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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Windthorst

desto sichrer den Einheitsstaat unter Preußens Führung vorzubereiten". Be¬
sonders habe der preußische Bundestagsgesandte Graf (so!) Bismarck die
hannoverschen Angelegenheiten scharf im Auge behalten (womit er nur seine
Schuldigkeit tat). Wie klug er die Fäden zu schlingen mußte, ohne sich von
Gewissensbedenken hindern zu lassen, beweise der Brief an den Minister-
Präsidenten von Manteuffel vom 9. Oktober 1851, in dem es heiße: "So
entschiedn" Abneigung ich dagegen habe, im eignen Vaterlande das Recht der
Politik zu opfern, so habe ich doch preußischen Egoismus genug, um in bezug
auf Hannovers Recht nicht in demselben Maße gewissenhaft zu sein, und
würde unmaßgeblich raten, in Hannover nur ein solches Ministerium zu stützen,
das sich unsrer Politik anzuschließen bereit wäre, möchte seine politische Farbe
sein, welche sie wollte. Unser eignes Haus ist fest genng, sodaß wir in
Hannover eher ein liberales als ein österreichisches Ministerium dulden und
halten können." Das ist doch vom Standpunkt eines damaligen preußischen
Stcmtsdiencrs ganz richtig gedacht. Daß Bismarck selbst nach diesem seinem
Chef erteilten Rate gehandelt und "Fäden geschlungen" habe, dafür erbringt
Hüsgen keinen Beweis. In den "Gedanken und Erinnerungen" findet sich
keine Andeutung, daß Bismarck damals in die hannoverschen Angelegenheiten
eingegriffen hätte. Übrigens siegten Windthorst und Sehele. Von der Decken
und von Borries wurden durch vou Reiche und von Hammerstein ersetzt.
Aber zu einer Verständigung mit der Ritterschaft gelangte man nicht. Die
Kammern wurden deshalb am 15. Juli 1852 vertagt. Ehe sie auseinander-
gingen, statteten sie dem Ministerium warmen Dank ab für seine -- leider
vergeblichen -- Bemühungen um die Erhaltung der deutschen Flotte. In der
Herbstsitzung kam die Justizreform zustande, die hauptsächlich Windthorsts
Werk war. Der liberale Abgeordnete für Mitten, Berger, hat darüber im
Preußischen Abgeordnetenhaus? (Februar 1875) geurteilt: "Windthorst rühmt
sich seines Konservatismus, ja, er wurde gewissermaßen als Minister der
Reaktion an seine Stelle in Hannover berufen jivas mit Hüsgens Darstellung
nicht stimmtj. Wie aber hat er seine damalige Aufgabe erfüllt? Anstatt in
brutaler Weise die hannoversche Gesetzgebung der Jahre 1848/49 zurückzu¬
drängen, hat er mit verstündiger Hand nur ihre Auswüchse beseitigt und seinem
engern Vaterlande Verwaltung^- und Jnstizgesetze gegeben, die noch heute in
voller anerkannter Giltigkeit sich befinden und für unsre Gesetzgebung in
Preußen Muster und Vorbild geworden sind." Ein längeres Zeugnis des
hannoverschen Gegners Windthorsts, des Obergerichtsanwalts Oppermann,
lautet geradezu bewundernd. Eine Vorlage, die durch Abänderung einiger
Punkte der Verfassung den Frieden mit der Ritterschaft herstellen sollte, hatte
den Rücktritt des Ministeriums zur Folge. Es Hütte eine Mehrheit dafür
gewinnen können, wenn es die verlangte Erklärung abgegeben hätte, daß
weitere Zugeständnisse an den Adel für immer ausgeschlossen seien; die Minister
aber waren nach Hüsgen zu ehrlich, etwas zu versprechen, wovon sie bei dem


Windthorst

desto sichrer den Einheitsstaat unter Preußens Führung vorzubereiten". Be¬
sonders habe der preußische Bundestagsgesandte Graf (so!) Bismarck die
hannoverschen Angelegenheiten scharf im Auge behalten (womit er nur seine
Schuldigkeit tat). Wie klug er die Fäden zu schlingen mußte, ohne sich von
Gewissensbedenken hindern zu lassen, beweise der Brief an den Minister-
Präsidenten von Manteuffel vom 9. Oktober 1851, in dem es heiße: „So
entschiedn« Abneigung ich dagegen habe, im eignen Vaterlande das Recht der
Politik zu opfern, so habe ich doch preußischen Egoismus genug, um in bezug
auf Hannovers Recht nicht in demselben Maße gewissenhaft zu sein, und
würde unmaßgeblich raten, in Hannover nur ein solches Ministerium zu stützen,
das sich unsrer Politik anzuschließen bereit wäre, möchte seine politische Farbe
sein, welche sie wollte. Unser eignes Haus ist fest genng, sodaß wir in
Hannover eher ein liberales als ein österreichisches Ministerium dulden und
halten können." Das ist doch vom Standpunkt eines damaligen preußischen
Stcmtsdiencrs ganz richtig gedacht. Daß Bismarck selbst nach diesem seinem
Chef erteilten Rate gehandelt und „Fäden geschlungen" habe, dafür erbringt
Hüsgen keinen Beweis. In den „Gedanken und Erinnerungen" findet sich
keine Andeutung, daß Bismarck damals in die hannoverschen Angelegenheiten
eingegriffen hätte. Übrigens siegten Windthorst und Sehele. Von der Decken
und von Borries wurden durch vou Reiche und von Hammerstein ersetzt.
Aber zu einer Verständigung mit der Ritterschaft gelangte man nicht. Die
Kammern wurden deshalb am 15. Juli 1852 vertagt. Ehe sie auseinander-
gingen, statteten sie dem Ministerium warmen Dank ab für seine — leider
vergeblichen — Bemühungen um die Erhaltung der deutschen Flotte. In der
Herbstsitzung kam die Justizreform zustande, die hauptsächlich Windthorsts
Werk war. Der liberale Abgeordnete für Mitten, Berger, hat darüber im
Preußischen Abgeordnetenhaus? (Februar 1875) geurteilt: „Windthorst rühmt
sich seines Konservatismus, ja, er wurde gewissermaßen als Minister der
Reaktion an seine Stelle in Hannover berufen jivas mit Hüsgens Darstellung
nicht stimmtj. Wie aber hat er seine damalige Aufgabe erfüllt? Anstatt in
brutaler Weise die hannoversche Gesetzgebung der Jahre 1848/49 zurückzu¬
drängen, hat er mit verstündiger Hand nur ihre Auswüchse beseitigt und seinem
engern Vaterlande Verwaltung^- und Jnstizgesetze gegeben, die noch heute in
voller anerkannter Giltigkeit sich befinden und für unsre Gesetzgebung in
Preußen Muster und Vorbild geworden sind." Ein längeres Zeugnis des
hannoverschen Gegners Windthorsts, des Obergerichtsanwalts Oppermann,
lautet geradezu bewundernd. Eine Vorlage, die durch Abänderung einiger
Punkte der Verfassung den Frieden mit der Ritterschaft herstellen sollte, hatte
den Rücktritt des Ministeriums zur Folge. Es Hütte eine Mehrheit dafür
gewinnen können, wenn es die verlangte Erklärung abgegeben hätte, daß
weitere Zugeständnisse an den Adel für immer ausgeschlossen seien; die Minister
aber waren nach Hüsgen zu ehrlich, etwas zu versprechen, wovon sie bei dem


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[0351] Windthorst desto sichrer den Einheitsstaat unter Preußens Führung vorzubereiten". Be¬ sonders habe der preußische Bundestagsgesandte Graf (so!) Bismarck die hannoverschen Angelegenheiten scharf im Auge behalten (womit er nur seine Schuldigkeit tat). Wie klug er die Fäden zu schlingen mußte, ohne sich von Gewissensbedenken hindern zu lassen, beweise der Brief an den Minister- Präsidenten von Manteuffel vom 9. Oktober 1851, in dem es heiße: „So entschiedn« Abneigung ich dagegen habe, im eignen Vaterlande das Recht der Politik zu opfern, so habe ich doch preußischen Egoismus genug, um in bezug auf Hannovers Recht nicht in demselben Maße gewissenhaft zu sein, und würde unmaßgeblich raten, in Hannover nur ein solches Ministerium zu stützen, das sich unsrer Politik anzuschließen bereit wäre, möchte seine politische Farbe sein, welche sie wollte. Unser eignes Haus ist fest genng, sodaß wir in Hannover eher ein liberales als ein österreichisches Ministerium dulden und halten können." Das ist doch vom Standpunkt eines damaligen preußischen Stcmtsdiencrs ganz richtig gedacht. Daß Bismarck selbst nach diesem seinem Chef erteilten Rate gehandelt und „Fäden geschlungen" habe, dafür erbringt Hüsgen keinen Beweis. In den „Gedanken und Erinnerungen" findet sich keine Andeutung, daß Bismarck damals in die hannoverschen Angelegenheiten eingegriffen hätte. Übrigens siegten Windthorst und Sehele. Von der Decken und von Borries wurden durch vou Reiche und von Hammerstein ersetzt. Aber zu einer Verständigung mit der Ritterschaft gelangte man nicht. Die Kammern wurden deshalb am 15. Juli 1852 vertagt. Ehe sie auseinander- gingen, statteten sie dem Ministerium warmen Dank ab für seine — leider vergeblichen — Bemühungen um die Erhaltung der deutschen Flotte. In der Herbstsitzung kam die Justizreform zustande, die hauptsächlich Windthorsts Werk war. Der liberale Abgeordnete für Mitten, Berger, hat darüber im Preußischen Abgeordnetenhaus? (Februar 1875) geurteilt: „Windthorst rühmt sich seines Konservatismus, ja, er wurde gewissermaßen als Minister der Reaktion an seine Stelle in Hannover berufen jivas mit Hüsgens Darstellung nicht stimmtj. Wie aber hat er seine damalige Aufgabe erfüllt? Anstatt in brutaler Weise die hannoversche Gesetzgebung der Jahre 1848/49 zurückzu¬ drängen, hat er mit verstündiger Hand nur ihre Auswüchse beseitigt und seinem engern Vaterlande Verwaltung^- und Jnstizgesetze gegeben, die noch heute in voller anerkannter Giltigkeit sich befinden und für unsre Gesetzgebung in Preußen Muster und Vorbild geworden sind." Ein längeres Zeugnis des hannoverschen Gegners Windthorsts, des Obergerichtsanwalts Oppermann, lautet geradezu bewundernd. Eine Vorlage, die durch Abänderung einiger Punkte der Verfassung den Frieden mit der Ritterschaft herstellen sollte, hatte den Rücktritt des Ministeriums zur Folge. Es Hütte eine Mehrheit dafür gewinnen können, wenn es die verlangte Erklärung abgegeben hätte, daß weitere Zugeständnisse an den Adel für immer ausgeschlossen seien; die Minister aber waren nach Hüsgen zu ehrlich, etwas zu versprechen, wovon sie bei dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/351>, abgerufen am 23.07.2024.