Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.Nationale politische Erziehung damit begnügen müßten. Wir sind denn doch Gott sei Dank über den Rück¬ Ausreichende Gelegenheit zu unbefangner politischer Belehrung könnte doch Nationale politische Erziehung damit begnügen müßten. Wir sind denn doch Gott sei Dank über den Rück¬ Ausreichende Gelegenheit zu unbefangner politischer Belehrung könnte doch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0028" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303444"/> <fw type="header" place="top"> Nationale politische Erziehung</fw><lb/> <p xml:id="ID_67" prev="#ID_66"> damit begnügen müßten. Wir sind denn doch Gott sei Dank über den Rück¬<lb/> schritt, den wir damals gemacht haben, etwas hinausgekommen. Da liegt also<lb/> wohl ein kleiner Irrtum vor." Vielleicht liegt tatsächlich ein Irrtum vor, dann<lb/> wäre es aber gut gewesen, ihn zu berichtigen. In jedem Falle ergibt sich aus<lb/> diesen Erklärungen mit genügender Deutlichkeit, daß die Schule, in Preußen<lb/> wenigstens, es bisher ängstlich vermeidet, politische Bildung zu verbreiten und<lb/> zu nationaler Gesinnung zu erziehen, und es muß anerkannt werden, daß sie<lb/> sich mit ihrer Anschauung über die Schädlichkeit eines solchen Unterrichts in<lb/> Übereinstimmung mit der ganz überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes<lb/> befindet. Zu erklären ist das nur dadurch, daß man annimmt, sowohl Interesse<lb/> und Verständnis für Politik als auch die dazu nötigen Kenntnisse müßten und<lb/> könnten im Leben in ausreichender Weise erworben werden. Für einzelne trifft<lb/> das gewiß auch zu, für die Mehrzahl nicht, ihr fehlt später die Zeit, die<lb/> Neigung und besonders auch die Gelegenheit. Wenn es anders wäre, wenn<lb/> Zeit, Neigung und Gelegenheit zur Aneignung politischer Kenntnisse in aus¬<lb/> reichendem Maße vorhanden wären, dann stünde vieles besser im deutschen<lb/> Vaterlande. Und wo soll sich denn die Gelegenheit auch bieten? Daß unser<lb/> parteipolitisches Leben außerhalb der Zeit einer Wahl nur schwach entwickelt<lb/> ist, ist schon gesagt worden. Wer aber Belehrungen in den Veranstaltungen<lb/> einer Partei sucht, der ist doch immer in Gefahr, die Dinge durch die Brille<lb/> der Partei zu sehen, da ihm in der Regel die Kenntnisse für eine kritische Be¬<lb/> urteilung fehlen werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_68" next="#ID_69"> Ausreichende Gelegenheit zu unbefangner politischer Belehrung könnte doch<lb/> also nur vorhanden sein, wenn wir Vereine hätten, die sich in großem Stile<lb/> die Aufgabe stellten, ohne Anlehnung an eine Partei das Volk politisch auf¬<lb/> zuklären und zu erziehen. Nun ist bekanntlich bei keinem Volke die Neigung<lb/> zur Vereinsbildung so stark entwickelt wie beim deutschen. Wo sich Deutsche<lb/> in irgendeiner gemeinsamen Neigung zusammenfinden, da gründen sie einen<lb/> Verein, und so ist denn die Zahl der Vereine Legion. Daß sich aber Männer<lb/> aus allen Gauen Deutschlands zusammengefunden hätten zum Zwecke der Ver¬<lb/> breitung politischer Bildung, davon ist bisher nichts bekannt geworden. Viel¬<lb/> leicht gibt es solche lokale Vereine, größere Bedeutung können sie nicht haben,<lb/> und durch nichts kann der Mangel des Deutschen an politischem Sinn besser<lb/> bewiesen werden als durch die Tatsache, daß eine derartige umfassende Organi¬<lb/> sation nicht besteht. Als vielleicht edelste Blüte unsers Vereinslebens haben wir<lb/> zahlreiche Bildungsvereine, aber wie schon ihr Name sagt, wollen sie allgemeine<lb/> Bildung verbreiten, mit Politik befassen sie sich nicht. Seit einigen Jahren<lb/> gibt es einen Reichsverband zur Bekämpfung der Sozialdemokratie, doch ist<lb/> sein hauptsächlichster Zweck anscheinend die Agitation. In einem Schreiben<lb/> des Verbandes wird allerdings auch angegeben, daß der Verband die Aufklärung<lb/> der großen Masse des Volkes über die wahren Ziele der Sozialdemokratie an¬<lb/> strebe, aber diese Aufgabe wird als letzte angeführt, während vorher genannt<lb/> werden: Schaffung leistungsfähiger Organisationen in den Wahlkreisen, Aus-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0028]
Nationale politische Erziehung
damit begnügen müßten. Wir sind denn doch Gott sei Dank über den Rück¬
schritt, den wir damals gemacht haben, etwas hinausgekommen. Da liegt also
wohl ein kleiner Irrtum vor." Vielleicht liegt tatsächlich ein Irrtum vor, dann
wäre es aber gut gewesen, ihn zu berichtigen. In jedem Falle ergibt sich aus
diesen Erklärungen mit genügender Deutlichkeit, daß die Schule, in Preußen
wenigstens, es bisher ängstlich vermeidet, politische Bildung zu verbreiten und
zu nationaler Gesinnung zu erziehen, und es muß anerkannt werden, daß sie
sich mit ihrer Anschauung über die Schädlichkeit eines solchen Unterrichts in
Übereinstimmung mit der ganz überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes
befindet. Zu erklären ist das nur dadurch, daß man annimmt, sowohl Interesse
und Verständnis für Politik als auch die dazu nötigen Kenntnisse müßten und
könnten im Leben in ausreichender Weise erworben werden. Für einzelne trifft
das gewiß auch zu, für die Mehrzahl nicht, ihr fehlt später die Zeit, die
Neigung und besonders auch die Gelegenheit. Wenn es anders wäre, wenn
Zeit, Neigung und Gelegenheit zur Aneignung politischer Kenntnisse in aus¬
reichendem Maße vorhanden wären, dann stünde vieles besser im deutschen
Vaterlande. Und wo soll sich denn die Gelegenheit auch bieten? Daß unser
parteipolitisches Leben außerhalb der Zeit einer Wahl nur schwach entwickelt
ist, ist schon gesagt worden. Wer aber Belehrungen in den Veranstaltungen
einer Partei sucht, der ist doch immer in Gefahr, die Dinge durch die Brille
der Partei zu sehen, da ihm in der Regel die Kenntnisse für eine kritische Be¬
urteilung fehlen werden.
Ausreichende Gelegenheit zu unbefangner politischer Belehrung könnte doch
also nur vorhanden sein, wenn wir Vereine hätten, die sich in großem Stile
die Aufgabe stellten, ohne Anlehnung an eine Partei das Volk politisch auf¬
zuklären und zu erziehen. Nun ist bekanntlich bei keinem Volke die Neigung
zur Vereinsbildung so stark entwickelt wie beim deutschen. Wo sich Deutsche
in irgendeiner gemeinsamen Neigung zusammenfinden, da gründen sie einen
Verein, und so ist denn die Zahl der Vereine Legion. Daß sich aber Männer
aus allen Gauen Deutschlands zusammengefunden hätten zum Zwecke der Ver¬
breitung politischer Bildung, davon ist bisher nichts bekannt geworden. Viel¬
leicht gibt es solche lokale Vereine, größere Bedeutung können sie nicht haben,
und durch nichts kann der Mangel des Deutschen an politischem Sinn besser
bewiesen werden als durch die Tatsache, daß eine derartige umfassende Organi¬
sation nicht besteht. Als vielleicht edelste Blüte unsers Vereinslebens haben wir
zahlreiche Bildungsvereine, aber wie schon ihr Name sagt, wollen sie allgemeine
Bildung verbreiten, mit Politik befassen sie sich nicht. Seit einigen Jahren
gibt es einen Reichsverband zur Bekämpfung der Sozialdemokratie, doch ist
sein hauptsächlichster Zweck anscheinend die Agitation. In einem Schreiben
des Verbandes wird allerdings auch angegeben, daß der Verband die Aufklärung
der großen Masse des Volkes über die wahren Ziele der Sozialdemokratie an¬
strebe, aber diese Aufgabe wird als letzte angeführt, während vorher genannt
werden: Schaffung leistungsfähiger Organisationen in den Wahlkreisen, Aus-
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