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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Österreich nach der Mahlreform

wurde, ist ebenso wie der aufgeklärte Absolutismus, wie man ihn hätte hand¬
haben sollen, gegenwärtig auch für Österreich-Ungarn unwiderruflich vorüber.
Da man einmal den Parlamentarismus eingeführt hatte, mußte man mit ihm
auszukommen suchen und von der Zukunft erwarten, daß die Not der Zeit
dazu führen werde, die ihm offenkundig anhängenden Mängel zu beseitigen.
Das war wohl aller Welt klar geworden, daß der Parlamentarismus nach
französischem Muster nicht das geeignete Mittel war, gerade Österreich eine
gesicherte Zukunft zu bringen, denn er wirkt überall zerreißend, befördert die
künstliche Parteizüchtung, lähmt jede Initiative des Staates und macht un¬
geheuer viel von sich reden, ohne eigentlich viel zu leisten.

In den letzten Jahren ließen die parlamentarischen Zustände dort kaum
noch einen Schimmer von Hoffnung mehr auf eine endliche Entwirrung der
Lage, auf eine gedeihliche Inangriffnahme der auf Erledigung harrenden wich¬
tigen wirtschaftlichen und militärischen Fragen und auf eine Vorbereitung der
Monarchie für die Teilnahme an der Weltpolitik. Eigentlich wurde wieder
absolutistisch regiert und der Parlamentarismus nur unter der Fiktion des
Paragraphen 14 der Verfassung aufrecht erhalten, der allein es den Abgeordneten
ermöglichte, unfruchtbare Reden zu halten und Diäten zu beziehen. Die ge¬
samte gesetzgeberische Tätigkeit des Parlaments stockte, kaum wurden einige
populäre Gesetze in Eile erledigt, aber die notwendigste Pflicht des Parlaments,
die auch sein wichtigstes Recht ausmacht, um dessentwillen man eigentlich Volks¬
vertretungen eingeführt hat -- das Budgctrecht --, wurde seit Jahren mit
Hilfe des Paragraphen 14 von der Regierung allein ausgeübt wie zu Zeiten
des Absolutismus. Daß auf die Dauer solche Zustände unmöglich sind, liegt
ja auf der Hand, Erstaunen mußte es freilich überall erregen, wo man
österreichische Strömungen und Stimmungen nicht kennt, daß die Abhilfe im
allgemeinen Wahlrecht gesucht werden sollte, und daß ein so tief einschneidendes
Gesetz von einem sonst leistungsunfähigen Parlament angenommen wurde, das
daneben seine Pflichtarbciten einfach liegen ließ. Allerdings hatten von vorn¬
herein viele Leute gar keine entschiedne Opposition für notwendig gehalten,
weil sie nicht glaubten, daß dieses Abgeordnetenhaus kurz vor dem Ablauf
seiner Wahlperiode das Gesetz noch durchberaten würde. Aber trotz allem muß
jeden Fernerstehenden das Vorgehn einer Regierung befremden, die zur Be¬
seitigung eines unleugbaren Mißstandes zu einem Mittel griff, das nach allen
bisherigen Erfahrungen politische Übel ähnlicher Natur, die hier abgeschafft
werden sollten, hervorgerufen hatte. Ja die Erlebnisse im eignen Staatsleben
selbst hätten davor warnen sollen, diese Bahn zu betreten. Schon die Ein¬
führung der sogenannten direkten Wahlen, die 1873 an Stelle der Entsendung
der Rcichsratsabgeordneten aus den Landtagen traten, hat nicht zur Erhöhung
des feinern Tons im Parlament beigetragen, die Herabsetzung des Wahl¬
zensus aus fünf Gulden Steuerleistung im Jahre 1882 hatte eine entschiedne
Vergröberung des Tons und eine entsprechende Herabsetzung der Leistungs-


Österreich nach der Mahlreform

wurde, ist ebenso wie der aufgeklärte Absolutismus, wie man ihn hätte hand¬
haben sollen, gegenwärtig auch für Österreich-Ungarn unwiderruflich vorüber.
Da man einmal den Parlamentarismus eingeführt hatte, mußte man mit ihm
auszukommen suchen und von der Zukunft erwarten, daß die Not der Zeit
dazu führen werde, die ihm offenkundig anhängenden Mängel zu beseitigen.
Das war wohl aller Welt klar geworden, daß der Parlamentarismus nach
französischem Muster nicht das geeignete Mittel war, gerade Österreich eine
gesicherte Zukunft zu bringen, denn er wirkt überall zerreißend, befördert die
künstliche Parteizüchtung, lähmt jede Initiative des Staates und macht un¬
geheuer viel von sich reden, ohne eigentlich viel zu leisten.

In den letzten Jahren ließen die parlamentarischen Zustände dort kaum
noch einen Schimmer von Hoffnung mehr auf eine endliche Entwirrung der
Lage, auf eine gedeihliche Inangriffnahme der auf Erledigung harrenden wich¬
tigen wirtschaftlichen und militärischen Fragen und auf eine Vorbereitung der
Monarchie für die Teilnahme an der Weltpolitik. Eigentlich wurde wieder
absolutistisch regiert und der Parlamentarismus nur unter der Fiktion des
Paragraphen 14 der Verfassung aufrecht erhalten, der allein es den Abgeordneten
ermöglichte, unfruchtbare Reden zu halten und Diäten zu beziehen. Die ge¬
samte gesetzgeberische Tätigkeit des Parlaments stockte, kaum wurden einige
populäre Gesetze in Eile erledigt, aber die notwendigste Pflicht des Parlaments,
die auch sein wichtigstes Recht ausmacht, um dessentwillen man eigentlich Volks¬
vertretungen eingeführt hat — das Budgctrecht —, wurde seit Jahren mit
Hilfe des Paragraphen 14 von der Regierung allein ausgeübt wie zu Zeiten
des Absolutismus. Daß auf die Dauer solche Zustände unmöglich sind, liegt
ja auf der Hand, Erstaunen mußte es freilich überall erregen, wo man
österreichische Strömungen und Stimmungen nicht kennt, daß die Abhilfe im
allgemeinen Wahlrecht gesucht werden sollte, und daß ein so tief einschneidendes
Gesetz von einem sonst leistungsunfähigen Parlament angenommen wurde, das
daneben seine Pflichtarbciten einfach liegen ließ. Allerdings hatten von vorn¬
herein viele Leute gar keine entschiedne Opposition für notwendig gehalten,
weil sie nicht glaubten, daß dieses Abgeordnetenhaus kurz vor dem Ablauf
seiner Wahlperiode das Gesetz noch durchberaten würde. Aber trotz allem muß
jeden Fernerstehenden das Vorgehn einer Regierung befremden, die zur Be¬
seitigung eines unleugbaren Mißstandes zu einem Mittel griff, das nach allen
bisherigen Erfahrungen politische Übel ähnlicher Natur, die hier abgeschafft
werden sollten, hervorgerufen hatte. Ja die Erlebnisse im eignen Staatsleben
selbst hätten davor warnen sollen, diese Bahn zu betreten. Schon die Ein¬
führung der sogenannten direkten Wahlen, die 1873 an Stelle der Entsendung
der Rcichsratsabgeordneten aus den Landtagen traten, hat nicht zur Erhöhung
des feinern Tons im Parlament beigetragen, die Herabsetzung des Wahl¬
zensus aus fünf Gulden Steuerleistung im Jahre 1882 hatte eine entschiedne
Vergröberung des Tons und eine entsprechende Herabsetzung der Leistungs-


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[0176] Österreich nach der Mahlreform wurde, ist ebenso wie der aufgeklärte Absolutismus, wie man ihn hätte hand¬ haben sollen, gegenwärtig auch für Österreich-Ungarn unwiderruflich vorüber. Da man einmal den Parlamentarismus eingeführt hatte, mußte man mit ihm auszukommen suchen und von der Zukunft erwarten, daß die Not der Zeit dazu führen werde, die ihm offenkundig anhängenden Mängel zu beseitigen. Das war wohl aller Welt klar geworden, daß der Parlamentarismus nach französischem Muster nicht das geeignete Mittel war, gerade Österreich eine gesicherte Zukunft zu bringen, denn er wirkt überall zerreißend, befördert die künstliche Parteizüchtung, lähmt jede Initiative des Staates und macht un¬ geheuer viel von sich reden, ohne eigentlich viel zu leisten. In den letzten Jahren ließen die parlamentarischen Zustände dort kaum noch einen Schimmer von Hoffnung mehr auf eine endliche Entwirrung der Lage, auf eine gedeihliche Inangriffnahme der auf Erledigung harrenden wich¬ tigen wirtschaftlichen und militärischen Fragen und auf eine Vorbereitung der Monarchie für die Teilnahme an der Weltpolitik. Eigentlich wurde wieder absolutistisch regiert und der Parlamentarismus nur unter der Fiktion des Paragraphen 14 der Verfassung aufrecht erhalten, der allein es den Abgeordneten ermöglichte, unfruchtbare Reden zu halten und Diäten zu beziehen. Die ge¬ samte gesetzgeberische Tätigkeit des Parlaments stockte, kaum wurden einige populäre Gesetze in Eile erledigt, aber die notwendigste Pflicht des Parlaments, die auch sein wichtigstes Recht ausmacht, um dessentwillen man eigentlich Volks¬ vertretungen eingeführt hat — das Budgctrecht —, wurde seit Jahren mit Hilfe des Paragraphen 14 von der Regierung allein ausgeübt wie zu Zeiten des Absolutismus. Daß auf die Dauer solche Zustände unmöglich sind, liegt ja auf der Hand, Erstaunen mußte es freilich überall erregen, wo man österreichische Strömungen und Stimmungen nicht kennt, daß die Abhilfe im allgemeinen Wahlrecht gesucht werden sollte, und daß ein so tief einschneidendes Gesetz von einem sonst leistungsunfähigen Parlament angenommen wurde, das daneben seine Pflichtarbciten einfach liegen ließ. Allerdings hatten von vorn¬ herein viele Leute gar keine entschiedne Opposition für notwendig gehalten, weil sie nicht glaubten, daß dieses Abgeordnetenhaus kurz vor dem Ablauf seiner Wahlperiode das Gesetz noch durchberaten würde. Aber trotz allem muß jeden Fernerstehenden das Vorgehn einer Regierung befremden, die zur Be¬ seitigung eines unleugbaren Mißstandes zu einem Mittel griff, das nach allen bisherigen Erfahrungen politische Übel ähnlicher Natur, die hier abgeschafft werden sollten, hervorgerufen hatte. Ja die Erlebnisse im eignen Staatsleben selbst hätten davor warnen sollen, diese Bahn zu betreten. Schon die Ein¬ führung der sogenannten direkten Wahlen, die 1873 an Stelle der Entsendung der Rcichsratsabgeordneten aus den Landtagen traten, hat nicht zur Erhöhung des feinern Tons im Parlament beigetragen, die Herabsetzung des Wahl¬ zensus aus fünf Gulden Steuerleistung im Jahre 1882 hatte eine entschiedne Vergröberung des Tons und eine entsprechende Herabsetzung der Leistungs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/176>, abgerufen am 23.07.2024.