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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Österreich und Rußland im sechzehnten Jahrhundert

Vom Zusammenhang mit dem Reiche abgeschnitten und völlig isoliert. Schon
1525 hat der österreichische Diplomat Freiherr Sigismund von Herberstein seinen
Herrn, den damaligen Erzherzog Ferdinand, darauf hingewiesen, daß, wenn das
Reich nicht alsbald nach dem Rechten sehe, dieses deutsche Vorland in Ab¬
hängigkeit von den Fremden geraten müsse. Das Schlimmste aber war, daß in
dem so hart bedrohten Lande keine Eintracht herrschte. Der Orden stand, seit
er selbst in großem Umfange Handelsgeschäfte zu treiben anfing, im Gegensatz
zu den Städten, deren Wohlstand er gefährdete; in Riga bestand eine heftige
Feindschaft gegen den Orden. Die vom Orden ausgeübte Staatsgewalt lag ferner
in beständiger Fehde mit der kirchlichen Gewalt, die in den Händen des Erz-
bischofs von Riga und der Bischöfe von Dorpat, Ösel, Semgallen und Kurland
lag; der Orden, der sonst für alle seine Gebiete direkt unter dem Papste stand,
mußte in Livland die Gerichtsbarkeit der Bischöfe über sich anerkennen. Die
Reformation vertiefte noch den Gegensatz zwischen Orden und Städten, weil
diese die neue Lehre annahmen, während der Orden -- und ebenso die Bischöfe
und die Ritterschaft -- an der römischen Kirche festhielten.

Dazu kam ferner, daß sich der neue Herzog von Preußen, der abtrünnige
frühere Hochmeister Albrecht, durch den Fortbestand des Ordens in Livland
bedroht fühlte und deshalb alles tat, den Orden zu vernichten; er untergrub
die Eintracht Livlands. die ohnehin sehr viel zu wünschen übrig ließ, noch mehr;
er hetzte den König Sigismund gegen Livland und bot ihm ein Angriffsbündnis
gegen Livland an, zu dem auch Rußland eingeladen werden sollte; alle drei sollten
also über das Land herfallen und es unter sich aufteilen. Den livischen Städten
bot Albrecht seine Hilfe in Religionssachen an und suchte sich so eine Partei
im Lande zu verschaffen. Der Erzbischof von Riga, Thomas Schöning, stand
mit Albrecht im Einvernehmen, ernannte dessen Bruder Wilhelm zu seinem
Koadjutor und bereitete die Verweltlichung des Erzbistums nach preußischem
Muster vor. Kein Wunder, daß der livische Landtag 1546 zu Wolmar den
Beschluß faßte, daß weder der Erzbischof noch der Meister des Ordens je ihren
geistlichen Stand aufgeben und in den weltlichen Fürstenstand treten dürften;
auch sollten sie keinen ausländischen Fürsten oder Herrn zu einem Koadjutor
wählen, verlangen oder annehmen. Natürlich kehrte sich der Erzbischof Wilhelm
ter hatte mittlerweile nach Schönings Tode den Stuhl von Riga bestiegen) nicht
an diesen Beschluß, sondern rief 1555 Christoph von Mecklenburg als Koadjutor
ins Land; die nordostdeutschen Dynastien suchten um jeden Preis die baltischen
Landschaften an sich zu bringen. Über diesen Dingen kam es zu solchen Händeln,
daß König Sigismund August mit den Waffen eingriff, natürlich als Gegner
des Ordens, und das Land im September 1557 zum Frieden von Poswol
zwang, worin der Orden ein Bündnis gegen Rußland mit Polen eingehn mußte.
Das war um so verkehrter, als Iwan der Vierte damals gerade (1554) die
Tatarenstaaten von Kasan und Astrachan überwältigt und in Rußland einver¬
leibt hatte; der ganze Stromlauf der Wolga, dieser Ernährerin Rußlands, des


Österreich und Rußland im sechzehnten Jahrhundert

Vom Zusammenhang mit dem Reiche abgeschnitten und völlig isoliert. Schon
1525 hat der österreichische Diplomat Freiherr Sigismund von Herberstein seinen
Herrn, den damaligen Erzherzog Ferdinand, darauf hingewiesen, daß, wenn das
Reich nicht alsbald nach dem Rechten sehe, dieses deutsche Vorland in Ab¬
hängigkeit von den Fremden geraten müsse. Das Schlimmste aber war, daß in
dem so hart bedrohten Lande keine Eintracht herrschte. Der Orden stand, seit
er selbst in großem Umfange Handelsgeschäfte zu treiben anfing, im Gegensatz
zu den Städten, deren Wohlstand er gefährdete; in Riga bestand eine heftige
Feindschaft gegen den Orden. Die vom Orden ausgeübte Staatsgewalt lag ferner
in beständiger Fehde mit der kirchlichen Gewalt, die in den Händen des Erz-
bischofs von Riga und der Bischöfe von Dorpat, Ösel, Semgallen und Kurland
lag; der Orden, der sonst für alle seine Gebiete direkt unter dem Papste stand,
mußte in Livland die Gerichtsbarkeit der Bischöfe über sich anerkennen. Die
Reformation vertiefte noch den Gegensatz zwischen Orden und Städten, weil
diese die neue Lehre annahmen, während der Orden — und ebenso die Bischöfe
und die Ritterschaft — an der römischen Kirche festhielten.

Dazu kam ferner, daß sich der neue Herzog von Preußen, der abtrünnige
frühere Hochmeister Albrecht, durch den Fortbestand des Ordens in Livland
bedroht fühlte und deshalb alles tat, den Orden zu vernichten; er untergrub
die Eintracht Livlands. die ohnehin sehr viel zu wünschen übrig ließ, noch mehr;
er hetzte den König Sigismund gegen Livland und bot ihm ein Angriffsbündnis
gegen Livland an, zu dem auch Rußland eingeladen werden sollte; alle drei sollten
also über das Land herfallen und es unter sich aufteilen. Den livischen Städten
bot Albrecht seine Hilfe in Religionssachen an und suchte sich so eine Partei
im Lande zu verschaffen. Der Erzbischof von Riga, Thomas Schöning, stand
mit Albrecht im Einvernehmen, ernannte dessen Bruder Wilhelm zu seinem
Koadjutor und bereitete die Verweltlichung des Erzbistums nach preußischem
Muster vor. Kein Wunder, daß der livische Landtag 1546 zu Wolmar den
Beschluß faßte, daß weder der Erzbischof noch der Meister des Ordens je ihren
geistlichen Stand aufgeben und in den weltlichen Fürstenstand treten dürften;
auch sollten sie keinen ausländischen Fürsten oder Herrn zu einem Koadjutor
wählen, verlangen oder annehmen. Natürlich kehrte sich der Erzbischof Wilhelm
ter hatte mittlerweile nach Schönings Tode den Stuhl von Riga bestiegen) nicht
an diesen Beschluß, sondern rief 1555 Christoph von Mecklenburg als Koadjutor
ins Land; die nordostdeutschen Dynastien suchten um jeden Preis die baltischen
Landschaften an sich zu bringen. Über diesen Dingen kam es zu solchen Händeln,
daß König Sigismund August mit den Waffen eingriff, natürlich als Gegner
des Ordens, und das Land im September 1557 zum Frieden von Poswol
zwang, worin der Orden ein Bündnis gegen Rußland mit Polen eingehn mußte.
Das war um so verkehrter, als Iwan der Vierte damals gerade (1554) die
Tatarenstaaten von Kasan und Astrachan überwältigt und in Rußland einver¬
leibt hatte; der ganze Stromlauf der Wolga, dieser Ernährerin Rußlands, des


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[0298] Österreich und Rußland im sechzehnten Jahrhundert Vom Zusammenhang mit dem Reiche abgeschnitten und völlig isoliert. Schon 1525 hat der österreichische Diplomat Freiherr Sigismund von Herberstein seinen Herrn, den damaligen Erzherzog Ferdinand, darauf hingewiesen, daß, wenn das Reich nicht alsbald nach dem Rechten sehe, dieses deutsche Vorland in Ab¬ hängigkeit von den Fremden geraten müsse. Das Schlimmste aber war, daß in dem so hart bedrohten Lande keine Eintracht herrschte. Der Orden stand, seit er selbst in großem Umfange Handelsgeschäfte zu treiben anfing, im Gegensatz zu den Städten, deren Wohlstand er gefährdete; in Riga bestand eine heftige Feindschaft gegen den Orden. Die vom Orden ausgeübte Staatsgewalt lag ferner in beständiger Fehde mit der kirchlichen Gewalt, die in den Händen des Erz- bischofs von Riga und der Bischöfe von Dorpat, Ösel, Semgallen und Kurland lag; der Orden, der sonst für alle seine Gebiete direkt unter dem Papste stand, mußte in Livland die Gerichtsbarkeit der Bischöfe über sich anerkennen. Die Reformation vertiefte noch den Gegensatz zwischen Orden und Städten, weil diese die neue Lehre annahmen, während der Orden — und ebenso die Bischöfe und die Ritterschaft — an der römischen Kirche festhielten. Dazu kam ferner, daß sich der neue Herzog von Preußen, der abtrünnige frühere Hochmeister Albrecht, durch den Fortbestand des Ordens in Livland bedroht fühlte und deshalb alles tat, den Orden zu vernichten; er untergrub die Eintracht Livlands. die ohnehin sehr viel zu wünschen übrig ließ, noch mehr; er hetzte den König Sigismund gegen Livland und bot ihm ein Angriffsbündnis gegen Livland an, zu dem auch Rußland eingeladen werden sollte; alle drei sollten also über das Land herfallen und es unter sich aufteilen. Den livischen Städten bot Albrecht seine Hilfe in Religionssachen an und suchte sich so eine Partei im Lande zu verschaffen. Der Erzbischof von Riga, Thomas Schöning, stand mit Albrecht im Einvernehmen, ernannte dessen Bruder Wilhelm zu seinem Koadjutor und bereitete die Verweltlichung des Erzbistums nach preußischem Muster vor. Kein Wunder, daß der livische Landtag 1546 zu Wolmar den Beschluß faßte, daß weder der Erzbischof noch der Meister des Ordens je ihren geistlichen Stand aufgeben und in den weltlichen Fürstenstand treten dürften; auch sollten sie keinen ausländischen Fürsten oder Herrn zu einem Koadjutor wählen, verlangen oder annehmen. Natürlich kehrte sich der Erzbischof Wilhelm ter hatte mittlerweile nach Schönings Tode den Stuhl von Riga bestiegen) nicht an diesen Beschluß, sondern rief 1555 Christoph von Mecklenburg als Koadjutor ins Land; die nordostdeutschen Dynastien suchten um jeden Preis die baltischen Landschaften an sich zu bringen. Über diesen Dingen kam es zu solchen Händeln, daß König Sigismund August mit den Waffen eingriff, natürlich als Gegner des Ordens, und das Land im September 1557 zum Frieden von Poswol zwang, worin der Orden ein Bündnis gegen Rußland mit Polen eingehn mußte. Das war um so verkehrter, als Iwan der Vierte damals gerade (1554) die Tatarenstaaten von Kasan und Astrachan überwältigt und in Rußland einver¬ leibt hatte; der ganze Stromlauf der Wolga, dieser Ernährerin Rußlands, des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/298>, abgerufen am 23.07.2024.