Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.Wasmann und seine Berliner Gpponenten Gott noch eine unsterbliche Menschenseele gibt. Diese zwei Dogmen hat der Wasmann und seine Berliner Gpponenten Gott noch eine unsterbliche Menschenseele gibt. Diese zwei Dogmen hat der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0248" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303664"/> <fw type="header" place="top"> Wasmann und seine Berliner Gpponenten</fw><lb/> <p xml:id="ID_1036" prev="#ID_1035" next="#ID_1037"> Gott noch eine unsterbliche Menschenseele gibt. Diese zwei Dogmen hat der<lb/> norddeutsche und speziell der Berliner Spießbürger gläubig angenommen, weil<lb/> man ihm eingeredet hat, daß er sich durch diese Annahme mit einem Ruck<lb/> ohne alle geistige Anstrengung auf den Gipfel der wissenschaftlichen Erkenntnis,<lb/> auf die Höhe der Zeit, der „Moderne" emporschwingt. Davon, daß viele Fach¬<lb/> autoritäten Darwin und Haeckel längst widerlegt haben, daß Entwicklungslehre<lb/> und Darwinismus zwei verschiedne Dinge sind, daß sich glänzende Geister wie<lb/> Chamberlain über den Haeckelschen Darwinismus nur noch lustig machen, daß<lb/> es eine Menge erleuchteter Christen gibt, die die Entwicklungslehre angenommen<lb/> haben, von alledem bekommt der Berliner Philister, der außer der Tante Voß,<lb/> dem Berliner Tageblatt, der Berliner Morgenzeitung und dem Lokalanzeiger<lb/> nichts liest, keine Ahnung. Dieser Philister ist nun in einigen hunderttausend<lb/> Exemplaren vorhanden, und sein Beifall verleiht jedem Worte, das ein Gelehrter<lb/> Haeckelscher Richtung in der Zeitung oder in einem populären Vortrage spricht,<lb/> eine ungemein kräftige Resonanz. Und diese vieltausendstimmige Resonanz ist<lb/> dem atheistischen Forscher Bedürfnis, weil sie ihm die Überzeugung suggeriert,<lb/> daß er auf dem rechten Wege, daß er unfehlbar sei, weil sie ihm den Glauben<lb/> an sich selbst erhält und stärkt. Läßt sich nun ein Mann, der die fachmännischer<lb/> Gegengründe gegen die Haeckelei entwickelt, nicht in einer Fachzeitschrift, nicht in<lb/> einer katholischen oder evangelischen Zeitung oder Zeitschrift, was alles der<lb/> Berliner Spießbürger nicht liest, nicht in einer evangelischen oder katholischen<lb/> Versammlung, die dieser nicht besucht, sondern in einem großen Lokal vernehmen,<lb/> in das alle eingeladen werden ohne Unterschied des Glaubens, dann — steht<lb/> die orthodoxe Lehre in Gefahr: die guten Leutchen erfahren, daß es Forscher<lb/> gibt, die zu andern Ergebnissen kommen als Haeckel. Sehr naiv hat Plate der<lb/> Stimmung der Hüter der Haeckelschen Orthodoxie bei solcher Gefährdung Aus¬<lb/> druck verliehen. Durch unser Volk, schreibt er in der Einleitung, „geht ein<lb/> tiefes Sehnen nach Erlösung von dem Wunder- und Aberglauben der orthodox¬<lb/> christlichen Weltanschauung. sAls ob die Haeckelsche Lehre nur den Wunder- und<lb/> Aberglauben und nicht vor allem den Glauben an Gott bekämpftes Die<lb/> weitesten Kreise fühlen, daß zwischen dieser Lebensauffassung und den Ergeb¬<lb/> nissen der Naturwissenschaft eine unüberbrückbare Kluft gähnt j^das würde der<lb/> Fall sein, wenn das Christentum den Glauben an Hexerei forderte^ sie sehen<lb/> instinktiv ein, daß in diesem Streit der Meinungen nicht das Herz mit seinen<lb/> Hoffnungen, sondern nur der nüchterne, ruhig abwägende Verstand zu entscheiden<lb/> hat." Deshalb habe die Ankündigung von dem Auftreten Wasmcmns eine<lb/> solche Aufregung hervorgerufen. Wasmann hat, sagt Plate in seiner Gegen¬<lb/> rede, „einen Funken in die Berliner Bevölkerung hineingeworfen, der zu einer<lb/> riesigen Flamme angewachsen ist". Eine Feuersbrunst, weil der Berliner Spie߬<lb/> bürger in Gefahr steht, eine Erschütterung seines orthodoxen Glaubens zu er¬<lb/> leiden! Wenn bei den Lehrern und Anhängern dieses Glaubens nicht das Herz,<lb/> sondern der nüchterne Verstand entschiede, würden sie Haeckel und seine Lehren</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0248]
Wasmann und seine Berliner Gpponenten
Gott noch eine unsterbliche Menschenseele gibt. Diese zwei Dogmen hat der
norddeutsche und speziell der Berliner Spießbürger gläubig angenommen, weil
man ihm eingeredet hat, daß er sich durch diese Annahme mit einem Ruck
ohne alle geistige Anstrengung auf den Gipfel der wissenschaftlichen Erkenntnis,
auf die Höhe der Zeit, der „Moderne" emporschwingt. Davon, daß viele Fach¬
autoritäten Darwin und Haeckel längst widerlegt haben, daß Entwicklungslehre
und Darwinismus zwei verschiedne Dinge sind, daß sich glänzende Geister wie
Chamberlain über den Haeckelschen Darwinismus nur noch lustig machen, daß
es eine Menge erleuchteter Christen gibt, die die Entwicklungslehre angenommen
haben, von alledem bekommt der Berliner Philister, der außer der Tante Voß,
dem Berliner Tageblatt, der Berliner Morgenzeitung und dem Lokalanzeiger
nichts liest, keine Ahnung. Dieser Philister ist nun in einigen hunderttausend
Exemplaren vorhanden, und sein Beifall verleiht jedem Worte, das ein Gelehrter
Haeckelscher Richtung in der Zeitung oder in einem populären Vortrage spricht,
eine ungemein kräftige Resonanz. Und diese vieltausendstimmige Resonanz ist
dem atheistischen Forscher Bedürfnis, weil sie ihm die Überzeugung suggeriert,
daß er auf dem rechten Wege, daß er unfehlbar sei, weil sie ihm den Glauben
an sich selbst erhält und stärkt. Läßt sich nun ein Mann, der die fachmännischer
Gegengründe gegen die Haeckelei entwickelt, nicht in einer Fachzeitschrift, nicht in
einer katholischen oder evangelischen Zeitung oder Zeitschrift, was alles der
Berliner Spießbürger nicht liest, nicht in einer evangelischen oder katholischen
Versammlung, die dieser nicht besucht, sondern in einem großen Lokal vernehmen,
in das alle eingeladen werden ohne Unterschied des Glaubens, dann — steht
die orthodoxe Lehre in Gefahr: die guten Leutchen erfahren, daß es Forscher
gibt, die zu andern Ergebnissen kommen als Haeckel. Sehr naiv hat Plate der
Stimmung der Hüter der Haeckelschen Orthodoxie bei solcher Gefährdung Aus¬
druck verliehen. Durch unser Volk, schreibt er in der Einleitung, „geht ein
tiefes Sehnen nach Erlösung von dem Wunder- und Aberglauben der orthodox¬
christlichen Weltanschauung. sAls ob die Haeckelsche Lehre nur den Wunder- und
Aberglauben und nicht vor allem den Glauben an Gott bekämpftes Die
weitesten Kreise fühlen, daß zwischen dieser Lebensauffassung und den Ergeb¬
nissen der Naturwissenschaft eine unüberbrückbare Kluft gähnt j^das würde der
Fall sein, wenn das Christentum den Glauben an Hexerei forderte^ sie sehen
instinktiv ein, daß in diesem Streit der Meinungen nicht das Herz mit seinen
Hoffnungen, sondern nur der nüchterne, ruhig abwägende Verstand zu entscheiden
hat." Deshalb habe die Ankündigung von dem Auftreten Wasmcmns eine
solche Aufregung hervorgerufen. Wasmann hat, sagt Plate in seiner Gegen¬
rede, „einen Funken in die Berliner Bevölkerung hineingeworfen, der zu einer
riesigen Flamme angewachsen ist". Eine Feuersbrunst, weil der Berliner Spie߬
bürger in Gefahr steht, eine Erschütterung seines orthodoxen Glaubens zu er¬
leiden! Wenn bei den Lehrern und Anhängern dieses Glaubens nicht das Herz,
sondern der nüchterne Verstand entschiede, würden sie Haeckel und seine Lehren
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