Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Wasmann und seine Berliner Gpponenten

sie als zu ihm gehörig angesehen und für den Felsen selbst gefürchtet habe, als
sie von der Woge des kopernikanischen Systems fortgespült wurde. Die Furcht
habe sich als unbegründet erwiesen. Ebenso sei es mit dieser neuen Woge, der
Entwicklungstheorie, die zwar eine wissenschaftliche Ansicht: die Konstanztheorie
(Lehre von der UnVeränderlichkeit der Arten) fortspüle, dem Felsen aber nichts
anhaben könne.

Über die Art, wie der Diskussionsabend zustande gekommen sei, berichten
Professor Plate und Wasmann verschieden. Unter anderen behauptet Wasmann,
man habe die Bedingungen gegen die Verabredung zu seinen Ungunsten ab¬
geändert, Plate aber nennt das eine Verleumdung. Wir erleben es alle Tage,
daß zwei Teilnehmer an einer Unterredung deren Verlauf verschieden auffassen
und wiedererzählen, ohne daß gegen einen von ihnen der Vorwurf subjektiver
UnWahrhaftigkeit erhoben werden dürfte. Der Gegenstand, der uns allein
interessiert, wird von diesem Zwist nicht berührt, dieser braucht darum nicht
ausführlich erzählt zu werden. Nur eins sei erwähnt. Plate wollte den Wort¬
laut der drei Vorträge Wasmanns in seine Schrift aufnehmen, mußte sich aber
mit dem Bericht der Germania begnügen, weil Wasmann das Manuskript nicht
herausgab. Dieser schreibt, weil er am 18. Februar nur einmal, nach drei¬
stündiger Diskussion gegen Mitternacht, zu Worte gekommen sei, demnach seinen
elf Opponenten nicht gebührend habe antworten können, möge er die Vorträge
nicht veröffentlichen, ohne die Reden der Opponenten mit Glossen zu versehen,
die seine kurze gesprochn" Antwort ergänzten. Darauf sei von der andern
Seite nicht eingegangen worden, und deshalb veröffentliche er seine Vorträge
und einen Bericht über die Gegenreden in einer eignen Schrift.

Das Verhalten der meisten Opponenten und des Berichterstatters Plate
müßte man sonderbar nennen, wenn man nicht schon von dieser Seite her das
allersonderbarste gewöhnt wäre. "Jesuitisch" (unbewußterweise natürlich) ist es,
wenn Plate Seite 49 und 73 den Jesuiten am Schlüsse des dritten Vortrags
den Felsen der Kirche, den Felsen Petri verherrlichen läßt. Die christliche Welt¬
anschauung hat Wasmann einem Felsen verglichen, und er sagt ausdrücklich,
er meine damit den Theismus, den die christlichen Konfessionen miteinander und
mit den Juden gemein haben. Derselbe Jesuitismus steckt im Titel von Plates
Broschüre. Selbst mit dem Mikroskop werden die Leser in keinem der drei
Vortrüge Wasmanns eine Spur dessen finden, was allein vernünftigerweise
unter Ultramontanismus verstanden werden kann. Vom Papst, vom Rosen¬
kranz, von Skapulieren, Ablässen und dergleichen ist schlechterdings keine Rede.
Der Zweck solcher Kunstgriffe ist durchsichtig. Den Haeckelicmern steht die ganze
liberale Presse zur Verfügung. Diese predigt seit vierzig Jahren die zwei
Dogmen: der Darwinismus in Haeckelscher Fassung ist die allein berechtigte,
die allein wahre, die allein echte Naturwissenschaft, und diese Naturwissenschaft
hat bewiesen, daß alles in der Welt "von selbst" geworden ist, wie es ist, daß
es zu seiner Erklärung der Hypothese "Gott" nicht bedarf, daß es weder einen


Wasmann und seine Berliner Gpponenten

sie als zu ihm gehörig angesehen und für den Felsen selbst gefürchtet habe, als
sie von der Woge des kopernikanischen Systems fortgespült wurde. Die Furcht
habe sich als unbegründet erwiesen. Ebenso sei es mit dieser neuen Woge, der
Entwicklungstheorie, die zwar eine wissenschaftliche Ansicht: die Konstanztheorie
(Lehre von der UnVeränderlichkeit der Arten) fortspüle, dem Felsen aber nichts
anhaben könne.

Über die Art, wie der Diskussionsabend zustande gekommen sei, berichten
Professor Plate und Wasmann verschieden. Unter anderen behauptet Wasmann,
man habe die Bedingungen gegen die Verabredung zu seinen Ungunsten ab¬
geändert, Plate aber nennt das eine Verleumdung. Wir erleben es alle Tage,
daß zwei Teilnehmer an einer Unterredung deren Verlauf verschieden auffassen
und wiedererzählen, ohne daß gegen einen von ihnen der Vorwurf subjektiver
UnWahrhaftigkeit erhoben werden dürfte. Der Gegenstand, der uns allein
interessiert, wird von diesem Zwist nicht berührt, dieser braucht darum nicht
ausführlich erzählt zu werden. Nur eins sei erwähnt. Plate wollte den Wort¬
laut der drei Vorträge Wasmanns in seine Schrift aufnehmen, mußte sich aber
mit dem Bericht der Germania begnügen, weil Wasmann das Manuskript nicht
herausgab. Dieser schreibt, weil er am 18. Februar nur einmal, nach drei¬
stündiger Diskussion gegen Mitternacht, zu Worte gekommen sei, demnach seinen
elf Opponenten nicht gebührend habe antworten können, möge er die Vorträge
nicht veröffentlichen, ohne die Reden der Opponenten mit Glossen zu versehen,
die seine kurze gesprochn« Antwort ergänzten. Darauf sei von der andern
Seite nicht eingegangen worden, und deshalb veröffentliche er seine Vorträge
und einen Bericht über die Gegenreden in einer eignen Schrift.

Das Verhalten der meisten Opponenten und des Berichterstatters Plate
müßte man sonderbar nennen, wenn man nicht schon von dieser Seite her das
allersonderbarste gewöhnt wäre. „Jesuitisch" (unbewußterweise natürlich) ist es,
wenn Plate Seite 49 und 73 den Jesuiten am Schlüsse des dritten Vortrags
den Felsen der Kirche, den Felsen Petri verherrlichen läßt. Die christliche Welt¬
anschauung hat Wasmann einem Felsen verglichen, und er sagt ausdrücklich,
er meine damit den Theismus, den die christlichen Konfessionen miteinander und
mit den Juden gemein haben. Derselbe Jesuitismus steckt im Titel von Plates
Broschüre. Selbst mit dem Mikroskop werden die Leser in keinem der drei
Vortrüge Wasmanns eine Spur dessen finden, was allein vernünftigerweise
unter Ultramontanismus verstanden werden kann. Vom Papst, vom Rosen¬
kranz, von Skapulieren, Ablässen und dergleichen ist schlechterdings keine Rede.
Der Zweck solcher Kunstgriffe ist durchsichtig. Den Haeckelicmern steht die ganze
liberale Presse zur Verfügung. Diese predigt seit vierzig Jahren die zwei
Dogmen: der Darwinismus in Haeckelscher Fassung ist die allein berechtigte,
die allein wahre, die allein echte Naturwissenschaft, und diese Naturwissenschaft
hat bewiesen, daß alles in der Welt „von selbst" geworden ist, wie es ist, daß
es zu seiner Erklärung der Hypothese „Gott" nicht bedarf, daß es weder einen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0247" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303663"/>
          <fw type="header" place="top"> Wasmann und seine Berliner Gpponenten</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1033" prev="#ID_1032"> sie als zu ihm gehörig angesehen und für den Felsen selbst gefürchtet habe, als<lb/>
sie von der Woge des kopernikanischen Systems fortgespült wurde. Die Furcht<lb/>
habe sich als unbegründet erwiesen. Ebenso sei es mit dieser neuen Woge, der<lb/>
Entwicklungstheorie, die zwar eine wissenschaftliche Ansicht: die Konstanztheorie<lb/>
(Lehre von der UnVeränderlichkeit der Arten) fortspüle, dem Felsen aber nichts<lb/>
anhaben könne.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1034"> Über die Art, wie der Diskussionsabend zustande gekommen sei, berichten<lb/>
Professor Plate und Wasmann verschieden. Unter anderen behauptet Wasmann,<lb/>
man habe die Bedingungen gegen die Verabredung zu seinen Ungunsten ab¬<lb/>
geändert, Plate aber nennt das eine Verleumdung. Wir erleben es alle Tage,<lb/>
daß zwei Teilnehmer an einer Unterredung deren Verlauf verschieden auffassen<lb/>
und wiedererzählen, ohne daß gegen einen von ihnen der Vorwurf subjektiver<lb/>
UnWahrhaftigkeit erhoben werden dürfte. Der Gegenstand, der uns allein<lb/>
interessiert, wird von diesem Zwist nicht berührt, dieser braucht darum nicht<lb/>
ausführlich erzählt zu werden. Nur eins sei erwähnt. Plate wollte den Wort¬<lb/>
laut der drei Vorträge Wasmanns in seine Schrift aufnehmen, mußte sich aber<lb/>
mit dem Bericht der Germania begnügen, weil Wasmann das Manuskript nicht<lb/>
herausgab. Dieser schreibt, weil er am 18. Februar nur einmal, nach drei¬<lb/>
stündiger Diskussion gegen Mitternacht, zu Worte gekommen sei, demnach seinen<lb/>
elf Opponenten nicht gebührend habe antworten können, möge er die Vorträge<lb/>
nicht veröffentlichen, ohne die Reden der Opponenten mit Glossen zu versehen,<lb/>
die seine kurze gesprochn« Antwort ergänzten. Darauf sei von der andern<lb/>
Seite nicht eingegangen worden, und deshalb veröffentliche er seine Vorträge<lb/>
und einen Bericht über die Gegenreden in einer eignen Schrift.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1035" next="#ID_1036"> Das Verhalten der meisten Opponenten und des Berichterstatters Plate<lb/>
müßte man sonderbar nennen, wenn man nicht schon von dieser Seite her das<lb/>
allersonderbarste gewöhnt wäre. &#x201E;Jesuitisch" (unbewußterweise natürlich) ist es,<lb/>
wenn Plate Seite 49 und 73 den Jesuiten am Schlüsse des dritten Vortrags<lb/>
den Felsen der Kirche, den Felsen Petri verherrlichen läßt. Die christliche Welt¬<lb/>
anschauung hat Wasmann einem Felsen verglichen, und er sagt ausdrücklich,<lb/>
er meine damit den Theismus, den die christlichen Konfessionen miteinander und<lb/>
mit den Juden gemein haben. Derselbe Jesuitismus steckt im Titel von Plates<lb/>
Broschüre. Selbst mit dem Mikroskop werden die Leser in keinem der drei<lb/>
Vortrüge Wasmanns eine Spur dessen finden, was allein vernünftigerweise<lb/>
unter Ultramontanismus verstanden werden kann. Vom Papst, vom Rosen¬<lb/>
kranz, von Skapulieren, Ablässen und dergleichen ist schlechterdings keine Rede.<lb/>
Der Zweck solcher Kunstgriffe ist durchsichtig. Den Haeckelicmern steht die ganze<lb/>
liberale Presse zur Verfügung. Diese predigt seit vierzig Jahren die zwei<lb/>
Dogmen: der Darwinismus in Haeckelscher Fassung ist die allein berechtigte,<lb/>
die allein wahre, die allein echte Naturwissenschaft, und diese Naturwissenschaft<lb/>
hat bewiesen, daß alles in der Welt &#x201E;von selbst" geworden ist, wie es ist, daß<lb/>
es zu seiner Erklärung der Hypothese &#x201E;Gott" nicht bedarf, daß es weder einen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0247] Wasmann und seine Berliner Gpponenten sie als zu ihm gehörig angesehen und für den Felsen selbst gefürchtet habe, als sie von der Woge des kopernikanischen Systems fortgespült wurde. Die Furcht habe sich als unbegründet erwiesen. Ebenso sei es mit dieser neuen Woge, der Entwicklungstheorie, die zwar eine wissenschaftliche Ansicht: die Konstanztheorie (Lehre von der UnVeränderlichkeit der Arten) fortspüle, dem Felsen aber nichts anhaben könne. Über die Art, wie der Diskussionsabend zustande gekommen sei, berichten Professor Plate und Wasmann verschieden. Unter anderen behauptet Wasmann, man habe die Bedingungen gegen die Verabredung zu seinen Ungunsten ab¬ geändert, Plate aber nennt das eine Verleumdung. Wir erleben es alle Tage, daß zwei Teilnehmer an einer Unterredung deren Verlauf verschieden auffassen und wiedererzählen, ohne daß gegen einen von ihnen der Vorwurf subjektiver UnWahrhaftigkeit erhoben werden dürfte. Der Gegenstand, der uns allein interessiert, wird von diesem Zwist nicht berührt, dieser braucht darum nicht ausführlich erzählt zu werden. Nur eins sei erwähnt. Plate wollte den Wort¬ laut der drei Vorträge Wasmanns in seine Schrift aufnehmen, mußte sich aber mit dem Bericht der Germania begnügen, weil Wasmann das Manuskript nicht herausgab. Dieser schreibt, weil er am 18. Februar nur einmal, nach drei¬ stündiger Diskussion gegen Mitternacht, zu Worte gekommen sei, demnach seinen elf Opponenten nicht gebührend habe antworten können, möge er die Vorträge nicht veröffentlichen, ohne die Reden der Opponenten mit Glossen zu versehen, die seine kurze gesprochn« Antwort ergänzten. Darauf sei von der andern Seite nicht eingegangen worden, und deshalb veröffentliche er seine Vorträge und einen Bericht über die Gegenreden in einer eignen Schrift. Das Verhalten der meisten Opponenten und des Berichterstatters Plate müßte man sonderbar nennen, wenn man nicht schon von dieser Seite her das allersonderbarste gewöhnt wäre. „Jesuitisch" (unbewußterweise natürlich) ist es, wenn Plate Seite 49 und 73 den Jesuiten am Schlüsse des dritten Vortrags den Felsen der Kirche, den Felsen Petri verherrlichen läßt. Die christliche Welt¬ anschauung hat Wasmann einem Felsen verglichen, und er sagt ausdrücklich, er meine damit den Theismus, den die christlichen Konfessionen miteinander und mit den Juden gemein haben. Derselbe Jesuitismus steckt im Titel von Plates Broschüre. Selbst mit dem Mikroskop werden die Leser in keinem der drei Vortrüge Wasmanns eine Spur dessen finden, was allein vernünftigerweise unter Ultramontanismus verstanden werden kann. Vom Papst, vom Rosen¬ kranz, von Skapulieren, Ablässen und dergleichen ist schlechterdings keine Rede. Der Zweck solcher Kunstgriffe ist durchsichtig. Den Haeckelicmern steht die ganze liberale Presse zur Verfügung. Diese predigt seit vierzig Jahren die zwei Dogmen: der Darwinismus in Haeckelscher Fassung ist die allein berechtigte, die allein wahre, die allein echte Naturwissenschaft, und diese Naturwissenschaft hat bewiesen, daß alles in der Welt „von selbst" geworden ist, wie es ist, daß es zu seiner Erklärung der Hypothese „Gott" nicht bedarf, daß es weder einen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/247
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/247>, abgerufen am 23.07.2024.