Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches und sich sehr pathetisch den Huttenspruch "Ich Habs gewagt" zu eigen machte, da Es fragt sich nur, ob die richtigen Konsequenzen daraus gezogen werden. Wir Noch ein paar Worte über deu Eindruck im Auslande. Der Prozeß wird Maßgebliches und Unmaßgebliches und sich sehr pathetisch den Huttenspruch „Ich Habs gewagt" zu eigen machte, da Es fragt sich nur, ob die richtigen Konsequenzen daraus gezogen werden. Wir Noch ein paar Worte über deu Eindruck im Auslande. Der Prozeß wird <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0331" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303747"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1474" prev="#ID_1473"> und sich sehr pathetisch den Huttenspruch „Ich Habs gewagt" zu eigen machte, da<lb/> zuckten uuter den Hörern und Lesern dieses Zitats wohl alle zusammen, die sich ein<lb/> unbefangnes Urteil bewahrt haben; es war eine falsche Note in der schmetternden<lb/> Fanfare, mit der Horden die öffentliche Meinung in sein Heerlager rufen wollte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1475"> Es fragt sich nur, ob die richtigen Konsequenzen daraus gezogen werden. Wir<lb/> können sie nicht darin sehen, daß jetzt alles plötzlich die Entdeckung macht, was für<lb/> ein verabscheuungswürdiges Individuum dieser Harden eigentlich ist. Der Fall liegt<lb/> ähnlich, wie wenn ein Theaterdirektor, der viele Jahre hindurch wertlose, aber erfolg¬<lb/> reiche Kassenstücke gegeben hat und dabei immer von der Kritik gepriesen worden ist,<lb/> Plötzlich infolge eines bestimmten Vorganges von derselben Kritik im Stich gelassen wird<lb/> und nun auf einmal als unwürdiger Priester im Tempel der echten, heiligen Kunst zu<lb/> Tode gegeißelt werden soll. Diese Entdeckungen hätten die Leute längst machen können<lb/> und sollen. Die publizistische Geschicklichkeit Harders in der Ausnutzung der Zeit-<lb/> stimmungen hat viele geblendet; gut nationale Blätter ließen es sich viele Jahre<lb/> hindurch nicht nehmen, seine Artikel ihren Lesern als besonders gute Bissen vor¬<lb/> zusetzen, meist sogar mit einleitenden Bemerkungen, die die Bewunderung vor seinem<lb/> politischen Wissen und seinem Urteil stark hervortreten ließen. Dabei hätte man<lb/> sehr wohl erkennen können, daß es sich nur um die geschickte Mache einer un¬<lb/> politischen Natur handelte, die durch die Gunst der Umstände in den Kleinkram<lb/> und die Vorgänge auf den Hintertreppen der großen Politik eingeweiht worden<lb/> war. Als nach dem Sturze Bismarcks über Deutschland der Winter eines großen<lb/> Mißvergnügens hereingebrochen war, spielte Harden die Rolle des Straßenjunge»,<lb/> der dreist genug ist, alle Begegnenden, die ihm unliebsam auffallen, mit seinen<lb/> Schneebällen zu werfen. Und die würdigsten Männer blieben lächelnd stehn und<lb/> freuten sich über den neckischen Jungen, der es den andern so kräftig gab. Aber<lb/> der Winter dauert nicht ewig; schließlich kommt doch einmal die Sonne und<lb/> schmilzt den Schnee hinweg. Unser Straßenjunge jedoch ist durch den ihm früher<lb/> gespendeten Beifall verwöhnt und meint, er könne auch jetzt noch, wie früher, den<lb/> Spaß fortsetzen. Dann merken die Zuschauer mit Entsetzen, daß es nicht mehr<lb/> Schnee ist, womit er wirft, sondern — Schmutz, und sie kommen in ihrer Ent¬<lb/> rüstung zu der Ansicht, daß der prächtige Junge ein nichtsnutziger Schlingel ist.<lb/> Die Entrüstung kommt etwas spät. Man soll sich seine Leute beizeiten ansehen<lb/> und die Folgen ihres Tuns für das gemeinsame Interesse überlegen. Die Sünde»<lb/> Harders sind im wesentlichen die Sünden seiner Zeit, die seine Eitelkeit gefüttert<lb/> hat, weil sie ihren ungesunden Neigungen und Stimmungen entgegenkam. Wenn<lb/> Herr Harden auf seiner Bühne auf seine Art Bismarck agierte, so hörten die guten<lb/> Leute das sehr gern, denn sie entnahmen daraus das Anrecht, in ihrem Schmoll¬<lb/> winkel sitzen zu bleiben, und merkten nicht, daß Bismarcks politisches Testament<lb/> an sein deutsches Volk nicht mit den Bitterkeiten erschöpft ist, die in Zeiten des<lb/> Grolls ihm als Menschliches — allzu Menschliches von der Lippe flössen, sondern<lb/> in einem positiven Schatz politischer Weisheit und Pflichterfüllung besteht, die<lb/> vor allem zur selbstlosen, unverdrossenen Mitarbeit auffordert. Überwinden wir<lb/> die Zettkrankheit hysterischen, ziellosen Nörgelns, so wird auch Harden über¬<lb/> wunden sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1476" next="#ID_1477"> Noch ein paar Worte über deu Eindruck im Auslande. Der Prozeß wird<lb/> vielfach als willkommner Anlaß benutzt, das „autokratische" Regiment in Deutsch¬<lb/> land zu kritisieren. Wo dieses lächerliche Vorurteil einmal besteht, müssen<lb/> natürlich alle unliebsamen Vorkommnisse, die an die Öffentlichkeit gezogen werden,<lb/> dazu herhalten, es zu bestätigen. Dabei werfen auch manche Leute, die selbst im<lb/> Glashause sitzen, mit Steinen. Aber wir brauchen diesen Stimmen nicht allzu</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0331]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
und sich sehr pathetisch den Huttenspruch „Ich Habs gewagt" zu eigen machte, da
zuckten uuter den Hörern und Lesern dieses Zitats wohl alle zusammen, die sich ein
unbefangnes Urteil bewahrt haben; es war eine falsche Note in der schmetternden
Fanfare, mit der Horden die öffentliche Meinung in sein Heerlager rufen wollte.
Es fragt sich nur, ob die richtigen Konsequenzen daraus gezogen werden. Wir
können sie nicht darin sehen, daß jetzt alles plötzlich die Entdeckung macht, was für
ein verabscheuungswürdiges Individuum dieser Harden eigentlich ist. Der Fall liegt
ähnlich, wie wenn ein Theaterdirektor, der viele Jahre hindurch wertlose, aber erfolg¬
reiche Kassenstücke gegeben hat und dabei immer von der Kritik gepriesen worden ist,
Plötzlich infolge eines bestimmten Vorganges von derselben Kritik im Stich gelassen wird
und nun auf einmal als unwürdiger Priester im Tempel der echten, heiligen Kunst zu
Tode gegeißelt werden soll. Diese Entdeckungen hätten die Leute längst machen können
und sollen. Die publizistische Geschicklichkeit Harders in der Ausnutzung der Zeit-
stimmungen hat viele geblendet; gut nationale Blätter ließen es sich viele Jahre
hindurch nicht nehmen, seine Artikel ihren Lesern als besonders gute Bissen vor¬
zusetzen, meist sogar mit einleitenden Bemerkungen, die die Bewunderung vor seinem
politischen Wissen und seinem Urteil stark hervortreten ließen. Dabei hätte man
sehr wohl erkennen können, daß es sich nur um die geschickte Mache einer un¬
politischen Natur handelte, die durch die Gunst der Umstände in den Kleinkram
und die Vorgänge auf den Hintertreppen der großen Politik eingeweiht worden
war. Als nach dem Sturze Bismarcks über Deutschland der Winter eines großen
Mißvergnügens hereingebrochen war, spielte Harden die Rolle des Straßenjunge»,
der dreist genug ist, alle Begegnenden, die ihm unliebsam auffallen, mit seinen
Schneebällen zu werfen. Und die würdigsten Männer blieben lächelnd stehn und
freuten sich über den neckischen Jungen, der es den andern so kräftig gab. Aber
der Winter dauert nicht ewig; schließlich kommt doch einmal die Sonne und
schmilzt den Schnee hinweg. Unser Straßenjunge jedoch ist durch den ihm früher
gespendeten Beifall verwöhnt und meint, er könne auch jetzt noch, wie früher, den
Spaß fortsetzen. Dann merken die Zuschauer mit Entsetzen, daß es nicht mehr
Schnee ist, womit er wirft, sondern — Schmutz, und sie kommen in ihrer Ent¬
rüstung zu der Ansicht, daß der prächtige Junge ein nichtsnutziger Schlingel ist.
Die Entrüstung kommt etwas spät. Man soll sich seine Leute beizeiten ansehen
und die Folgen ihres Tuns für das gemeinsame Interesse überlegen. Die Sünde»
Harders sind im wesentlichen die Sünden seiner Zeit, die seine Eitelkeit gefüttert
hat, weil sie ihren ungesunden Neigungen und Stimmungen entgegenkam. Wenn
Herr Harden auf seiner Bühne auf seine Art Bismarck agierte, so hörten die guten
Leute das sehr gern, denn sie entnahmen daraus das Anrecht, in ihrem Schmoll¬
winkel sitzen zu bleiben, und merkten nicht, daß Bismarcks politisches Testament
an sein deutsches Volk nicht mit den Bitterkeiten erschöpft ist, die in Zeiten des
Grolls ihm als Menschliches — allzu Menschliches von der Lippe flössen, sondern
in einem positiven Schatz politischer Weisheit und Pflichterfüllung besteht, die
vor allem zur selbstlosen, unverdrossenen Mitarbeit auffordert. Überwinden wir
die Zettkrankheit hysterischen, ziellosen Nörgelns, so wird auch Harden über¬
wunden sein.
Noch ein paar Worte über deu Eindruck im Auslande. Der Prozeß wird
vielfach als willkommner Anlaß benutzt, das „autokratische" Regiment in Deutsch¬
land zu kritisieren. Wo dieses lächerliche Vorurteil einmal besteht, müssen
natürlich alle unliebsamen Vorkommnisse, die an die Öffentlichkeit gezogen werden,
dazu herhalten, es zu bestätigen. Dabei werfen auch manche Leute, die selbst im
Glashause sitzen, mit Steinen. Aber wir brauchen diesen Stimmen nicht allzu
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