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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Hsterreich nach der ZVahlresorm

Plans Kristoffhs, in Ungarn die Macht der Koalition durch das allgemeine
Wahlrecht zu brechen, gab in Wien den Anstoß zu einer plötzlichen Bewegung
für das allgemeine Wahlrecht in Österreich. Wie sie eigentlich in Szene gesetzt
wurde, ist nie recht klar geworden und wird vielleicht, wie so vieles von den
innern Vorgängen der neuern Zeit in Österreich, nie vollständig bekannt werden.
Aus den Darstellungen der leitenden hauptstädtischen Presse ist es nicht zu
ersehen. Sie scheint keinen Anlaß zu haben, darüber Aufklärung zu geben.
Die auffällige Tatsache, daß sie Ende September einstimmig behauptete, Graf
Goluchowski und Freiherr von Ganthas hätten die damalige vorübergehende
Demission des Ministeriums Fejervary wegen des Kristoffyschen Projekts
durchgesetzt, was sofort dementiert wurde, während Ganthas sich kurz darauf
zunächst verklausuliert, dann aber energisch dafür erklärte, läßt nur vermuten,
daß sie die Wahrheit nicht kannte oder Grund hatte, sie nicht zu sagen --
alles das harrt noch der Erklärung. Auch weiß man nichts über die Vor¬
gänge, durch die Kaiser Franz Joseph bewogen worden ist, sich so plötzlich und
nachdrücklich für das allgemeine Wahlrecht in Österreich auszusprechen. Man
hat dort bis in die höchsten Kreise hinauf ganz eigentümliche Anschauungen
über den Parlamentarismus. Während weder in Österreich noch in Ungarn
die Verfassung von einer reinen parlamentarischen Negierung etwas sagt, hat
sich die Krone hüben wie drüben fast jeder Einwirkung auf die parlamen¬
tarischen Vorgänge enthalten. So beharrlich Kaiser Franz Joseph an den der
Krone ausdrücklich vorbehaltnen Vorrechten in bezug auf die äußere Politik
und das Heer festhält, wie nacheinander die Deutschliberalen, die Tschechen
und zuletzt die Magyaren zu ihrem Leidwesen erfahren haben, so wenig hat
er Einfluß genommen auf die von den verschiednen Regierungen und Partei¬
gruppierungen in Angriff genominnen Lösungsversuche der innern Fragen.

Es ist auch in Österreich vielfach die Meinung aufgetaucht, daß der
Monarch dem verworrenen Parteitreibcn die politischen Ziele aufstellen müsse.
Kaiser Wilhelm hat aber an dieser politischen Methode, soweit er sie befolgte,
nicht immer Freude erlebt, und in Österreich-Ungarn, wo der Phrasenschatz
der parlamentarischen Doktrin oben und unten noch mehr Gewalt hat als in
Deutschland, würde es kaum anders sein. Kaiser Franz Joseph ist seiner Natur
nach niemals nach dieser Richtung hervorgetreten, und seine politische Po¬
pularität als "konstitutioneller Monarch" schreibt sich in der Hauptsache davon
her. Erst die Geschichte wird darüber Richter sein, ob es nicht politisch richtig
war, die parteilichen und nationalen Kämpfe sich bis zu ihrer völligen
Selbstvernichtung austoben zu lassen und nur die eigentlichen Grundlagen der
Herrschergewalt, Heer und äußere Politik, fest in der Hand zu halten. Dieses
letzte ist immer richtig, zuweilen kann auch das andre zur Unterstützung dienen
und zweckmäßig sein. Bei dieser persönlichen Stellung zur innern Politik
kann es aber nicht verwunderlich erscheinen, daß Kaiser Franz Joseph seine Zu¬
stimmung gab, den von den meisten Regieruugskreisen begünstigten Versuch zu


Hsterreich nach der ZVahlresorm

Plans Kristoffhs, in Ungarn die Macht der Koalition durch das allgemeine
Wahlrecht zu brechen, gab in Wien den Anstoß zu einer plötzlichen Bewegung
für das allgemeine Wahlrecht in Österreich. Wie sie eigentlich in Szene gesetzt
wurde, ist nie recht klar geworden und wird vielleicht, wie so vieles von den
innern Vorgängen der neuern Zeit in Österreich, nie vollständig bekannt werden.
Aus den Darstellungen der leitenden hauptstädtischen Presse ist es nicht zu
ersehen. Sie scheint keinen Anlaß zu haben, darüber Aufklärung zu geben.
Die auffällige Tatsache, daß sie Ende September einstimmig behauptete, Graf
Goluchowski und Freiherr von Ganthas hätten die damalige vorübergehende
Demission des Ministeriums Fejervary wegen des Kristoffyschen Projekts
durchgesetzt, was sofort dementiert wurde, während Ganthas sich kurz darauf
zunächst verklausuliert, dann aber energisch dafür erklärte, läßt nur vermuten,
daß sie die Wahrheit nicht kannte oder Grund hatte, sie nicht zu sagen —
alles das harrt noch der Erklärung. Auch weiß man nichts über die Vor¬
gänge, durch die Kaiser Franz Joseph bewogen worden ist, sich so plötzlich und
nachdrücklich für das allgemeine Wahlrecht in Österreich auszusprechen. Man
hat dort bis in die höchsten Kreise hinauf ganz eigentümliche Anschauungen
über den Parlamentarismus. Während weder in Österreich noch in Ungarn
die Verfassung von einer reinen parlamentarischen Negierung etwas sagt, hat
sich die Krone hüben wie drüben fast jeder Einwirkung auf die parlamen¬
tarischen Vorgänge enthalten. So beharrlich Kaiser Franz Joseph an den der
Krone ausdrücklich vorbehaltnen Vorrechten in bezug auf die äußere Politik
und das Heer festhält, wie nacheinander die Deutschliberalen, die Tschechen
und zuletzt die Magyaren zu ihrem Leidwesen erfahren haben, so wenig hat
er Einfluß genommen auf die von den verschiednen Regierungen und Partei¬
gruppierungen in Angriff genominnen Lösungsversuche der innern Fragen.

Es ist auch in Österreich vielfach die Meinung aufgetaucht, daß der
Monarch dem verworrenen Parteitreibcn die politischen Ziele aufstellen müsse.
Kaiser Wilhelm hat aber an dieser politischen Methode, soweit er sie befolgte,
nicht immer Freude erlebt, und in Österreich-Ungarn, wo der Phrasenschatz
der parlamentarischen Doktrin oben und unten noch mehr Gewalt hat als in
Deutschland, würde es kaum anders sein. Kaiser Franz Joseph ist seiner Natur
nach niemals nach dieser Richtung hervorgetreten, und seine politische Po¬
pularität als „konstitutioneller Monarch" schreibt sich in der Hauptsache davon
her. Erst die Geschichte wird darüber Richter sein, ob es nicht politisch richtig
war, die parteilichen und nationalen Kämpfe sich bis zu ihrer völligen
Selbstvernichtung austoben zu lassen und nur die eigentlichen Grundlagen der
Herrschergewalt, Heer und äußere Politik, fest in der Hand zu halten. Dieses
letzte ist immer richtig, zuweilen kann auch das andre zur Unterstützung dienen
und zweckmäßig sein. Bei dieser persönlichen Stellung zur innern Politik
kann es aber nicht verwunderlich erscheinen, daß Kaiser Franz Joseph seine Zu¬
stimmung gab, den von den meisten Regieruugskreisen begünstigten Versuch zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/179>, abgerufen am 25.08.2024.