Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.West- und Ostdeutsch langer Waldgürtel vom Rheine bis an die Karpaten lief. Südlich dieses Wald¬ West- und Ostdeutsch langer Waldgürtel vom Rheine bis an die Karpaten lief. Südlich dieses Wald¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0190" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303606"/> <fw type="header" place="top"> West- und Ostdeutsch</fw><lb/> <p xml:id="ID_756" prev="#ID_755" next="#ID_757"> langer Waldgürtel vom Rheine bis an die Karpaten lief. Südlich dieses Wald¬<lb/> gürtels saßen nur in Böhmen und Mührer, aber auch auf ursprünglich keltischem<lb/> Boden germanische Stämme, und zwar erst seit dem Ende des letzten vorchrist¬<lb/> lichen Jahrhunderts. Das älteste Haupt- und Heimatland der Germanen war<lb/> das Land südlich von der Ostsee zwischen Elbe und Weichsel, von wo sie auch<lb/> nach dem südlichen Skandinavien hinübergingen (nicht umgekehrt), der Sitz ihrer<lb/> edelsten Stämme, der Suchen, Burgunder, Goten, Vandalen, das klassische,<lb/> niemals besiegte oder gar eroberte Land des stolzen germanischen Volkskönig-<lb/> tums, das germanisch war und blieb, auch als die Römer den ganzen Süd¬<lb/> westen in Besitz nahmen und kolonisierten, und als sie die Grenze ihres Reichs<lb/> vorübergehend bis an die untere Elbe und die Nordsee vorschoben. Erst als<lb/> diese noch halb nomadischen, ostgermanischen Stämme, die nur das offne Land<lb/> dichter besiedelt, das Waldgebirge ganz unberührt gelassen hatten, die alte<lb/> Heimat seit dem Ende des vierten Jahrhunderts allmählich räumten, da fiel<lb/> das ganze weite Land den geräuschlos nachrückenden Slawen zu, und da jene<lb/> Wanderstämme, soweit sie nicht das heutige Süddeutschland besetzten (die Marko¬<lb/> mannen aus Böhmen das jetzige Bayern, die suebischen Semnonen aus<lb/> Brandenburg Schwaben), ihr Volkstum bald aufgaben und alle Verbindung mit<lb/> der Heimat verloren, wo nur ganz geringe Neste germanischer Bevölkerung<lb/> zurückgeblieben sein können, so war um 600 das Deutschtum auf den schmalen<lb/> Raum zwischen der Nordsee und den Alpen, der Linie Elbe-Saale-Böhmer-<lb/> Wald-Enns, den Vogesen und Ardennen beschränkt, und es würde, wäre es so<lb/> eingeengt geblieben, in selbständige, eigenwillige Stämme zerspalten, seinen Nach¬<lb/> barn wahrscheinlich erlegen und niemals zur Bildung einer geschlossenen Na¬<lb/> tionalität gelangt sein. Es wurde seine Rettung, daß die Franken von dem<lb/> durch sie eroberten, aber nur im Osten germanisierten keltisch-romanischen Gallien<lb/> aus nach Osten über den Rhein zurückgriffen und den westdeutschen Stämmen,<lb/> zuletzt auch den Sachsen, eine Reichscinheit aufzwangen, die diese von sich aus<lb/> niemals zustande gebracht haben würden, dann aber doch behaupteten, auch als<lb/> sich die Verbindung mit Gallien gelöst hatte, weil ihnen von Norden und Osten<lb/> die schwersten Gefahren drohten. Dann aber unternahmen sie es unter Führung<lb/> der Sachsen seit dem zehnten Jahrhundert angriffsweise in das Slawenland<lb/> vorzugehn, und indem sie es in schweren Kämpfen allmählich unterwarfen, erst<lb/> bis an die Oder, seit dem Beginne des dreizehnten Jahrhunderts bis weit über<lb/> die Weichsel hinaus, gelang es ihnen binnen etwa zwei Jahrhunderten, diesen<lb/> ganzen weiten Raum mit deutschen Ansiedlungen, mit Burgen und Kirchen, mit<lb/> Dörfern und Städten derart zu besiedeln, daß auch die besiegten und christia¬<lb/> nisierten Slawen bis auf geringe Neste im Deutschrum aufgingen. Diese un¬<lb/> geheure Kulturarbeit, die zum erstenmale das ganze ausgedehnte Wald- und<lb/> Sumpfland dem Pfluge unterwarf, leisteten in der nördlichen Zone die Nieder¬<lb/> sachsen, in der südlichen bis weit nach Schlesien hinein die Thüringer und<lb/> Franken. Im Südosten haben die Bayern die Donau- und Ostalpenländer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0190]
West- und Ostdeutsch
langer Waldgürtel vom Rheine bis an die Karpaten lief. Südlich dieses Wald¬
gürtels saßen nur in Böhmen und Mührer, aber auch auf ursprünglich keltischem
Boden germanische Stämme, und zwar erst seit dem Ende des letzten vorchrist¬
lichen Jahrhunderts. Das älteste Haupt- und Heimatland der Germanen war
das Land südlich von der Ostsee zwischen Elbe und Weichsel, von wo sie auch
nach dem südlichen Skandinavien hinübergingen (nicht umgekehrt), der Sitz ihrer
edelsten Stämme, der Suchen, Burgunder, Goten, Vandalen, das klassische,
niemals besiegte oder gar eroberte Land des stolzen germanischen Volkskönig-
tums, das germanisch war und blieb, auch als die Römer den ganzen Süd¬
westen in Besitz nahmen und kolonisierten, und als sie die Grenze ihres Reichs
vorübergehend bis an die untere Elbe und die Nordsee vorschoben. Erst als
diese noch halb nomadischen, ostgermanischen Stämme, die nur das offne Land
dichter besiedelt, das Waldgebirge ganz unberührt gelassen hatten, die alte
Heimat seit dem Ende des vierten Jahrhunderts allmählich räumten, da fiel
das ganze weite Land den geräuschlos nachrückenden Slawen zu, und da jene
Wanderstämme, soweit sie nicht das heutige Süddeutschland besetzten (die Marko¬
mannen aus Böhmen das jetzige Bayern, die suebischen Semnonen aus
Brandenburg Schwaben), ihr Volkstum bald aufgaben und alle Verbindung mit
der Heimat verloren, wo nur ganz geringe Neste germanischer Bevölkerung
zurückgeblieben sein können, so war um 600 das Deutschtum auf den schmalen
Raum zwischen der Nordsee und den Alpen, der Linie Elbe-Saale-Böhmer-
Wald-Enns, den Vogesen und Ardennen beschränkt, und es würde, wäre es so
eingeengt geblieben, in selbständige, eigenwillige Stämme zerspalten, seinen Nach¬
barn wahrscheinlich erlegen und niemals zur Bildung einer geschlossenen Na¬
tionalität gelangt sein. Es wurde seine Rettung, daß die Franken von dem
durch sie eroberten, aber nur im Osten germanisierten keltisch-romanischen Gallien
aus nach Osten über den Rhein zurückgriffen und den westdeutschen Stämmen,
zuletzt auch den Sachsen, eine Reichscinheit aufzwangen, die diese von sich aus
niemals zustande gebracht haben würden, dann aber doch behaupteten, auch als
sich die Verbindung mit Gallien gelöst hatte, weil ihnen von Norden und Osten
die schwersten Gefahren drohten. Dann aber unternahmen sie es unter Führung
der Sachsen seit dem zehnten Jahrhundert angriffsweise in das Slawenland
vorzugehn, und indem sie es in schweren Kämpfen allmählich unterwarfen, erst
bis an die Oder, seit dem Beginne des dreizehnten Jahrhunderts bis weit über
die Weichsel hinaus, gelang es ihnen binnen etwa zwei Jahrhunderten, diesen
ganzen weiten Raum mit deutschen Ansiedlungen, mit Burgen und Kirchen, mit
Dörfern und Städten derart zu besiedeln, daß auch die besiegten und christia¬
nisierten Slawen bis auf geringe Neste im Deutschrum aufgingen. Diese un¬
geheure Kulturarbeit, die zum erstenmale das ganze ausgedehnte Wald- und
Sumpfland dem Pfluge unterwarf, leisteten in der nördlichen Zone die Nieder¬
sachsen, in der südlichen bis weit nach Schlesien hinein die Thüringer und
Franken. Im Südosten haben die Bayern die Donau- und Ostalpenländer
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