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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Ästerreich und Rußland ini sechzehnten Jahrhundert

War natürlich der Abfall Österreichs von Rußland; der Kaiser mußte sich ver¬
pflichten, den Großfürsten Wasilij, Iwans Nachfolger, in seinem Kampfe gegen
Sigismund von Polen nirgendwie, direkt oder indirekt, zu unterstützen. Ja
Sigismund zog seinerseits gegen die Moskowiter die höchsten Register; er be¬
zeichnete als Preis eines etwaigen Friedens die Rückgabe aller Eroberungen,
die Iwan der Dritte seit 1502 gemacht hatte, namentlich die von Smolensk,
ferner den Ersatz der Kriegskosten und das Versprechen, daß der Großfürst künftig
die katholischen Fürsten im Kampfe gegen die Türken mit Rat und Tat unter¬
stützen werde.

Der polnisch-russische Gegensatz blieb dauernd ein wichtiges Element östlicher
Politik, auch nachdem der polnisch-österreichische überbrückt worden war; es ent¬
standen daraus fortwährend Reibereien und auch erbitterte Kämpfe, in die dann
auch die Tataren eingriffen. Wie Hütte es anders sein können, als daß der Streit
der Christen den Moslemin Anlaß zur Befriedigung ihrer Raublust bot? Die
krimischen Tataren erschienen 1521, während Karl der Fünfte in Worms über
Reichsreform, Heerwesen und lutherische Ketzerei mit den Ständen beriet, vor
Moskau und schleppten Menschen und Vorräte in Masse mit sich fort, wenn
sie auch die Stadt selbst damals uicht einnehmen konnten. (Im Jahre 1571 ist
ihnen dies doch gelungen; unter ihrem Khan Devlet Geraj haben sie damals
Moskau erobert und eingeäschert.) Die österreichische Politik richtete sich in
diesen Kämpfen natürlich auf Herbeiführung eines Friedens zwischen Rußland
und Polen; man darf nicht vergessen, daß der türkische Sultan Suleiman der
Prächtige 1522 Rhodos einnahm und dann ein mächtiges Heer gegen Ungarn
sammelte. Das drohende Unwetter, das 1526 furchtbar niederging, konnte nur
dann beschworen werden, wenn sich Russen und Polen verständigten und mit
Karl dem Fünften und seinem Bruder Ferdinand und dessen Schwager Ludwig
gegen die Türken zusammenhielten. Freilich konnte man sich nicht verhehlen, daß
ein Friede zwischen so verfeindeten Völkern (die vor allem über Smolensk so
uneinig waren wie heute etwa Franzosen und Deutsche über Straßburg und Metz)
gar nicht möglich sei, daß also schon die Herbeiführung eines bloßen Waffen¬
stillstands einen Erfolg bedeutete, über den man sich zu freuen hatte.

Für uns Deutsche ist gerade jetzt, wo unsre Augen teilnahmvoll auf unsre
Stammesgenossen in den baltischen Provinzen gerichtet sind, der Teil von Übers-
bergers Buch interessant, der sich mit Livlands Schicksal befaßt. Livland (im alten
Sinne dasselbe, was die heutigen baltischen Provinzen Kurland, Livland und
Estland sind) war um 1500 mit Ostpreußen noch eng verbunden, weil in beiden
Ländern der Deutsche Orden herrschte, mit dem sich der Schwertorden 1237 ver¬
schmolzen hatte; da war es verhängnisvoll, daß 1525 der Hochmeister des Ordens
Albrecht mit Zustimmung König Sigismunds, der wie alle Polen den Orden
grimmig haßte, zur Reformation übertrat, den Orden in Preußen aufhob und
sich zum weltlichen Herzog in Preußen unter polnischer Oberhoheit ausrufen
ließ. Von diesem Zeitpunkt an war Livland des Rückhalts an Preußen beraubt,


Ästerreich und Rußland ini sechzehnten Jahrhundert

War natürlich der Abfall Österreichs von Rußland; der Kaiser mußte sich ver¬
pflichten, den Großfürsten Wasilij, Iwans Nachfolger, in seinem Kampfe gegen
Sigismund von Polen nirgendwie, direkt oder indirekt, zu unterstützen. Ja
Sigismund zog seinerseits gegen die Moskowiter die höchsten Register; er be¬
zeichnete als Preis eines etwaigen Friedens die Rückgabe aller Eroberungen,
die Iwan der Dritte seit 1502 gemacht hatte, namentlich die von Smolensk,
ferner den Ersatz der Kriegskosten und das Versprechen, daß der Großfürst künftig
die katholischen Fürsten im Kampfe gegen die Türken mit Rat und Tat unter¬
stützen werde.

Der polnisch-russische Gegensatz blieb dauernd ein wichtiges Element östlicher
Politik, auch nachdem der polnisch-österreichische überbrückt worden war; es ent¬
standen daraus fortwährend Reibereien und auch erbitterte Kämpfe, in die dann
auch die Tataren eingriffen. Wie Hütte es anders sein können, als daß der Streit
der Christen den Moslemin Anlaß zur Befriedigung ihrer Raublust bot? Die
krimischen Tataren erschienen 1521, während Karl der Fünfte in Worms über
Reichsreform, Heerwesen und lutherische Ketzerei mit den Ständen beriet, vor
Moskau und schleppten Menschen und Vorräte in Masse mit sich fort, wenn
sie auch die Stadt selbst damals uicht einnehmen konnten. (Im Jahre 1571 ist
ihnen dies doch gelungen; unter ihrem Khan Devlet Geraj haben sie damals
Moskau erobert und eingeäschert.) Die österreichische Politik richtete sich in
diesen Kämpfen natürlich auf Herbeiführung eines Friedens zwischen Rußland
und Polen; man darf nicht vergessen, daß der türkische Sultan Suleiman der
Prächtige 1522 Rhodos einnahm und dann ein mächtiges Heer gegen Ungarn
sammelte. Das drohende Unwetter, das 1526 furchtbar niederging, konnte nur
dann beschworen werden, wenn sich Russen und Polen verständigten und mit
Karl dem Fünften und seinem Bruder Ferdinand und dessen Schwager Ludwig
gegen die Türken zusammenhielten. Freilich konnte man sich nicht verhehlen, daß
ein Friede zwischen so verfeindeten Völkern (die vor allem über Smolensk so
uneinig waren wie heute etwa Franzosen und Deutsche über Straßburg und Metz)
gar nicht möglich sei, daß also schon die Herbeiführung eines bloßen Waffen¬
stillstands einen Erfolg bedeutete, über den man sich zu freuen hatte.

Für uns Deutsche ist gerade jetzt, wo unsre Augen teilnahmvoll auf unsre
Stammesgenossen in den baltischen Provinzen gerichtet sind, der Teil von Übers-
bergers Buch interessant, der sich mit Livlands Schicksal befaßt. Livland (im alten
Sinne dasselbe, was die heutigen baltischen Provinzen Kurland, Livland und
Estland sind) war um 1500 mit Ostpreußen noch eng verbunden, weil in beiden
Ländern der Deutsche Orden herrschte, mit dem sich der Schwertorden 1237 ver¬
schmolzen hatte; da war es verhängnisvoll, daß 1525 der Hochmeister des Ordens
Albrecht mit Zustimmung König Sigismunds, der wie alle Polen den Orden
grimmig haßte, zur Reformation übertrat, den Orden in Preußen aufhob und
sich zum weltlichen Herzog in Preußen unter polnischer Oberhoheit ausrufen
ließ. Von diesem Zeitpunkt an war Livland des Rückhalts an Preußen beraubt,


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[0297] Ästerreich und Rußland ini sechzehnten Jahrhundert War natürlich der Abfall Österreichs von Rußland; der Kaiser mußte sich ver¬ pflichten, den Großfürsten Wasilij, Iwans Nachfolger, in seinem Kampfe gegen Sigismund von Polen nirgendwie, direkt oder indirekt, zu unterstützen. Ja Sigismund zog seinerseits gegen die Moskowiter die höchsten Register; er be¬ zeichnete als Preis eines etwaigen Friedens die Rückgabe aller Eroberungen, die Iwan der Dritte seit 1502 gemacht hatte, namentlich die von Smolensk, ferner den Ersatz der Kriegskosten und das Versprechen, daß der Großfürst künftig die katholischen Fürsten im Kampfe gegen die Türken mit Rat und Tat unter¬ stützen werde. Der polnisch-russische Gegensatz blieb dauernd ein wichtiges Element östlicher Politik, auch nachdem der polnisch-österreichische überbrückt worden war; es ent¬ standen daraus fortwährend Reibereien und auch erbitterte Kämpfe, in die dann auch die Tataren eingriffen. Wie Hütte es anders sein können, als daß der Streit der Christen den Moslemin Anlaß zur Befriedigung ihrer Raublust bot? Die krimischen Tataren erschienen 1521, während Karl der Fünfte in Worms über Reichsreform, Heerwesen und lutherische Ketzerei mit den Ständen beriet, vor Moskau und schleppten Menschen und Vorräte in Masse mit sich fort, wenn sie auch die Stadt selbst damals uicht einnehmen konnten. (Im Jahre 1571 ist ihnen dies doch gelungen; unter ihrem Khan Devlet Geraj haben sie damals Moskau erobert und eingeäschert.) Die österreichische Politik richtete sich in diesen Kämpfen natürlich auf Herbeiführung eines Friedens zwischen Rußland und Polen; man darf nicht vergessen, daß der türkische Sultan Suleiman der Prächtige 1522 Rhodos einnahm und dann ein mächtiges Heer gegen Ungarn sammelte. Das drohende Unwetter, das 1526 furchtbar niederging, konnte nur dann beschworen werden, wenn sich Russen und Polen verständigten und mit Karl dem Fünften und seinem Bruder Ferdinand und dessen Schwager Ludwig gegen die Türken zusammenhielten. Freilich konnte man sich nicht verhehlen, daß ein Friede zwischen so verfeindeten Völkern (die vor allem über Smolensk so uneinig waren wie heute etwa Franzosen und Deutsche über Straßburg und Metz) gar nicht möglich sei, daß also schon die Herbeiführung eines bloßen Waffen¬ stillstands einen Erfolg bedeutete, über den man sich zu freuen hatte. Für uns Deutsche ist gerade jetzt, wo unsre Augen teilnahmvoll auf unsre Stammesgenossen in den baltischen Provinzen gerichtet sind, der Teil von Übers- bergers Buch interessant, der sich mit Livlands Schicksal befaßt. Livland (im alten Sinne dasselbe, was die heutigen baltischen Provinzen Kurland, Livland und Estland sind) war um 1500 mit Ostpreußen noch eng verbunden, weil in beiden Ländern der Deutsche Orden herrschte, mit dem sich der Schwertorden 1237 ver¬ schmolzen hatte; da war es verhängnisvoll, daß 1525 der Hochmeister des Ordens Albrecht mit Zustimmung König Sigismunds, der wie alle Polen den Orden grimmig haßte, zur Reformation übertrat, den Orden in Preußen aufhob und sich zum weltlichen Herzog in Preußen unter polnischer Oberhoheit ausrufen ließ. Von diesem Zeitpunkt an war Livland des Rückhalts an Preußen beraubt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/297>, abgerufen am 23.07.2024.