unter die Füße getreten, und wir waren tausend
Mörder." Auch an den Höchstkommandierenden wagt sich der Dichter, scherz¬
haft malt er sich einen Jdealfeldherrn aus: er soll nicht langgewachsen, von
schlottriger Haltung sein, nicht mit Locken prahlen, nicht mit wenig bcschorenem
Barte, ein kleiner, mit gebognen Schienbeinen, der sicher auftritt, der hat des
Dichters Herz gewonnen.

Mitten in dem Scherz findet sich auch ein ernster, edler Gedanke, der
gewiß nach einer Schlacht ausgesprochen wurde: „Nicht ists edel, über tote
Männer seinen Spott zu ergießen", Worte, mit denen schon Odysseus nach
dem Freiermord die Freude der Eurykleia zurückdämmt; und die Disziplin
wird gut gewahrt, wenn es heißt: „Ermutige die jungen Leute; die Ent¬
scheidung des Sieges liegt in der Götter Hand!" Aber bald wich der zuver¬
sichtliche, bisweilen kecke Ton seiner Dichtungen einem gedrückten; der Katzen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/362>, abgerufen am 23.07.2024.