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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Windthorst

Genehmigung der Regierung abhängig. Diese wurde auch deu sechs frühern
Ministern, die gewählt worden waren, verweigert, und Windthorst, der zu
ihnen gehörte, zog sich nun von der politischen Tätigkeit zurück und lebte
als Privatmann in Hannover. Seiner bekannten Rechtskenntnis wegen wurde
er mehrfach in Prozessen fürstlicher Hänser zu Rate gezogen. Man kann es
als ominös ansehen, daß er auch in einem Prozeß der gräflich Bentinckschen
Familie gegen den Preußischen Staat (wegen der Herrschaft Pyrmont) ein
Gutachten abgab. Große Verdienste in den Augen der Hierarchie erwarb er
sich durch seine Bemühungen um die Wiederherstellung des Bistums Osnabrück.
Den ihm zugedachten päpstlichen Orden wehrte er entschieden ab, und so begnügte
sich deun Pius damit, seiner Gattin eine wertvolle Brosche zu schicken.

Die Unzufriedenheit im Lande begünstigte die Gründung des National¬
vereins durch Bennigsen, und das verhaßte Ministerium fiel im Jahre 1862.
Den Anlaß zu seinem Sturze jedoch gab sonderbarerweise eine Angelegenheit
der evangelischen Kirche: die Wiedereinführung eines Katechismus aus dem
siebzehnten Jahrhundert, der allgemein Anstoß erregte. In das neue Ministerium,
dessen Vorsitzender der Kriegsminister von Brandis war, wurde Windthorst
wieder als Justiz minister berufen. Seine Hauptleistung in dieser zweiten
Ministerschaft war die neue Synodalordnung für die evangelisch-lutherische
Kirche, die er zusammen mit seinem Freunde, dem Unterstaatssekretär im
Kultusministerium Dr. Brück, fertig brachte. "Windthorst war nicht wenig
stolz darauf, daß er als katholischer Minister in Verbindung mit einem evan¬
gelischen Staatssekretär ein Gesetz für die protestantische Kirche festgestellt (?)
hatte, das als Muster gelten durfte, und mit dem alle Beteiligten zufrieden
waren. Noch in spätern Jahren pflegte er sich dieses Werkes zu rühmen
als eines Beweises dafür, wie er die Freiheit der Kirche auch für die
Protestanten verstehe." Ein neues Wahlgesetz, das von der Regierung ein¬
gebracht, von den Ständen angenommen war, dem aber dann der von der
Adelspartei bearbeitete König die Zustimmung versagte, hatte die Entlassung
des Ministeriums zur Folge. (Im Jahre 1865, wie man im Konversations¬
lexikon findet; Hüsgen gibt weder das Jahr noch das Datum an, sondern
sagt nur, daß am 21. Oktober 1865 Leonhardt Windthorsts Nachfolger wurde.)
Oskar Meding hat folgende Äußerung des Königs erzählt: "Wenn Windt¬
horst mein Minister ist, so kommt es mir vor, als ob ich mich auf einem
Schiff befände, an dessen Mast meine Flagge weht, und das deu Kurs hält,
den ich fahren will. Ich lege mich auf einen Augenblick nieder und schlafe
ein, und wenn ich nachher wieder auf Deck komme, so sehe ich eine fremde
Flagge, und das Schiff fährt einen andern Kurs." Meding findet diese
Methode tadelnswert, Hüsgen meint, bei der Eigenart des Königs sei es die
einzige gewesen, das als vernünftig und notwendig erkannte durchzusetzen.
Übrigens hielt der politische Zwiespalt deu König nicht ab, auch nachher noch
Windthorsts bewährte juristische Tüchtigkeit zu benutzen. Er übertrug ihm die


Grcnzvotcn IV 1907 45
Windthorst

Genehmigung der Regierung abhängig. Diese wurde auch deu sechs frühern
Ministern, die gewählt worden waren, verweigert, und Windthorst, der zu
ihnen gehörte, zog sich nun von der politischen Tätigkeit zurück und lebte
als Privatmann in Hannover. Seiner bekannten Rechtskenntnis wegen wurde
er mehrfach in Prozessen fürstlicher Hänser zu Rate gezogen. Man kann es
als ominös ansehen, daß er auch in einem Prozeß der gräflich Bentinckschen
Familie gegen den Preußischen Staat (wegen der Herrschaft Pyrmont) ein
Gutachten abgab. Große Verdienste in den Augen der Hierarchie erwarb er
sich durch seine Bemühungen um die Wiederherstellung des Bistums Osnabrück.
Den ihm zugedachten päpstlichen Orden wehrte er entschieden ab, und so begnügte
sich deun Pius damit, seiner Gattin eine wertvolle Brosche zu schicken.

Die Unzufriedenheit im Lande begünstigte die Gründung des National¬
vereins durch Bennigsen, und das verhaßte Ministerium fiel im Jahre 1862.
Den Anlaß zu seinem Sturze jedoch gab sonderbarerweise eine Angelegenheit
der evangelischen Kirche: die Wiedereinführung eines Katechismus aus dem
siebzehnten Jahrhundert, der allgemein Anstoß erregte. In das neue Ministerium,
dessen Vorsitzender der Kriegsminister von Brandis war, wurde Windthorst
wieder als Justiz minister berufen. Seine Hauptleistung in dieser zweiten
Ministerschaft war die neue Synodalordnung für die evangelisch-lutherische
Kirche, die er zusammen mit seinem Freunde, dem Unterstaatssekretär im
Kultusministerium Dr. Brück, fertig brachte. „Windthorst war nicht wenig
stolz darauf, daß er als katholischer Minister in Verbindung mit einem evan¬
gelischen Staatssekretär ein Gesetz für die protestantische Kirche festgestellt (?)
hatte, das als Muster gelten durfte, und mit dem alle Beteiligten zufrieden
waren. Noch in spätern Jahren pflegte er sich dieses Werkes zu rühmen
als eines Beweises dafür, wie er die Freiheit der Kirche auch für die
Protestanten verstehe." Ein neues Wahlgesetz, das von der Regierung ein¬
gebracht, von den Ständen angenommen war, dem aber dann der von der
Adelspartei bearbeitete König die Zustimmung versagte, hatte die Entlassung
des Ministeriums zur Folge. (Im Jahre 1865, wie man im Konversations¬
lexikon findet; Hüsgen gibt weder das Jahr noch das Datum an, sondern
sagt nur, daß am 21. Oktober 1865 Leonhardt Windthorsts Nachfolger wurde.)
Oskar Meding hat folgende Äußerung des Königs erzählt: „Wenn Windt¬
horst mein Minister ist, so kommt es mir vor, als ob ich mich auf einem
Schiff befände, an dessen Mast meine Flagge weht, und das deu Kurs hält,
den ich fahren will. Ich lege mich auf einen Augenblick nieder und schlafe
ein, und wenn ich nachher wieder auf Deck komme, so sehe ich eine fremde
Flagge, und das Schiff fährt einen andern Kurs." Meding findet diese
Methode tadelnswert, Hüsgen meint, bei der Eigenart des Königs sei es die
einzige gewesen, das als vernünftig und notwendig erkannte durchzusetzen.
Übrigens hielt der politische Zwiespalt deu König nicht ab, auch nachher noch
Windthorsts bewährte juristische Tüchtigkeit zu benutzen. Er übertrug ihm die


Grcnzvotcn IV 1907 45
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[0353] Windthorst Genehmigung der Regierung abhängig. Diese wurde auch deu sechs frühern Ministern, die gewählt worden waren, verweigert, und Windthorst, der zu ihnen gehörte, zog sich nun von der politischen Tätigkeit zurück und lebte als Privatmann in Hannover. Seiner bekannten Rechtskenntnis wegen wurde er mehrfach in Prozessen fürstlicher Hänser zu Rate gezogen. Man kann es als ominös ansehen, daß er auch in einem Prozeß der gräflich Bentinckschen Familie gegen den Preußischen Staat (wegen der Herrschaft Pyrmont) ein Gutachten abgab. Große Verdienste in den Augen der Hierarchie erwarb er sich durch seine Bemühungen um die Wiederherstellung des Bistums Osnabrück. Den ihm zugedachten päpstlichen Orden wehrte er entschieden ab, und so begnügte sich deun Pius damit, seiner Gattin eine wertvolle Brosche zu schicken. Die Unzufriedenheit im Lande begünstigte die Gründung des National¬ vereins durch Bennigsen, und das verhaßte Ministerium fiel im Jahre 1862. Den Anlaß zu seinem Sturze jedoch gab sonderbarerweise eine Angelegenheit der evangelischen Kirche: die Wiedereinführung eines Katechismus aus dem siebzehnten Jahrhundert, der allgemein Anstoß erregte. In das neue Ministerium, dessen Vorsitzender der Kriegsminister von Brandis war, wurde Windthorst wieder als Justiz minister berufen. Seine Hauptleistung in dieser zweiten Ministerschaft war die neue Synodalordnung für die evangelisch-lutherische Kirche, die er zusammen mit seinem Freunde, dem Unterstaatssekretär im Kultusministerium Dr. Brück, fertig brachte. „Windthorst war nicht wenig stolz darauf, daß er als katholischer Minister in Verbindung mit einem evan¬ gelischen Staatssekretär ein Gesetz für die protestantische Kirche festgestellt (?) hatte, das als Muster gelten durfte, und mit dem alle Beteiligten zufrieden waren. Noch in spätern Jahren pflegte er sich dieses Werkes zu rühmen als eines Beweises dafür, wie er die Freiheit der Kirche auch für die Protestanten verstehe." Ein neues Wahlgesetz, das von der Regierung ein¬ gebracht, von den Ständen angenommen war, dem aber dann der von der Adelspartei bearbeitete König die Zustimmung versagte, hatte die Entlassung des Ministeriums zur Folge. (Im Jahre 1865, wie man im Konversations¬ lexikon findet; Hüsgen gibt weder das Jahr noch das Datum an, sondern sagt nur, daß am 21. Oktober 1865 Leonhardt Windthorsts Nachfolger wurde.) Oskar Meding hat folgende Äußerung des Königs erzählt: „Wenn Windt¬ horst mein Minister ist, so kommt es mir vor, als ob ich mich auf einem Schiff befände, an dessen Mast meine Flagge weht, und das deu Kurs hält, den ich fahren will. Ich lege mich auf einen Augenblick nieder und schlafe ein, und wenn ich nachher wieder auf Deck komme, so sehe ich eine fremde Flagge, und das Schiff fährt einen andern Kurs." Meding findet diese Methode tadelnswert, Hüsgen meint, bei der Eigenart des Königs sei es die einzige gewesen, das als vernünftig und notwendig erkannte durchzusetzen. Übrigens hielt der politische Zwiespalt deu König nicht ab, auch nachher noch Windthorsts bewährte juristische Tüchtigkeit zu benutzen. Er übertrug ihm die Grcnzvotcn IV 1907 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/353>, abgerufen am 23.07.2024.